Heil an Leib und Seele
Rundfunk - Morgenfeier im HR 1 am 12.03.2000

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
stellen Sie sich vor, Sie drehen gleich den WasserhahnWasserhahn voll auf, aber statt eines dicken Wasserstrahls kommen nur einzelne Tröpfchen. Vermutlich probieren Sie es noch einmal, gehen zu einem anderen Wasserhahn in der Wohnung, prüfen den Haupthahn im Keller, fragen die Nachbarn, ob bei ihnen Wasser kommt. Wenn bei den Nachbarn alles in Ordnung ist, bei Ihnen aber weiterhin nur Wassertröpfchen ankommen, werden Sie wahrscheinlich unruhig. Alles deutet darauf hin, dass es ein Leck in der Leitung gibt, irgendwo verborgen im Erdreich oder in der Wand. Zwar kommt das Wasser kräftig bis zur Leckstelle, versickert dann aber ungesehen und am Ende bleiben nur noch Tröpfchen übrig. Manchen Menschen geht es vermutlich wie einer solchen lecken Wasserleitung. Scheinbar haben sie alles, was sie brauchen. Doch sie spüren, dass ständig Lebenskraft entweicht und sie sich nicht mit voller Kraft voraus in den Alltag stürzen können. Auch einer Frau, der Jesus begegnet, geht es so. Sie ist für mich Anstoß, mit Ihnen darüber nachzudenken, dass Leckstellen uns Lebenskraft rauben, dass wir nach Heilung suchen und vor allem, dass wir sie finden können.

Jesus ist unterwegs in Galiläa. Eine große Menschenmenge umringt ihn. Der Chef der Synagoge kommt zu Jesus. Seine 12-jährige Tochter ist schwer krank. Er bittet Jesus "komm doch und lege deine Hände auf meine Tochter, damit sie gesund wird und lebt." Jesus geht mit. In diese Schilderung der Ereignisse verwoben ist die Begegnung Jesu mit einer seit 12 Jahren blutenden Frau. Ich lese Markus 5,24-34:
Eine große Menschenmenge folgte Jesus und umdrängte ihn. Es war auch eine Frau dabei, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt.  Sie war schon bei den verschiedensten Ärzten gewesen und hatte viele Behandlungen über sich ergehen lassen. Ihr ganzes Vermögen hatte sie dabei ausgegeben, aber es hatte nichts genützt; im Gegenteil, ihr Leiden war nur schlimmer geworden. Diese Frau hatte von Jesus gehört; sie drängte sich in der Menge von hinten an ihn heran und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: "Wenn ich nur sein Gewand anfasse, werde ich gesund." Im selben Augenblick hörte die Blutung auf, und sie spürte, daß sie ihre Plage los war. Jesus bemerkte, daß heilende Kraft von ihm ausgegangen war, und sofort drehte er sich in der Menge um und fragte: "Wer hat mein Gewand berührt?" Die Jünger sagten: "Du siehst, wie die Leute sich um dich drängen, da fragst du noch: 'Wer hat mich berührt?'" Aber Jesus blickte umher, um zu sehen, wer es gewesen war. Die Frau zitterte vor Angst; sie wußte ja, was mit ihr vorgegangen war. Darum trat sie vor, warf sich vor Jesus nieder und erzählte ihm alles. Jesus sagte zu ihr: "Meine Tochter, dein Vertrauen hat dir geholfen. Geh in Frieden und sei frei von deinem Leiden!"

Der Name der Frau ist vergessen, allein ihr Krankheitsbild interessiert und ist bewahrt worden. Ihre Lebensgeschichte wird recht ausführlich dargestellt. Sie litt an dauernden Blutungen und damals war keine Operation möglich. Der bekannte Arzt Soranus aus dem 2. Jahrhundert n.Chr. verordnete bei dieser Krankheit folgende Therapie: spazieren gehen, fleißig salben, baden, trinken eines leichten Weins, gemischte Kost, oberflächlich erwärmen, sonnen. Es waren teure Kuren, die auch die Frau schon mitgemacht haben wird und die hohen Arztkosten hatten ihr ganzes Vermögen aufgefressen. Die Krankheit hatte ständig Lebenskraft von ihr genommen. Im biblischen Verständnis ist Blut Lebenssaft, im Blut ist das Leben selbst. So wundert es nicht, dass die dauernden Blutungen auch im übertragenen Sinne bedeuteten, dass sie Kraft und Saft zum Leben verlor.
Hier wird die Lebensgeschichte der Frau durchsichtig für ganz andere Lebensläufe und Schicksale. Die chronisch Kranke, die damit leben muss, dass es nicht besser wird. Woher soll sie da noch Lebensmut bekommen? Der Arbeitslose, der sich bewirbt und die Absagen kassiert. Mit jedem Gang zum Briefkasten und jeder neuen Absage verschenkt er einen Milliliter Lebenssaft. Mit jeder Absage verliert er Lebenskraft. Woher soll er Hoffnung schöpfen - und ist nicht sich Abfinden angesagt, wie seine Freunde ihm raten? Die Frau, die an der Seite ihres alkoholkranken Mannes lebt. Ihr Herz blutet fortwährend, wenn sie ihn sieht. Hin und her gerissen ist sie zwischen Gefühl und Vernunft. Das Gefühl sagt ihr: du willst ihn nicht verlieren, also hilf ihm, den Suff zu vertuschen. Die Vernunft sagt ihr: zeig ihm die Grenzen auf, er muss endlich merken, dass es so nicht weitergeht. Hoffnung ist für diese Frau ein Strohhalm, der bei Berührung abbricht und immer kürzer wird.
Die blutende Frau steht für die, die an Leib und Seele bluten, die Lebenskraft verlieren ohne Hoffnung auf neue Kraft und Veränderung hin zur Heilung.

