Rollen - Die neue Familie Gottes

Ihr alle seid jetzt mündige Söhne und Töchter Gottes - durch den Glauben und weil ihr in engster Gemeinschaft mit Jesus Christus verbunden seid. Denn als ihr in der Taufe Christus übereignet wurdet, habt ihr Christus angezogen wie ein Gewand. Es hat darum auch nichts mehr zu sagen, ob ein Mensch Jude ist oder Nichtjude, ob im Sklavenstand oder frei, ob Mann oder Frau. Durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle ein neuer Mensch geworden.
Galater 3,26-28
 Wir saßen in einem Bibelgespräch beieinander, es ging um die Veränderung durch Gottes Wort. Wir sammelten Bibelverse, die uns Wegbegleiter waren und uns auf Neues gestoßen haben. Mir ist in Erinnerung geblieben, wie auf einmal dieses Wort des Paulus an die Galater im Mittelpunkt stand. Eine begann von ihren Erfahrungen mit diesem Wort zu sprechen, die anderen fielen ein. Auch ich wurde angerührt von dieser unglaublichen Zusage.
Ausleger und Auslegerinnen sind sich darin einig, dass Paulus diesen Abschnitt von der Taufliturgie übernahm. Die getauft wurden, bekamen zugesprochen, von jetzt an zu der Familie Gottes zu gehören. Sie wurden nicht zu Gottes Säuglingen und Kleinkindern, vollkommen abhängig und noch nicht verantwortlich für ihr Tun und Lassen. Sie wurden zu mündigen Söhnen und Töchtern, wie die Neue Gute Nachricht sehr treffend übersetzt. Das bedeutet, sie wussten um ihre Zugehörigkeit zu Jesus Christus, sie wussten um die Quelle ihres Lebens bei Gott. Aber sie kannten auch die daraus erwachsenden Verpflichtungen und Aufgaben. Mündig sollten sie damit umgehen. Das wurde möglich, weil Jesus Christus sie wie ein neues Kleid umgab und veränderte. Sie konnten ihre alten Denkmuster, ihre Zwänge, ihren Sklavenring um den Hals ablegen. Das neue Gewand, der lebendige Jesus Christus war ihre Orientierung und gab ihnen ihren Platz. 

Neue Orientierung an Jesus

Drei Gegensätze führt Paulus auf, an denen die neue Orientierung an Jesus sichtbar wird und sich immer wieder neu bewähren muss. In der neuen Familie Gottes ist kein Platz mehr für die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden, also Griechen. Ein Zwischenfall in Antiochien, von dem Paulus ein Kapitel vorher berichtet, führt sehr anschaulich vor Augen, dass zwar mit der Taufe Juden und Griechen gleichberechtigte Mitglieder in der Familie Gottes waren, in der Praxis diese Gleichberechtigung aber noch lange nicht erreicht war. Als Judenchristen aus Jerusalem in der Gemeinde auftauchten, kündigten die Judenchristen die bis dahin praktizierte Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen auf. Auch das Gegensatzpaar Sklave und Freier war in der Praxis noch nicht aufgehoben, wie der Philemonbrief zeigt. Zwar schickte Paulus Onesimus als Bruder im Herrn zurück zu Philemon, aber Onesimus war damit noch nicht automatisch ein freier Mann. Das Paar Mann und Frau gibt uns bis heute Stoff zum Nachdenken, wie die Gleichheit in aller Unterschiedlichkeit gelebt werden kann, ohne dass Herrschaftsansprüche und Unterdrückungstendenzen von einer Seite die neue Freiheit in Christus zunichte machen. 

Die Mitte des Evangeliums

Paulus ließ mit diesem alten Taufformular die Mitte des Evangeliums zu Wort kommen. Jesus Christus möchte uns als seine Brüder und Schwestern in die Familie Gottes einladen. Er möchte unser Leben so verändern und ausfüllen, dass wir in der ZahnräderFreiheit von allen gesellschaftlichen und historischen Zwängen leben können. Norm ist nicht mehr, was unsere Umwelt gut oder schlecht findet, Norm ist allein Jesus Christus, der uns das Doppelgebot der Liebe gegeben hat. Wir schweben mit dieser neuen Freiheit nicht im luftleeren Raum "völlig losgelöst von der Erde", wie es in einem älteren Schlager heißt. Wir werden frei zum Lieben, zum Annehmen des anderen und der anderen, zum Durchbrechen gesellschaftlicher Konventionen, wenn sie dem Liebesgebot widersprechen. Die Täuflinge hörten diese Worte als Angeld einer neuen Zukunft und auch wir können sie so hören. Sie gelten nicht nur im geschützten Raum der christlichen Gemeinde, sondern zielen immer auf Öffentlichkeit. Der Sklave, der in der Gemeinde ein Freier war, träumte von der Aufhebung aller Sklaverei, die Frau, die in der Gemeinde gleiche Rechte hatte, ließ sich in ihrem Alltag zu Hause nicht mehr das Wort verbieten. Der Arbeitslose, der in der Gemeinde erfährt gebraucht und wichtig zu sein, weiß, dass sein Wert nicht von der Erwerbsarbeit abhängt. Die Asylsuchende, die in der Gemeinde als ein Mitglied der Familie Gottes geliebt wird, erlebt neue Heimat in der Fremde und behält ihre Würde. 

Zur Freiheit befreit

Scheinbar haben wir die Gegensatzpaare der alten Taufformel überwunden. Sogar das Grundgesetz verbürgt gleiche Rechte für alle. Und doch erleben wir unsere Rollenzuschreibungen oftmals als Gefängnis, das uns vom freien Leben in Jesus Christus ausschließt. Hier hilft uns der Blick auf Jesus Christus, der uns in keiner Rolle behaftet. Wie die alten Gegensatzpaare homöopathisch - Schritt für Schritt - ihre Bedeutung verloren haben und immer noch verlieren, so geschieht es mit unseren Rollen, die die Gesellschaft und unsere Mitmenschen uns aufzwingen oder die wir uns selbst wählen. Zur Freiheit hat uns Christus befreit um das echte Leben zu finden.
In dem Bibelgespräch damals dachten wir dann intensiv darüber nach, wie diese Freiheit in allen vorhandenen Verpflichtungen für uns aussehen kann. Dabei wurde uns wichtig:
- der persönliche Draht zu Jesus, der uns täglich zeigen kann, wo wir aus Festgefahrenem aufbrechen sollten
- die Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern, die uns in der Freiheit Jesu unterstützen können, auch im Ja- und Nein-Sagen zu allen möglichen Ansprüchen
- das Nachdenken über das eigene Leben, die innere Berufung durch Gott, die Gaben des Heiligen Geistes und die daraus resultierende Platzanweisung in der Welt.
 Ich habe seitdem oft an dieses Gespräch gedacht und unsere Vorsätze, es für den Alltag fruchtbar zu machen. Immer wieder ertappe ich mich in den alten Zwängen. Dann schaue ich auf Jesus wie in den blauen Frühlingshimmel und erfahre die Freiheit von oben, die ich mir selbst oft nicht gestatten kann.
Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_rollen.htm