Unser Beitrag zum christlichen "Markt der Möglichkeiten"
Gottesdienst am 06.08.2000

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in Bad Soden, dem Ort, zu dem wir als Neuenhainer gehören, findet in drei Wochen ein Stadtkirchentag statt. Es ist der erste, der uns aus allen drei Stadtteilen zusammenbringt und sechs unterschiedliche Kirchengemeinden zu einer gemeinsamen Veranstaltung über eine Woche hinweg bewegt. Inzwischen ist eine Graphik Bad Sodener Stadtkirchentag 2000zu unserem Stadtkirchentag erstellt worden, die auf Plakaten dieses Ereignis ankündigen soll. Alle sechs Kirchen sind abgebildet. Fünf haben einen Kirchenturm, nur unsere Kirche hat keinen, ist deshalb auch in den Vordergrund gesetzt, weil sie sonst hinter den anderen massiven Bauten verschwinden würde. Mich hat dieses Bild angeregt, über uns im Verhältnis zu den anderen nachzudenken. Ist es wahr, dass nur die anderen ein Kirchturmdenken haben? Dass nur die anderen sich als Nabel der Welt sehen? Nein, wir kennen das Kirchturmdenken auch, selbst ohne den Glockenturm. Wir kennen die Haltung, dass wir richtig sind und alle anderen falsch, dass wir biblischer sind als andere, dass wir der Stoßtrupp sind, der die Bresche zu Jesus Christus schlägt. Wie also sieht unser Verhältnis zu den anderen Kirchengemeinden aus, was ist unser Beitrag zum christlichen "Markt der Möglichkeiten"?

Von Jesus wird in den Evangelien erzählt (Johannes 6,1-15), wie er wieder einmal eine große Menschenmenge um sich scharte. Es war spät geworden und die Leute bekamen langsam Hunger. Allein 5000 Männer hatten sich auf die Wiesen niedergelassen, ebenso viele Frauen und Kinder waren wahrscheinlich dabei. Jesus sah diese Leute und er erkannte, dass sie etwas zu essen brauchten. Er fragte die Jünger nach Essen. Doch die waren skeptisch. Nein, für so viele hatten sie nichts. Und 5 Brote und 2 Fische, die ein Junge dabeihatte, würden wohl auch nicht reichen. Ihr Rat war, die Versammlung zu beenden und die Leute schnellstens nach Hause zu schicken. Doch Jesus ließ nicht locker, er nahm die 5 Brote und 2 Fische, er dankte und brach sie, verteilte sie - und sie reichten. Die Jünger konnten das Brot und den Fisch verteilen, alle wurden satt und 12 Körbe blieben sogar noch übrig.

Diese Erzählung aus dem Leben Jesu scheint heute weit weg zu sein. Doch sie beschreibt genau das, was sich immer wieder ereignet, wenn Christen zusammenkommen. Jesus steht im Zentrum. Er verteilt das Brot. Die Jünger, also seine Gemeinde, stehen erst ungläubig, zumindest kleingläubig daneben. Sollte das Wunder wirklich geschehen? Doch dann helfen sie austeilen und müssen im Nachhinein staunend feststellen: Es hat wirklich gereicht! Die Mitte ist entscheidend. Jesus steht im Zentrum, viele Gemeinden scharen sich um ihn, aber er teilt aus. Es geht nicht um Addition: Wir werfen alle Kirchen und Gemeinden in einen Topf und die Einheitsgemeinde entsteht, die alle Unterschiede verwischt. Es geht aber auch nicht um Subtraktion: Alles Trennende wird verschwiegen und wir gehen mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner an die Öffentlichkeit. Bei Jesus geht es um seinen Auftrag, der uns eint. Sein Brot, das uns Leben gibt, sollen wir austeilen und dabei unsere Lehrunterschiede und unsere unterschiedlichen Traditionen ins zweite Glied rücken lassen. Wo wir zum Zeugnis herausgefordert sind, geht es allein darum, ob wir Jesu Gute Nachricht anderen weitergeben.

