Gottesdienst am 25.12.2011
Liebe Weihnachts-Gemeinde,
bei Gebutstagsfeiern war
es in meiner Herkunftsfamilie üblich, Dias vom Geburtstagskind anzusehen.
Begonnen wurde mit den Babybildern, und so ging es weiter bis in die Gegenwart.
Dabei erzählten wir uns die Geschichten von damals, bekräftigten
die guten Erlebnisse und nahmen Schwung für das neue Jahr.
Heute feiern wir Jesu Geburtstag.
Es gibt keine Dias von seinem Leben, aber die Evangelisten haben Jesus
so farbenfroh beschrieben, dass wir uns auf ihre Bilder heute einlassen
können. Als roten Faden wähle ich zu diesem Anlass das Wort „sehen“.
Wie wurde Jesus von seinen Zeitgenossen gesehen? Was konnten sie an ihm
entdecken und was nicht? Und was sehen wir heute? Diesen Fragen gehen wir
nun nach.
Die Hirten auf dem Feld
vor Bethlehem
Wie eine Geburtsanzeige verkündet
der Engel den Hirten in der Weihnachtsnacht, dass Jesus geboren ist. Er
kündigt an, dass seine Geburt Freude für das ganze Volk bedeutet,
denn er ist der erwartete Retter. Er steht in Kontinuität des Königshauses
David und wird der Welt Frieden bringen. Die Hirten, aufgewühlt durch
Engel und Engelchor, reagieren auf die Geburtsanzeige: „Lasst
uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen
ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ (Lukas
2,15) Für sie ist klar, dass es Gott selbst ist, der ihnen die
Ankunft des Retters verkündet hat. Diesen Retter wollen sie mit eigenen
Augen sehen.
Die Krippenszene
Was sehen die Hirten, als
sie den Stall von Bethlehem erreichen? Ein Baby, so arm wie sie selbst,
liegt in einer Futterkrippe. Aber sie sehen auch die Verheißung über
diesem Kind. Es sollte ein großer König werden, ein Friedefürst
für das Volk. Die Hirten konnten sich den König wohl nur als
politischen Herrscher vorstellen. Frieden bedeutete damals, von den Römern
befreit zu werden und die politische Stärke des Davidreichs zurück
zu bekommen. Dass Jesus Frieden zwischen Gott und Menschen schaffen würde,
ganz ohne politische Macht, war nicht in ihrem Vorstellungshorizont. Sie
sahen Jesus, aber verstehen konnten sie ihn noch nicht. Und doch erzählten
sie schon damals allen von Jesus: „Als sie
es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem
Kinde gesagt war.“ (Lukas
2,17)
Jesu Kreuzigung auf Golgatha
Wir machen einen großen
Sprung über 30 Lebensjahre Jesu. Vor allem von den letzten drei Jahren
kennen wir viele Begegnungen, bei denen Menschen Jesus gesehen hatten.
Manche, vor allem die Armen, Kranken und Mittellosen, hatten ihn als Retter
der Welt erkannt. Manche hatten nichts anderes in ihm gesehen, als einen
Aufrührer, Gotteslästerer und Hochstapler. Am Tag seines Todes,
als Jesus auf Golgatha gekreuzigt wurde, berichtet uns der Evangelist Lukas
von seinen letzten Worten: „Vater, vergib
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Einige verfolgten das Geschehen: „Es standen
aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa
nachgefolgt waren, und sahen das alles.“ (Lukas
23,49) Was sahen die Bekannten und Frauen? Jesus versöhnte seine
Gegner mit Gott, den er Vater nannte. Er bat stellvertretend für sie
um Vergebung. Er hat durch seinen Tod stellvertretend ihre Schuld abgetragen
und diese Verbrecher vor Gott gebracht, sie ihm ans Herz gelegt. Doch er
war tot. Sein Lebenswerk schien abgeschlossen. Eine Zukunft gab es nicht.
Die Emmausjünger
Zwei Jünger wandten sich
von Golgatha ab und gingen Richtung Emmaus. Sie sahen in ihrer Trauer und
Enttäuschung nichts. Sie erkannten auch den Auferstandenen nicht,
der sich zu ihnen gesellte und ihnen erklärte, warum Jesus nach den
Verheißungen der Bibel sterben musste. Erst als Jesus das Brot brach
und sie einlud, mit ihm zu essen, erkannten sie ihn: „Da
wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn.“
(Lukas 24,31)
Erst nach Jesu Auferstehung kam zum Sehen das Erkennen. Jesus ist wirklich
Retter der Welt. Er ist nicht ein politischer König, wie es wohl die
Hirten in Bethlehem erwarteten, sondern ihm gehört die Welt. Er ist
Sohn Gottes, sein Tod ist Gottes Brücke zu den Menschen. Nichts muss
sie mehr trennen von Gott. Gott ist in seinem Sohn Jesus zu ihnen gekommen,
um sie zu erlösen. Alle, die sich von Jesus zu Gott einladen lassen,
sind durch Jesus Gottes Kinder und haben freien Zugang zum Vater.
Die Gemeinde Jesu
„Seht, welch eine Liebe hat
uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und
wir sind es auch!“ (1.Johannes
3,1) Wir als Weihnachtsgemeinde sehen, das Kind in der Krippe von Bethlehem
ist der Retter der Welt. In ihm wirkt Gottes Liebe. Wir stehen auch heute
anbetend vor der Krippe und werden uns aufs Neue bewusst, wie Jesus das
Leben jedes und jeder Einzelnen verändert hat. Er holt uns ab, um
uns zum Vater zu bringen. Der Graben der Sünde und des Todes ist überwunden.
