Vorfreude (1.Thessalonicher 5,1-11)
Gottesdienst am 09.11.2014 in Brombach

Liebe Gemeinde,
dieser Gottesdienst fällt heute auf ein geschichtsträchtiges Datum. Die Reichspogromnacht 1938 lehrt uns Umkehr und Demut. Während Synagogen brannten und Schaufenster jüdischer Geschäfte eingeschlagen wurden, standen Christen teils applaudierend, teils ratlos und betroffen, doch fast nicht protestierend dabei. Ihre jüdischen Glaubensgeschwister, die sich Gott als sein Volk erwählt hatte, verrieten sie.

Der Mauerfall vor 25 Jahren zeigt ein anderes Bild. Übervolle Kirchen, Friedensdemonstrationen, eine Revolution ohne Gewalt, in der der Glaube an Jesus Christus einen entscheidenden Beitrag leistete. So schillernd ist Geschichte, sie zeugt von menschlichem Versagen und tiefer Schuld, aber auch von göttlichem Segen und seiner Führung.

Heute wollen wir bei diesem historischen Gedenken nicht stehenbleiben, sondern den Blick nach vorn richten. Was gibt uns 2014 Orientierung? Vielleicht ist der 9. November für uns ein Orientierungstag, an dem wir unsere Weichen überprüfen und gegebenenfalls neu stellen.

Ein Abschnitt am Ende des 1.Thessalonicherbriefs leitet uns dazu an. 

Paulus dankt für die Gemeinde

Voraus geht ein umfassender Dank über drei Kapitel. Paulus dankt,
  • dass die Thessalonicher Jesus Christus als Herrn und Erlöser angenommen haben,
  • dass sie eine lebensfähige Gemeinde geworden sind, nachdem Paulus überstürzt abreisen musste,
  • dass sie für Jesus gelitten haben,
  • dass sie Jesus in ihrer Mitte erlebten mit seiner Vergebung, Versöhnung und Liebe
  • dass sie andere Menschen auf den Glauben hin ansprechen konnten.
Beziehen wir diesen Dank auf uns als Gemeinde. Auch in unserer Gemeinde ist Jesus erfahrbar geworden. In den vielfältigen Krisen des Lebens haben wir Jesus als verlässlichen Freund erlebt, der an unserer Seite bleibt und trägt. Den Götzen unserer Zeit vertrauen wir nicht. Wir wissen, dass wir nicht die Größten und Tollsten sind und dass es nicht reicht, wenn es nur uns gut geht. Wir wollen uns nicht auf das Denkmal am Mainufer nahe der Gerbermühle stellen, das als Inschrift 3 Buchstaben trägt: ICH.

Vielleicht leiden wir nicht so intensiv für Christus wie die Christen der ersten Gemeinden. Wir haben uns schon abgefunden damit, dass viele aus unserem Umfeld nicht an Jesus glauben. Wir beten nicht Tag und Nacht für sie, dass sie zum Glauben kommen, und haben keine Tränen in den Augen, wenn wir darüber nachdenken, wie ihr Leben ohne Fundament und Ziel haltlos werden kann. Doch wir wollen auf jeden Fall anderen unseren Glauben nahebringen, indem wir ihn einfach leben, vergeben, uns versöhnen und versöhnen lassen, miteinander im Frieden leben.

Vielleicht hätte Paulus auch so über unsere Gemeinde geschrieben. Ob er so über unser ganz persönliches Leben geschrieben hätte? Diese Antwort können wir nur selbst geben.