In der Vorbereitungszeit auf unseren Stadtkirchentag sind wir oft in der Position der Jünger gewesen. Wir waren kleingläubig, auch ich gehörte zu den Kleingläubigen. Haben wir uns nicht zu viel vorgenommen? Werden wir paar Leute in der Vorbereitungsgruppe einem ganzen Ort Brot des Lebens weitergeben können? Reicht unsere Kraft dazu aus? Wir waren auch - wie schon die Jünger - uneins. Wir brauchten lange um zu verstehen, was Leute von heute brauchen. Wir rangen um Einfluss, hofften aber auch auf dem Beobachterposten zu bleiben und die anderen machen zu lassen. Wie die Jünger waren wir verschieden von unserer Herkunft, unserer Prägung und unseren Erwartungen. Und jetzt hörten wir die Herausforderung Jesu, sein Brot in Bad Soden auszuteilen und an ein Wunder aus seiner Hand zu glauben. Das war eine sehr persönliche Herausforderung, die nach dem Verhältnis zu Jesus Christus fragte. Unsere Mitte konnten wir nur finden im Vertrauen zu Jesus Christus. Daraus wuchs das Vertrauen zu den andern, die mit unterwegs sind. Es waren bewegende Momente, in denen wir spürten: die Liebe zu Jesus Christus erfüllte uns, gab uns Mut, aber auch Kraft zur Versöhnung.

Was ist aus dem Wunder der Brotvermehrung geworden? Man könnte sagen, es sind Gemeinden entstanden, Gemeinden, die vom Brot Jesu lebten und im Vertrauen auf Gott ihre Mitte erfuhren. Paulus schrieb Briefe an solche Gemeinden. Leider keine direkten Kommentare zu Stadtkirchentagen, aber in ganz ähnliche Situationen hinein. Er wollte mit seinen Briefen die Gemeinden ermutigen, Jesu Brot zu verteilen. Wie schon im Jüngerkreis lebten in den Gemeinden ganz unterschiedliche Gruppierungen, die sich auch in ihren Lehrmeinungen unterschieden. So waren die Gemeinden damals schon ein ganz gutes Spiegelbild unserer Kirchenvielfalt heute. Paulus legte in seinen Briefen durchweg die Betonung auf die Einheit der Christen. Er setzte die Verkündigung Jesu fort. Die Gemeinde Philippi war wohl Paulus´ Lieblingsgemeinde. Als er ihr einen Brief schrieb, war er in Gefangenschaft in Ephesus. Von den Christen da berichtete er Ernüchterndes: Die andern kümmern sich alle nur um ihre eigenen Angelegenheiten und nicht um Jesus Christus und seine Sache (Philipper 2,21); sie verbreiten die Botschaft von Christus in unehrlicher und eigennütziger Absicht (Philipper 1,17). Und in seinem Brief an die Philipper kommt deutlich zum Ausdruck, dass Paulus mit diesen Negativbeispielen abschrecken möchte, nicht genau so zu werden. Deutlich wird das in Philipper 2,1-4:
Bei euch gibt es doch das ermutigende Wort im Auftrag von Christus; es gibt den tröstenden Zuspruch, der aus der Liebe kommt; es gibt Gemeinschaft durch den Heiligen Geist; es gibt herzliches Erbarmen. Dann macht mich vollends glücklich und habt alle dieselbe Gesinnung, dieselbe Liebe und Eintracht! Verfolgt alle dasselbe Ziel! Handelt nicht aus Selbstsucht oder Eitelkeit! Seid bescheiden und achtet den Bruder oder die Schwester mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern an den der anderen, jeder und jede von euch!

Das könnte wie eine schwere Last wirken, die wir da mit der Gemeinde in Philippi aufgebürdet bekommen. Dieselbe Gesinnung, Liebe, Eintracht, dasselbe Ziel... Gehört es nicht zu uns Menschen, dass wir uns von anderen unterscheiden? Dass wir den eigenen Standpunkt finden? Dass wir auch auf Distanz gehen, wenn Eintracht zerbrochen ist? Ist das beschriebene Verhalten nicht nur noch ein romantisches Ideal? Denn mal ehrlich, können wir das so in der Familie leben, auch mit Tante Hulda und Onkel Ottokar? Können wir das dauerhaft in der Freundschaft leben? Gar in unserer Kirchengemeinde? Wie soll das dann in der Ökumene noch funktionieren? Doch Paulus fügt sein eigentliches Vorwort zu den Verhaltensregeln erst am Schluss an. Er zitiert in den nächsten Sätzen ein altes Christuslied (Philipper 2,5-9). Das Lied besingt Jesus, wie er von Gott gekommen ist, unser menschliches Wesen auf sich genommen hat, es bis in den Tod mit allen Konsequenzen durchlitten hat, von Gott, dem himmlischen Vater auferweckt wurde und nun bei Gott ist, der Geringste hat alle Macht der Welt. Von diesem Christuslied her wird klar, es geht nicht um moralisches Wohlverhalten, sondern beim Miteinander im tiefsten Sinne um Glauben und Vertrauen. Mit Jesus im Bunde zu sein bedeutet, von ihm die Kraft zu bekommen, wie er zu leben. So sind die Stichworte des Paulus auch gar nichts Besonderes mehr. Ein ermutigendes Wort, ein tröstender Zuspruch, Gemeinschaft durch den Heiligen Geist, herzliches Erbarmen - das und noch viel mehr hat Jesus uns vorgelebt und legt es in unsere Hände - wie bei der Brotvermehrung.

