Gottesdienst am 14.05.2000
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
letzten Sonntag hörten
wir von Irene Kraft eine Auslegung des Missionsbefehls Jesu. "Machet
zu Jüngern!" wurde uns als Aufforderung Jesu ans Herz gelegt.
Machet zu Jüngern, das bedeutet, die Liebe Gottes nicht nur als eine
von vielen möglichen Lebenshilfen anzubieten, sondern konkret zum
Leben mit Jesus einzuladen und Menschen in die Gemeinschaft mit Christus
und Christen einzugliedern. Zwei Aspekte bewegen mich heute, das Thema
in veränderter Form wieder aufzugreifen.
Mir sind ein paar Leute
in den Sinn gekommen, die ich sehr gerne in die Nachfolge Jesu führen
würde. Es sind Freunde von uns. Sie kennen uns und unsere Lebenseinstellung,
sie respektieren sie, ab und zu gibt es ein tieferes Gespräch zum
Thema Glaube, aber den letzten Schritt zum Vertrauen auf Jesus Christus
machen sie nicht. Wir werden müde dabei. Will Gott uns hier noch gebrauchen
oder sollten wir unsere Energien in eine andere Beziehung investieren?
Sind wir überhaupt die Richtigen, um ihnen den Glauben nahe zu bringen?
Auch unser Gebet um sie wird müde.
Ein zweiter Aspekt. In
die Gemeinschaft mit Jesus Christus zu treten ist erst der Anfang. Jünger
sind wir nicht automatisch und lebenslang ab dem Tag der Bekehrung. Jünger
werden wir durch viele Herausforderungen, Prüfungen, Ereignisse und
Führungen hindurch. Immer fester wird unser Vertrauen, immer tiefer
unsere Erkenntnis, was Gott mit uns vorhat, immer reicher unsere Erfahrung,
wo er gewesen ist und uns geholfen hat. Bei diesem Weg ist Müdigkeit
vorprogrammiert. Die Kräfte lassen nach, die Freude weicht manchmal
dem Frust, Hindernisse wachsen in den Himmel und nehmen die Sicht auf Gott.
Heute feiern wir den Sonntag
Jubilate - Lobt Gott! Er gehört zu den besonderen Sonntagen nach Ostern,
die das Gotteslob in uns wachhalten sollen, das Ostern hervorgerufen hat.
Jesus ist auferstanden, er lebt. Diese Freude über den Sieg Gottes
über den Tod durchdringt den Alltag, dort wo wir jetzt stehen: müde
in unseren missionarischen Bemühungen, müde in unserem Christsein,
müde in den Aufgaben unseres Lebens. Ein Abschnitt aus dem 2. Brief
des Paulus an die Korinther nimmt dieses Thema auf. Paulus formuliert einen
Lobpreis Gottes, sehr wirklichkeitsnah formuliert und doch so, dass er
uns über alle Berge der Sorge, Mutlosigkeit und Müdigkeit hinweghebt.
Denn Paulus will uns darauf stoßen, dass Jesus Christus uns herausreißt
und Perspektive gibt, um morgen wieder gestärkt in unseren Alltag
gehen zu können.
2. Korinther 4,16-18
Darum werden wir nicht müde;
sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird
doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich
und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige
Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das
Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar
ist, das ist ewig.
Zugegeben - ein sperriger
Lobpreis, der nicht unbedingt zum Auswendiglernen einlädt oder sich
als Titelvers für eine Postkarte anbietet. Nicht das Sichtbare und
allen Einleuchtende wird hier gelobt, sondern das Unsichtbare, das Zukünfige.
Ich möchte den Worten des Apostels zwei Begebenheiten aus der Bibel
an die Seite stellen, wo Leute zur Zeit Jesu müde gewesen sind. So
werden die Worte des Apostels lebendig und können uns helfen, sie
in unser Leben zu übertragen.
Jesus ist in Jerusalem
um dort ein Fest zu feiern. Er kommt zum Teich Bethesda. Der See ist bekannt
für seine heilende Kraft, sobald das Wasser sich bewegt. Jesus spricht
einen Mann an, der schon seit 38 Jahren an diesem Teich liegt, weil er
gelähmt ist. Doch niemand bringt ihn zum Wasser und allein ist er
zu langsam. Jesus fragt ihn sehr direkt: "Willst du gesund werden?"
