Von Vögeln und Lilien
Gottesdienst am 20.09.2009

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
auf der Wissensseite der Tageszeitung fand ich letzte Woche einen interessanten Artikel zum Thema Orientierung. Dort wurde von einem Experiment berichtet. Man hatte Menschen in der Wüste loslaufen lassen. Sie sollten eine bestimmte Richtung einhalten. Doch immer wieder kamen die Leute zum Ausgangspunkt zurück. Statt geradeaus ein Ziel anzusteuern, liefen sie immer im Kreis. Sanddünen in der WüsteDer Artikel ließ eine wissenschaftliche Erklärung offen. Man war sich noch nicht sicher, woher diese mangelnde Orientierung trotz Sonne, Mond und Sternen kam. Ich wurde an diesen Artikel erinnert, als ich einen Abschnitt aus der Bergpredigt auf mich wirken ließ. 

Jesus hatte auf einem Berg viele Menschen um sich versammelt. Im inneren Kreis ganz nah bei ihm saßen seine Jünger und Nachfolgerinnen. Sie waren Jesu erste Adressaten. Er erklärte ihnen das neue Leben mit Gott, dass sie mit Jesus führen konnten. Hinter den engsten Freunden Jesu saßen auch viele Neugierige. Sie wollten mehr von diesem Jesus erfahren, der so große Wunder tat und den Menschen offenbar bis ins Herz schauen konnte. Auch wenn sie noch Vieles nicht verstehen konnten, was Jesus seinen Jüngern weitergab, waren sie mit hineingenommen in seine Gemeinde. Das macht Mut, auch heute Jesu Worte genau zu hören, als solche, die schon lange mit Jesus unterwegs sind, aber auch als die, die erst dazukommen und noch nicht wissen, ob aus dem Erstkontakt eine bleibende Beziehung wird.

Jesus sprach auf dem Berg von Menschen, die sich bildlich gesprochen in einer Wüste befanden und den Weg geradeaus nicht sahen. Sie bemühten sich, aus dem Kreisen um die Alltagsthemen und Sorgen herauszufinden, aber landeten doch wieder im Kreisverkehr. 

Matthäus 6,25-34

Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch  Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem  Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Jesus stoppt unser Stolpern durch die Wüste und richtet unseren Blick auf Gottes Schöpfung. Er nennt die Vögel. Sie säen nicht und ernten nicht. Die typische Arbeit der galiläischen Männer ist ihnen fremd. Er deutet auf die Lilien, die wild in den Feldern wachsen. Sie mühen sich nicht ab und spinnen keine Wolle. Die normale Arbeit einer galiläischen Frau verrichten sie nicht, und trotzdem sehen sie wunderschön aus. Die Vögel, die sich leicht und schwerelos über die Erde und ihre Mühsal erheben, sowie die Blumen, die ohne Zutun ihre Schönheit zeigen, berühren eine tiefe Sehnsucht. Sie lassen uns aus dem Kreisen um unsere Probleme aufschauen in den Himmel. Was wäre das Leben einfach, wenn wir uns über unsere Rechnungen und Beziehungsprobleme einfach in die Lüfte schwingen könnten. Was wäre das Leben leicht, wenn wir einfach blühen könnten, ohne uns anstrengen zu müssen und Leistungsstandards einzuhalten. Ja, so mag uns durch den Sinn gehen, einmal Vogel oder Blume sein, das wäre schön. Denn offensichtlich gibt es einen, der für die Vögel und Blumen sorgt, ihnen Nahrung bereit stellt, ihnen Wärme und fruchtbaren Boden schenkt. Und sollte dieser Eine nicht auch für jeden und jede von uns da sein? Gilt die Liebe zur Schöpfung nicht auch uns Menschen?