Mit ihm werden wir Gemeinschaft bis in Ewigkeit haben. Gottes Kinder dürfen
wir heißen, wenn wir Jesus in unser Lebenshaus aufnehmen und ihn
unser Leben bestimmen lassen. Er erfüllt uns mit Gottes Liebe, er
verbindet uns untereinander, und er gibt uns ein Lebensziel. Ihm wollen
wir immer ähnlicher werden, bis wir am Ziel sind und von Gott in der
Ewigkeit ihm gleich gestaltet werden.
Das Kind in der Krippe,
der Gekreuzigte und Auferstandene fordert uns zur Antwort auf. So können
wir seine Liebe bestärken. Er macht uns zu seinen Kindern - „Und
wir sind es auch!“. Das Sehen, Erkennen und
Bekennen verändert unser Leben als Weihnachtschristen auch heute.
Der Mediziner, Psychater,
Philosoph und Sprachwissenschaftler Markus Pawelzik wurde in der Wochenzeitung
„Die Zeit“ (49/2011) befragt, was seiner Ansicht nach die neue Volkskrankheit
„Burn-Out“ verursacht. Er nannte zwei kulturelle Orientierungen, die dazu
führen können, dass Menschen den Boden unter den Füßen
verlieren.
Als erstes führte
er einen irregeleiteten Individualismus an. Darunter versteht er, dass
jeder möglichst groß heraus kommen will, alles gut ist, was
noch grandioser macht und einen aus der Masse der Durchschnittlichen heraushebt.
Dabei werden tragende Beziehungen vernachlässigt, die in Belastungen
auffangen, Rückschläge und Enttäuschungen verarbeiten helfen.
Fehlen diese Beziehungen, und scheitert man an der hohen Messlatte, gibt
es kein Zurück. Man macht weiter wie bisher ohne Korrektur und rennt
sehenden Auges in die Katastrophe. Manche Casting-Show dieser Tage gibt
reiches Anschauungsmaterial für diese Thesen.
„Und
wir sind es auch!“ Kinder Gottes müssen
nicht groß herauskommen. Sie haben den Größten in ihr
Leben aufgenommen. Jesus gibt Selbstwert und Stärke, ganz unabhängig
von der Bewertung durch andere. Sein Ja gilt auch dann noch, wenn wir nichts
zustande bringen und uns blamieren bis auf die Knochen. Sein Ja gilt auch,
wenn wir merken, in einer Sackgasse angekommen zu sein. Und als unser Vater
führt er uns zurück und auf einen neuen Weg. Als Kinder Gottes
sind wir in eine Gemeinschaft mit Geschwistern gestellt. Sie sind Geschenk,
denn sie halten zu uns. Die Liebe Gottes bestimmt die Beziehungen untereinander.
Wenn etwas diesen irregeleiteten
Individualismus heilen kann, dann die Gemeinschaft der Kinder Gottes, die
Jesus in ihrer Mitte haben und durch ihn zu einer Gemeinschaft werden wie
damals die Hirten, Maria und Joseph an der Krippe.
Als weitere Orientierung
führt Markus Pawelzik den naiven Hedonismus, also das Streben nach
Lust und Vergnügen, an. Es ist, wie wenn jemand bunte Seifenblasen
einzufangen versucht. Sobald er sie berührt, zerplatzen sie, und er
muss wieder nach Neuen greifen. Das Problem ist nur, dass die Seifenblasen
bald langweilig werden, etwas Neues muss her, damit die Lust erhalten bleibt.
Und so bewegt man sich wie auf einem Laufband, das immer schneller wird
– nur ohne Knopf zum Anhalten. Der totale Zusammenbruch ist eine mögliche
Folge.
„Und wir sind es auch!“
Wenn wir Jesus sehen, wird uns bewusst, dass sich der Sinn unseres Lebens
nicht im Haschen nach Seifenblasen erschöpft, sondern dass unser Leben
von Jesus her eine andere Zielrichtung hat. Es geht nicht um uns und unser
Glücklichsein, unseren Spaß und unser Wohlbefinden. Es geht
um Jesus. Mit seiner Liebe will er uns erfüllen, so sehr, dass wir
davon abgeben können. So ist das Weihnachtsfest in besonderer Weise
ein „Liebe-Füll-Fest“. Es lädt uns ein zum Innehalten. Den Knopf
des Laufbandes unseres Lebens können wir drücken, denn wir werden
nichts verpassen. Das Glück liegt nicht in Seifenblasen, sondern in
Jesus, der in unserem Herzen Platz haben will. Und es ist an uns, ihm diesen
Platz heute und morgen wieder neu freizumachen.
Als Gemeinde stehen wir
heute an der Krippe. Wir sehen weiter als die Hirten damals. Wir sehen
weiter als die Frauen auf Golgatha. Wir sehen weiter als die Emmausjünger.
Wir haben erfahren, dass wir durch Jesus Gottes Kinder sein sollen – und
wir sind es auch. Was für eine Freude!
Die Vollendung
Ein letztes Bild schauen wir
uns heute bei dieser Geburtstagfeier an. Es ist keine Fotografie, sondern
ein Gemälde. Es berichtet nicht von der Vergangenheit oder Gegenwart,
sondern deutet vage auf die Zukunft. Auch dieses Bild berichtet vom Sehen.
Wenn Jesus wiederkommt und Gottes neue Welt beginnt, wird Gott in unserer
Mitte wohnen. Wir werden jederzeit zum Vater können, und der Vater
wird mit uns sein. So heißt es in der Offenbarung des Johannes: „Und
ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe
da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen,
und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird
ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren
Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei
noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen."
(Offenbarung
21,3-4)
Cornelia
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