Trau dich! (Matthäus 14,22-33)
Gottesdienst am 1.9.2019 in Brombach

Liebe Gemeinde,
am 18.August stiegen wir bei Sonnenschein in den Bus in Darmstadt, als es plötzlich buchstäblich aus heiterem Himmel anfing zu schütten. Die Welt um uns versank in Wasserfontänen, der Bus tastete sich nur noch durch den Verkehr und fuhr am Bahnhof so nah ans Gebäude wie möglich. Trotzdem waren wir nach 20 Schritten durchnässt. Am Bahnhof angekommen ging nichts mehr, die Bahnstrecke Richtung Frankfurt blieb gesperrt, wir mussten einen langen Umweg nehmen.

Seestürme, von denen die Bibel immer wieder berichtet, erleben wir hier nicht, aber solch ein Unwetter, das Bahngleise unpassierbar macht und Dächer abdeckt, haben wir gerade in unserer Nähe gehabt. Man fühlt sich hilflos ausgeliefert, kann sich nicht wehren, hat keine Kontrolle mehr und findet unter Umständen innerhalb von Sekunden nichts mehr, wie es vorher war.

Die zwölf engsten Freunde von Jesus erlebten auf dem See Genezareth im Norden Israels ein solches Unwetter. Die Szene lädt uns ein, mit ihnen ins Boot zu steigen, denn da sind noch freie Plätze für uns:

Matthäus 14,22-33
Sofort danach drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen. Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren. Er selbst wollte inzwischen die Volksmenge verabschieden. Nachdem er die Volksmenge verabschiedet hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Als es dunkel wurde, war er immer noch alleine dort.
Das Boot war schon weit vom Land entfernt. Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen, denn der Wind blies direkt von vorn. Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern. Er lief über den See. Als die Jünger ihn über den See laufen sahen, wurden sie von Furcht gepackt. Sie riefen: »Das ist ein Gespenst!« Vor Angst schrien sie laut auf. Aber sofort sagte Jesus zu ihnen: »Erschreckt nicht! Ich bin es. Ihr braucht keine Angst zu haben.«
Petrus antwortete Jesus: »Herr, wenn du es bist, befiehl mir, über das Wasser zu dir zu kommen.« Jesus sagte: »Komm!« Da stieg Petrus aus dem Boot, ging über das Wasser und kam zu Jesus. Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war und bekam Angst. Er begann zu sinken und schrie: »Herr, rette mich!« Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest. Er sagte zu Petrus: »Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?« Dann stiegen sie ins Boot – und der Wind legte sich. Und die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder. Sie sagten: »Du bist wirklich der Sohn Gottes!«

Mit dem Boot von einem Ufer des Sees zum anderen zu fahren, war für die Jünger Alltagsgeschäft. Einige waren Fischer, sie kannten diesen See in- und auswendig. Allerdings ist der See bis heute bekannt dafür, dass Fallwinde aus den umgebenden Bergen plötzliche Stürme aufkommen lassen. Aus der Alltagsroutine wurde für die Jünger ganz überraschend ein Überlebenskampf. 

Solche plötzlichen Einbrüche erlebte eine Freundin von mir, als ihr Chef sie zu einem Dienstgespräch bat. Sie ging hin in der Annahme, er wolle ein neues Projekt mit ihr besprechen. Stattdessen überreichte er ihr schweren Herzens, wie er sagte, die betriebsbedingte Kündigung. 

Eine Frau, die ich beim Arzt traf, erzählte mir im Wartezimmer, wie eine Routineuntersuchung ihr Leben auf den Kopf stellte. Von heute auf morgen musste sie sich einer Krebserkrankung stellen, von der sie bis dato nichts geahnt hatte.

Ich hätte gerne das Matterhorn bestiegen, vielleicht hätten mir noch zwei Berg-Trainingswochen gefehlt. Aber dann kam anderes, und nun werde ich nie auf dem Matterhorn stehen. Kein Problem, aber es könnten ja auch drängendere Lebensträume sein, für die es ein Zu-Spät gibt.

Wasser- und Sturmwände können in vielen Variationen auf uns zurollen, von einem Augenblick auf den anderen oder manchmal auch mit Ansage. Was können wir tun?

Es gibt Überlebensstrategien in solchen Zeiten:

  • Sich tot stellen. Manchmal meinen wir, wenn wir uns nicht bewegen, werden wir die Situation schon überstehen. Mehr als „nass“ werden können wir ja nicht. Wir lassen das Unheil kommen und über uns hinwegrollen. Nur dumm, wenn es uns wegspült, wir die kleine Chance verpassen, uns dem Unheil entgegenzustellen oder den Ausweg zu finden.
  • Wegrennen. Die Jünger saßen in einem Boot, sie konnten nicht wegrennen, aber panisch wegrudern. Nur wohin? Wo war der Ausweg? So geht es uns ja auch, wenn wir in wilden Aktionismus verfallen und uns dadurch manchmal noch tiefer in die Not hineinmanövrieren.
Von den Jüngern wissen wir nicht, ob sie wie gelähmt auf die Wetterwand starten oder panisch ruderten. Doch müssen sie sich verlassen gefühlt haben. Jesus, dem Wind und Wellen gehorchten, war nicht bei ihnen. Er war zurückgeblieben, um eine Auszeit mit Gott zu haben. Und nun waren sie allein. Warum jetzt? Was sollte das? Fragen, die ich mir auch stelle, wenn Wetterwände des Lebens über mir hereinbrechen.