Jesus hat diese Worte ganz bestimmten Menschen gesagt, die in der ersten Reihe vor ihm saßen. Es waren Männer und Frauen, die ihre Heimat, ihre Familie und ihren Beruf aufgegeben hatten, um mit Jesus das Reich Gottes zu verkünden und die Leute einzuladen, Jesus zu vertrauen und auf Gottes Kommen zu warten. Diese Männer und Frauen machten sich sehr konkrete Sorgen. Sie fragten sich, was sie bei ihrer nächsten Wanderstation essen sollten, ob das Geld, das die Wohlhabenderen unter ihnen mitbrachten, für ein paar neue Kleider reichte. Sie sorgten sich um ihre Zukunft. Würden sie wieder eine Arbeitsstelle bekommen, falls die Wanderschaft mit Jesus zu einem Ende kam? Diesen Leuten sagte Jesus: „Sorgt euch nicht. Gott sorgt für euch!“ Denn wer für Gott sein Leben einsetzt, den wird Gott nicht allein lassen. Gott lässt sich von uns nichts schenken. Und tatsächlich verließen sich Menschen zu allen Zeiten auf Jesu Zusage, die er bei seiner Himmelfahrt mit dem letzten Satz des Matthäusevangeliums bekräftigte: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20)

Jesus warnt vor der Heidensorge. Es ist die Sorge, die nicht weiß, dass Gott liebt und hilft, dass ihm nichts wichtiger ist, als seine Geschöpfe zur Entfaltung zu bringen. Es ist die Angst, dass keiner hält, wenn die eigenen Kräfte nicht mehr reichen, und die Selbstüberhebung, das Leben ohne Gottes Orientierung zu meistern, den Weg nach vorn zu finden.

Wir sind keine urchristlichen Wandermissionare, die ohne Beutel und Schuhe in die Welt ziehen und von Jesus erzählen. Doch Jesu Worte haben auch etwas für uns zu bedeuten. Sie rütteln uns wach, wenn wir schon auf längst ausgetretenen Spuren immer wieder im Kreis laufen und die Perspektive Gottes verloren haben. Sie rücken unsere Lebensthemen zurecht. Was jetzt im Vordergrund steht, gehört da vielleicht gar nicht hin. Und was ein bisschen in die Abstellkammer geraten ist, wird dringend ganz vorne gebraucht.

Die Sehschule Gottes

Jesus redet lange über die Vögel und Lilien. Er lädt ein, ganz genau hinzuschauen und sich von Vögeln und Blumen in eine andere Welt entführen zu lassen. Vielleicht könnten wir noch die Geburt eines Kindes hinzufügen. Ist es doch die überwältigendste Erfahrung, dass Gott sich um seine Geschöpfe kümmert und sie mit allem Nötigen versorgt, ohne dass sie sich dafür abmühen müssen.

Gottes Geschöpfe sind in aller Gebrochenheit einer gefallenen Welt Spiegel seiner Treue und Liebe. Sie verlassen sich auf ihn, leben von ihm, entfalten sich und spiegeln Gottes Ja zu dieser Welt. 

Jesus gibt uns eine Entdeckerlupe in die Hand, mit der wir ganz genau diese Spuren seiner Gegenwart und Fürsorge erkennen können. Der kleinste Grashalm zeugt davon, obwohl er wenig später von den armen Bauern als Brennstoff vernichtet wird. Sollte Gott mit uns nicht genauso umgehen und uns das geben, womit wir wachsen und reifen können? Also warum Sorgen um das Leben? Es ist in Gottes Hand.

Doch Gott verspricht keine Reichtümer und gefüllte Gefrierschränke für die nächsten Jahre. Er gibt jeden Tag das Nötige. Sind wir damit wirklich zufrieden? Sorgen wir uns nicht oft gerade um den Tag danach? Hier wird uns Einhalt geboten. Zugesagt ist uns, dass Gott uns versorgt, nicht mit welchen Mengen und welchem Mindestlohn. Das scheint ein erster Widerhaken der Rede Jesu zu sein. Wir werden eingeladen, uns auf Gott zu verlassen, der uns genug zum Leben gibt. Genug zum Leben ist bei Gott keine Definitionssache, sondern bedeutet, genug, um seinen Auftrag in der Welt ohne Not auszuführen. Brauchen wir da wirklich so viel, wie wir hier haben? John Wesley, unser Kirchengründer, gab dafür eine sehr praktikable Anleitung: „Verdiene, soviel du kannst, spare, soviel du kannst, gib, soviel du kannst.“ Und er lebte bis zum Atemzug eine Bescheidenheit, die ihn erfahren ließ, wie Gottes Güte ihn versorgte.

