Tage der Entscheidung (Matthäus 21,12-17)
Gottesdienst am 13.04.2014 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in einem Museum in Colmar/Elsass sah ich einen Palmesel auf Rollen. Er wurde offensichtlich auf einer Prozession durch die mittelalterliche Stadt gezogen, um an Jesu Einzug in Jerusalem zu erinnern.

Stellen wir uns vor, wie damals hinter diesem Esel herzulaufen. Wir würden im Gehen automatisch unseren eigenen Ort im Geschehen finden. Bin ich eine, die bei der jubelnden Menge ist, die Jesus von Galiläa her gefolgt ist? Habe ich mit Jesus viel erlebt und bin deshalb begeistert über seine Hilfe und Nähe? Kann ich mir vorstellen, dass es mit Jesus einen Siegeszug geben wird?

Oder bin ich eher bei den verschreckten Leuten aus Jerusalem? Bin ich verwirrt, weil Jesus anders ist, als ich ihn gerne hätte? Spüre ich, dass er Einfluss auf mein Leben hat, ich aber eigentlich mein eigener Chef bleiben will? Ist mir diese dritte Dimension fremd, die mit Jesus in mein Leben treten könnte?

Wir ziehen heute nicht in einer Prozession hinter dem Palmesel her. Doch in Gedanken können wir diesen Gang nachgehen. Vielleicht ändert sich unser Ort im Geschehen.

Jesus bringt die Entwicklung ins Rollen. Er bricht mit seinen Jüngern aus der Komfort-Zone in Galiläa auf. Ab jetzt ist er unterwegs zur Stadt der Entscheidung, Jerusalem. Das Matthäusevangelium betont in seiner Darstellung der Ereignisse besonders Jesus Vollmacht. Er handelt als Herrscher, seine Untergebenen füllen widerspruchslos seine Befehle aus. Der Herrscher reitet allerdings nicht auf einem Schlachtross, sondern auf einem Esel, dem Gegenbild eines weltlichen Machthabers. Jesus ist bei den Niedrigen. Er ist in friedlicher Mission unterwegs, sein Wesen ist sanft und freundlich, all dies signalisiert er durch den Eselsritt. Es wäre vielleicht zu vergleichen mit einem Wladimir Putin, der auf einem Fahrrad auf die Krim radelt statt mit Panzern und Truppen.

Viele Menschen hatten sich inzwischen um Jesus gesammelt. Sie hatten seine Wunder erlebt und erhofften sich von ihm einen Umsturz. Endlich würde er die Besatzermacht Rom vertreiben und die alte Ordnung wiederherstellen. Für diese Leute war das Bild von Jesus auf dem Esel stimmig. Sie hatten Jesu Vollmacht erlebt durch Heilungen, Brot und seine Verkündigung. Sie erfuhren seine Freundlichkeit und Menschenliebe. Sie waren Zeugen, wie er sich besonders der Armen, Schwachen, Ausgegrenzten und Kinder annahm. Sie wollten, dass Jesus weiter für sie da war und ihre Bedürfnisse stillte.

Für die Machtelite in Jerusalem war sein Bild allerdings verstörend. War er nun Herrscher oder Hippie? War er von Gott bevollmächtigt oder ein Scharlatan? Sie erwarteten eindeutige Zeichen. Der Messias würde in Pracht und Glanz kommen, um seine politische Kraft zu demonstrieren. Jesu Erscheinung hingegen erschreckte sie, wie durch ein Erdbeben gerieten ihre Vorstellungen und Erwartungen durcheinander. 

In Jerusalem setzte Jesus seinen Weg fort und ging in den Tempel:

Matthäus 21,12-17

Und Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: »Mein Haus soll ein Bethaus heißen«; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus. Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und er heilte sie. Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen: »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«? Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

Die erschreckten Jerusalemer werden näher beschrieben. Die Tempelhändler machten ihre Geschäfte mit Opfertieren. Sie schlugen Profit aus dem geistlichen Leben der Gläubigen. Besonders erwähnt der Evangelist Matthäus die Taubenhändler. Tauben waren Opfertiere der Armen. Sogar mit den Armen machten diese Händler ihre Geschäfte, was Jesus besonders aufbrachte.

