Ostern im Gemeindealltag
Gottesdienst am 07.05.2006

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
für die Kirchliche Unterrichtsfreizeit wollten wir kreative Bibelarbeit in Gruppen anbieten. Ich suchte mir eine Action-Geschichte von Paulus heraus, weil ich annahm, dass man sie in der Gruppe spannend gestalten konnte. Doch die Bibelarbeit verlief anders als geplant. Die Jugendlichen unterrichteten mich, sie gaben mir neue Einblicke in gelingende und nicht gelingende Gottesdienste, sie machten aufmerksam auf Leute, die aus unserem kirchlichen Betrieb heraus fielen und ließen mich erkennen, was eine lebendige Gemeinde ausmacht. Seither lässt mich diese Geschichte des Paulus nicht in Ruhe. Sie fordert mich auf, mit Ihnen durchzubuchstabieren, was damals in Troas geschehen ist und daraus zu lernen für die Gegenwart.

Paulus war unterwegs auf seiner dritten Missionsreise. Troas war ihm wohlbekannt, hier erfuhr er seinerzeit die Berufung Gottes, das Evangelium nach Europa zu bringen. Nun machte er wieder Station in Troas, um die Gemeinde zu besuchen, von seiner Missionstätigkeit zu berichten und sich an ihrem Wachstum zu freuen. 

Apostelgeschichte 20,7-12

Am Sonntag Abend kamen wir zum Mahl des Herrn zusammen. Paulus sprach zu den Versammelten, und weil er zum letzten Mal mit ihnen zusammen war - denn er wollte am nächsten Tag weiterreisen -, dehnte er seine Rede bis Mitternacht aus. In unserem Versammlungsraum im obersten Stock brannten zahlreiche Lampen. Auf der Fensterbank saß ein junger Mann mit Namen Eutychus. Als Paulus so lange sprach, schlief er ein und fiel drei Stockwerke tief aus dem Fenster. Als sie ihn aufhoben, war er tot. Paulus aber ging hinunter, legte sich auf ihn, umfasste ihn und sagte: "Macht euch keine Sorgen, er lebt!" Dann ging er wieder hinauf. Er brach das Brot, teilte es aus und aß es mit ihnen. Danach sprach er noch lange mit ihnen und verabschiedete sich erst, als die Sonne aufging. Den jungen Mann aber brachten sie gesund nach Hause, und alle waren von großer Freude erfüllt.

Paulus hatte die Gemeinde in Troas gegründet, und sie war in der Zwischenzeit gewachsen. Nicht Einzelne kamen zusammen, sondern eine ganze Gemeinde versammelte sich am Sonntag Abend. Noch gab es keine Kirchen, man traf sich in einem Privathaus, in dessen 2. Stock ein großer Raum für die Gemeinde war. Diesen Raum stellten Leute aus der Gemeinde zur Verfügung. Ohne Frage verfügten sie über die Gabe der Gastfreundschaft, sonst wären ihnen die Menschenmengen in ihrem Haus bald auf die Nerven gegangen. Da es dunkel wurde, erhellten sie den Raum mit Petroleumlampen, die Luftqualität wird in diesem Raum entsprechend gewesen sein. Paulus erzählte von seiner Mission, von Gottes Wirken und den neuen Menschen an für die Gemeinde unbekannten Orten, er war so erfüllt von seiner Botschaft, dass er die Zeit nicht mehr im Blick hatte.

Doch nicht alle konnten seinen Ausführungen folgen. Von einem jungen Mann hören wir, dass er sich in eine Fensternische zurückzog, um wahrscheinlich frische Luft zu schnappen. Wir wissen nicht, warum er schließlich einschlief. Vielleicht hatte er einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich, vielleicht interessierte ihn der Missionsvortrag nicht. Vielleicht war er in Gedanken ganz woanders und konnte mit Paulus nichts anfangen. Jedenfalls konnte ihn Paulus nicht wach halten, und so nahm das Drama seinen Lauf. Er verlor das Gleichgewicht und fiel ungebremst 2 Stockwerke in die Tiefe. 

