Was habe ich getan? (Jeremia 8,4-7)
Gottesdienst am 17.11.2013 in Friedrichsdorf

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
ein Familienkonflikt schleppt sich über Jahre dahin. Schon als Schulkind wurde der Junge von seinem Vater kritisiert, er genügte seinen Ansprüchen nicht. Als Heranwachsender kamen neue Themen dazu, das Aussehen, sein Umgang mit Freunden, seine Berufswünsche. Der Vater gab ihm zu verstehen, dass er mit ihm so nicht einverstanden war, ihn innerlich ablehnte. Die beiden pflegten über Jahre hinweg einen höflichen Umgang, von außen merkte keiner etwas von den Zerwürfnissen. doch die Störung zog sich wie ein roter Faden durch das Leben des jungen Mannes, Berufsausbildungen scheiterten an einem Punkt, wo er sich selbst einredete: „Ich genüge den Ansprüchen nicht.“ Statt dass der Vater erkannt hätte, dass sein Verhalten den Jungen krank machte, setzte er seine Herablassung ungehindert fort.

Der Prophet Jeremia trat in einer Krisenzeit auf. Die erstarkende babylonische Großmacht drohte am Horizont. Das kleine Juda, nach dem Untergang des Nordreichs allein übriggeblieben, suchte Bündnispartner gegen den Feind. Jeremia kritisierte dieses rein politische Abwägen. Er forderte, dass die Verantwortlichen mit Gott rechnen, ihn in seine Überlegungen einbeziehen sollten. Er führte ihnen vor Augen, welche Konsequenzen ihr Tun haben würde. Leichte Risse zeigen sich in dem Bild, das Jeremia vom Untergang malte. Durch diese Risse dringt Gottes barmherzige Liebe. Auch wenn Jeremia in seiner Predigt keine Hoffnung auf Umkehr hatte, spüren wir, wie noch nicht alles verloren ist. 

Jeremias ernste Worte hören wir heute am Volkstrauertag. Wir werden an großes Leid erinnert, das von verblendeten Menschen verursacht wurde. Der Gedenktag stellt uns wieder neu vor die Aufgabe, unseren Standort zu bestimmen und uns wachzurütteln. Wo stehen wir?

Jeremia 8,4-7

Jeremia spricht zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.

Eine große Bewegung wird von Jeremia gezeichnet. Wer in eine Sackgasse gerät, kehrt um, das ist eine natürliche Reaktion. Das Volk Israel ist in eine Sackgasse geraten, doch die natürlichen Instinkte versagen:

Sie halten fest am falschen Gottesdienst. Wenn wir uns das bildlich vorstellen, kommen die Leute mit schmutzigen, stinkenden Kleidern zum Gottesdienst. Dort sollten sie sie waschen lassen, dass sie als neue Menschen nach Hause gehen. Doch statt sie waschen zu lassen, ziehen sie dicke Mäntel darüber. Untendrunter gärt und schimmelt es, aber der Schein des anständigen Menschen ist gewahrt. Jeremia mahnt an, dass in den Gottesdiensten kein Wasser gereicht wird, um sich rein waschen zu lassen. Es wird keine Vergebung angeboten, stattdessen macht jeder weiter wie bisher in der irrigen Meinung, er habe sein Leben selbst in der Hand und wisse, was gut und böse ist.

Sie reden nicht die Wahrheit. Sie reden fromm, aber haben nicht Gottes Willen im Blick, sondern ihren eigenen. Sie meinen, im Dienst des Herrn zu stehen, aber machen nur, was ihnen gut tut. Sie wollen für andere da sein, aber kümmern sich um andere, um nicht allein zu sein. Was wäre Wahrheit? Ich lasse von Gott prüfen, was ich will. Ich frage ihn, ob das, was ich tue, in seinem Sinne ist. Ich suche mir nicht andere, damit ich nicht allein sein muss, sondern frage Gott: Willst du, dass ich das Alleinsein lerne? Ich räume Gott ein Mitspracherecht ein, warte auf seine Signale und lasse mich korrigieren.

Sie lassen Bosheit walten. Das Böse hat Macht und bewirkt Zerwürfnisse, Selbstüberschätzung und Verzweiflung. Glaube, Hoffnung und Liebe sterben. Wie eine graue Decke legt sich das Böse über die Menschen, alle Farben verlieren ihren Glanz, Hass und Rache greifen um sich. Das Volk Israel hat sich gegen das Böse nicht gewehrt, die graue Decke akzeptiert. Dabei hätten sie Gott auf ihrer Seite gehabt, der stärker ist, als alles Böse dieser Welt, und der nichts lieber tut, als dunkle Decken von seinen Menschen zu reißen.

