Schwach und doch stark (2.Korinther 12,1-10)
Gottesdienst am 11.10.2020 in Brombach

Liebe Gemeinde,
nur noch wenige Kilometer trennten mich vor ein paar Wochen von zuhause, und ich freute mich schon auf leckeres Essen und den Feierabend. Der Alptraum begann 18 km vor meinem Ziel. Beim Abbiegen fing der Motor an zu stottern, ich gab Gas, aber nichts passierte. Doch das Auto bekam sich wieder ein und fuhr in gewohnter Weise ruhig weiter. Bis ich eine Bundesstraße erreichte und da schließlich quer als Linksabbiegerin stehenblieb. Schnell sammelten sich Autos um mich, die Fahrer gaben mir Ratschläge, und schließlich sprang das Auto auch an, eine Zitterpartie bis zur Werkstatt.

An dieses Erlebnis erinnerte ich mich beim Lesen des 2. Korintherbriefs. Viele Male bin ich mit dem in die Jahre gekommenen Auto ohne Probleme gefahren, selbstverständlich habe ich das genommen. Dieses eine Mal jedoch war nichts daran selbstverständlich, ich fühlte mich, als ob Jesus mit am Steuer saß und mich zum Ziel gebracht hatte.

Paulus war in eine schwierige Situation gekommen. Heftiger Gegenwind traf ihn aus seiner einst von ihm gegründeten Gemeinde. Ihm wurde vorgehalten, dass er zwar aus der Ferne inhaltsschwere Briefe schreiben konnte, aber sein Auftreten vor Ort schüchtern und kraftlos gewesen ist. Man bemängelte, dass er über keine besonderen geistlichen Erfahrungen berichtete und verdächtigte ihn, mit Spendengeldern nicht sorgsam umgegangen zu sein.

Paulus konnte die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen und schrieb der Gemeinde einen Brief unter Tränen. Aus jeder Zeile des Brieffragments, das in den Kapiteln 10-13 noch erhalten ist, springen Enttäuschung, Verletzung und der Wunsch nach Versöhnung ins Auge. Das ist Hintergrund des Abschnitts, den wir jetzt betrachten:

2. Korinther 12,1-10
Man muss wohl angeben, auch wenn es nichts bringt. Dann will ich jetzt auf Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn zu sprechen kommen. Ich weiß von einem Menschen, der zu Christus gehört. Der wurde vor vierzehn Jahren bis in den dritten Himmel emporgehoben. Ich weiß nicht, ob er sich dabei in seinem Körper befand. Genauso wenig weiß ich, ob er außerhalb seines Körpers war. Gott allein weiß es! Ich weiß, was mit diesem Menschen geschah. Wie gesagt: Ob es mitsamt seinem Körper geschah oder ohne seinen Körper, weiß ich nicht. Das weiß nur Gott allein. Ich weiß aber, dass er in das Paradies emporgehoben wurde. Dort hörte er unsagbare Worte, die kein Mensch aussprechen darf. Im Hinblick auf diesen Menschen will ich angeben. Aber im Hinblick auf mich selbst kann ich nur mit meiner Schwäche angeben. Wenn ich allerdings tatsächlich angeben wollte, würde ich mich damit noch nicht einmal zum Narren machen. Ich würde einfach nur die Wahrheit sagen. Ich verzichte aber darauf. Denn man soll mich nur nach dem beurteilen, was man direkt von mir sieht oder hört – auch wenn diese Offenbarungen wirklich außergewöhnlich sind. Aber damit ich mir nichts darauf einbilde, ließ Gott meinen Körper mit einem Stachel durchbohren. Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich wirklich nicht überheblich werde. Dreimal habe ich deswegen zum Herrn gebetet, ihn wegzunehmen. Aber der Herr hat zu mir gesagt: »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Denn meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung.« Ich gebe also gerne mit meiner Schwäche an. Denn dann kann die Kraft von Christus bei mir einziehen Deshalb freue ich mich über meine Schwäche – über Misshandlung, Not, Verfolgung und Verzweiflung. Ich erleide das alles für diese Kraft von Christus. Denn nur wenn ich schwach bin, bin ich wirklich stark. 

Im 7. Himmel
Aus der Erinnerung holt Paulus ein Geschehen hervor, das 14 Jahre zurückliegt. Er war damals ca. 40 Jahre alt gewesen. Handelte es sich um ein Nahtod-Erlebnis bei einem Tötungsversuch? Hatte er im Gebet eine besondere Offenbarung? Wenn er vom 3. Himmel spricht, entspricht das unserem geflügelten Wort vom 7. Himmel, die oberste Sphäre, so stellte man sich das damals vor, die dem Paradies entsprach. Ganz nah war er bei Gott und redete mit ihm. In Worte ließ sich das Gespräch nicht fassen. 

Meine Großmutter hatte in jungen Jahren aufgrund einer komplizierten Operation eine Nahtoderfahrung. Sie erzählte, wie sie sich in Licht gehüllt fühlte, ein unaussprechlicher Friede über sie kam. Sie berichtete, wie traurig sie war, wieder zurückgeholt worden zu sein, obwohl ein Baby sie dringend brauchte. Zu schön war es im Licht gewesen. Vielleicht hatte Paulus den 3. Himmel so ähnlich empfunden. 

