Wer lenkt Sie eigentlich?
Gottesdienst am 30.07.2000

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
vier kleine Urlaubserlebnisse: als Familie waren wir in Amerika mit einem Wohnmobil unterwegs. Es war ganz schön ungewohnt mit einem so großen Auto unterwegs zu sein.
Als wir meine Tante in der Stadt Seattle besuchen wollten, fanden wir dann auch nirgends einen Parkplatz für unsere Übergröße. Nach dreimal Kreisen um den Block stellten wir uns schließlich an eine Ecke, Räder auf dem Randstreifen, hinten ein bisschen in die nächste Straße hinein. Kein idealer Parkplatz, wenn man Strafzettel vermeiden will. Da kommt auch schon ein Mann von der gegenüberliegenden Ecke. Wir bereiten uns auf eine Standpauke vor. Doch was sagt er? Er würde extra für uns seinen Wagen wegfahren und uns seinen Parkplatz vor seinem Haus anbieten. Wir könnten vor seinem Haus stehen, solange wir wollten. Kein Problem. Haben Sie so etwas schon mal erlebt? Ich nicht. Eine andere Situation. Auf der Olympic-Halbinsel war uns das Benzin ausgegangen. Wir standen mitten in einer herrlichen unbewohnten Landschaft auf der Bundesstraße, gleich hinter einer Kuppe. Die Autos rasten an uns vorbei. Da hielten gleich zwei Autos an. Der eine Fahrer versuchte per Handy unsere Servicenummer zu erreichen, was 10 Minuten dauerte und nichts brachte, der andere versprach uns daraufhin Benzin zu organisieren. Nach einer halben Stunde war er wieder da, mit einem gefüllten Benzinkanister, den er gegen Pfand an einer 8km weit entfernten Tankstelle besorgt hatte. Eine "Aufwandsentschädigung" wollte er nicht, das wäre doch selbstverständlich - wirklich?
Eine dritte Begegnung. Es war ein verregneter Abend in den Rocky Mountains. Wir froren trotz Wohnmobil. Unser Nachbar gegenüber hatte nur ein Zelt. Wir fanden ihn bemitleidenswert, wie er da unter einem Baum seinen Roman las. Doch wenigstens sein Feuer brannte den Regenschauern zum Trotz einmalig. Unseres ist erst gar nicht zum Brennen gekommen. Am nächsten Tag trafen wir ihn auf einer Wanderung und sprachen ihn auf das Feuer an. Er erzählte, er habe das Holz von zu Hause mitgebracht. Deshalb war es so trocken und brannte so gut. Stunden später baute er sein Zelt ab um weiterzureisen. Mit einem Bündel kam er bei uns vorbei, trockenes Holz aus seiner Heimat und eine Zeitung von zu Hause zum Anfeuern. Wir waren überwältigt.
Auf einem anderen Campingplatz mussten wir unser Abwasser mal entsorgen. Mein Mann war gerade dabei, den Abwasserschlauch zu montieren, als ein Nachbar herbeigerannt kam. Er hatte nicht etwa schlaue Tipps, wie das zu bewerkstelligen sei, sondern bot uns seine eigenen Gummihandschuhe an, damit unsere Hände nicht schmutzig würden.  Diese und andere Begegnungen, in denen Menschen uns völlig unerwartet freundlich begegnet sind und uns vorbehaltlos geholfen haben, bewegen uns seitdem. 
Eine andere Perspektive: An jeder Straßenecke befand sich eine Kirche. Oft waren sie klein und kaum größer als ein Wohnhaus, viele boten zwei Gottesdienste am Sonntag an, manche hatten sogar einen Zusatz "Wir wachsen gerade". Und ich frage mich, ob beide Erfahrungen nicht vielleicht etwas miteinander zu tun haben. Die Gegenwart Gottes an fast jeder Hausecke, ganz normal und alltäglich, und die Freundlichkeit der Leute, die selbst erfahren haben, dass sie in der Liebe Gottes leben dürfen. Nicht ohne Grund heißt es ja im Brief an Titus, dass mit Jesus Christus die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes zu uns gekommen ist. Und sie hat dann natürlich Auswirkungen auf den ganz normalen Umgang der Leute untereinander.
Wer lenkt?Ich möchte heute mit Ihnen darüber nachdenken, wer uns wirklich lenkt, woher wir unseren Lebensmut beziehen und wie er sich auswirkt. Ich habe dazu einen Abschnitt aus dem Jesajabuch ausgewählt. Diese Worte werden oft zur Taufe gesprochen. Denn da wird die Liebe und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes ja ganz hautnah und setzt uns auf den Weg, als Botschafter der Freundlichkeit zu leben. Immer wieder ist die Erinnerung daran nötig, dass Gott mit uns begonnen hat und dieser Zuspruch unser Leben bestimmt.

