Gottesdienst am 26.12.1999
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
im Mittelalter wurde das Weihnachtsfest in der
Kirche mit einem Weihnachtsspiel begonnen. Im Mittelpunkt stand ein grüner
Baum - um diese Jahreszeit deshalb eine Tanne - der mit roten Äpfeln
geschmückt war. Dargestellt wurde der Anfang der Menschheit im Paradies,
Adam und Eva, der Baum der Erkenntnis und die Schlange. Die Gemeinde wurde
hinein genommen in das erste Drama der Geschichte. Adam und Eva ließen
sich von dem Versprechen der Macht verführen, sie wollten sein wie
Gott und verloren dabei alles. Sie wurden aus dem Paradies geworfen, mussten
ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts verdienen und die Kinder mit
Schmerzen und viel Sorgen groß ziehen. Nach diesem Schauspiel ging
die Gemeinde in die Kirche. Und in der Kirche feierte sie die Geburt Jesu,
der den obdachlos und heimatlos gewordenen Menschen eine neue Heimat anbietet
- die Gemeinschaft mit Gott. Aus dem Paradiesbaum wurde der Weihnachtsbaum
- zu den Äpfeln des Anfangs kamen die Hostien des Abendmahls, in dem
Jesus die neue Gemeinschaft besiegelte. Und so sang die Gemeinde auch "Heut
schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der
Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis!" (Lobt
Gott ihr Christen alle gleich, Strophe 5)
Weihnachten hat eine lange Vorgeschichte, sie
reicht zurück bis zur Erschaffung der Welt. Weihnachten ist die Antwort
auf eine lange Suche nach Gott, dem Schöpfer und Vollender des Lebens.
Weihnachten, so könnten wir es heute ausdrücken, ist das große
Globalisierungsprogramm Gottes. Nicht nur Israel, das erwählte Volk
gehört zu Gott, sondern die ganze Welt darf in Jesus Christus Gott
kennen lernen.
Weihnachten 1999 ist aber auch ein Fest mit
sehr persönlicher Vorgeschichte. Denn die Paradieserzählung hält
doch unsere Alltagserfahrung fest. Immer wieder werden wir durch die Schlange
verführt. Immer wieder wollen wir unser Leben in die eigene Hand nehmen,
über gut und böse entscheiden, ohne die Rückmeldung Gottes
abzuwarten. Immer wieder werden wir erinnert an die Folgen der Selbstüberschätzung.
Der Alltag ist schweißtreibend. Selbst die Familienarbeit, die eigentlich
solche Freude macht, kostet Kraft und Nerven und bereitet nicht nur bei
der Geburt Schmerzen. In der Weihnachtsgeschichte wird die große
Wende angeboten. Gott redet wieder mit uns. Er durchbricht das eisige Schweigen.
Er gewährt wieder den Zugang zu der Quelle allen Lebens im Paradiesgarten.
Die Weihnachtsgeschichte ist Angebot, den roten Faden in unserem Leben
zu finden: Sinn, Heimat und Ziel wird uns in dem Kind in der Krippe angeboten.
Wir sind wie die Hirten und die Weisen eingeladen, diesen roten Faden in
unser Leben einzuweben.
Der Evangelist Johannes beginnt sein Evangelium
mit der Paradiesgeschichte. Er berichtet nicht von Stallidylle und Krippenfiguren,
sondern von Gott, der das eisige Schweigen zwischen Himmel und Erde durchbricht:
Johannes 1,1-5.9-14
Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott,
und in allem war es Gott gleich. Von Anfang an war es bei Gott. Alles wurde
durch das Wort geschaffen; und ohne das Wort ist nichts entstanden. In
ihm war das Leben, und dieses Leben war das Licht für die Menschen.
Das Licht strahlt in der Dunkelheit, aber die Dunkelheit hat sich ihm verschlossen.
Er, das Wort, war schon immer in der Welt, die Welt ist durch ihn geschaffen
worden, und doch erkannte sie ihn nicht. Er kam in seine eigene Schöpfung,
doch seine Geschöpfe, die Menschen, wiesen ihn ab. Aber allen, die
ihn aufnahmen und ihm Glauben schenkten, verlieh er das Recht, Kinder Gottes
zu werden. - Das werden sie nicht durch natürliche Geburt oder menschliches
Wollen und Machen, sondern weil Gott ihnen ein neues Leben gibt. - Er,
das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut.
Er lebte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, die göttliche
Herrlichkeit, die ihm der Vater gegeben hat, ihm, seinem einzigen Sohn.
Gottes ganze Güte und Treue ist uns in ihm begegnet.
Kurz und knapp lassen sich diese dichten Sätze
wiedergeben: Gott redet seit Weihnachten wieder mit uns. Sein Wort ist
zu uns gekommen. Er schickte nicht einen Brief, ein Fax oder ein E-mail,
sondern einen Menschen aus Fleisch und Blut. Man könnte sich streiten.
