Was ist unsere Natur?
Gottesdienst am 27.07.2005
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
ein Mönch sitzt am Ufer eines Flusses. Er beobachtet eine Spinne, die schließlich ins Wasser fällt und mit dem Leben kämpft. Der Mönch zieht die Spinne heraus, die sich nun gegen seine Hand wehrt und ihn sticht. Mit einem Aufschrei lässt der Mönch die Spinne fallen, die wieder ins Wasser fällt und erneut den Todeskampf aufnimmt. SpinneEin zweites Mal rettet der Mönch die Spinne und wird wieder gestochen. Er lässt die Spinne los und sie fällt ins Wasser, der Mönch rettet und wird gestochen. Das beobachtet ein Bauer und fragt den Mönch erstaunt, warum er diese Spinne weiter rettet, obwohl sie ihn zum Dank nur sticht. Der Mönch antwortet darauf: "Wir beide folgen unserer Natur. Die Natur der Spinne gebietet ihr, mich zu stechen. Sie kann gar nicht anders. Meine Natur ist, dass ich barmherzig bin, ich kann auch nicht anders." 

Was ist unsere Natur? Stechen wir zu, vergelten wir Gleiches mit Gleichem oder sind wir verwandelt durch Gottes Liebe und haben eine neue Natur geschenkt bekommen, die uns barmherzig sein lässt?

Jesus redet von der neuen Natur, als er mit seinen Anhängerinnen und Anhängern auf dem Berg ist. Er spricht davon, dass sie mit dieser neuen Natur glücklich sein können. Dass sie ganz neue Erfahrungen machen werden, die ihnen früher völlig undenkbar erschienen. 

Matthäus 5,6-7+10

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Glücklich ist, wer sich danach sehnt, recht zu sein. Glücklich ist, wer nicht zur Ruhe kommt, weil er das Unrecht sieht, das anderen angetan wird. Glücklich ist, wer anderen gegenüber gerecht ist und sich ihnen in Liebe zuwendet. Glücklich ist, wer die Konsequenzen seines Glaubens und Handelns trägt und damit bestätigt wird, auf dem Weg zu sein, den Jesus vorangegangen ist.

Die drei Seligpreisungen Jesu gehören zusammen. Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und die Konsequenz daraus sind verschiedene Auswirkungen der neuen Natur, die Jesus seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern schenken will. Er illustrierte diesen Lebensstil mit einem Gleichnis, das wir kennen als das Gleichnis vom Weltgericht (Matthäus 25,31-46). Menschen stehen beim Jüngsten Gericht vor Gott. Der Scheinwerfer ist auf die Christen unter ihnen gerichtet. Sie werden genauso zur Verantwortung gezogen wie alle anderen Menschen auch. Gott teilt ein in zwei Gruppen. Die einen haben der neuen Natur gemäß gelebt, die anderen haben nichts von der neuen Natur angenommen. Weiter wird deutlich, worin diese neue Natur sich äußert. Die einen haben sich ganz selbstverständlich der Menschen in Not angenommen. Sie haben umherziehende Wanderprediger verköstigt, beherbergt, gekleidet, sie haben inhaftierte Christen besucht und sich um sie im Gefängnis gekümmert. Sie haben nicht lange nachgedacht, ob das nun Jesu Auftrag für sie war, sie haben einfach gehandelt. So wundert es nicht, dass sie im Gerichtssaal erstaunt fragen, wann sie denn Jesus beherbergt hatten. Sie gaben einfach das weiter, das Jesus für sie schon längst getan hatte. Die anderen hingegen, im Gleichnis Jesu auch Christen, haben sich von der Not ihrer Brüder und Schwestern fern gehalten. Ganz zu schweigen davon werden sie sich erst recht nicht um die Not ihrer Mitmenschen im größeren Umfeld gekümmert haben. Sie lebten auch mit Jesus, aber sie behielten seine Liebe für sich, gaben sie nicht weiter. Die Liebe konnte nicht wachsen, sie verkümmerte und wurde zum Todesurteil.

Jesus erzählte dieses Gleichnis, um seine Jüngerinnen und Jünger bis heute zum Nachdenken zu bewegen. Wie halten wir es mit unserer Natur? Sind wir wie die Spinne oder wie der Mönch? Verändert uns die Beziehung zu Jesus Christus so, dass wir zu den Glücklichen und Gesegneten gehören, die sich nach Gerechtigkeit sehnen, Barmherzigkeit leben und auch vor negativen Konsequenzen nicht zurückschrecken?

