Was Martin Luther entdeckte
Gottesdienst zum Reformationstag am 31.10.1999

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
vor 482 Jahren schlug Martin Luther am 31.10.1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg. Damit löste er eine Reformation der Kirche aus, die bald ganz Europa erfasste. Nur eine These möchte ich exemplarisch herausgreifen, die das Anliegen Martin Luthers zum Ausdruck bringt. These 89: Die Kirche bedarf der Erneuerung (wörtlich: reformatio), was nicht Sache des Papstes oder der Kardinäle ist, ...., sondern die Gottes allein. Zu dieser Erkenntnis kam Martin Luther durch eine lange Zeit der Selbstzweifel und tiefer Qualen. "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?", diese Frage ließ den jungen Theologieprofessor und Augustiner-Eremiten Mönch nicht los. Die Antwort der Kirche seiner Zeit stürzte ihn in neue Zweifel. Er konnte nicht darauf vertrauen, dass durch das Bezahlen von Ablassbriefen seine Sünde getilgt wurde und er in neuer Gemeinschaft mit Gott leben konnte. Durch das intensive und sehr persönliche Lesen der Bibel wurden ihm die Augen geöffnet. Er verstand auf einmal den Weg Gottes mit seinen Menschen. Nicht das Zahlen von Ablässen, kein noch so gutes Werk konnten ihn auch nur ein Stück Gott näher bringen, allein auf Jesus zu vertrauen war nötig, um in die offenen Arme Gottes zu fallen. 
Heute gründen wir uns auf diese Entdeckung Luthers. Gottes Liebe können wir uns durch nichts verdienen, sie gilt uns umsonst und als reines Geschenk. Deshalb ist heute auch nicht der Geschichtsunterricht über die Reformation an der Wende zur Neuzeit unser Thema, sondern Gottes Wirken heute - an der Jahrtausendwende. Was sagt uns die Bibel in unsere Situation hinein über Gott und seinen Weg mit uns Menschen?
Die zentrale biblische Aussage finden wir im Brief des Paulus an die Römer, 3,21-26. Es ist ein sehr dichter Abschnitt, fast wie ein Brühwürfel, an den wir unbedingt Wasser gießen müssen, um ihn genießbar zu machen. Doch in ihm steckt wirklich alles, was wir wissen müssen, um unser Leben Gott anzuvertrauen.

Römer 3,21-26

21 Jetzt aber ist die Gerechtigkeit Gottes, nämlich seine rettende Treue, offenbar geworden: Er hat einen Weg zum Leben eröffnet, der nicht über das Gesetz führt und doch in Übereinstimmung steht mit dem, was das Gesetz und die Propheten bezeugen. 
22 Dieser Weg besteht im Glauben, das heißt im Vertrauen auf das, was Gott durch Jesus Christus getan hat.
Alle erfahren Gottes rettende Treue, die in diesem Glauben stehen. Es macht keinen Unterschied, ob jemand zum jüdischen Volk oder zu den anderen Völkern gehört.
23 Alle sind schuldig geworden und haben den Anteil an Gottes Herrlichkeit verloren. 
24 Ganz unverdient, aus reiner Gnade, läßt Gott sie vor seinem Urteil als gerecht bestehen, aufgrund der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. 
25-26 Ihn hat Gott vor aller Welt als Sühnezeichen aufgerichtet. Durch sein Blut, das am Kreuz vergossen wurde, ist die Schuld getilgt. Das wird wirksam für alle, die es im Glauben annehmen. So erweist sich Gott als treu und gerecht und vergibt den Menschen in seiner großen Nachsicht die Verfehlungen, die sie bisher begangen haben.