Wäre es nicht besser gewesen, er hätte eine Schriftrolle mit
seinem Versöhnungsangebot überreicht? Hätte man es dann
nicht schwarz auf weiß? Ist ein Dokument nicht der glaubwürdigste
Beweis für Gottes Existenz und sein Eingreifen? Aber hätten wir
uns da nicht längst 1999 Jahre an den Buchstaben festgebissen, sie
zum Gesetz erhoben oder relativiert, sie letztlich in die Bibliothek gestellt
und vergessen? Gott geht es mit seiner Weihnachtsbotschaft nicht um Lehre,
sondern um Leben. Und das wahre Leben lernen wir eben nicht durch Schriftrollen
und Bücher, sondern durch Menschen. Menschen prägen als Vorbilder
und wie wir Leben bestmöglich gestalten können, dafür gibt
es keine Gebrauchsanweisung.
Johannes greift das in seinem Evangelium auf.
Er stellt Jesus klar als das Wort Gottes heraus. Jesus ist der sichtbare
Gott. An ihm allein ist Gottes Willen und Wesen abzulesen.
Worauf ich neugierig werde, was wird nun durch
Jesus von Gott sichtbar? Was stellt Johannes uns vor Augen, das auf Gottes
Herrlichkeit hinweist?
Johannes zeichnet in seiner Biographie ein sehr
klares und eindeutiges Bild von Jesus. Er beschreibt Jesus in zwei Richtungen.
Er zeigt wie Jesus mit Gott verbunden war und er deutet an, wie Jesus sich
Menschen gegenüber verhält.
So wird uns Jesus beschrieben als der Sohn Gottes,
der in engem Verhältnis zu seinem himmlischen Vater lebt. Bei allem,
was Jesus tut, geht es ihm darum, Gott groß werden zu lassen. Seine
eigentliche Aufgabe besteht darin, Gott allein die Ehre zu geben. Wenn
er heilt, wenn er predigt, wenn er in die Nachfolge ruft, wenn er leidet,
so geschieht das, damit Gott verherrlicht - groß gemacht wird. Auch
in seinen Beziehungen zu Menschen wird Jesus eindeutig charakterisiert.
Jesus ist da, um Leben pur zu geben. Vier Wunder werden von Johannes ausführlich
beschrieben. Und diese vier Wunder sind wie ein Programm für Jesus.
Bei der Hochzeit zu Kana, dem ersten Wunder, verwandelt Jesus Wasser in
Wein. Er gibt Leben, das Freude bedeutet und wie ein Fest ist. Mit Gott
zusammen zu sein, das ist mit Jesus wie ein ausgelassenes Hochzeitsfest,
an dem der Wein fließt und kein Ende absehbar ist. Das nächste
Wunder befreit einen chronisch Kranken von seiner Krankheit, er kann wieder
laufen und in die Welt hinaus gehen. Mit Gott zusammen zu sein, das ist
mit Jesus ein Befreiungsakt. Da ist viel, was gelähmt hatte, verletzende
Erfahrungen, eigenes Verschulden, vielleicht auch schicksalshafte Gegebenheiten.
Jesus reißt heraus aus Lähmung und Resignation. Das Leben kann
noch einmal beginnen - Gott ermutigt dazu. Das dritte Wunder handelt von
einem Blinden, der von Jesus geheilt wird. Seine Heilung ist ein ganz wichtiges
Bild für die neue Gemeinschaft, die Jesus uns schenken will. Er möchte
uns die Augen öffnen für Gottes Liebe und Fürsorge, sein
Vorausgehen und sein Begleiten an jedem Tag. Und das letzte Wunder ist
das eigentliche Ziel. Seinen Freund Lazarus weckt Jesus vom Tod auf. Selbst
der Tod kann die Beziehung zu Gott nicht mehr beenden. Leben - dieses wahre
Leben - endet nicht, es hat Ewigkeit. Die vier Wunder im Johannesevangelium
werden erklärt durch Jesu Worte. Er sagt von sich: "Ich bin das Brot
des Lebens, ich bin lebendiges Wasser, ich bin das Grundnahrungsmittel
für euch, damit ihr überhaupt leben könnt." Und so schenkt
Jesus uns mit seinem Tod - so paradox das klingen mag - Leben. Das, was
uns tötet, nimmt er auf sich. Unsere Schuld hat keine Macht mehr über
uns.
Jesus ist Gottes Friedensangebot. Er fordert
uns heraus, ihm die Hand zu geben und die Tür zum Paradies an seiner
Hand wieder aufzustoßen. Denn er gibt Fülle und Freude, Heilung
und ewiges Leben.
Johannes spricht aber schon in diesen ersten
Sätzen des Evangeliums von den Reaktionen auf sein Friedensangebot.
Da heißt es zum einen "die Dunkelheit hat sich ihm verschlossen"
und andererseits "wir sahen seine Herrlichkeit". Wie kann es zu diesen
unterschiedlichen Reaktionen kommen?
