Verändert Gottesdienst? (Lukas 18,10-14)
Gottesdienst am 27.9.2020 in Brombach

Liebe Gemeinde,
Anfang des Jahres, als es noch unbeschränkt möglich war, machte ich einen Besuch im Krankenhaus. Das Zimmer war im 3.Stock, und ich musste den Aufzug nehmen, der bis zum letzten Platz gefüllt war. Gesunde Besuchende und Kranke waren beieinander. Die einen mit Mantel, Blumenstrauß, Regenschirm, die anderen mit Infusionsflasche, Bademantel und sichtbaren Verbänden. Wir Besuchende verließen das Haus bald wieder, unverändert, unversehrt, unangetastet. Die Kranken würden bleiben, ihre Therapie beenden und hoffentlich bald genesen entlassen.

In einer Sitzung unterhielten wir uns über die Bedeutung von Gottesdiensten, da kamen mir diese Sekunden im Aufzug in den Sinn. Verstehen wir den Gottesdienst als Krankenhaus. Dort will Jesus uns begegnen und sich unserer annehmen. Dort werden wir jeden Sonntag neu von ihm untersucht auf Herz und Nieren und therapiert. Dort empfangen wir die maßgeschneiderte Hilfe von ihm und gehen im besten Fall gestärkt und erfrischter nach Hause als wir gekommen sind. 

Doch wir könnten auch als Besuchende in den Gottesdienst kommen. Wir tauchen kurz ein in die Atmosphäre, schauen anderen zu, die offenbar Heilung brauchen, holen uns von Gott Bestätigung für die Woche ab und gehen unverändert nach Hause wie ich damals nach meinem Krankenbesuch.

Jesus erzählt ein Gleichnis, das dieses Thema aufnimmt. Lassen wir uns von Gott untersuchen und heilen, oder bleiben wir auf dem Besucherstuhl sitzen?

Lukas 18,10-14
Jesus erzählte dieses Gleichnis: »Zwei Männer gingen hinauf in den Tempel, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer und der andere ein Zolleinnehmer. Der Pharisäer stellte sich hin und betete leise für sich: ›Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen – kein Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder Zolleinnehmer wie dieser hier. Ich faste an zwei Tagen in der Woche und gebe sogar den zehnten Teil von allem, was ich kaufe.‹ Der Zolleinnehmer aber stand weit abseits. Er traute sich nicht einmal, zum Himmel aufzublicken. Er schlug sich auf die Brust und sprach: ›Gott, vergib mir! Ich bin ein Mensch, der voller Schuld ist.‹ Das sage ich euch: Der Zolleinnehmer ging nach Hause und Gott hatte ihm seine Schuld vergeben – im Unterschied zu dem Pharisäer. Denn wer sich selbst groß macht, wird von Gott unbedeutend gemacht. Aber wer sich selbst unbedeutend macht, wird von Gott groß gemacht werden.«

Schon beim ersten Satz werden wir aufmerken. Pharisäer sind Jesu Widersacher. Von ihnen wird eigentlich nie positiv erzählt. Dagegen gilt den Zolleinnehmern Jesu ganze Zuwendung. Sie arbeiten mit der römischen Besatzungsmacht zusammen, müssen von ihren Zolleinnahmen an den Stadttoren ihre Pacht für die Zollstation bezahlen und ihre Familien durchbringen, kein Wunder, dass sie oft mehr Geld einstreichen als vorgesehen und Leute übers Ohr hauen. Sie können schon von Berufs wegen die Gebote Gottes nicht halten und haben ein Minuskonto bei Gott. Im Umgang mit ihnen zeigt Jesus so deutlich, dass es bei Gott nicht auf unseren Kontostand ankommt, weil er seine Liebe vorbehaltlos schenkt. 

Der Pharisäer im Gleichnis
Der Mann, der im Tempel betet und sozusagen Gottesdienst feiert, wird eigentlich beschrieben wie ein guter Christ. Er ist fromm und Gott dankbar für sein Leben. Er pflegt seine Gottesbeziehung und fastet sogar zweimal die Woche. Es ist ihm ein Anliegen, dass er Gott mit Leib und Seele nahe ist. Er kümmert sich um die Notleidenden, seine Spenden gehen auch über das Übliche und Geforderte hinaus. Nach seiner Selbstdarstellung macht er eigentlich alles richtig.

Durchaus nachvollziehbar ist, dass er dankbar ist, nicht wie die anderen zu sein. Ich danke doch auch, dass ich in diesem Land lebe, dass ich meinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft verdienen kann, nicht klauen muss, um die Familie zu ernähren. Ich danke, dass ich nicht so verblendet bin wie manche anderen und scheinbar die richtige Sicht auf die Welt habe. So entdecke ich den Pharisäer auch in mir.
Der Pharisäer dankt aus vollem Herzen, doch er wird unverändert den Tempel und den Gottesdienst verlassen. Gott konnte nicht an ihm wirken, denn er hat ja nur „Hallo“ und „Danke“ gesagt. Danach machte er einfach weiter wie bisher.

Der Zolleinnehmer im Gleichnis
Der Mann bleibt im Abstand stehen, er sitzt sozusagen auf der letzten Kirchenbank. Auch sein Verhalten kann ich bestens nachvollziehen. Er traut sich nicht, in Richtung Gott zu schauen. Voller Scham schaut er zu Boden, denn er erwartet, dass Gott seine Lebensweise nicht gutheißt. Seiner Fehltritte ist er sich bewusst.