Was Paulus der Gemeinde noch weitergeben wollte

Das zentrale Thema der Gemeinde damals war, dass Jesus bald wiederkommt, vielleicht noch zu Lebzeiten der Gemeindeleute. Sie fragten sich: „Wie können wir uns auf Jesu Kommen vorbereiten?“

1.Thessalonicher 5,1-11

Über die Frage, wann das geschehen wird, Brüder und Schwestern, zu welchem näheren Zeitpunkt es eintreten wird, brauchen wir euch nichts zu schreiben. Ihr wisst selbst ganz genau, dass der Tag des Herrn so unvorhergesehen kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn die Menschen sagen werden: »Alles ist ruhig und sicher«, wird plötzlich Gottes vernichtendes Strafgericht über sie hereinbrechen, so wie die Wehen über eine schwangere Frau. Da gibt es kein Entrinnen. Ihr aber lebt ja nicht in der Dunkelheit, Brüder und Schwestern, sodass euch der Tag des Herrn wie ein Dieb überraschen könnte. Ihr alle seid vielmehr Menschen, die dem Licht und dem Tag gehören. Und weil wir nicht mehr der Nacht und der Dunkelheit gehören, wollen wir auch nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein. Wer schläft, tut es in der Nacht, und wer sich betrinkt, tut es in der Nacht. Wir aber gehören dem Tag und wollen deshalb nüchtern sein. Wir wollen Glauben und Liebe als Panzer anlegen und die Hoffnung auf Rettung als Helm. Denn Gott hat uns nicht dazu bestimmt, dass wir seinem Gericht verfallen, sondern dass wir durch Jesus Christus, unseren Herrn, gerettet werden. Er, unser Herr, ist für uns gestorben, damit wir zusammen mit ihm leben. Das gilt für uns alle, ob wir noch am Leben sind, wenn er kommt, oder ob wir schon vorher gestorben sind. Macht also einander Mut und helft euch gegenseitig weiter, wie ihr es ja schon tut.

Paulus gebraucht drei Bilder: Tag, Nacht und Dieb. Beschreibt er die Nacht, hat er offensichtlich die damalige römische Besatzungsmacht vor Augen. Die römischen Wachsoldaten lagen betrunken und schlafend an den Straßen. Für einen Angriff waren sie völlig unvorbereitet. Am Tag dagegen waren alle Bewohner wach und ausgeruht, sie hätten einen Dieb schon von Weitem gesehen und Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Kein Wunder, dass der Dieb die Nacht für seine Einbrüche nutzte, da hatte er nichts zu befürchten.

Paulus vergleicht Jesus nur in einem Punkt mit einem Dieb, er kommt überraschend, wenn keiner es erwartet. 

Wie könnten wir heute diese Bilder füllen? Was bedeutet eine Haltung, die der Nacht entspricht? Vordergründig scheint das Bild einfach zu deuten. Nächtliche, unvorbereitete Menschen sind die, die einfach ihr Leben leben, mitnehmen, was sich bietet, die ihren Blick hauptsächlich auf sich selbst gerichtet haben und meinen, dass sie ihr Leben selbst am besten im Griff haben. Schauen wir tiefer, sind damit sicher auch die gemeint, die ihr Leben nicht im Griff haben, sehr wohl merken, dass sie Hilfe bräuchten, aber keine Hilfe von Gott erwarten oder annehmen. Sie sind am Ertrinken, doch greifen sie nicht nach dem Rettungsring, der vor ihrer Nase schwimmt.

Schauen wir noch tiefer, erkennen wir uns vielleicht sogar selbst. Bei allem christlichen Leben, der täglichen Andacht und einem regen Gemeindeleben, sind wir wirklich wach und aufmerksam, dass Jesus jetzt und hier kommen könnte und uns fragte: „Bist du bereit, alles stehen und liegen zu lassen und mit mir zu kommen?“

Wie sieht die Haltung am Tag aus? Ich sehe meine Grenzen, weiß mich abhängig von Gottes Führung und seinem Segen. Ich weiß mich geliebt von ihm.