Jesaja 43,1-7

Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: 
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn  du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und  wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

Der alte Zuspruch an das Volk Israel, das zu der Zeit in Babylon im Exil lebte, spricht auch heute zu uns und fordert uns heraus. Dabei war die Situation damals gar nicht so unterschiedlich von der heute. Die Israeliten waren schon Jahre lang in Babylon, kaum jemand konnte sich noch an die Zeit in Jerusalem erinnern. Sie hatten Häuser gebaut und Gärten angelegt, waren eine anerkannte Gruppe in der Gesellschaft und hatten sich mit einem Leben als Minderheit arrangiert. Warum sollten sie in die Heimat zurückkehren, in der alles zerstört war? Der Ruf des Propheten soll sie wachrütteln. Da ist der Herr, der euch herausruft. Er wird mit euch sein. Und er hat Pläne mit euch. Deshalb brecht auf und verlasst eure inzwischen liebgewordenen Häuser.

Heute trifft uns das Prophetenwort mitten in unserem Alltag, in dem wir mit Pflichten und Aufgaben eingebunden sind, oder vor dem wir durch Zerstreuung fliehen.
Die Einwände gegen die Menschenfreundlichkeit Gottes sind gleich zur Stelle. Gott ruft? Wozu? Ein höheres Wesen, o.k., aber Jesus Christus, der mit uns gehen will? Warum sich dem Zwang des Christenlebens aussetzen, wenn doch alles solala läuft?
Wie damals in Babylon ist es ein werbendes Rufen Jesu: Kehrt um und glaubt an das Evangelium. Gott möchte euch seine Freundlichkeit zeigen, kommt wie ihr seid. Fürchtet euch nicht, denn ich habe euch erlöst; ich habe euch bei eurem Namen gerufen; ihr seid mein!
In unserem Erfahrungshorizont würde es vielleicht heißen: Ich habe dir ein E-mail geschickt. Lies es und lass dich einladen, zu Gottes Freund oder Freundin zu werden.
Wollen wir dieser Einladung nachgehen?

Fürchte dich nicht...
Diese Zusage setzt voraus, dass es Grund zum Fürchten gibt. Und so heißt es ja auch sehr bildlich, wenn du durch das Wasser gehst oder wenn du durch das Feuer gehst. Alltagssituationen sind mit diesen Bildern beschrieben.
Das Wasser steht ihm bis zum Hals, wenn er seine Kontoauszüge betrachtet.
Sie fühlt sich nach einer harten Woche wie ausgebrannt. Bloß keiner mehr, der etwas von ihr will.
Seine Hoffnungen sind zerbrochen, die Freundin hat Schluss gemacht.
Ihre Gefühle sind verletzt, die Kollegen haben schlecht über sie geredet.
Sein ganzer Einsatz war umsonst, die Firma ist doch pleite gegangen und er wird freigesetzt.
Sie steht am Grab ihres Kindes und in ihrer Trauer sieht sie kein Licht mehr.

Ja, es gibt genug Grund zum Fürchten und manche Risse in der Fassade weisen darauf hin, dass das Lebenshaus nicht unzerstörbar ist. Und da wird uns von unserem Herrn schon in der Taufe und immer wieder auf unserem Weg zugesprochen: Fürchte dich nicht, du bist nicht allein. Ich helfe dir, du brauchst dir nicht das Leben zu nehmen und brauchst auch nicht zu fliehen. Du kannst dich deiner Furcht stellen. Denn selbst im Hochwasser und im brennenden Haus sollst du nicht umkommen. Die Menschenfreundlichkeit unseres Heilands erweist sich zuerst darin, dass er uns aus unseren Ängsten abholt. Er weiß um uns und will uns retten. Er ist gestorben an unserer Stelle und wir sollen nun in seinem Einflussbereich als Kinder unseres Gottes leben.

...ich habe dich erlöst...
Jesus hat uns erlöst. Das ist das Zentrum unseres Glaubens. Erlöst aus der abgrundtiefen Trennung von Gott. Erlöst von der Sünde, die sich immer wieder - wie schon bei Adam und Eva - über viele Stationen entwickelt.
Da ist zuerst das Misstrauen gegen Gott. Sollte er uns wirklich freundlich gesonnen sein? Sollten wir nicht lieber selbst unser Heil in die Hand nehmen?
Aus dem Misstrauen wächst Rebellion. Wir wollen uns nicht gängeln lassen. Wir haben selbst Erkenntnis, was gut und böse ist. Wir können ohne Gott ein guter Mensch sein.
Erst jetzt besteht die Tendenz zur Unmoral, das, was wir so oft als Sünde bezeichnen. Wenn ein Mann seine Frau sitzen lässt und mit einer anderen Frau eine Beziehung anfängt, wenn ein Angestellter Geld unterschlägt, wenn Kinder ihre hilfsbedürfigen Eltern nicht unterstützen... Das Verhalten ist nur Folge des Misstrauens, nicht die eigentliche Sünde selbst.
Aber diesem Verhalten folgt meistens das Scheitern. Dass der Betrug auffällt, das Freunde sich zurückziehen, dass sich die Lieblosigkeit gegen einen selbst kehrt.