Wir hören diese Worte des Propheten heute als Gemeinde Jesu. Die Sackgassen von damals sind auch heute allgegenwärtig. Falsche Gottesdienste, in denen Mäntel verteilt werden statt frisches Wasser, sind auch heute eine Gefahr. Unsere Sicht der Dinge als Gottes Sicht der Dinge darzustellen, ist eine Versuchung, die wir kennen. Dass Glaube, Liebe und Hoffnung wie gedämpft wirken, werden wir kennen. 

Jeremia ruft seinen Leuten zu: Ihr seid wie Kriegsrosse, die mit Scheuklappen in eine Schlacht stürmen, die sie nur verlieren können. Wenn ihr weiter in diese Richtung stürmt, werdet ihr untergehen. 

Was hast du getan?

Wir sollten es ja eigentlich besser wissen, als das Volk damals. Wir sind Jesus Christus begegnet, sind von seinem Geist erfüllt, wissen uns von ihm geliebt, geheilt, angenommen. Wie sollten wir uns wie Kriegsrosse verhalten? Und doch fragt uns Gott durch Jesus Christus auch heute: Was hast du getan? Immer wieder sind wir versucht, uns lieber ein Mäntelchen umzulegen, statt aktiv etwas zu ändern. Und so ruft er uns heute auf, dieses Mäntelchen abzulegen und ihm zu zeigen, was darunter verborgen liegt. Ist es unser Kleinglaube? Unsere Unversöhnlichkeit? Unser verletzter Stolz? Unsere Herrschsucht und unser Machtgebaren? Ist es die bequeme Opferrolle, die uns nichts verändern lässt?

Zwei mögliche Reaktionen auf Jesu Aufdecken lassen sich vorstellen.

Wir stürmen wie Rosse ins Kriegsgetümmel. Ein Verhalten, das an den Vater erinnert, von dem ich am Anfang berichtete. Da kann man regelmäßig am Gemeindeleben teilnehmen, und doch bleibt Gott außen vor, die Beziehungen verhärten sich, man ist getrieben, lässt sich ausbeuten, statt da zu sein, wo Gott einen haben will. 

Die zweite Reaktion: Man lässt sich infrage stellen, den Spiegel vorhalten. Will Jesus, dass ich mich so verhalte, meine Prioritäten so setze, meine Beziehungen so gestalte? Wie sieht Jesus mich? Mit dieser ehrlichen Offenbarung wird der Weg frei zur Reinigung, zu Vergebung, zum Neuanfang.

Wie Jesus kranke Menschen fragte: Was soll ich für dich tun? So fragt er uns, obwohl er weiß, was wir dringend brauchen. Es ist an uns, ihm zu sagen, dass wir ihn brauchen.

Die Zugvögel

Vorhin sprach ich von Rissen im Bild des Untergangs. Wir finden sie im Bild der Zugvögel, das Jeremia uns mitgibt, ein Bild, das in der letzten Woche ja so anschaulich war, als tausende von Kranichen das Rhein-Main-Gebiet durchflogen. Eigentlich wissen wir doch, wo es für uns hingeht. Die Gemeinde Jesu stürmt nicht in den Untergang, sondern ist auf dem Weg Gott entgegen. Doch sie braucht für diesen Weg Orientierung. Die gewinnt sie nur von oben. Ein Blick aus der Vogelperspektive lässt die Richtung neu justieren. Eine solche Vogelperspektive ist der Gottesdienst. Hier sind wir, um Gottes Blick auf uns zu bekommen. Die Vögel fliegen miteinander, so sind wir miteinander unterwegs, stärken die Schwachen, warten aufeinander und übernehmen wechselweise die Führung. Auch wir leben im Rhythmus, nicht Sommer und Winter allein, sondern in jeder Woche im Rhythmus von Alltag und Sonntag, der uns Kraft gibt für eine neue Woche.

Es wäre ein Jammer, wenn wir wie Kriegsrosse mit Scheuklappen dem Untergang entgegen stürmen würden statt am Flug dem Herrn entgegen teilzunehmen. Dazu lädt Jeremia uns eindringlich ein.

Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_was_habe_ich_getan.htm