Er antwortet: "Ich haben keinen, der mir hilft." Jesus führt
uns hier eine Alltagsgeschichte vor Augen. Schon Jahre lang in einer Firma,
die die Kraft verschleißt, schon Jahre lang in einer Beziehung, die
nicht heilt. Ohne Perspektive, ausgehöhlt, abgearbeitet - das ist
das Lebensgefühl vieler. Und da tritt Jesus dazu und fragt: "Willst
du einen Neuanfang?" Und die Antwort heißt vielleicht wie bei dem
Mann damals "ach, das ist jetzt sowieso schon zu spät und ich habe
niemand, der mir hilft."
Die zweite Situation.
Jesus ist mit seinen Jüngern im Garten Gethsemane. Er steht kurz vor
seiner Gefangennahme. Er geht in die Stille um mit Gott zu sprechen und
bittet seine Freunde ebenfalls zu beten. Er sagt ihnen sogar, warum sie
beten sollen: "Betet darum, dass ihr in der kommenden Prüfung
nicht versagt." Doch die Jünger sind zu müde. Die Situation
überfordert sie. Sie schlafen ein, wohl eine Flucht vor der Aussichtslosigkeit,
die sie fertig macht. Auch das ist eine Alltagsgeschichte. Eigentlich stehen
wir auch in einer Prüfungssituation. Unser Glaube steht auf dem Prüfstand
angesichts dessen, was auf uns zukommt, was andere von uns erwarten, wie
sich die Welt um uns entwickelt. Wir sollten Jesu Aufforderung ernst nehmen
und heftig beten, die Gemeinschaft zum Gebet suchen, unsere Kräfte
bündeln, um Jesu Willen in unserer Welt zu erfüllen. Aber wir
sind müde, jede und jeder bleibt für sich, und schlafen ein,
obwohl wir das gar nicht wollen.
Paulus weiß um das
Phänomen der Müdigkeit. Er kennt selbst Zeiten, in denen er lieber
aufgeben will als weiter für
das Evangelium zu kämpfen.. Er weiß um die Angst vor morgen
und die Versuchung, die Augen davor zu verschließen. Aber gerade
deshalb sagt er sich selber und uns zu, dass es einen Ausweg gibt. Er stimmt
einen Lobpreis an und lädt ein, die Perspektive zu wechseln. Jetzt
stehen wir vor einem Berg. Der Blick darauf macht uns müde und mutlos.
Wir können nicht vor diesem Berg stehen bleiben. Wir können nicht
drumherum gehen. Wir kommen wahrscheinlich nur mit äußerster
Mühe darüber, also schlafen wir angesichts des Problems am besten
erstmal aus. Doch der Glaube an Jesus Christus gibt uns einen neuen Standort.
Weil er am Kreuz alle Berge für uns abgetragen hat und in der Auferstehung
uns zusagt, dass auch wir mit ihm die Berge überwinden werden, dürfen
wir schon hinter den Berg schauen. Und hinter dem Berg, da tut sich nicht
ein endloses Massiv von neuen Bergen und Gipfeln auf, die immer höher
wachsen und immer unbezwingbarer werden. Hinter dem Berg tut sich Gottes
Herrlichkeit auf. Diese Herrlichkeit übersteigt alle Vorstellungen
und hat kein Ende. Herrlichkeit, so sagt es uns die Bibel, ist Gemeinschaft
mit Gott, Leben aus der frischen Quelle, im Licht, in Frieden.
Dieser Standortwechsel
hinter den Berg ist keine Vertröstung auf übermorgen, sondern
Kraftquelle und Ermutigung, die wir unbedingt brauchen. Ich bin in diesem
Zusammenhang auf die Bedeutung von "Müdewerden" im griechischen Urtext
aufmerksam geworden. Da findet sich neben "Müde werden, verzagen"
noch eine kleine Nebenbedeutung: Zagen, wenn eine Frau in den Wehen liegt.
Ich erinnere mich an die endlosen Stunden, als ich in den Wehen lag. Und
ich erinnere mich an die ungeheure Müdigkeit, die mich da überfiel.
Es war harte Arbeit angesagt und ich driftete immer wieder in Minutenträume
ab. Alles schien angenehmer, als der nächsten Welle des Schmerzes
aktiv entgegenzusehen. Genau an der Stelle war der Standortwechsel so nötig.
Die Schmerzen hatten ein wundervolles Ziel. Bald würden wir unser
Kind in den Armen halten, auf das wir uns schon Monate lang gefreut hatten.
Bald würden die Schmerzen aufhören und ein neues Glück in
uns Raum greifen. Dieser Standortwechsel war wie ein Blick hinter den Berg
der Geburt - eine Kraftquelle, ein Anschub durchzuhalten, wach zu bleiben
und durchzuhalten bis das Kind da war.