Doch Jesus lässt seine Leute nicht allein. Er kommt ihnen auf dem Wasser entgegen. Interessanterweise ist diese Szene in allen Jesus-Filmen, die ich bis jetzt angeschaut habe, festgehalten. „Jesus läuft über das Wasser“ steht dabei für:

  • Jesus begegnet mit überraschend anders.
  • Jesus ist selbst da, wo er eigentlich gar nicht sein kann.
  • Jesus hält nichts auf, er will mir überall nahe sein.
  • Jesus weiß, wann ich ihn brauche.
Für mich bedeutet sein Laufen über Wasser, dass ich nicht planen kann, wann und wie er mir oder anderen nahekommt. Aber er hört das Schreien in der Not. Er spricht zu: „Hab keine Angst! Ich bin da“. Obwohl der Sturm des Lebens anhält, lässt er nicht allein.

Meine Freundin hat es so erlebt. Sie konnte in den schweren Wochen und Monaten nach der Kündigung als Alleinverdienerin der Familie Jesus erfahren, wusste sich getröstet und geführt, nutzte die Zeit, um für sich zu klären, was nun für sie dran war. Und sie setzte neue Prioritäten, fand für sich Frieden und auch eine neue Arbeit – weniger herausfordernd und schlechter bezahlt, aber stimmiger für ihr Leben drumherum. Sie sagt heute, dass sie Jesus nie so intensiv kennengelernt hätte, wenn diese Zeit nicht gewesen wäre.

Elf Jünger blieben im Boot und warteten ab, was Jesus tun würde. Sie vertrauten Jesus wohl, dass er den Sturm zum Stillstand bringen konnte. So verhalte ich mich meistens. Ich vertraue Jesus, dass er meine Situation oder die von anderen ändern kann, und will ihm dabei zuschauen.

Einer der Jünger will Jesus näher erfahren. Ist es Abenteuerlust? Mut? Gottvertrauen? Ungeduld? Vielleicht von allem etwas. Jedenfalls läuft Petrus nicht blind los, sondern wartet auf Jesu Ruf : „Komm!“ Und Jesus ruft Petrus. Er fordert ihn auf, den ersten Schritt aus dem Boot zu machen, ins kalte Wasser zu springen, sich nicht erst allmählich mit dem Element anzufreunden, wie wir es beim Baden in kaltem Wasser tun sollten.

Ich persönlich finde mich in Petrus eher nicht wieder. Ich bin zu ängstlich, eigentlich auch nicht so neugierig und abenteuerlustig. Ich sitze eher bei den anderen Elf, fühle mich auch in ihrer Gemeinschaft sicherer als allein in den Fluten.

Doch eigentlich wäre ich lieber Petrus. Der hatte doch eine krasse Glaubenserfahrung. Als er die Wellen sah und wohl doch Angst bekam und sank, spürte er Jesu Hand und fühlte seinen Zug, der ihn nach oben brachte. Jesus hielt ihn fest, als klar war, dass er sich allein nicht halten konnte, dass sein Glaube nicht ausreichte und sein Vertrauen zu klein war.

Anders als er es wohl vorher dachte, war er so Jesus ganz nahegekommen. Er hatte getestet, dass Jesus ihn hielt, obwohl er selbst nichts dazu tun konnte. Er hatte erfahren, dass Jesus krisenfest ist und sich durch seinen Kleinglauben nicht abschrecken ließ.

Die Jünger waren im Boot geblieben. Sie hatten die Zuschauerrolle. Und am Ufer, an dem sie dann irgendwann angekommen sind, finden wir noch eine weitere Gruppe von Menschen, Zuschauer der 2.Generation, die nicht mit auf dem See waren, aber von den Jüngern erfuhren, wie es ihnen gegangen ist. Die vielleicht neugierig geworden sind, mehr von Jesus zu hören. Die ihre Kranken zu ihm brachten in der Hoffnung, dass er auch diese Stürme stillen konnte und die Hand der Kranken festhielt, um sie zurück ins Leben zu ziehen.

Wo bin ich – sind Sie in dieser Geschichte? Wo will ich in Zukunft sein?

Ich bin eine im Boot, ich bin in Krisen dabei, ich schaue zu, wie Jesus begegnet und hilft, und ich liebe es, den Leuten am Ufer von diesen Erlebnissen und Jesus-Erfahrungen auf dem See des Lebens zu erzählen. 

Ich möchte gerne öfter Petrus werden. Ich möchte Jesus bitten, mich herauszufordern in unbekannte Gebiete. Ich möchte mutig den ersten Schritt über die Bootswand setzen und darauf vertrauen, dass Jesus mich auch wieder aus dem Wasser fischt, wenn mein Blick zu den Wellen geht, statt bei ihm zu bleiben. Ich möchte durch solche Erfahrungen gestärkt mutiger das Leben anpacken und gewisser leben – nichts kann mich aus Jesu Hand reißen.

Jesus und der Seesturm ist eine Mutmach-Geschichte fürs Leben. Wir sind nicht Opfer der Stürme. Wir müssen nicht in unseren Nussschalen sitzenbleiben. Jesus ist unerwartet für uns da, und er hilft uns aufzustehen. Wir können über scheinbare Sicherheits-Bootswände klettern und uns mit ihm den Herausforderungen unseres Lebens stellen – bei der Arbeit, in unseren Beziehungen, mit unseren Arzt-Diagnosen, im Blick auf die politische Lage in der Welt, in Europa und in unserem Land und sogar auf die Zukunft unseres Planeten.

Auf dass wir mit den Freunden Jesu staunen können: „Du bist wirklich der Sohn Gottes“.

Cornelia Trick


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