Nun machen wir nicht alle Nahtoderfahrungen, doch diese ganz besonderen Erlebnisse lassen sich auch im Alltag wiederfinden. Es sind Momente, in denen wir glücklich sind und uns in Harmonie mit unserer Umgebung empfinden. Wo wir uns frei fühlen, am richtigen Platz und geliebt. Wo wir die ganze Welt umarmen könnten und alles Leid weit weg zu sein scheint.

Paulus spricht von sich in der 3. Person, als ob er sein eigener Zuschauer gewesen wäre. Damit bringt er zum Ausdruck, seinen Zustand nicht selbst herbeigeführt zu haben, nicht das handelnde Subjekt gewesen zu sein. Er wurde von Gott beschenkt.

Nach der Höhe die Talfahrt
Paulus wurde sehr schnell wieder geerdet durch einen „Stachel im Körper“. Wir wissen nicht, was er mit diesem Stachel meinte. War es eine körperliche Krankheit, war es seelische Erschöpfung? Vielleicht hilft seine offene Formulierung, damit wir uns alle darin wiederfinden können mit körperlichen und seelischen Schmerzen, der Not in schwierigen Lebensphasen. Egal um welchen Stachel es sich handelt, bewirkt er 

  • die Erkenntnis, noch nicht im Himmel zu sein,
  • Demut, weder die Höhe noch die Tiefe in der Hand zu haben,
  • zu ringen und zu kämpfen um das Leben.
Paulus erfuhr keine Gebetserhörung. Auch darin kann ich mich wiederfinden. So lange bewege ich schon Anliegen, und nichts tut sich. Um das Leben eines Menschen habe ich im Gebet gerungen, und doch ist er viel zu früh gegangen. 

Paulus hörte Jesus, wie er ihm antwortete. Jesus antwortet mit diesen Worten auch uns, gerade, wenn wir wie in einem Auto mit stotterndem Motor und zitternden Knien unterwegs sind und Angst haben, das Ziel nicht zu erreichen: „Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Denn meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung.“ (2. Korinther 12,9)

Diesen Satz möchte ich durchbuchstabieren:

Du brauchst nicht mehr…
Was braucht ein Mensch? Mir sind dazu 4 Bs eingefallen: Beziehungen, Behausung, Brot, Beschäftigung.
Was braucht ein Christ zusätzlich? Die Gegner von Paulus meinten, ekstatische Erfahrungen wären wichtig. Paulus sagt, Jesus ist wichtig, den er mit beiden Händen festhält und deshalb nichts anderes mehr fassen kann.

Als wir unseren Keller aufräumen mussten, um einer neuen Heizungsanlage Platz zu machen, mussten wir sortieren und ausmisten. An vielem hing das Herz, und wir bewegten es noch mal hin und her, ob wir uns wirklich z.B. von der Tischtennisplatte trennen sollten.

Jesus zu fassen, so empfinde ich es, ist ein ständiges Keller-Aufräumen. Immer wieder muss ich sortieren, wie meine Prioritäten sind, was meine Seele vermüllt und wie ich Jesus besser in den Blick bekomme.

Die Worte Jesu sind im Keller unseres Lebens wirksam, nicht wenn wir im 7. Himmel schweben. Jesus will nicht unsere Lebensfreude abwürgen, sondern uns ermutigen. Wenn wir krank sind, in Sorge, verzweifelt, dann wirkt Jesus, und unsere Hand greift nicht ins Leere.

… als Jesu Gnade
Leider wird Gnade nicht mit h geschrieben. Würden wir es als „Gnahde“ schreiben, wäre das Wort selbsterklärend. Gnade ist, wenn Gott uns nah ist, eben G-nah-de. Gott ist uns nahe gerade in den schmerzhaften und dunklen Stunden, die sich anfühlen, als hätten wir einen Stachel im Körper oder in der Seele.

Jesu Kraft kommt …
Über die Kraft denkt man meistens erst nach, wenn sie nicht ausreicht, so wie bei meiner Autofahrt neulich. Erst wenn das Gaspedal ins Leere geht, wird uns bewusst, dass wir sie brauchen.

Sind wir verzagt, verunsichert, ängstlich oder kleingläubig, raubt uns der Stachel alle Kraft. Dann schaltet sich Jesus mit seiner Kraft zu, weil seine Kraft in den Schwachen mächtig ist. Das können wir nicht im Voraus einplanen, uns noch nicht einmal im Vorhinein ausdenken, doch es geschieht. Paulus bezeugt es, und auch ich habe es so erlebt. Doch mit dieser besonderen Kraft Jesu ging es bei mir nicht unbedingt auf den Straßen weiter, die ich mir vorgestellt hatte. Jesus lenkte mich in seine Richtungen, nahm nicht nur den Motor, sondern auch das Steuer in die Hand.

… in der Schwäche voll zur Geltung
Am schwächsten Punkt kommt Jesus in unsere Ohnmacht. Seine Gegenwart macht aus der Endstation einen Wendepunkt und zeigt neue Wege. Er verändert uns, lässt uns bescheidener von uns und unseren Möglichkeiten denken und eröffnet Mitgefühl für die, die auch mit ihrer eigenen Kraft am Ende sind.

Was braucht der Mensch? Die 4 Bs könnten Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und kleiner Finger sein. Der wichtigste an unserer Hand ist der Daumen, Jesus, den brauchen wir, von ihm hängt ab, ob wir unser Leben in seinen widersprüchlichen Schattierungen anpacken können. Er schenkt Gnade durch seine Nähe, Kraft als Motor, wenn unserer ins Stocken gerät, Stärke, wo wir schwach sind.

Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (Lutherübersetzung 1984)

Cornelia Trick


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