Die Pharisäer und Schriftgelehrten, die religiöse Führungsetage, wussten sich mit der Deutungshoheit der Geschehnisse ausgestattet. Ihr erwarteter Retter war kein armer Wanderprediger, der sich besonders der Benachteiligten annahm. Ihr Weltbild wurde hier massiv angegriffen, denn sie standen auf der Seite der Mächtigen, nicht auf der der Armen.

Eine andere Gruppe befand sich im Tempel, es sind Blinde und Lahme, die ihre Hilfe bei Gott suchten. Jesus sah sie und ihre Not und heilte sie. Zusammen mit Kindern, die ebenfalls dort waren jubelten sie über die erfahrene Hilfe des Retters. 

Diese Szene zeigt die Bedeutung von Jesus. Seine Mission ist, Menschen zu heilen, sie in die ursprüngliche Beziehung zu Gott zurück zu bringen. Er kümmert sich um die, die in dieser Welt keine Stimme haben, und richtet sie auf. Er widerspricht denen, die mit dem Glauben an Gott eigene Interessen verfolgen, sich Einfluss, Macht und Vorteile versprechen. Er widerspricht einem Haus Gottes, das nicht von Gottes Geist erfüllt ist, sondern in dem sich menschliche Kleingeister tummeln.

Zurück zu unserer Palmsonntag-Prozession. Laufe ich mit denen, die mit Jesus etwas erlebt haben? Singe ich Hosianna? Und was passiert nach Palmsonntag? Wenn die Erfahrungen ausbleiben, Leid meine Seele bedrückt, wenn ich enttäuscht werde von Christen und der Gemeinde? Bleibe ich bei Jesus oder rufe ich „Kreuzige ihn“? Hallt mein Jubel nach, und übersteht er auch die Durststrecken des Glaubens?

Ist mein persönlicher Ort bei den Händlern, den Pharisäern und den Schriftgelehrten? Wir haben ja hier eher eine Nähe zu Jesus, sonst würden wir uns gar nicht mit Themen des Glaubens auseinandersetzen. Aber es gibt Spielarten dieser Gruppe, die vielleicht doch nicht ganz fremd sind. Habe ich Vorstellungen von Jesus, die gar nicht mit ihm übereinstimmen? Vor einigen Tagen las ich über die Mafia. Mafiabosse sind durchaus sehr religiös, gehen regelmäßig zur Messe und pflegen enge Beziehungen zur Kirche. Sie zahlen und versuchen sich dadurch von ihrer Schuld freizukaufen. Ein lohnendes Geschäftsmodell auch für die Kirche. Die Mafia biegt sich ihren Jesus zurecht, dass er zu ihrem Weltbild passt. Und wir? Erwarten wir auch, dass Jesus uns über den Kopf streichelt und sagt: Was du tust ist immer super, nur zu? Und wenn es mal nicht so gut ist, bekommst du gleich die Kontovollmacht Gottes, dass aller Schaden gleich behoben wird?

Gerade lese ich ein Buch über eine Untersuchung zu Jungen Erwachsenen, die ihren Glauben an Gott verloren haben. In diesem Buch bekommen wir kirchlich Engagierten einen Spiegel vorgehalten, der weh tut. Die jungen Menschen berichten von geistlichem Zwang in ihren Gemeinden, von Heuchelei und intellektuellem Betrug. Was ist das geschehen? Haben Gemeinden sie instrumentalisiert, um geistliche Erfolge zu feiern? Haben Gemeindeleute nicht hingehört, was diese jungen Menschen wirklich beschäftigte? Haben sie Programme durchgezogen, statt Jesus Raum zum Wirken zu geben? Viele Fragen, die uns nachdenklich machen können. Ja, so ganz fern sind die Jerusalemer uns nicht.

Wo stehe ich heute? Vielleicht mit einem Bein in jeder der beiden Gruppen. Jesus ist zu den Blinden, Lahmen und den Unmündigen gekommen. Ihnen gilt bis heute seine Sendung. Wir sind als Gemeinde in diese Sendung mit hineingenommen. Hier erfahren wir den Gekreuzigten und Auferstandenen, der mit uns ist.
Wir können Jesus den Raum vorbereiten, dass er zu uns kommt und heilen kann. Wir können Jesus die im Gebet bringen, die seine Liebe brauchen. Wir können ihn hier willkommen heißen und darauf warten, was er in unserer Mitte tut. 

Cornelia Trick


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