Wüstenzeiten
Gottesdienst am 01.03.2009

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
als wir einen Ausflug zum Felsenmeer in Darmstadt machten, ließen wir uns dort die interessanten Gesteinsformationen erklären. Der Vor-Ort-Führer erklärte uns, dass Steinblöcke, die größer als Häuser waren, zur Römerzeit mit kleinen Keilen gespalten wurden, um Baumaterial zu gewinnen. Dafür wurden winzige Risse im Gestein genutzt, die etwa durch Wasser und Frost entstanden waren, und in diese Risse hinein wurde der Keil getrieben, der schließlich zum Auseinanderbrechen des ganzen Blocks führte. Mir blieb dieses Bild hängen. Ein solcher Keil kann in übertragenem Sinne auch auf feste Beziehungen einwirken. Erst stemmt es sich in einen winzig kleinen Riss, dann entsteht eine Verunsicherung, am Ende ist die Trennung vollzogen. Der Keil, der auf die Beziehung zu Gott einwirkt, wird Versuchung genannt. Eine scheinbar kleine Sehnsucht nach „mehr“ im Leben führt zur Entfremdung von Gott, zum Bruch. Versuchungen können demnach nur Menschen treffen, die in Beziehung zu Gott leben, die an ihn glauben und ihm vertrauen. Wer mit Gott nichts zu tun haben will, ist ja schon in Abstand zu ihm, da braucht es keinen Keil mehr. 

Seit Aschermittwoch hat die Passionszeit begonnen. Wir denken in diesen vor uns liegenden 40 Tagen an das Leiden und Sterben Jesu für uns. Wir werden daran erinnert, dass Jesus sich auf eine Stufe mit uns Menschen gestellt hat, bis in die tiefsten Tiefen des gebrochenen Menschen gekommen ist, um ihn zu retten. Jesus hat den Keil der Versuchung in seinem Leben selbst erlitten, damit er uns von diesem Keil erlöste.

Was Versuchung bedeutet, illustriert eine Begebenheit in der Wüste Israels ganz am Anfang der Wirksamkeit Jesu. Gerade ist Jesus von Johannes im Jordan getauft worden. Er hat sich eingereiht in die Taufe der Sünder, die dadurch ihre Sünden von Gott abwaschen ließen. Er, der von Gott kam, ließ sich ein auf den Weg der Sünder, um als einer der ihren sie bei der Hand nehmen zu können. Nachdem Jesus getauft wurde, war die Stimme Gottes zu hören: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Gott rief Jesus mit diesem Wort an die Arbeit. Er sollte Gottes Auftrag ausführen, für die Sünder den Weg in die Passion und ans Kreuz gehen, für sie sterben und sie retten. Diese Szene am Jordan war ein Moment größter Nähe Jesu zu seinem himmlischen Vater. Gott sagte zu seinem Sohn: Du gehörst zu mir. Und der Sohn antwortete durch die Taufe: Ich gehöre dir. Doch wo innigste Gemeinschaft ist, hat der Keil Ansatzfläche. Wo Gott und Mensch getrennt sind, braucht es keinen Keil, um beide erst auseinander zu bringen. Nur wo Nähe ist, wird man den Keil nicht suchen müssen.
Dieser Keil dreht Gottes Aussage um: Bist du wirklich Gottes Sohn? Und wenn du es bist, beweise es!

Matthäus 4,1-11

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er  vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da  traten Engel zu ihm und dienten ihm.

Jesu Versuchung

Der Geist Gottes führte Jesus gleich nach seiner Taufe in die Wüste, so wie Mose und Elia eine 40-tägige Fastenzeit in der Wüste erlebten. Befremdlich erscheint, dass Jesus in die Wüste geführt wurde, damit ihn der Teufel versuchte. Zwei Gründe können hinter dieser Aussage stehen. An Gott geht nichts vorbei, dass er nicht zumindest zulässt. Der Teufel ist zwar handlungsfähig, aber doch sozusagen an kurzer Leine. Die Versuchungen sind ein Keil, den Gott selbst in sein Verhältnis zu seinem Sohn einschlägt, aber dieser Keil des Teufels ist nicht stärker als Gottes Liebe zu seinem Sohn. Ein weiterer Grund, warum ausdrücklich vom Geist Gottes die Rede ist, der in die Wüste führt, mag sein, dass Wüstenzeit immer auch Versuchungszeit ist, in der der Teufel besonders angreift. Wo der Mensch leer wird, kann sich die Leere mit Gott füllen, aber eben auch mit dem Teufel. Das ist die Versuchung, der Jesus in drei Formen begegnet. Und letztlich wird erst durch diese Versuchungen hindurch klar, ob Jesus seinen Auftrag annimmt und wirklich den Weg des Leidens bis zum Karfreitag geht, oder seine göttliche Herkunft gebraucht, um seinen Weg in eigener Regie zu gehen.