Diese blutende Frau hörte von Jesus. Schon allein das Hören gab ihr die Kraft, es noch einmal zu versuchen. Sie kämpfte sich in der Menge voran um die Kleidung von Jesus zu berühren.
Ganz knapp wird berichtet: Sie berührte seine Kleider. Dieses Berühren finden wir oft in den Heilungsgeschichten. Die Berührung ist wie ein Funke, der den Körper durchfährt. Wer berührt und berührt wird, wird verändert. Eine Frau wird aufgerichtet, andere werden gesund, einem Blinden werden die Augen geöffnet, ein Kind steht auf aus Krankheit und Tod. In der Urform bedeutet berühren "Anzünden". Ein Licht wird buchstäblich angezündet. Jesus berührt und zündet ein Licht des Glaubens, der Hoffnung und Kraft im Menschen an. Und die Lebenskraft kehrt zurück.
Für mich ist dies ein Anlass persönlich zu fragen: Wann habe ich Jesus berührt? Wann hat er Lebenskraft in mir angezündet? Vielleicht in einem verzweifelten Gebet um Hilfe mit der Erfahrung, dass Hilfe gekommen ist. Vielleicht in einem Gespräch mit dem Seelsorger oder der Seelsorgerin, die ermutigt zu neuem Gottvertrauen. Vielleicht in einer beglückenden Situation, in der wir eine Prüfung bewältigt haben und dabei merkten, dass Jesus wirklich hilft. Vielleicht in der bedrängenden Auseinandersetzung, in der wir die Nähe Jesu deutlich spürten.
Jesus ist heute nicht mehr körperlich in Hose und Pulli unter uns. Doch die Frau gibt uns zu versehen, es lohnt sich, von Jesus Heilung an Leib und Seele zu erwarten.
In einer Gesprächsrunde, in der wir diese Jesusbegegnung zu uns sprechen ließen, erzählte uns eine Frau, wie sie selbst Jesu Berührung erlebt hatte. Sie hatte eine chronische Krankheit, die sie immer mehr vereinsamen ließ. Kein Arzt konnte ihr helfen. Sie erzählte uns, dass sie sich nicht getraut hatte, Jesus um Heilung zu bitten. Aber Leute in der Gemeinde beteten für sie. Nach einem Umzug suchte sie einen neuen Arzt auf. Er verschrieb ihr ein anderes Medikament und sie war gesund. Sie konnte ihr Glück erst gar nicht fassen. Doch war ihr völlig klar, wer sie eigentlich gesund gemacht hat, dass es Jesus war, der sichtbar eingegriffen hatte. Sie sagte, ich bin nun Botschafterin dieses heilenden Jesus, der auch heute noch Wunder tut.
Ich habe darüber nachgedacht. Welche Hilfen haben wir eigentlich, um uns gegenseitig zu ermutigen, Jesus zu berühren und von ihm berührt zu werden? In einem Brief des Neuen Testaments heißt es, dass wir füreinander beten sollen - ganz konkret. Mag sein Sie kennen einen Mann oder eine Frau in ihrer Umgebung, die für Sie beten kann. Vielleicht können Sie auch für einen anderen oder eine andere beten, diese Person in der Fürbitte vor Gott bringen und sie dadurch stärken. Als Zeichen genügt manchmal schon eine Postkarte oder ein Anruf, der versichert: Du bist nicht allein, ich bete für dich. Ich traue Jesus Christus zu, dass er dich heil macht an Leib und Seele. So kann Hoffnung und neuer Mut keimen, Jesus in der Not zu erwarten und ihm Hilfe zuzutrauen.
Und wenn wir - wieder einmal - erfahren haben, dass der Herr wirklich hilft, dann feiern wir ein großes Fest - als Dank, aber auch als Ermutigung für alle Mitfeiernden.