Jesus weist seine Jünger in seiner Abschiedsrede nach dem Matthäusevangelium auf drei Auswirkungen des Lebens bei Tag hin. Er erzählt zuerst das Gleichnis vom verantwortungsbewussten Diener (Mattäus 25,45-51). Der verantwortungsbewusste Diener gibt während der Abwesenheit seines Herrn den Untergebenen zu essen. Der verantwortungslose Diener schlägt stattdessen die Untergebenen, weil er denkt, der Herr kommt noch lange nicht. Ein Leben bei Tag bedeutet also, Verantwortung gegenüber den Mitmenschen zu übernehmen und sie so zu behandeln, als wenn Jesus direkt neben uns stünde. Dies gilt für unser Familienleben, für die Arbeit und die Haltung, die wir politisch einnehmen.

Als zweites erzählt Paulus ein Gleichnis von drei Leuten, die mit ihren Gaben unterschiedlich umgehen (Matthäus 25,14-30). Was Gott uns geschenkt hat, ist nicht dazu da, dass wir es verkümmern lassen. Er schenkt uns keine Schnittblumen, deren einziger Zweck ist, schön auszusehen und unser Herz zu erfreuen. Er schenkt uns Pflanzen mit Wurzeln, die einmal Früchte haben sollen. Es ist an uns, sie einzupflanzen und zu hegen und zu pflegen. Welche „Pflanzen“ hat Ihnen Gott geschenkt? Und haben Sie sie eingepflanzt, oder verkümmern sie im Topf auf der Fensterbank? 

Ein drittes Gleichnis handelt davon, wie Jesus in Gestalt eines sehr armen Menschen an die Tür klopft und um Wasser bittet (Mattäus 25,31-46). Er macht deutlich, dass er unsere Barmherzigkeit gegenüber denen erwartet, die bedürftig sind, ohne dass wir zuerst prüfen, ob sie selbst schuld an ihrem Dilemma sind. 

Der Tag steht in diesem Zusammenhang für die Vorfreude auf Jesu Kommen. Er gibt uns Kraft und Motivation, unser Leben ihm gemäß zu gestalten. Wir müssen keine Angst vor seinem Kommen haben, wenn wir wach und aufmerksam unseren Alltag gestalten – unsere Verantwortung wahrnehmen, unsere Gaben und Talente zu seinem Lob einbringen und den Geringen gegenüber ein weites Herz haben. 

Würden wir jetzt hier in der Kirche 2 Felder abtrennen und uns auf diese Felder „Nacht“ und „Tag“ verteilen, müssten wir uns wohl ehrlicherweise eher in den Nacht-Teil stellen. Denn es gibt noch so viel, was wir tun könnten. Verantwortung versuchen wir zu übernehmen, aber in allen Bereichen schafft es wohl niemand. Wir wollen uns mit unseren Talenten einbringen, aber da sind auch noch viele andere Themen in unserem Leben. Wir wollen barmherzig sein, aber wenn uns schon wieder jemand an der Tür Lappen verkaufen will, sind wir doch genervt, obwohl wir sein Elend durchaus erkennen.

Jesus lässt uns heute nicht auf dem dunklen Feld sitzen. Er als das Licht kommt mitten hinein, erhellt es, lässt unseren Blick auf ihn fallen und lockt uns heraus, mit ihm auf das Tag-Feld zu kommen. Wir allein können es nicht, aber mit ihm und in enger Verbindung zu ihm können wir unsere kleine Kraft einbringen und die Welt ein bisschen heller machen.

Paulus ermutigt uns, einander Mut zu machen und uns gegenseitig zu helfen, um wach zu bleiben. Denn er als der kommende Herr braucht uns keine Angst zu machen. Er kommt zu uns als Retter, nicht als Richter.

Wenn wir jetzt Abendmahl miteinander feiern, dann in der Gewissheit, dass Jesus in unser Dunkel kommt, um uns in den Tag zu führen, den er hell macht. Er wird uns, so symbolisiert es das Brot, alles geben, was wir zu einem Leben am Tag brauchen. Das einzige, worum er uns jetzt bittet, ist, zu ihm zu kommen und alles von ihm zu erwarten.

Cornelia Trick


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