Die erste Versuchung: Angst ums Überleben

Nach 40 Tagen Fasten war Hunger kein Thema, wie wenn uns nach einem halben Tag der Magen knurrt. Hier ging es um das Überleben. Hunger war Ausdruck des Aufschreis nach Leben. KeilDer Keil in seinem Verhältnis zu Gott trug den Titel „Hilf dir selbst, warte nicht ab, wer weiß, ob Gott dir hilft“. Ob es der Hunger nach einer langen Fastenzeit ist oder der Hunger nach Anerkennung, Liebe, Angenommensein, Lebenssinn, dieser Hunger schreit nach Hilfe. Die einfachste Antwort ist, sich selbst die Hilfe zu besorgen, die viel schwierigere Antwort die, die Jesus dem Teufel gab: 
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“
Jesus zitierte einen Satz, den Mose seinem Volk sagte. Hatte das Volk Israel während seiner 40 Wüstenjahre doch immer wieder erfahren, dass Gott Hunger stillte und auf Notlagen direkt reagierte. Auf ihn war Verlass. Sein Wort bewirkte die Aufhebung der Not. Und so zitierte Jesus den Satz ebenfalls. Nicht er selbst wollte sich helfen und sich Brot beschaffen, er vertraute darauf, dass Gott, der ihn in die Wüste führte, auch dort für ihn sorgte. So gilt es weiterhin für die Notlagen, in die auch wir immer wieder geraten und die ein Keil der Macht sein könnten, die gegen Gott steht. Auf Gottes Fürsorge ist Verlass. Er wird helfen und uns das geben, was wir am allernötigsten brauchen, gerade in lebensbedrohlicher Situation.

Die zweite Versuchung: Gott auf Probe

Der Tempel, zu dem Jesus geführt wurde, ist ein religiöser Schauplatz. Hier ging es um die Gottesbeziehung, nicht um existenzielle Not. Der Teufel forderte Jesus heraus, mit Gottes Zusagen zu spielen, sie auszuprobieren, um sich letzte Gewissheit zu verschaffen. So hielt der Teufel Jesus einen Vers aus dem 91. Psalm wie einen Köder vor die Nase: „Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Sollte Jesus das nicht mal ausprobieren, um dann sicher zu sein, dass Gott ihn auch in den echten Krisen hielt? Mich erinnert dieses „Test it“ an manche Situationen, in denen ich einen falschen Weg fortsetzte, weil ich mich darauf verließ, dass Gott mir schon ein Stopp-Schild aufstellen würde, wenn der Weg wirklich so falsch wäre. Oder ich erinnere mich an Gespräche, wo es darum ging, Grenzen auszuloten. Gott würde schon eingreifen, wenn die Grenze überschritten wäre. Sind solche Vorstellungen nicht Keile, die sich zwischen Gott und uns drängen. Da wird mit Gott gespielt, als ob das Leben eine Trockenübung im TÜV-Labor wäre. Jesus setzt dem wieder ein Wort aus dem 5. Mosebuch entgegen:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Vom Zusammenhang dieses Satzes im 5. Mosebuch wird deutlich, es geht beim Verhältnis zu Gott um eine Entscheidung ohne Probezeit. Man kann Gott nicht ausprobieren, man kann sich nur auf ihn verlassen. Er lässt nicht mit sich spielen und durchschaut unsere Prüfmanöver. Erst im Ernstfall Leben rücken seine Engel aus um aufzufangen, nicht wenn wir es uns wünschen.