Glücklich sind, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten

Gerechtigkeit lässt sich mit dem Prinzip Gießkanne erklären. Wenn Wasser mit der Gießkanne gleichmäßig über ein Blumenbeet gegossen wird, ist das gerecht. Jede Blume bekommt den gleichen Anteil Wasser. Keine Blume kann sich beschweren, benachteiligt zu werden. Doch dieses Prinzip hat nur die Gießkanne und ihren Verteilmechanismus im Auge. Es greift nicht wirklich. Jede Blume hat unterschiedlichen Bedarf an Wasser. Die eine braucht jeden Tag ihre Ration, eine andere kann ein paar Tage ohne Nachschub auskommen.

Was wäre aus Sicht der Blumen gerecht? Doch wohl eher, dass jede Pflanze die Wassermenge bekommt, die sie braucht. Wie die Pflanze Wasser braucht, so brauchen wir Menschen Kraft, um uns zu entfalten. Doch wir merken, wie uns diese Kraft fehlt, weil so vieles in unserem Leben nicht recht, nicht richtig ist. Wir können uns nicht gegen unseren Charakter wehren, der uns oft im Weg steht. Wir können manche Schuld nicht vergessen machen, sie tragen wir mit uns herum wie ein lästiges Geschwür. Wir haben Defizite durch die Schuld anderer. Sie haben uns vorenthalten, was wir dringend brauchten. Ihre zugefügten Blessuren haben Narben hinterlassen. In diese Situation hinein spricht Jesus uns an. Er hört unseren Schrei nach Erlösung. Er hört unser Weinen über die Schmerzen und verpassten Chancen. Er sieht unsere Wunden, Narben und Geschwüre. Er legt seine Hände darauf und heilt. Er bietet seinen Rücken an, um unsere Lasten abzunehmen. Er füllt den Mangel aus, der uns daran hindert, uns nach seinem Willen zu entfalten. Seine Gerechtigkeit macht uns recht und richtig und bereit, nach seinem Willen zu leben. Er gießt Gerechtigkeit nicht mit der Gießkanne über uns Menschen aus, sondern geht auf unsere Bedürftigkeiten ein, hört auf unseren Schrei und respektiert die, die sich seiner Gerechtigkeit verschließen. Doch wie im wirklichen Leben gibt es keine Sättigung auf Dauer. Jesu bleibende Nähe ist wichtig, um sich entfalten zu können. 

Bin ich hungrig und durstig nach Gerechtigkeit? Sehne ich mich danach, recht und richtig zu sein und täglich nach Gottes Willen zu leben? Dann wird Jesus mir seine Gerechtigkeit schenken, er wartet darauf, dass ich ihn von Herzen darum bitte. Er will mich satt machen.

Glücklich sind, die ihre Gerechtigkeit nicht für sich behalten und barmherzig sind

Satt zu sein, weil Jesus uns zurecht bringt, hat Auswirkungen. Es drängt zum Weitergeben. Was wir von Jesus empfangen haben, kann nicht bei uns bleiben. Nur selbst gerecht werden zu wollen, führt in die Sackgasse. Wie Gerechtigkeit weiterzugeben ist, beschreibt Jesus mit dem Begriff der Barmherzigkeit. Hier ist eindeutig eine Richtung vorgegeben. Barmherzigkeit stammt aus der Gerichtssprache und meint den Erlass von Schuld bei einem Todesurteil. Barmherzigkeit meint viel Grundlegenderes, als einem erschöpften Bettler am Straßenrand einen Euro zu geben. Es meint, jemand die Gerechtigkeit durch Jesus Christus zuzusprechen, der ihn aus dem ewigen Tod retten will. So ist Barmherzigkeit nichts anderes, als Menschen Jesus nahe zu bringen. Das geschieht natürlich auf sehr unterschiedliche Weise und beinhaltet notwendig die liebende Zuwendung und die deutliche Solidarität für die Entrechteten, Entehrten und Getretenen, zu denen Jesus sich stellt. Es bedeutet auch, bereit zur Versöhnung zu werden, denn nichts anderes ist ja Schuldenerlass. Und es heißt, dass die Barmherzige nicht über der Person steht, der sie sich zuwendet.

