Feier zum Volkstrauertag
auf dem Friedhof in Neuenhain am 14.11.1999
Liebe Gemeinde, liebe Mitbürgerinnen und
Mitbürger,
mit großen Schritten gehen wir auf das
Ende dieses Jahrhunderts zu. Der letzte Volkstrauertag vor der Jahrtausendwende
bietet da eine gute Gelegenheit, Bestandsaufnahme zu machen, sich der Vergangenheit
zu erinnern, in der Gegenwart Kraft zu schöpfen und mit neuem Mut
in die Zukunft zu blicken. Schauen wir zurück auf dieses Jahrhundert,
so gibt es wahrhaft genug zu trauern. Mit dem ersten Weltkrieg 1914-18
ist die Welt in Brand geraten. Kriegstote, Gefangene, Hungernde und Verhungernde
und ein Riss auf der Landkarte waren das Ergebnis von schrecklichen Kriegsjahren.
Misstrauen war in Europa gesät und bahnte den Weg zum 2. Weltkrieg
1939-45. Der übertraf das Schreckliche des Ersten bei weitem. Ausgelöst
durch die Selbstüberschätzung eines Menschen, der sein wollte
wie Gott, brachte dieser Krieg Leid und Elend über die Menschheit:
Holocaust, KZs, allgegenwärtige Angst, Gefangenschaft, Kriegstote,
Kriegswitwen und -waisen, Flucht, Verlust der Heimat und aus dem Riss auf
der Landkarte wurde eine Mauer quer durch Deutschland. Sie können
diese dunklen Jahre sicher auch in Ihrer persönlichen Familiengeschichte
nachvollziehen. Und die Erinnerungen bringen die Kriege so nahe in unsere
Zeit, dass auch wir Nachgeborenen, davon berührt und betroffen sind.
Wir haben viel zu trauern. Wir trauern über
all das Leid, das wir als Deutsche mit verursacht haben. Wir trauern um
die Menschen, die durch gewaltsamen Tod viel zu früh sterben mussten.
Wir trauern um den Verlust der Heimat, die viele Menschen in zwei Weltkriegen
verloren haben. Wir trauern über die Verblendung, die uns auch heute
noch blind macht für den Terror des Krieges. Und so trauern wir auch
über die Kriege, die heute noch anhalten in weiten Teilen unserer
Welt.
Doch im Rückblick sehen wir neben dem Schrecklichen
auch das ganz große Wunder dieses Jahrhunderts. Ohne jede Gewalt
fiel die Mauer vor 10 Jahren. Menschen fanden in Gottesdiensten und Gebeten
zusammen und ließen sich den Mut schenken, mit Kerzen gegen das Unrecht
zu protestieren. Dieses Ereignis reißt uns aus der Trauer heraus
und richtet unseren Blick auf Gott. Er ließ uns in unserer Not nicht
allein, er schenkte uns einen Neubeginn, eine neue Chance, das Jahrhundert
anders zu beschließen als wir es begonnen haben.
So habe ich zu einem alten Psalm des Volkes
Israel gegriffen. Das Volk brachte darin sein Vertrauen zu Gott zum Ausdruck
mitten in den Realitäten dieser Welt. Der Psalm beginnt mit der Erinnerung
an die vergangene Hilfe, nennt die gegenwärtige Not und macht Mut
für die Zukunft.
Psalm 126
Als der HERR uns heimbrachte, zurück zum
Berg Zion,
da kamen wir uns vor wie im Traum. Wie konnten
wir lachen und vor Freude jubeln!
Bei den anderen Völkern sagte man damals:
"Der HERR hat Großes für sie getan!"
Ja, der HERR hatte Großes für uns getan,
und wir waren glücklich.
HERR, wende auch jetzt unsere Not, bring Glück
und Frieden zurück,
so wie du das Wasser wieder zurückbringst
und die ausgetrockneten Bäche plötzlich füllst!
Wer mit Tränen sät, wird mit Freuden
ernten.
Weinend gehen sie hin und streuen die Saat aus,
jubelnd kommen sie heim und tragen ihre Garben.
So betrachtet haben wir heute auch allen Grund,
ein großes Danklied zu singen. Ja, der Herr hat Großes an uns
getan! Wir leben heute mit unseren Nachbarstaaten verbunden, gegen die
wir einst Krieg führten. Ein geeintes Deutschland ist entstanden ohne
Gewalt. Seit 1945 leben wir im Frieden. Das ist kein Grund zum Eigenlob
oder "auf die Schulter Klopfen", wie toll wir sind. Das ist Grund zur Dankbarkeit
Gott gegenüber, der uns in Jesus Christus seine Treue unverbrüchlich
zugesagt hat. Das ist auch Grund zur Freude, denn an Gottes Hand können
wir voll Vertrauen in die Zukunft gehen.
Der Rückblick auf die Hilfe Gottes verschleiert
aber nicht die Gegenwart. Bedrückend sind die Kriege in Afrika, Tscheschenien,
die Nachwirkungen des Bürgerkriegs in Osttimor und Kosovo, Flüchtlingselend
in den Krisenregionen und Gewalt in unserem Land. Es ist gut zu wissen,
wer uns in der Vergangenheit geholfen hat und wen wir auch jetzt um Hilfe
bitten können. "Not lehrt beten" - diese Erfahrung machen wir, wenn
wir mit unserem Latein am Ende sind und uns nur voller Vertrauen in die
Hand Gottes fallen lassen können. Denn Gott ist nicht zu Hause geblieben.
Er wohnt in Jesus unter uns. Und er fragt sich vielleicht, warum wir ihm
da nicht schon längst die Bude eingerannt haben angesichts der Not,
die uns zu ihm treiben müsste.
Ich höre aus dem Gebet Israels die Ermutigung
für uns heute, Gott die Bude einzurennen und seine ausgestreckte Hand
zu fassen, Jesus Christus zu vertrauen und von ihm Hilfe zu erwarten.
Vor 10 Jahren stellten wir Kerzen in die Fenster
von Neuenhain um unseren Geschwistern in der DDR nahe zu sein. Warum nicht
auch heute Kerzen in den Fenstern aufstellen, die uns erinnern, unsere
Hilfe kommt von Gott? Warum nicht Jesus Christus vertrauen, der zugesagt
hat, unser Licht des Lebens zu sein?
Und dieses Licht leuchtet bis in die Ewigkeit.
Weil wir mit Jesus Christus in Gottes neuer Welt leben werden, können
wir hier mit dem Psalmgebet ansingen gegen die Schrecken der Gegenwart.
Weil diese neue Welt uns Hoffnung gibt, werden wir uns einsetzen für
den Frieden, für Vergebung und Versöhnung. Die Welt ist und wird
kein Paradies. Schauen wir uns selbst an, merken wir, wie der Friede schon
im kleinsten Bereich so schwer fällt. Doch das Wunder des Mauerfalls
und die vielen kleinen Wunder sind Hoffnungszeichen. Nicht alles ist verloren,
weil Jesus Christus da ist. Er lädt ein, ihm zu vertrauen bei jedem
Friedensschluss, jedem Widerstandskämpfer, der die Waffen freiwillig
abgibt, jeder Freundschaft, die über Stacheldraht hinweg geschlossen
wird. Jesus Christus selbst hat uns versprochen:
Siehe, ich bin bei euch
alle Tage bis an der Welt Ende.
Cornelia
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