Richter und Angeklagter (Johannes 19,12-16)
Gottesdienst am 22.03.2015 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
es ist früher Morgen, ein Freitag in Jerusalem, ungefähr 6 Uhr. In der Nacht hatte das Verhör Jesu vor dem Hohen Rat, den Oberpriestern und religiös Einflussreichen, stattgefunden. Das Urteil lautete: Todesstrafe. Dahinter stand die Angst um wirtschaftlichen Schaden, den Jesus mit seiner radikalen Tempelkritik verursachen könnte, und Jesu Aussage, dass er der erwartete Messias sei, eine deutliche Gotteslästerung. Doch nur die römische Besatzungsmacht hatte das Recht, eine Todesstrafe zu verhängen. So überstellten die führenden Religionshüter Jesus an Pilatus. Die Ankläger blieben vor dessen Palast, sie wollten sich vor dem kommenden Passafest nicht in einem heidnischen Haus verunreinigen.

Über Pilatus wissen wir, dass er seit 26 n.Chr. Prokurator über Judäa, dem Südteil Israels, war. Meistens residierte er in Cäsarea am Mittelmeer, einer weltoffenen Stadt, in der die griechisch-römische Kultur gelebt wurde. Nur zu besonderen Anlässen kam er nach Jerusalem, einer Stadt, die eindeutig von der jüdischen Lebensweise geprägt war. Seine Herrschaft wird von Geschichtsschreibern als grausam beschrieben. Er betrieb als „Freund des Kaisers“ aktiv den Kaiserkult, verhökerte den Tempelschatz für neue Wasserleitungen und praktizierte Bestechung. Darin war er sicher einer von vielen Statthaltern, die wir nicht namentlich kennen. Auch sie regierten ähnlich und hatten keine Mühe, einen Angeklagten mit der Todesstrafe zu belegen. Doch Pontius Pilatus kreuzte Jesu Weg und wurde dadurch berühmt. Bis heute wird er in unserem Glaubensbekenntnis zitiert: „Gelitten unter Pontius Pilatus“.

Heute hält uns Pilatus seine Robe hin und lädt uns ein, sie überzuziehen. Für ein paar Minuten können wir seine Rolle im Palast des Prokurators spielen.

Johannes 19,12-16

Von da an trachtete Pilatus danach, ihn freizulassen. Die Juden aber schrien: Lässt du diesen frei, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum König macht, der ist gegen den Kaiser. Als Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus heraus und setzte sich auf den Richterstuhl an der Stätte, die da heißt Steinpflaster, auf Hebräisch Gabbata. Es war aber am Rüsttag für das Passafest um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Seht, das ist euer König! Sie schrien aber: Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn! Spricht Pilatus zu ihnen:  Soll ich euren König kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König als den Kaiser. Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde.

Pilatus auf dem Richterstuhl

Die Ankläger stehen vor dem Gebäude, Pilatus läuft zwischen ihnen und Jesus hin und her. Es ist ein Bild für seine innere Unruhe und Zerrissenheit. Auf der einen Seite steht die Forderung der Ankläger, auf der anderen Seite steht sein eigenes Urteil. Zugleich will er die religiösen Führer auch nicht gegen sich aufbringen, das könnte ihn ihre Unterstützung und ihr Stillschweigen zu manchen seiner Aktionen kosten. Im Laufe des vom Evangelisten Johannes beschriebenen Prozesses scheint er die Winkelzüge der Führenden zu durchschauen. Eigentlich bringen sie gegen Jesus eine religiöse Anklage vor und keine politische. Sie sind neidisch auf Jesu Erfolg und haben Angst vor seiner Vollmacht. Doch Pilatus muss sich an die juristischen Vorgaben halten. Der Vorwurf, das Volk gegen Rom aufzuhetzen und eine Rebellion als neuer König anzuzetteln, wiegt schwer.

Der Evangelist Matthäus berichtet von einem Traum, den die Frau des Pilatus in der Nacht zuvor hatte. Ein Traum, der sie Pilatus warnen ließ. Dieser Jesus hat mit Gott zu tun, da sollte sich Pilatus lieber raushalten.

Pilatus verhört nun seinen Angeklagten im Haus. Sie kommen ins Gespräch darüber, dass Jesus sich als Zeugen der Wahrheit bezeichnet. „Wahrheit“, so fragt Pilatus, „was ist das?“ Von welchem Gott redest du? Jesus beschreibt mit Wahrheit den Kern des Wesens Gottes, seine Liebe zur Welt, sein großes Ja zu den Menschen ohne jedes Aber. Für dieses Ja Gottes steht Jesus und lebte es die ganzen Jahre mitten in Israel. Er nahm sich der Kranken, Schwachen, Ausgestoßenen und Schuldig-Gewordenen an. Er beugte sich zu denen, die im Staub lagen und rief die Hochgestellten auf, es ihm gleich zu tun. Er sagte Ja zu Menschen, die sich selbst schon aufgegeben hatten. Auch wenn Pilatus die Antwort Jesu nicht wirklich verstanden zu haben scheint, merkt er hier, Jesus hat übernatürliche Bedeutung. Nicht Pilatus ist Chef in diesem Verfahren, sondern Gott.