Und doch hören wir bei Paulus eine leichte Sorge heraus, ein unausgesprochenes Fragezeichen. Bei euch gibt es doch? Es gibt doch?... Selbstverständlich war es auch in der Lieblingsgemeinde nicht. Deshalb brauchen auch wir nicht rot zu werden, wenn wir uns mit den Verhaltensregeln ertappt fühlen. Natürlich, ein ermutigendes Wort im Auftrag von Christus, ein tröstender Zuspruch, der aus der Liebe kommt, Gemeinschaft im Geist und herzliches Erbarmen, das haben wir hoffentlich hier alle schon einmal erlebt. Das macht es aus, warum wir uns zur Gemeinde zählen und für diese Gemeinde auch etwas einsetzen. Aber es ist kein Dauerzustand und wir haben die Stichworte auch nicht griffbereit in Schubladen liegen. Als Jesus die Leute damals satt gemacht hatte, wollten sie ihn festhalten. Er schien ihnen ein Brotautomat, der ihre Existenz auf Dauer sichern konnte. Jesus entzog sich ihnen. Er wollte nicht ihr Brotkönig sein. Er wollte ihr Heiland sein, der sie an Leib und Seele heil machte und sie in Gottes Gegenwart brachte. Die ermutigenden Worte, die liebevollen Beziehungen, sie sind Gabe Gottes, aber nicht ohne ihn frei verfügbar. Jesus legt uns diese Gaben in die Hand und erst mit ihm werden sie zu Brot des Lebens. An dieser Stelle müssen wir innehalten und uns überprüfen, ob wir in dieser engen Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus leben, ob wir bereit sind, unsere Hände zu öffnen und seine Gaben in Empfang zu nehmen. Vielleicht liegt es uns näher, selbst mit unseren Händen das Brot des Lebens zu erschaffen. Wir werden scheitern und unseren Hunger nach Sinn im Leben nicht stillen können.

Paulus gibt sich mit diesen Gaben Gottes noch nicht zufrieden. Er weist hin auf Einheit und Achtung voreinander. Erst in der Einheit wird sichtbar, dass Jesus Christus das Herz ist. Alles strebt zu ihm und kommt von ihm, unsere Pläne werden mit ihm besprochen und verwirklicht, unsere Aufgaben bekommen wir von ihm, unsere Kraftquelle ist er. Gemeinschaft entsteht, weil wir an den Blutkreislauf Gottes angeschlossen sind und Jesus Christus unser Herz ist. Aus dieser Einheit wächst die Achtung voreinander. Wir sind wirklich Gleiche unter Gleichen und sterben ab, wenn wir vom Herz getrennt sind. Das gilt es immer wieder durchzubuchstabieren, gerade da, wo wir nicht einer Meinung sind, nicht gleich begabt sind, nicht die gleichen Anschauungen vertreten. Das kann dann auch unser Gespräch zwischen unterschiedlichen Konfessionen bestimmen, dass keiner von uns die Wahrheit gepachtet hat, aber wir alle immer wieder auf die Wahrheit in Jesus Christus angewiesen sind.

Unser "Kirchenvater" John Wesley (1703-1791) John Wesleyhatte das aus der Bibel erkannt. Er pflegte in großer Offenheit Gemeinschaft mit Christen aus allen Kirchen. Dazu schrieb er in seiner kleinen Schrift "Der Charkter eines Methodisten": "Ist dein Herz richtig wie mein Herz mit deinem Herzen? Ich stelle keine weitere Frage. Ist dem so, dann gib mir die Hand! Lasst uns nicht um bloßer Meinungen und Worte willen das Werk Gottes zerstören. Liebst du Gott und dienst du ihm? Das genügt; ich reiche dir die rechte Hand der Gemeinschaft. "Ist nun bei euch Ermahnung in Christo, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit", so lasst uns einmütig kämpfen für den Glauben des Evangeliums.