Der alternative Lebensstil

Jesus weiß, dass wir alleine unseren Kreisverkehr nicht aufbrechen können. Die Sorgen halten uns fest wie der Reitlehrer, der sein Pferd immer im Kreis an der Longe laufen lässt. Auch der Blick in Gottes Schöpfung ist nur ein erster Anfang, um überhaupt die Sehnsucht nach einem anderen Leben zu spüren. Der Weg heraus aus dem Teufelskreis heißt, dem Leben eine neue Orientierung zu geben, sich zum Reich Gottes aufzumachen und den Weg der Gerechtigkeit zu gehen. Jesus formuliert es in der Bergpredigt kurz und knapp: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Meines Erachtens ist dieser Satz eine Ankündigung des Pfingstereignisses. Der Weg ist nicht von uns aus zu finden, mit gutem Willen und in die Hände spucken. Das hätten schon viele nur zu gerne getan, um damit den kaputt machenden Sorgen zu entfliehen. Doch zu Pfingsten wirft Gott uns eine Rettungsleine zu. Sie zu ergreifen heißt, den Heiligen Geist zu empfangen, der uns den Ausweg weist. Mit seiner Hilfe und Kraft wird es uns gelingen, uns auf den Weg zu machen dem Reich Gottes entgegen. Der Heilige Geist wird an anderer Stelle als Angeld bezeichnet, also eine Art Anzahlung auf das Reich Gottes. Er ist es, der uns die neue Orientierung schenkt, den Weg aus der Wüste. Nach Gottes Reich zu trachten, meint, dem zukünftigen Reich, das Gott aufrichten wird, zu vertrauen. Es setzt Maßstäbe, die für den Weg gelten. Im Reich Gottes, so verspricht es Jesus, wird Friede sein, Gemeinschaft mit Gott und untereinander, wird kein Mangel mehr herrschen und keine Träne mehr geweint. Diese neue Zeit strahlt in die Gegenwart. Sie schenkt Hoffnung angesichts von Not und Elend, Krieg und unbegreiflichen Schicksalen. Diese neue Zeit will unseren Blick weg von unseren Themen hin zu Gottes Thema lenken, dass diese Welt vollendet wird und sein Name groß wird. Der Weg dorthin ist vom Ziel her erleuchtet. Wir können Gottes Gerechtigkeit verwirklichen, schon unterwegs, hier und jetzt, ermöglicht durch Gottes Geist.

Wie kann dieser Weg aussehen?