Weil wir alle von Jesus zurechtgebracht werden müssen, sind wir selbst solche, die Barmherzigkeit nötig haben und davon leben. Wir schenken weiter. Wie sieht gelebte Barmherzigkeit aus? Der Mönch am Ufer des Flusses macht es uns vor. Dem Mitmenschen, Kollegen, Nachbarn, Familienmitglied immer wieder die Hand anbieten, nicht abrechnen und fertig mit ihm sein, seine Stiche von Jesu Liebe heilen lassen und darauf vertrauen, dass Jesus auch diesen Mitmenschen erreichen wird und verändern kann. Jesu Herz ist leistungsfähig genug, um die ganze Welt mit Barmherzigkeit zu durchdringen. Stehen wir nur dieser Barmherzigkeit nicht im Weg wie der ältere Sohn, der dem jüngeren verlorenen Bruder die Barmherzigkeit des Vaters nicht gönnte (Lukas 15,11-31).

Glücklich sind, die sich auf die Konsequenzen der Gerechtigkeit einlassen

Jesus spricht Verfolgungen an, die Nachfolger und Nachfolgerinnen treffen werden. Weil sie Jesus in ihr Leben aufgenommen haben und seine Gerechtigkeit ihr Leben prägt, sind sie eine Gefahr für jede weltliche Autorität, die unbedingten Gehorsam fordert. Jesus sagt den Bedrängten in besonderer Weise zu, dass er mit seinem Heiligen Geist ihnen in den Verhören die richtigen Worte eingeben wird. Sie sind nicht allein, Jesus wird sie hindurchtragen. Das, so Jesus, ist das Glück der Verfolgten, dass sie Jesus ganz nahe erleben. Er gibt ihnen die Kraft, mitten in den Bedrängnissen nach oben zu schauen und den Himmel offen zu sehen.

Bis heute zieht sich die Verfolgung von Christen wie ein roter Faden durch die Geschichte. Nur weil wir nicht verfolgt werden, dürfen wir diese Wirklichkeit nicht abblenden. Im Gegenteil, Jesu Seligpreisung ruft uns auf, für die Menschen zu beten, die in Verfolgungssituationen sind. Wir können ihnen keinen Wasserbecher reichen, wir können sie nicht im Gefängnis oder in der psychiatrischen Klinik besuchen. Aber wir können sie wahrnehmen, ihr Anliegen zu unserem Anliegen machen, für sie beten, ihnen in unserem Land zur Seite stehen, wenn sie um Asyl bitten. Die aktuelle Liste der Staaten, die Christen verfolgen, wird nun schon im dritten Jahr von Nord-Korea angeführt, gefolgt von Saudi-Arabien, Vietnam, Laos, Iran, Malediven, Somalia, Bhutan, China und Afghanistan. Diese Liste wird nach den verschiedensten Kriterien zusammengestellt. Nur ein paar Details lassen schon erschaudern. Ist die Vorstellung, wegen des Glaubens an Jesus Christus ins Gefängnis zu müssen, schon bedrückend, so wird sie noch verschärft von der Praxis, wegen des Glaubens in eine Psychiatrische Anstalt eingeliefert zu werden. Was dort mit den Christen geschieht, können wir uns wahrscheinlich alptraumhaft vorstellen. Doch nehmen wir diese Geschichten nicht einfach hin, wie die Christen im Gleichnis, die achtlos an den Bedürftigen ihres Umfelds vorbei gegangen sind. Ich möchte mich selbst in die Pflicht nehmen und mir eine regelmäßige Zeit reservieren, um mich zu informieren, für Brüder und Schwestern zu beten, die verfolgt werden. Aus dem Gebet werden Taten erwachsen, wer weiß, wem wir schon bald vor unserer Haustür helfen können.

Jesus nennt das Ziel: satt zu werden, selbst Barmherzigkeit zu erfahren, das Himmelreich zu erben. Jetzt leuchtet das Ziel schon in unsere Gegenwart, wo wir Jesus unsere Gerechtigkeit sein lassen und ihn unsere Mängelliste bearbeiten lassen. Wir werden glücklich sein, diese empfangene Gerechtigkeit weiterzugeben, zu unseren Mitmenschen barmherzig zu sein und uns auf die Seite der Verfolgten zu stellen mit unseren Gebeten und unserem Einsatz. 

Der Mönch ließ sich von der Spinne stechen. Er musste es ihr nicht heimzahlen, sondern rettete sie. Jesus möchte uns seine Natur schenken, dann können wir auch ganz natürlich das tun, was er uns aufgetragen hat, Menschen in Berührung mit Jesus zu bringen, dass er sie retten kann.

Cornelia Trick


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