Aus diesem Prozess möchte Jesus uns durch die Kraft seines Leidens für uns erlösen. Er möchte uns in seine Gemeinschaft rufen und uns befreien. Ich verbinde damit Lebensgeschichten.
Ein Bekannter wurde aus seiner Alkoholabhängigkeit herausgerissen und bekennt heute, dass er das nur mit Jesus geschafft hat, er ist schon viele Jahre trocken.
Eine Frau erlebte, am Abgrund zu stehen, als ihr Mann sie verließ und in dieser Situation Jesu Hand gespürt hat, der sie festhielt, als sie von der Brücke springen wollte.
Eine Bekannte erzählte mir neulich, dass es für sie wie eine Befreiung sei, vergeben zu können und die alten Geschichten ihrer Familie nicht mehr aufwärmen zu müssen.

"Ich habe dich erlöst" ist eine sehr starke Aussage für Gottes aktives Handeln. Er hat mich freigemacht, ich kann es nur dankbar annehmen.
Auch ich habe mich gefragt, wo ich diese Befreiung erfahren habe. Ganz konkret habe ich sie erfahren aus der Angst vor Mitmenschen, denen ich nicht gewachsen sein könnte. Von meiner Natur her mache ich einen Bogen um sie, schreibe lieber einen Brief als zu telefonieren und halte lieber den Mund, als mich zu blamieren. Jesus hat mir Befreiung geschenkt und ich bin unendlich dankbar dafür. Nicht, dass ich in solchen Situationen keine Angst mehr hätte. Aber ich höre im Hinterkopf, dass Jesus mir die Befreiung zugesprochen hat und das sprengt die Gefängnismauern meines Ichs. Und ich frage mich weiter, wo ist diese Erlösung in meinem Leben neu nötig? Wo will ich mir das ganz konkret zusprechen lassen: "Ich habe dich erlöst"?

...ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!
Wir kommen jetzt zum Ausblick, zum Schritt in die Zukunft. Als Erlöste gehören wir zur neuen Familie Gottes.
Gefragt, warum die Amerikaner an der Westküste so freundlich zu uns waren, bekamen wir zur Antwort, wir haben viel Platz und gehen uns nicht auf die Nerven.
In der neuen Familie Gottes haben wir auch viel Platz. Die Freundlichkeit Gottes kann uns durchströmen und freundlich zueinander sein lassen. Rangstreit ist eigentlich nicht nötig, vergleichen auch nicht. 
In der neuen Familie Gottes haben wir unsere Regeln. Sie finden sich sehr ausdrücklich in der Bibel.
Gott mehr zu gehorchen als den Menschen prägt unser Verhalten besonders in Konfliktsituationen, wo wir Unrecht angehen  oder unseren Glauben bekennen müssen.
Einander aufzuerbauen und nicht kaputt zu machen ist eine weitere sehr wichtige Regel. Sie will übersetzt werden bis an den heutigen Mittagstisch, wo wir uns ermutigen können, ehrlich zueinander sein können und das Beste für den anderen wünschen können.
Freundlich zu sein, weil unser Herr uns das vorlebt, ist ein Lebensmotto, das wir auch morgen im Berufsverkehr nicht vergessen sollten. Der Fisch auf dem Auto gewinnt erst dann Glaubwürdigkeit und Leben

In der neuen Familie Gottes haben wir unser Ziel vor Augen. Mit Jesus am himmlischen Freudenmahl teilnehmen, einander dabei in die Augen schauen können, die Wunden geheilt zu wissen und die Tränen getrocknet zu bekommen, das ist Perspektive. Und vielleicht hilft diese Perspektive auch morgen an einem trüben Montag wie der Blick aus dem Fenster auf eine blühende Wiese.

Die Taufe ist kein einmaliges Geschehen, wo wir alle diese wichtigen Zusagen und Ermutigungen einmal gehört haben. Die Taufe geht immer mit, braucht Auffrischung und Erinnerung. Wissen Sie noch, wann Sie getauft wurden? Vielleicht hilft es Ihnen diesen Tag bewusst zu feiern als einen Stationstag, an dem Sie innehalten und nachfragen: Wer lenkt mich wirklich? Den ersten Schritt hat Gott gemacht:
Fürchte dich auch heute nicht, ich möchte dich erlösen aus den Stricken, die dir den Atem nehmen wollen, ich weiß, wo ich dich finde und werde dich besuchen, denn du gehörst mir - so ist es und so soll es bleiben!

Cornelia Trick


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