Zumutungen des Lebens (Jeremia 29,1-10)
Gottesdienst am 16.11.2014 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
am heutigen Volkstrauertag denken wir in besonderer Weise an die zwei Weltkriege mit vielen Gefallenen und Toten, an Elend, Hunger, Holocaust und Flucht. Ein Volk trauerte um seine Toten, hielt inne und wurde sich bewusst, dass Schuld vergeben werden musste, um wieder zu heilen. Heute beschränkt sich unser Augenmerk längst nicht mehr auf unser Land. Wir haben die Kriegsgebiete weltweit im Blick, die bis zu uns schwappen. Bürgerkriegsflüchtlinge suchen hier eine neue Heimat, Demonstrationen zeigen Solidarität mit den bedrohten Kurden, in unserer Mitte werden junge Menschen für den IS angeworben.

Wie sollen wir uns als Christen positionieren? So wie die drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen? Sollen wir uns in eine heile Gemeinde-Welt zurückziehen? Sollen wir es wagen, unser Christsein verwässern zu lassen, wenn wir uns unter die Menschen mischen?

Einen interessanten Brief zu diesem Thema finden wir im Buch des Propheten Jeremia. Er schreibt den nach Babylon Deportierten ins Exil. Um 598 vor Christus wurde die Oberschicht Jerusalems von den Babyloniern in die Verbannung geführt. Sie waren dort in fremder Umgebung, ohne Heimat, ohne Gott, dessen Wirksamkeit nach ihrem Verständnis auf Israel beschränkt war. Sie lehnten ihre neue Umgebung aus vollem Herzen ab und hofften, bald wieder heimkehren zu können. Sie saßen praktisch auf ihren Koffern, die sie gar nicht erst ausgepackt hatten.

Jeremia 29,1-10

Der Prophet Jeremia schickte einen Brief von Jerusalem nach Babylonien an die Ältesten der Gemeinde, die noch übrig geblieben waren, und an die Priester, die Propheten und alle anderen, die Nebukadnezzar dorthin verschleppt hatte. Denn der Babylonierkönig hatte den König Jojachin, seine Mutter, die Hofbeamten und die führenden Männer von Juda und Jerusalem sowie die Bau- und Metallhandwerker aus Jerusalem weggeführt.  Jeremia schickte den Brief durch Elasa, den Sohn von Schafan, und Gemarja, den Sohn von Hilkija, die von König Zidkija zu Nebukadnezzar nach Babylon gesandt worden waren. Der Brief hatte folgenden Wortlaut:
Der Gott Israels, der Herrscher der Welt, sagt zu allen, die er aus Jerusalem nach Babylonien wegführen ließ:
»Baut euch Häuser und richtet euch darin ein! Legt euch Gärten an, denn ihr werdet noch lange genug dort bleiben, um zu essen, was darin wächst! Heiratet und zeugt Kinder! Verheiratet eure Söhne und Töchter, damit auch sie Kinder bekommen! Eure Zahl soll zunehmen und nicht abnehmen.  Seid um das Wohl der Städte besorgt, in die ich euch verbannt habe, und betet für sie! Denn wenn es ihnen gut geht, dann geht es auch euch gut.« Der Gott Israels, der Herrscher der Welt, sagt: »Lasst euch nicht täuschen von den Propheten und Wahrsagern, die unter euch sind. Verlasst euch nicht auf diese Träumer, die das für euch träumen, was ihr euch wünscht! Sie behaupten, in meinem Auftrag zu reden. Aber sie lügen euch an; ich habe sie nicht gesandt. Ich sage euch: Die Zeit des Babylonischen Reiches ist noch nicht abgelaufen. Es besteht noch siebzig Jahre. Erst wenn die vorüber sind, werde ich euch helfen. Dann werde ich mein Versprechen erfüllen und euch heimführen.«

Jeremia konfrontiert die Exilsleute mit fünf Zumutungen, eine schwerer als die andere.

1 Die Heimkehr in weiter Ferne
Jeremia raubte den Verbannten die Hoffnung, schnell wieder nach Hause zurückzukehren. Die Heilspropheten verkündeten zeitgleich, dass Gott stets gütig ist, alles wieder gut machen würde und die Wünsche der Exilierten erfüllte. Nur zu gerne schenkte man ihnen Glauben. Jeremia widersprach ihnen. Gott erfüllt nicht alle Wünsche. Seine Wege entsprechen nicht immer unseren Vorstellungen. Fragen, Zweifel und Dunkelheit müssen ausgehalten werden, und trotzdem gilt es, an Gott festzuhalten.

2 Gott ist verantwortlich
Die Feinde behandelten die Verbannten grausam. Sie taten es, weil Gott es so wollte, nicht gegen Gottes Willen. Nicht die Feinde haben sie ins Exil geführt, sondern Gott selbst hat sie verbannt. Es war die logische Folge ihrer Abkehr von Gott. Ihr Hochmut, allein zu Lösungen zu kommen, ihr fehlendes Gebetsleben, ihre verschlossenen Ohren für Gottes Reden und ihr lautes Tönen, wo Stille dran gewesen wäre, haben sie in diese Lage gebracht.