Was mich beschäftigt, warum kommt er überhaupt? Offensichtlich erwartet er etwas im „Krankenhaus“ Tempel. Auch wenn er sich schlecht fühlt, hofft er im Stillen, dass Gott etwas an seiner Situation ändert. Vielleicht hat er Sehnsucht nach einer göttlichen Umarmung und einem Wort, das ihm zusichert: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“ Vielleicht hofft er auf Impulse, sein Leben zu ändern. Die Begegnung mit dem Zolleinnehmer Zachäus führt das sehr anschaulich vor Augen. Wie Jesus bei Zachäus einkehrt und der sein Geld denen zurückgibt, die er betrogen hat, und noch viel mehr dazu (Lukas 19,1-10). Vielleicht erwartet der Zolleinnehmer auch, dass ihn Gott in die Gemeinschaft der Glaubenden zurückholt, er nicht auf der letzten Kirchenbank sitzen bleiben muss, sondern vorrücken darf und aufgenommen wird. 

Nur ganz kurz, fast zwischen den Zeilen, erfahren wir, dass Gott genau so an ihm gehandelt hat. Er entfernte die Steine in seinem Herzen, nahm ihm die Lasten seiner falschen Entscheidungen ab und ließ ihn frei und unbeschwert nach Hause gehen. In sein altes Leben als Zolleinnehmer ging er als veränderter und geheilter Mensch. Sicher wird er seine Geschäfte in Zukunft anders geführt haben. Mag sein, er nahm sogar eine neue Arbeitsstelle an.

Pharisäer, Zolleinnehmer und wir
Eine Beispielgeschichte von Jesus ist immer eine Mitmachgeschichte zum Mit- und Weiterspielen. Die Frage ist doch, wie ich vom Pharisäer zum Zöllner werden kann. Ist zwar der Pharisäer so gezeichnet, dass ich mich mit ihm identifizieren kann, spüre ich doch die Not, die hinter seiner Person steht. Er sieht nur sich selbst, er will so bleiben, wie er ist, er fühlt sich stark und unangreifbar mit Gott im Boot. Vor lauter Selbstbespiegelung hebt er ab und schaut auf andere herab. Ja, ich möchte kein Pharisäer bleiben, nur auf Besuch bei Gott, sondern mich wie der Zolleinnehmer von Jesus verändern lassen. Mir sind vier Schritte dazu wichtig geworden.

1.Schritt: Selbsterkenntnis
Ich bin nicht besser als der Pharisäer, nehme selbstverständlich, dass es mir gut geht und Gott mir Gutes tut. Ich halte meine guten Taten für angemessen und erwarte von Gott Beifall-Klatschen. Ich schaue auf andere herab und komme leicht auf Gedanken, dass sie selbst schuld an ihrer Misere sind. Der Gottesdienst am Sonntag bestärkt mich, richtig zu sein. Ich höre das, was mich versichert, richtig und glaubensstark zu sein.

2.Schritt: Ich bin bedürftig
Mir wird klar, dass ich in allem abhängig von Gott bin. Ohne ihn, seinen Segen, seine Liebe, seine Geduld mit mir wäre ich verloren. Er ist dafür verantwortlich, in welches Nest ich hineingeboren wurde, welche Chancen ich im Leben erhielt und welche Kraft ich habe, um mich in dieser Welt einzubringen. Ich habe so wenig selbst in der Hand, im Nu kann alles anders sein. Hausbesitzer in der Brandregionen im westlichen Amerika bekommen das gerade zu spüren. 

3.Schritt: Ich schaue in meine Tiefe
In meinem Leben ist nicht alles heil und gesund. Ich bin auch nicht für alles dankbar. Da gibt es Verletzungen, die andere mir zugefügt haben. Eine Frau erzählte mir davon, wie sie immer wieder von Männern fallengelassen wurde, ein ewiger Kreislauf, der sie bitter gemacht hat. Da ist das Gefühl, nicht zu genügen. Ein Kind in einer Kindergruppe brachte das neulich so zum Ausdruck: Ich kann nicht Mathe und Deutsch auch nicht, in Sport werde ich nie in die Mannschaft gerufen. Mich braucht keiner. Da ist der Eindruck, immer auf der Verliererseite zu stehen. Andere feiern ihre Erfolge, und ich schaue immer nur zu. Andere bekommen tolle Jobs, und ich hänge in meiner unbefriedigenden Arbeitssituation fest. Da ist die Selbstüberschätzung und der jähe Fall, der mein Selbstbild zum Einsturz bringt. So viele Wunden können in einem Leben sein, die nicht verheilt sind und ihr Eigenleben führen. Jesus lädt ein, sich von ihm behandeln zu lassen. Er kennt unsere Tiefen und will sie mit uns verändern.

4.Schritt: Zurück ins Leben
Wer von Jesus in diesen Tiefen seiner Seele berührt wird, kann ein Wunder erleben wie der Zolleinnehmer damals. Er bekommt Mut zur Veränderung, die neue Perspektive setzt Kraft frei. Der Dank wird sich verändern. Nicht mehr, weil ich soviel wert bin, sondern weil ich im „Krankenhaus“ Gottes Hilfe erfahren habe, bin ich Gott zutiefst dankbar.

Gottesdienst kann verändern, wenn wir Gott einladen, in unsere Tiefe zu kommen, wenn wir Jesus machen lassen und bereit sind, auch anstrengende Heilungsprozesse einzugehen, sein Ja zu uns nicht nur hören, sondern aufnehmen und als Medizin an uns wirken lassen.

Cornelia Trick


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