LeiterVielleicht fragen Sie sich schon ein Weilchen, was eigentlich diese alte Leiter hier im Altarraum soll. Ich habe sie hier hingestellt, um an ihr kurz zu erklären, worum es bei Luthers Entdeckung ging. Auf der untersten Sprosse hänge ich ein Schild ein, auf dem steht "Mensch". Das ist der Mensch, Ottonormalbürger, wie Sie und ich. Ein Mensch, der darunter leidet, dass so vieles in seinem Leben kaputt ist und irgendwie nicht selbst heilen kann. Ein Mensch, der sich in seinen schwachen Minuten nach einem höchsten Wesen sehnt, das ihm hilft und das ihn einmal belohnt. Martin Luther empfand sich wie so ein Mensch auf der untersten Sprosse, weit entfernt von Gottes Gerechtigkeit und damit unwürdig, mit Gott in Kontakt zu kommen. Also versuchte er sich mühsam Stufe um Stufe hinauf zu bewegen. Er kaufte Ablassbriefe. Er tat Gutes, wie es die Bergpredigt fordert. Er erlitt Strafen und auch Unrecht, wieder eine Sprosse näher bei Gott. Aber er schaffte es nicht nach oben. Der gerechte Gott hielt den kleinen Sünder im Abstand. Doch Gottes Weg sieht gänzlich anders aus als unsere menschlichen Bemühungen, das Feld von unten aufzurollen. Jetzt drehe ich die Leiter um. Da ist immer noch der große Abstand zwischen Gott und Mensch, aber auf die einzige mittlere Sprosse hänge ich das Schild Jesus. Von oben her geht nun die Bewegung nach unten. Gott gibt seinen Sohn Jesus Christus in die Welt, der sich bis in die Tiefen unserer Existenz herabbeugt und uns einlädt zum Vater. Die Gerechtigkeit Gottes steht nicht länger am Schluss eines mühevollen Weges der Unsicherheit und Zweifel, die Gerechtigkeit Gottes steht am Anfang und wird uns zugesprochen als die Hand Gottes, mit der er uns fassen will und leiten will. 

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit langjährigen Bekannten beim Essen. Ihre Bekannten haben mit der Kirche und dem Glauben nichts am Hut. Das Gespräch plätschert dahin. Plötzlich die Frage: Wie kann mein Leben wieder auf die Reihe kommen? Ich fühle mich innerlich völlig zerrissen, von meinen Alltagsproblemen überrannt und überfordert. Woher bekomme ich Hilfe? Dann bleibt Ihnen wohl nichts anderes übrig, als wie Paulus in Römer 3 zu argumentieren, sicher nicht im Brühwürfel-Stil, sondern aktuell in der Sprache von heute.

Es gibt Gott 

Die Antwort könnte so aussehen:
Wenn ich dir auf deine sehr drängende Frage wirklich eine Antwort geben soll, dann möchte ich dich folgendes bitten. Gehe jetzt einfach mal davon aus, dass es Gott wirklich gibt. Gehe davon aus, dass er der Schöpfer dieser Welt ist und sich nach wie vor um seine Geschöpfe sorgt und kümmert. Er sehnt sich wie ein Vater oder eine Mutter nach seinen Menschenkindern. Und er ist unbedingt treu und setzt alles dafür ein, seine Kinder zu gewinnen. Dass die Kinder sich von dem himmlischen Vater getrennt haben, zeigt der Blick in die Geschichte, wie die Bibel sie beschreibt. Als Adam und Eva sich über Gottes guten Willen hinwegsetzten, folgten Misstrauen, Zerbruch der Gemeinschaft mit Gott, Menschen und der Natur und Verlust der Heimat. Doch von den ersten Seiten der Bibel an wird Gottes Ringen um seine Menschen beschrieben, wie er nicht aufgibt, sie zu suchen und sie von seiner Liebe zu überzeugen. 

Gottes Weg zum Leben

Doch Gott und Mensch sind völlig unterschiedliche Partner. Der gerechte Gott und der sündige Mensch, das passt nicht zusammen und erinnert an Magnete, die sich abstoßen, statt zusammen zu finden. Es braucht die Aktivität des Gerechten, die Sünde aus dem Weg zu räumen und die Hand zur Versöhnung anzubieten. Er gab seinen Sohn Jesus in die Welt als das Versöhnungsangebot. Es war sein letzter werbender Versuch, um uns Menschen zu gewinnen. In Jesus sollten wir unmissverständlich erkennen, dass Gott Liebe ist, dass er Vergebung schenkt und dass Neuanfang immer möglich ist, wie tief auf der Leiter wir auch gefallen sind.