Die suchende Hand der Frau erreichte Jesus und Jesus gab ihr die Kraft, die sie brauchte. Jesus schüttete hier nicht anonym Segen und Heilung über die Menschenmenge, sondern die persönlichen Verbindung war entscheidend. Die Heilung wurde zum Start für eine intensive Beziehung - die Frau war nicht länger Kranke in Israel, sondern Tochter im Reich Gottes. Sie gehörte zu Gott, weil sie ihm vertraut hatte ohne Hintertürchen. Sie erzählte Jesus die ganze Wahrheit: über ihr Leben, ihre Not, ihre Verzweiflung, ihre neue Hoffnung und ihr neues Leben. Jesus sprach ihr zu: Dein Glaube hat dich gerettet! Dein Glaube hat nicht nur gesund gemacht, nein, er hat gerettet bis in Ewigkeit. Du bist Tochter und gehörst dazu mit Rechten und Pflichten. Jetzt trägst du selbst Verantwortung für dein neues Leben. Gehe deinen Weg in Frieden weiter. Zwischen dir und Gott ist kein Graben mehr. Du kannst ihn Vater nennen, er liebt dich und schützt dich.
Darauf zielt für mich diese Begegnung. Ein Mensch in Not setzt sein letztes Vertrauen in Jesus und erfährt, dass Jesus auf seiner Seite steht. Die Heilung lässt hier eine umfassende Heilung von Leib und Seele beginnen. Verletzungen heilen, weil Gott seine Hand gibt und aus Schmerzen, Leid, Ausgrenzung und Schuld rettet.
Ich denke an meinen Schwiegervater, der seit 3 Jahren an einer bösartigen Krankheit leidet. Wir beten um Heilung, wir erfahren Enttäuschungen. Aber wir sehen staunend, wie er wie diese Frau immer wieder neu mit Jesus in Berührung kommt. Ihm wächst neue Kraft zu, er bekommt den Blick für das Wesentliche und ist erfüllt von einer tiefen Dankbarkeit, gerettet zu sein. Wir geben die Hoffnung auf körperliche Heilung nicht auf. Warum auch, die Bibel ist voll von Wundern und wir selbst haben sie ja auch schon erlebt. Aber was sich da eigentlich abspielt, ist ja viel mehr als gesund werden und zurück in den Alltag gehen. Hier geht es um Rettung aus Todesgefahr, Rettung aus der Ferne von Gott. Jesus bietet sich an, den Lebensweg mit zu gehen. Er geht auf den steinigen und abschüssigen Pfaden voran. Er hält fest, wenn wir Schutz brauchen und uns weh tun. Er gibt Orientierung an den Weggabelungen. Er hilft, aus den Sackgassen wieder heraus zu kommen und umzukehren. Er gibt Hoffnung auf eine Lebensgemeinschaft bis in Ewigkeit. Oft werden wir erst im Nachhinein erkennen, dass die Hand Jesu wirklich gehalten hat. Und diese Erfahrung gibt Kraft für die nächste Herausforderung.
Was sich für uns abspielt, wenn wir uns in der Frau wiedererkennen: Wir dürfen Jesus berühren. Er zündet ein Licht der Hoffnung in uns an, gibt den Mut zum Neuanfang, die Geduld in der Dürre, die Hoffnung an jedem Tag.

Die Frau wurde mit ihrer Lebensgeschichte Zeugin für Jesus. Ihr Glaubensbekenntnis ist verwoben mit ihrer Lebensgeschichte und gewinnt von daher Glaubwürdigkeit. Wir können mit unseren Lebensgeschichten fortsetzten und erzählen, wo wir die Wende durch Jesus erfahren haben. Auch unsere Lebensgeschichten können Glaubenszeugnis und Hinweis auf Rettung werden. Andere hören und bekommen Mut, sich zu Jesus vor zu kämpfen. Sie erfahren, das Leck im Wasserrohr muss nicht das Ende bedeuten. Wir brauchen uns niemals mit einer solchen Situation abfinden. Es gibt Hilfe, ja sogar Rettung. Jesus Christus wartet auf unsere Berührungen. Vielleicht sind die Berührungen erst sehr zaghaft, ein tastendes Gebet, ein vorsichtiges Gespräch mit einem Christen des Vertrauens. Jesus wird darauf antworten, uns die Hand entgegen strecken und uns einladen, mit ihm zu leben und mit ihm heil zu werden. Auf einen Versuch kommt es an.

Cornelia Trick


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