Im
Jahre 1777 brach eine Expedition unter dem Engländer James Cook auf,
um neues Land im Pazifik zu erkunden. Ich stelle mir vor, wie sie lange
Zeit unterwegs waren und nichts als Meer sahen. Oft waren sie unsicher,
lohnte sich der Aufwand, würden sie je etwas in dieser endlosen See
finden? Oft waren sie sicher auch voller Enthusiasmus und Forscherdrang.
Am 24.12.1777 war endlich Land in Sicht. Die Mannschaft ging an Land, labte
sich an den Früchten der Insel, trank von dem Wasser der Quellen,
genoß den sicheren Boden unter den Füßen. Und weil es
Weihnachten war, feierten sie auf dieser Insel ihr Weihnachtsfest, sangen
unter der Sommersonne des Südpazifiks ihre Weihnachtslieder und dachten
an die Geburt Jesu im Stall. Und vielleicht kam ihnen diese Insel wie Weihnachten
in ihrem Leben vor. Nach dem stürmischen Meer ein Boden unter den
Füßen, ein Ort zum heimisch Werden, Freude und Fülle, Ruhe
nach den Strapazen der Überfahrt, Ankommen am Ziel. So gaben die Entdecker
der Insel auch den Namen "Weihnachtsinsel".
Weihnachten ist solch eine Insel. Und wie damals
im Pazifik vielleicht schon einige an der sehr kleinen Insel vorbei geschippert
sind, gibt es auch viele Möglichkeiten, das Wort Gottes am Weihnachtsfest
zu überhören. Vielleicht ist man abgestumpft gegenüber den
Traditionen. Warum sollte man überhaupt eine Weihnachtsinsel im anstrengenden
Alltag erwarten? Vielleicht ist man gefangen in den Stürmen, manchmal
sogar Wirbelstürmen des Alltags. Da ist kein Entkommen und die Weihnachtsinsel
rückt in unerreichbare Ferne. Da geht man vielleicht sogar achtlos
am Fest vorbei. Den allgemeinen Geschenketrubel macht man lieber nicht
mit und hält sich aus allem Feiern heraus. Vielleicht hat man es auch
aufgegeben, eine rettende Insel gerade im Weihnachtsfest zu suchen. Da
werden andere "Meere" aufgesucht, die Rettung versprechen: eine lohnende
Arbeit, gut geratene Kinder, die Vermehrung des Familienerbes. Wie damals
im 18. Jahrhundert ist es nicht selbstverständlich, auf die Weihnachtsinsel
zu treffen. Da ist es gut, dass die Weihnachtsinsel mit Jesus Christus
uns zu sich ruft, wirklich einlädt, Kurs auf sie zu zu nehmen und
sie zu erkunden. Und die Begegnung mit Jesus Christus verändert. Lahme
gehen und Blinde sehen, Weihnachtsmenschen bekommen Kraft für ihren
Beruf und ihre Familie. Sie bekommen Hilfe, die Probleme anzupacken und
selbst das eisige Schweigen zwischen Menschen zu durchbrechen. Weihnachtsmenschen
bekommen eine klare Sicht, was jetzt - nach Gottes Willen - dran ist, Veränderung
und Aufbruch oder Ruhe und Besinnung, Ranklotzen oder Beobachten. Weil
Weihnachtsmenschen, die die rettende Insel gefunden haben, das alles erleben,
werden sie dankbar. Die Schlange mit ihrem Geflüster von mehr Macht
hat kaum mehr eine Chance, denn die eigentliche Macht liegt in der Verbundenheit
mit Jesus Christus, der die Tür zum Paradies aufschließt.
Welch ein Angebot: Die Weihnachtsinsel hat Tag
der offenen Tür - auch am 26.12.1999. Gott wird sichtbar in Jesus
Christus. Er schenkt das Leben pur. Er öffnet die Tür zum verbotenen
Paradies und zum Baum des Lebens. Er wartet auf uns, dass wir wie die ersten
Jünger kommen und sehen und bei ihm bleiben.
Und daraus wird eine lange Fortsetzungsgeschichte.
Denn wir werden spätestens morgen die Weihnachtsinsel wieder verlassen
müssen. Dann sitzt Jesus bei uns im Boot. Mit ihm können wir
anderen Wegweiser sein, wie sie die Weihnachtsinsel finden können.
Ich denke da z.B. an eine nachweihnachtliche Karte an eine Freundin: du,
ich habe dies erlebt, hast du Lust, mit mir darüber zu erzählen?
Ich denke da auch an ein Wort, das das Eis bricht - ein Zeichen der Versöhnung,
ein Hinweis auf den, der Frieden mit mir geschlossen hat. Ich denke da
auch an das neue Jahr 2000. Mit Jesus im Boot - was wird er zu meinen Plänen
sagen? Aber das wollen wir uns für den Freitag, Silvester, aufheben
und heute noch einmal ganz tief durchatmen und all das Schöne der
Weihnachtsinsel tief in uns aufnehmen.
Cornelia
Trick
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