Wagen wir einen Sprung über 2500 Jahre. Gibt es nicht auch in unserem Leben Zeiten, die sich wie eine Verbannung anfühlen? Wir sind auf unserer Arbeitsstelle in eine Sackgasse geraten, unsere Partnerschaft ist gegen die Wand gefahren und kurz vor dem Zerbruch, unsere Kinder gehen andere Wege als die, die wir ihnen vorgelebt haben, oder noch anders, wir sind allein, einsam und ohne Aussicht auf Veränderung. Können wir diese Verbannungen als gottgewollt annehmen, sie als eine Chance nutzen, Dinge zu klären, leer zu werden, sich neu auf Gott zu werfen und ihm vertrauen zu lernen?

Es ist einfacher zu sagen: „Das Böse hat mich attakiert“ , als zuzugestehen, dass Gott das Böse zugelassen hat.

3 Gott im Exil
Die Verbannten sollten einen fremden Acker bebauen. Sie sollten Pflanzen in die babylonische Erde setzen. Bisher gingen sie davon aus, dass über die babylonischen Felder der babylonische Gott Marduk wachte. Sollten sie jetzt etwa die fremden Götter übernehmen? Jeremia  zeigte ihnen eine völlig neue Sichtweise auf. Der Gott Israels ist ins babylonische Exil mitgegangen. Der Acker gehörte nicht den Ortsgöttern, sondern war einfach ein Acker. Sie sollten sich deshalb mit dem Segen Gottes in der Fremde arrangieren, Wurzeln schlagen, sich einbringen und würden immer noch ihrem Gott gehören. 

Der Prophet Ezechiel, ein Prophet, der im Exil wirkte, hatte dazu eine sehr eindrückliche Vision. Er sah Gott auf einem Thron mit Rädern ins Exil fahren.

Wir lernen, dass unser Platz mitten in unserer Welt ist, nicht an einem heiligen, abgesonderten Fleckchen. Wir sollen uns einbringen, Aufgaben übernehmen und zum Wohl aller agieren. Das Johannesevangelium überliefert Jesu Gebet für die Gemeinde: „Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt wegzunehmen, aber sie vor dem Bösen in Schutz zu nehmen.“ (Johannes 17)

Mitten in einer glaubenslosen Umgebung ist unser Ort, wo wir Gotteserfahrungen machen können und Salz sind. Wir sind gefragt, wenn es darum geht, Menschen aus der Fremde zu integrieren, Begegnungen zu fördern und für sie auch in unseren Nachbarschaftsgesprächen einzutreten.

4 Lebensfreude in der Verbannung
Die Exilierten sollten sich vermehren. Hier redet Jeremia wahrscheinlich davon, dass Israeliten Mischehen mit den Babyloniern eingehen sollten. Wir spüren Jeremias große innere Freiheit und seinen starken Glauben. Er hatte keine Angst, dass die Babylonier die Israeliten vereinnahmen könnten, sondern ging von Gottes Kraft aus, die stärker ist und überzeugen wird. Wir hören hier die Schöpfungsgeschichte im Hintergrund mit Gottes Auftrag: „Seid fruchtbar und mehret euch“. Wie diese Aufforderung damals eine neue Welt beschrieb, so auch hier. Die Verbannten werden aus ihrer Trauer herausgerufen. Etwas Neues, eine neue Zeit, beginnt, Kinder sind Symbole dafür.

Christen haben viel mehr Grund zur Lebensfreude und zu einem positiven Blick in die Zukunft. Der Auferstandene kommt uns entgegen, der Heilige Geist bewegt uns in seine Richtung. Jesus betet für uns, dass seine Saat aufgeht. Er ist der Weinstock, wir seine Reben, das heißt, wir beziehen unsere Lebenskraft von ihm. Wir müssen das mit dem Kinderkriegen nicht wörtlich nehmen, denn es ist ein Bild für Aufbruch, Lebensbejahung und eine ansteckende Lebensfreude. Die können wir auch fröhlich mehren.

5 Feindesliebe
Die fünfte Zumutung ist sicher die härteste. Die Israeliten sollten für ihre Feinde beten. Die Feinde hatten ihnen die Heimat, ihren Besitz, ihr Lebensumfeld, oft auch ihre Verwandten genommen. Und für sie sollten sie beten? Aber Jeremia nimmt sie in die Pflicht. Er drängt sie dazu, die Feinde Gott zu überlassen. Er zeigt ihnen auf, dass das Beste für die Feinde wäre, wenn Gott ihr Herz erreichte und veränderte. Wenn die Feinde auf Gottes Seite kommen, wird es den Exilierten gut gehen. 

Dieses Anliegen ist für Jesus zentral gewesen. Es ist seine ständige Hausaufgabe für uns. Wir sollen beten für Menschen, die uns verletzt haben, die uns Unrecht getan haben, die schlecht über uns geredet haben, die sich gegen uns und auf unsere Kosten durchgesetzt haben. Für sie sollen wir beten, damit Gott an unserem Zorn, unserer Verletzung arbeiten kann. Wir müssen nicht länger mit unseren Gedanken ständig um sie kreisen, denn Gott nimmt uns das ab. Für sie können wir Gutes wollen, denn wenn sie heil werden, hilft uns das auch, selbst heil zu werden.

Jeremias Schlusswort lautet: Gott wird sich mitten in der Wüste finden lassen. Er will unser Glück, nicht unser Unglück. Er will Zukunft für uns. Die einzige Aktivität, die er von uns erwartet, ist, ihn von Herzen zu suchen. 

Ich will euer Glück und nicht euer Unglück. Ich habe im Sinn, euch eine Zukunft zu schenken, wie ihr sie erhofft. Das sage ich, der HERR.“ (Jeremia 29,11)

Cornelia Trick


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