Die dritte Versuchung: Es geht ohne Gott

Der Teufel verdrehte Gottes Verheißungen minimal, heraus kam: Leben in Fülle bedeutet Macht zu haben in Fülle. Er zeigte Jesus auf, was er alles besitzen könnte ohne Gott. Er wollte den Keil so tief treiben, dass die Beziehung von Gott und seinem Sohn Jesus endgültig zerbrach. Würde Jesus gegen das erste Gebot verstoßen: Ich bin der Herr, dein Gott!, so hätte er sich von Gott losgesagt und wäre in den Fängen des Teufels. Ich stellte mir als Kind diese Szene immer sehr dramatisch vor. Ein schwarz gekleideter Teufel steht mit Jesus auf einem Berg und schaut auf die Felder der Ebene. Er bittet Jesus, vor ihm auf die Knie zu fallen. Schon als Kind fand ich die Bitte des Teufels absurd. Das wusste wirklich jedes Kind, dass man dem Teufel nicht zu Füßen fiel. Vor dieser schwarz gekleideten Gestalt mit feuerrotem Gesicht lief man weg, so schnell die Beine trugen. Aber nach und nach erkannte ich, dass der Teufel selten so plakativ daher kommt. Er hat unzählige Verkleidungen parat und flüstert mit sehr einfühlsamer Stimme. Er tritt dann auf den Plan, wenn ich mich aufgrund meines Glaubens ohnmächtig fühle, wenn mir Unrecht geschieht. Er überredet mich, alles hinzuschmeißen und wegzulaufen. Auf andere Weise lässt er mich Gelüste entwickeln, Menschen zu beherrschen, sie zu dirigieren, ihnen meinen Willen aufzuzwingen. Er lässt mich taub werden gegenüber Gottes Reden und hektisch, um nur ja keine Zeit für ihn zu haben. Er tritt dann auf, wenn mir das erste Gebot aus dem Blickfeld gerät und Gott nicht mehr Zentrum meines Lebens ist. Der Jünger Petrus war davon betroffen. Er hörte, wie Jesus von seinem Ohnmachtsweg in den Tod für die Sünder sprach. Petrus legte Protest ein, er wollte, dass Jesus groß raus kam. Auf dem Berg nicht starb, sondern sich die Reiche untertan machte. Jesus durchschaute den Teufel in ihm und fuhr ihn an: „Geh weg von mir, Satan!“

Jesus setzte dem Teufel entgegen: „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen!“ Er gab damit die Antwort, die auch wir den Einflüsterungen des Bösen entgegensetzen können: Es geht nicht um mich, meinen Einfluss, meinen Plan, mein Rechthaben. Es geht allein um Gott. Wenn ich mich Gott anvertraue, werde ich von ihm Kraft bekommen, auch die Ohnmachtssituationen durchzustehen, in denen mir Jesus besonders nahe ist.

Nach diesen drei Versuchungen, die keinen Keil zwischen Gott und Jesus treiben konnten, verließ der Teufel Jesus. Engel kamen zu Jesus, um ihm zu dienen, freiwillig, ohne Provokation und Test-Verfahren.

Der Keil, der unsere Gottesbeziehung trifft

Versuchungen sind für Christen, die in enger Gemeinschaft mit Jesus leben, Realität. Sie treffen auf uns, erst fast unbemerkt. Doch bohren sie sich immer tiefer, wenn wir uns nicht dagegen stemmen. Am Ende steht unsere ganze Beziehung zu Gott auf dem Spiel.

Doch jede Versuchung birgt in sich die Chance zur Entscheidung für Gott. Jesus zeigte uns die Richtung. Er legte den Jüngern im Garten Gethsmane ans Herz: „Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt.“ Und dieser Rat gilt bis heute. Es gibt nur einen Schutz gegen Keile aller Art, das ist Aufmerksamkeit für Gott und eine ungestörte Kommunikation mit ihm. Wo wir an seinem Herz ganz nah dran sind, wissen wir, was er von uns will, und hilft uns, diesen Willen umzusetzen. Er schützt uns davor, dem Keil Raum zu geben, dass er unser Verhältnis spaltet. Er gibt uns die Kraft, der Versuchung standzuhalten und auf Gott zu vertrauen, der unser alleiniger Herr sein will.

Die Passionszeit ist eine besondere Zeit der Gottesnähe, in der wir Jesu Weg ans Kreuz mitgehen und innerlich begleiten. Es ist eine Zeit, in der uns manche Keile bedrohen können. Auf sie bereitet uns Jesus vor. Um sie abzuwehren, gibt er uns Worte der Bibel mit und sein Angebot, uns zu helfen: „Worin Jesus selbst versucht wurde, kann er denen helfen, die versucht werden.“ (Hebräer 2,18)

Ein Busunternehmer in den Schweizer Bergen suchte einen neuen Fahrer. Drei Bewerber stellten sich vor. Ihnen stellte er eine Frage: Wie nah können sie am Abgrund fahren, ohne mit dem Bus abzustürzen? Der Erste antwortete, 1 Meter. Der Zweite wollte ihn übertreffen und antwortete, 50 Zentimeter. Der Dritte allerdings rief aus: „Bewahre, natürlich werde ich mich so weit wie möglich vom Abgrund fernhalten.“ Den Dritten stellte der Busunternehmer ein.

Cornelia Trick


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