Die kleine Nebenbedeutung
des Wortes bringt uns auf die Fährte, was es bedeutet, mit Christus
auf die andere Seite unserer Berge zu schauen. Es gibt Grund müde
zu sein. Es gibt Grund den Mut zu verlieren. Aber Jesus steht auf der anderen
Seite und hilft uns herüber. Eine ungeheuere Herrlichkeit erwartet
uns da und das bedeutet Freude, Entlastung, Lebenskraft.
Wie sieht das nun
in unserem Alltag aus?
-
Wir kommen nicht umhin, unsere
Situation anzunehmen und sie ernst zu nehmen. Wir können selten sagen:
Die Rolle in dem Theaterstück spiele ich nicht mehr mit, ich gehe
und verlasse die Bühne. Vielmehr müssen wir weiter spielen und
das Beste daraus machen. Aber wir sollten uns ehrlich und selbstkritisch
fragen, was macht uns eigentlich so müde und mutlos? Dass wir nicht
vom Fleck kommen, das alles zu viel wird? Dass wir keine Zeit mehr haben,
mit Jesus Christus unsere Perspektive zu wechseln?
-
Vor den Bergen können
wir Jesus suchen. Wo streckt er mir die Hand hin, um mich wach zu bekommen
für seine Hilfe? Was will er mir in dieser schier ausweglosen Lage
sagen? Vielleicht höre ich ihn dann wie damals der Gelähmte am
Teich Bethesda sagen: Willst du gesund werden? Vielleicht höre ich
ihn dann wie damals im Garten Gethsemane sagen: Bete, dass du die Prüfung
bestehst. Vielleicht höre ich auch Jesu Ermutigung. Ich bin der gute
Hirte und lasse mein Leben für die Schafe. Jesus wird sich finden
lassen vor unseren unbezwingbaren Bergen. Und wir können an seiner
Zusage für uns ganz persönlich festhalten: "Ich
lebe und ihr sollt auch leben."
-
Mit Jesus werden wir gestärkt
für die nächste Herausforderung. Der Blick auf Jesus Christus,
die verheißene Gemeinschaft bis in Ewigkeit trägt und verändert.
Der Alltag kann und darf uns nicht bezwingen, der Blick auf Jesus Christus
lässt uns heil werden und die Prüfungen des Lebens bestehen.
-
Gegenseitig können wir
uns helfen, diese neu geschenkte Perspektive zu gewinnen und festzuhalten.
Wir können uns Anteil geben und wir können Anteil nehmen an unserem
Alltag. Wir können uns in der Fürbitte begleiten und wach an
der Seite stehen, wenn den Bruder oder die Schwester der Mut verlässt.
Wir können uns austauschen, wo wir die Kraft des Auferstandenen erfahren
haben und er uns herausgerissen hat aus der Tiefe, der Mutlosigkeit, der
Müdigkeit.
-
Jesus Christus steht dafür,
dass wir im Glauben in die Zukunft investieren. Der Missionsbefehl Jesu
ist nur unter dieser Voraussetzung keine ständige Überforderung,
die uns müde und mutlos werden lässt. Jesus selbst sagt uns zu:
Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende - und darüber hinaus
bis in Ewigkeit.
Festgefahren, ausgebrannt
und nicht mehr froh;
Manchmal auch total verrannt,
niemand kennt mich so.
Doch dann kommst du, Jesus,
holst mich heraus.
Mein Schlusspunkt ist
dein Anfang mit mir.
Du machst mich froh, Jesus,
zeigst mir den Weg.
Mein Tiefpunkt ist der
Treffpunkt mit dir.
Viele Fragen, Zweifel quält,
was ist nur los?
Habe ich denn falsch gewählt,
was fehlt mir denn bloß?
Doch dann kommst du, Jesus,
und sprichst mich an.
Du leitest auch durch
Krisen zum Ziel.
Du gibst mir Kraft, Jesus,
und neuen Mut.
Die Wachstumsknoten machen
stabil.
Immer müssen, nur
gehetzt, so läuft es halt.
Oft verletzend, weil verletzt,
alles ist so kalt.
Doch dann kommst du, Jesus,
du meinst es gut,
heilst Wunden, weil sonst
nichts helfen kann.
Du kennst die Schuld,
Jesus, und du vergibst.
Am toten Punkt fängst
du wieder an.
Hab Dank dafür, Jesus,
ich sehe nun,
die Größe deiner
Liebe zu mir.
Ich lobe dich, Jesus,
und nehm es an:
Mein Tiefpunkt ist der
Treffpunkt mir dir.
(Gerhard Schnitter)
Cornelia
Trick
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