Unser Beitrag zum christlichen "Markt der Möglichkeiten": Wir haben Brot zu verteilen, dass unsere Mitmenschen brauchen. Wir sind angewiesen darauf, dass Jesus es uns gibt. Wir brauchen die anderen, die auch verteilen. Jesus beauftragt sie genauso wie uns. Wir können diese Aufgabe in Achtung voreinander erfüllen, weil Jesus zu uns Menschen gekommen ist und keiner und keine zu gering erachtet hat, ihm oder ihr das Leben zu schenken. Als Gemeinde können wir Jesus vertrauen, dass er uns in der Gemeinschaft der Christen Brot des Lebens in die Hand gibt und wir es unseren Nachbarn vor Ort weitergeben können - das Wunder der Brotvermehrung - warum nicht beim Stadtkirchentag in Bad Soden oder anderswo?

Haben wir uns neu aus Gottes Wort ermutigen lassen, Jesus zu vertrauen, dass er uns als seine Nachfolgerinnen und Nachfolger Brot in die Hand gibt, möchte ich in der nächsten Predigt mit Ihnen dieses "Brot des Lebens" genauer betrachten. Was haben wir denn da von Jesus in die Hand gedrückt bekommen, was lohnt weitergegeben zu werden?

Bibeltexte, auf die in der Predigt Bezug genommen wurde:

Johannes 6,1-15

Danach fuhr Jesus über den See von Galiläa, der auch See von Tiberias heißt. Eine große Menge Menschen folgten ihm, weil sie seine Wunder an den Kranken gesehen hatten. Jesus stieg auf einen Berg und setzte sich mit seinen Jüngern. Es war kurz vor dem jüdischen Passafest. Jesus blickte auf und sah die Menschenmenge auf sich zukommen. Er wandte sich an Philippus: "Wo können wir Brot kaufen, damit alle diese Leute zu essen bekommen?" Das sagte er, um Philippus auf die Probe zu stellen; er selbst wusste schon, was er tun würde. Philippus antwortete: "Wir müssten für über zweihundert Silberstücke Brot kaufen, wenn jeder auch nur eine Kleinigkeit bekommen sollte." Andreas, ein anderer Jünger, der Bruder von Simon Petrus, sagte: "Hier ist ein Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was hilft das bei so vielen Menschen?" "Sorgt dafür, dass die Leute sich setzen", sagte Jesus. Es gab viel Gras an dem Ort. Sie setzten sich; allein an Männern waren es ungefähr fünftausend. Jesus nahm die Brote, sprach darüber das Dankgebet und verteilte sie an die Menge. Mit den Fischen tat er dasselbe, und alle hatten reichlich zu essen. Als sie satt waren, sagte er zu seinen Jüngern: "Sammelt die Brotreste auf, damit nichts verdirbt." Sie taten es und füllten zwölf Körbe mit den Resten. Soviel war von den fünf Gerstenbroten übriggeblieben. Als die Leute das Wunder sahen, das Jesus vollbracht hatte, sagten sie: "Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll!" Jesus merkte, dass sie drauf und dran waren, ihn mit Gewalt zu ihrem König zu machen. Deshalb zog er sich wieder auf den Berg zurück, ganz für sich allein.

Philipper 2,5-11

Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt hat: 
Er war in allem Gott gleich,
und doch hielt er nicht gierig daran fest,
so wie Gott zu sein. 
Er gab alle seine Vorrechte auf
und wurde einem Sklaven gleich.
Er wurde ein Mensch in dieser Welt
und teilte das Leben der Menschen. 
Im Gehorsam gegen Gott
erniedrigte er sich so tief,
dass er sogar den Tod auf sich nahm,
ja, den Verbrechertod am Kreuz. 
Darum hat Gott ihn auch erhöht
und ihm den Rang und Namen verliehen,
der ihn hoch über alle stellt. 
Vor Jesus müssen alle auf die Knie fallen -
alle, die im Himmel sind,
auf der Erde und unter der Erde; 
alle müssen feierlich bekennen:
"Jesus Christus ist der Herr!"
Und so wird Gott, der Vater, geehrt.
Cornelia Trick


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