Gottes Erlösung durch Jesus Christus

Spätestens jetzt schalten sich Ihre Besucher wahrscheinlich ein. Aber warum brauchte Gott denn den grausigen Tod am Kreuz. Hätte er nicht auch anders seine Gemeinschaft anbieten können? Das verstehen wir nicht und das Menschenopfer lehnen wir grundsätzlich ab. 
Da mag eine Gegenfrage gestattet sein: Wer schrie "kreuzige ihn"? Wer hat Jesus ans Kreuz geschlagen: Gott oder die Menschen? Es waren doch wohl die Ottonormalbürger, die da beteiligt waren. Jesus ist von uns Menschen ans Kreuz geschlagen worden, weil wir ihn, den Sündlosen, nicht ertragen konnten. Er lud zu Gott ein, doch es war ein Angriff auf die eigene Lebensführung, auf alles, was so wichtig schien - eben das Erklimmen von Sprossen usw. Ich glaube, dass Gott auch andere Wege gewusst hätte, uns sein bedingungsloses Ja durch Jesus zu sagen. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn steht dafür. Der Vater braucht da kein Opfer vom Sohn, um ihn in die Arme zu schließen. Einzig die Einsicht und das absolute Vertrauen zum Vater reichen aus um heimkehren zu können.
Doch Jesus ist nun mal ans Kreuz geschlagen worden. Spätestens hier hätte Gott nach menschlichen Maßstäben seinen ganzen Zorn über die Menschheit auskippen müssen. Sein Liebstes bringen wir um!
Genau an dieser Stelle kommt jedoch Gottes Liebe und Treue am klarsten zum Ausdruck. Gott selbst deutet Jesu Tod um. Wie das Volk Israel alljährlich einen Bock in die Wüste schickte, auf dem alle Sünden des Volkes lagen, so nahm Gott den Tod Jesu als Sühnopfer, durch das Gott selbst nun ein für allemal die Gemeinschaft wieder herstellte. Das Kreuz Jesu hat demnach 2 Perspektiven. Von unten aus gesehen, vom Menschen aus gesehen bedeutet es: Der Sündlose ist getötet worden als Ausdruck der eigenen menschlichen Verlorenheit. Von Gott aus bedeutet es, Jesus ist der eine göttliche Stellvertreter für die vielen, die von sich aus den Kontakt verloren haben.
Gottes Erlösung durch Jesus Christus bedeutet so für uns, dass er das große Ja zu uns spricht. Er reicht uns die ausgestreckte Hand, die wir fassen können. Wir sind von Gott richtig gemacht, wir dürfen in Gemeinschaft mit ihm leben - jetzt, heute, hier. Die Angst, unser Leben bis in Ewigkeit zu verpassen, ist besiegt. Das Ja gilt und macht richtig ohne Vorleistungen.

Wie wird mein Leben heil?

Es könnte sein, dass Ihre Bekannten nun nach diesen langen Ausführungen schon ganz unruhig geworden sind. Vielleicht werfen sie ein: Du, ich wollte keinen Vortrag über Gott hören. Ich wollte doch nur wissen, woher ich Hilfe für mein kaputtes Leben bekomme.
Und genau hier wird die Theorie zur Praxis. Denn dafür ist Jesus Christus gestorben. Er bietet uns dieses Ja an. Er gibt uns die Hand mitten in dem Mist, in dem wir gerade sitzen. Er erwartet nicht, dass wir zuerst unsere Schulden bezahlen, den Schreibtisch aufräumen, einen 5-Jahres-Plan für gute Taten aufstellen etc. Er sagt einfach hier und heute: Fasse meine Hand und sage Ja zur neuen Gemeinschaft. Ich will bei dir einziehen und dein Leben, Denken und Fühlen radikal reformieren. Das kann solche Auswirkungen wie 1517 haben. Ich will deiner Angst, es nicht zu schaffen, Hausverbot erteilen. Ich will den Druck ablassen, es allen recht machen zu müssen. Und ich möchte deine Schuldgefühle heilen, wenn du den andern wieder einmal nicht gerecht geworden bist. Das alles soll dich nicht mehr bestimmen, statt dessen hast du mit mir neues Vertrauen, Geborgenheit und Gelassenheit. Du wirst fähig zu wahrer und tiefer Gemeinschaft, die auf Liebe und Vergebung gründet. Du wirst keinen Plan im voraus für alle Zweifelsfälle des Lebens bekommen, aber jeden Tag - wirklich jeden Tag mit der Wirkung der Heiligen Geistes ausgestattet werden, die dich anleitet.

Der Reformationstag ist kein geschichtliches Überbleibsel aus den Anfängen des evangelischen Bekenntnisses. Der Reformationstag ist heute noch ein Tag des Protestes gegen ein Leben ohne Gott. Das große Geschenk der Gemeinschaft gibt Gott uns unverdient. Wer sollte da nicht zugreifen und die Hand Gottes packen, die herauszieht aus den Niederungen des Alltags?

Cornelia Trick


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