Doch der Druck der Leute vor dem Haus wird stärker. Wollten sie Pilatus zuerst davon überzeugen, dass Jesus wie Barrabas und viele andere damals zu den Terroristen im Land zählte, setzen sie nun Pilatus persönlich unter Druck. Sie drohen ihm, ihn in Rom anzuschwärzen. Einer, der einen neuen König in seiner Provinz zulässt, untergräbt die Autorität Roms. Seinen Job wäre Pilatus schnell los. 

Pilatus erstes Motiv für seine Entscheidung, Jesus fallenzulassen, ist Machterhalt. Er fürchtet um seinen Job und will seinen Untertanen gefallen. Zwar staunt er über Jesus, doch ohne Konsequenzen. Dieses Verhalten begegnete Jesus oft, z.B. als die Leute seine Bergpredigt hörten oder Zeugen von Wundern wurden. Sie staunten und nahmen danach ihr früheres Leben wieder auf. Sie wurden durch die Predigt und die Wunder nicht verändert und blieben zu Jesus auf Abstand.

Und wir? In Pilatus Kleidern sitzen wir auf dem Richterstuhl. Wollen wir es auch allen recht machen, laufen hin und her zwischen den verschiedenen Bedürfnissen und Forderungen unserer Mitmenschen? Laufen wir der Wahrheit nach und staunen ohne Konsequenzen, wenn wir Gottes Ja wahrnehmen? Im Matthäusevangelium wäscht sich Pilatus nach dem Prozess die Hände, eine Geste der Unschuld. Wir können uns genauso wenig wie Pilatus selbst vergeben, wenn wir unsere Prioritäten falsch gesetzt haben. Vergeben kann nur Gott selbst.

Jesus auf dem Richterstuhl

Was Pilatus damals nicht wusste, was aber die Bibel deutlich beschreibt, ist, dass Gott seinem Sohn das Gericht übergibt (Johannes 5,22). Nicht Pilatus sitzt also auf dem Richterstuhl, sondern Jesus, der Angeklagte, der zum Richter wird. Er misst den Angeklagten Pilatus am 1. Gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott“. Pilatus hat elend versagt, die Wahrheit dem eigenen Machterhalt geopfert. Eine ähnliche Szene begegnet uns wieder am Kreuz. Jesus hängt dort von zwei Verbrechern flankiert. Einer verhöhnt Jesus und begreift nicht, dass Jesus über sein Leben in Ewigkeit entscheiden wird. Der andere erkennt Jesus und bittet um Gnade.

Pilatus hält uns den Platz auf der Anklagebank frei. Wir sind mit ihm die Angeklagten. Jesus misst auch uns am 1.Gebot. Was ist uns wichtig im Leben? Was bringen wir unseren Kindern bei und leben es ihnen vor? Vertrauen wir auf Gott, auch wenn es eng wird? Jesus, der Richter, misst uns auch an den Geboten, die auf unsere Mitmenschen zielen. Hat unser Glaube Auswirkungen auf unseren Lebenswandel? Sind wir liebevoller, setzen wir uns mehr für die Schwachen und Ausgegrenzten ein, sind wir bereit zu teilen?

Diese Szene, Jesus auf dem Richterstuhl, Pilatus mit uns auf der Anklagebank, ist ein Aufruf ehrlich zu werden. Unseren Kleinglauben können wir bekennen, unsere anderen Prioritäten und Lieblosigkeiten müssen wir nicht verdrängen oder leugnen. Hier werden sie ausgesprochen.

Jesus zugleich Richter und Angeklagter

Pilatus tritt ab aus dieser Szene. Ich überlasse ihm seine Kleider und ziehe meine eigenen an. Ich stehe vor Jesus, dem Richter, doch zugleich steht Jesus mit mir auch auf der Anklageseite. Jesus spricht gleichzeitig das Urteil und übernimmt die Strafe. Er zahlt meine offenen Rechnungen. Er geht für mich ins Gefängnis. Er befreit mich von Verfolgern, die auf Rache schwören. Er wirft sich zwischen sie und mich, geht blutig und zerfetzt aus der Auseinandersetzung hervor. Sein Eintreten für mich ist kein Spaziergang im Sonntagsanzug, es kostet ihn das Leben und bringt ihn ans Kreuz.

Das Gericht des Pontius Pilatus eröffnet uns den Blick auf uns selbst, wie wir sind: um Machterhalt bemüht, egoistisch und mit hohem Eigeninteresse. Der Richter wird zum Angeklagten, und wir sind Mitangeklagte. Auch wir verstoßen gegen das 1.Gebot. Doch der Richter wirft sich dazwischen, nimmt die Strafe auf sich, auf dass wir frei aus dem Gerichtssaal in ein neues Leben gehen können.

Und wir? Nehmen wir das staunend und ohne Konsequenzen an? Oder ergreifen wir die Chance unseres Lebens und lassen uns retten?

Du kennst mich, Herr. Du weißt, wie oft ich andern das Leben schwer mache mit Vorurteilen und liebloser Kritik. Ich schlage Türen zu, statt sie zu öffnen. Ich lege andere auf ihre Fehler fest, statt ihnen weiterzuhelfen. Ich selber bin blind für mein eigenes Versagen. Vergib mir, Herr, und zeige mir, wo ich mich ändern muss und was ich in Ordnung bringen kann. Danke, dass Du mir vergibst. Amen.

Cornelia Trick


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