Drei Markierungssteine werden zu beachten sein:
  • Der Mittelpunkt des Weges. Mittelpunkt des Weges bin nicht ich und meine Befindlichkeit. Das war ja lange genug in der Wüstenzeit der Fall. Mitten auf dem Weg geht jetzt Jesus. Er leitet an, er rückt zurecht und er gibt vor, wo der Weg hinführt. Eine spannende Frage ist, wie er da auf der Mitte des Weges bleiben kann. So leicht drängen wir uns an seinen Platz, überhören und übersehen ihn, haben unsere Landkarte im Kopf und landen wieder im Kreisverkehr. Ich habe überlegt, wie Jesus bei mir in der Mitte bleibt und wurde erinnert an die Zeit, als unsere Kinder klein waren. Sie waren eindeutig der Mittelpunkt meines Alltagslebens. Für diesen Mittelpunkt habe ich viel aufgegeben, meine Berufstätigkeit, Freizeitaktivitäten, das Bergsteigen, oft das Telefonieren mit Freunden, sogar ein paar Lieblingsgerichte, weil es sich mit dem Stillen nicht vereinbaren ließ. Doch es ist mir nicht schwer gefallen. Die Kinder haben mich voll und ganz entschädigt und sogar großen Gewinn bedeutet. Wie die Elternzeit gibt es auch Jesus-Zeit. Um Jesus in der Mitte zu haben, muss manches weichen. Jesus kann nicht als 4. Programmpunkt am Abend noch dazu kommen. Das funktioniert einfach nicht. Er braucht ganze Aufmerksamkeit. Nun machen wir normalerweise keinen Jesusurlaub. Aber an jedem Tag ein paar Jesus-Minuten sind sicher drin. Bevor wir sie planen, hilft es, etwas anderes bewusst zu streichen. Jesus will nicht überfordern, sondern uns Orientierung schenken. Es ist viel mehr, was wir mit ihm gewinnen, als was wir durch Streichung unseres Terminkalenders verlieren.
  • Wer mit Jesus unterwegs ist, wird von Jesus verändert. Die Bibel nennt diese Veränderung Wachstum. Und Ergebnis des Wachsens sind Früchte. Eine solche Frucht heißt Liebe, eine andere Freude, Friede, Geduld und Treue. Je länger und intensiver wir mit Jesus wandern, desto größer und reifer sollten unsere Früchte werden. Manchmal bleiben sie klein und mickrig. Da wächst keine Freude über das Leben mit Jesus. Da bricht trotz Leben mit Jesus immer wieder alter Groll auf. Da wartet man ungeduldig auf Ergebnisse, und nichts geschieht. Früchte brauchen Sonne, Wasser und gute Erde. Setzen wir uns der Sonne aus? Machen wir Pausen zum Erholen, zum Verdauen, zum Luftholen? Oder bleiben wir in unseren Büros sitzen, verkrampft vor dem PC, und warten auf Gottes Batman-Einsatz, der uns durchs geschlossene Fenster ins Licht zieht? Und wie steht es mit Wasser und Dünger? In einigen Gesprächen der letzten Zeit wurde mir erzählt, dass man sich auch als Christ kraftlos und müde fühlt, wie wenn aller Saft aus dem Körper raus ist. Bibellesen würde auch nicht helfen. Ich bin überzeugt, dass jeder und jede von uns einen anderen Zugang zu Gottes Quelle hat. Für mich ist es eindeutig das Bibellesen und Nachdenken über Gott. Aber häufiger höre ich, dass die Musik diese Quelle ist, die zurück an Gottes Herz bringt. Eine halbe Stunde Lieder zu hören, die von Gottes Liebe handeln, kann viel bewirken, ist Wasser auf dürre Seelen und Dünger für müde Füße. Mit diesem Wasser können Früchte des Geistes wachsen, Liebe, Freude, Friede, Geduld und Treue.
  • Auf dem Weg liegen Aufgaben bereit. Welche für uns genau da sind, kann nur jeder für sich sagen. Doch dienen sie dazu, andere auf Gottes Reich aufmerksam zu machen, ihre Sehnsucht zu wecken und sie vorzubereiten, wenn Gott ihnen das Seil zuwirft, um sie aus den täglichen Sorgen herauszuziehen. Die Aufgaben werden zur Herzensangelegenheit und rücken den Alltag und die ungelösten Probleme in die richtige Perspektive. Gott lässt sich nichts schenken. Er wird für das Nötige sorgen, während wir für seine Sache unterwegs sind.
Jesus gibt Lebenshilfe gegen Alltagssorgen
  • Wir können staunen über seine Fürsorge. Er weiß, was wir brauchen.
  • Gott gibt uns genug, aber füllt nicht unsere Gefrierschränke. Wir bleiben von ihm und seiner Hilfe abhängig.
  • Auf dem Weg werden wir mit Aufgaben betraut. Sie geben unserem Weg Sinn und lassen den Alltag klein werden.
  • Wie Vögel dürfen wir als Gottes Kinder frei sein, uns über den Alltag erheben und Gott die Ehre geben. Er lässt uns nicht fallen und verlässt uns nicht.
1. Gib mir Kraft für einen Tag, / Herr, ich bitte nur für diesen, / dass mir werde zugewiesen, / was ich heute brauchen mag.
2. Jeder Tag hat seine Last, / jeder Tag bringt neue Sorgen, / und ich weiß nicht, was für morgen / du mir, Herr, beschieden hast.
3. Aber eines weiß ich fest: / dass mein Gott, der seine treue / täglich mir erwies aufs neue, / sich auch morgen finden lässt.
4. Gib mir heute deinen Geist, / dass das Band werd stark erfunden, / das mich hält mit dir verbunden, / und auch morgen nicht zerreißt.
5. Und so will ich meine Bahn / ohne Sorgen weiterschreiten. / Du wirst Schritt um Schritt mich leiten, / bis der letzte Schritt getan.
T: Rudolf Lehmann-Filhés 1910. M: (Nach Motiven eines amerikanischen Liedes) Paul Ernst Ruppel 1977
Cornelia Trick


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