Die Jugendlichen hakten hier ein. Sie konnten sich in dem jungen Mann wieder erkennen und erzählten sehr engagiert von ihren Erfahrungen. Sie kannten "totlangweilige" Predigten. Sie konnten auch genau sagen, was an diesen Predigten totlangweilig war. Diese Predigten hatten sich nicht mit ihrem Leben verbunden. Es waren Ausführungen, die nichts mit ihrem Leben zu tun hatten. Sie fanden sich nicht wieder, wussten nichts mit den Richtigkeiten anzufangen, schalteten innerlich ab. Es kam mir so vor, als wenn die Jugendlichen einen Wecker bekommen hätten und ihnen gesagt wurde, was ein Wecker alles kann, aber die Bedienungsanleitung gab man ihnen nicht. Sie konnten den Wecker, das lebendige, herausfordernde Wort Gottes, bestaunen, wussten, was es bewirken konnte, aber hatten nichts davon, weil sie selbst den Wecker nicht zum Läuten bringen konnten. Jeden Morgen verschliefen sie trotz Wecker auf dem Nachttisch. 

Diese Problemanzeige müssen wir uns nicht nur als Predigende anhören. Genauso können Kindergottesdienst- Mitarbeiter, Jungscharleiterinnen, Hauskreisleiter Gottes Botschaft weitergeben und dabei das Gegenüber, den einen auf der Fensterbank, nicht im Blick haben und an ihm vorbei reden. Wenn sogar Paulus Predigt für Eutychus zum Einschlafen war, wird wohl niemand von uns sagen können, dass er oder sie es immer schafft, andere mit der guten Nachricht zu erreichen und das Wort Gottes in ihr Leben sprechen zu lassen.

Der junge Mann geriet zu nahe an den Abgrund und fiel heraus. Merken wir, wer bei uns an den Rand gerät, bei wem sich die Verkündigung nicht mit dem Leben verbindet, wer keine Luft mehr bekommt und wer vielleicht schon kurz vor dem Absprung ist? Eutychus hatte einen Unfall, als er heraus fiel, es war bestimmt keine Absicht und nicht von langer Hand geplant. Manche haben auch bei uns solche Unfälle. Eine persönliche Krise lässt jemand an den Rand geraten. Er oder sie fühlt sich von Gott und Menschen allein gelassen. Die lebendige Beziehung zu Jesus Christus ist wie abgestorben. Eine andere taucht langsam weg, ihr Engagement für Gott und die Gemeinde wird schleichend weniger, sie spürt es kaum, aber bald ist die letzte Verbindung gekappt, sie ist aus der Beziehung heraus gefallen. Ein anderer besucht zwar die Gemeinde, aber es ist längst zu einer inhaltslosen Routine geworden. Lebendig würde er seinen Glauben nicht bezeichnen, die Verkündigung rauscht sonntags an ihm vorbei und nichts bleibt am Montag davon übrig. 

Die Gemeinde in Troas bemerkte den leeren Platz auf der Fensterbank. Vielleicht hatten sie einen lauten Knall beim Aufprall des Körpers auf dem Boden gehört. Vielleicht vermisste jemand die monotonen Schnarchgeräusche, vielleicht merkte es der Freund, der Eutychus zur Gemeinde mitgebracht hatte. Jedenfalls liefen die Gemeindeleute nach unten und sahen den toten Eutychus auf der Erde liegen. Eutychus im JugendkreisSie wurden durch Gottes Geist aufmerksam gemacht, dass einer in ihrer Gemeinde fehlte. In Troas hört es sich selbstverständlich an, bei uns ist es lange nicht so selbstverständlich. Ein Mann erzählte mir letzte Woche, wie er durch seine Scheidung aus seiner Gemeinde heraus gefallen ist. Die Gemeinde scharrte sich um seine Frau, die ihn verlassen hatte, ihn ignorierte man. Die ersten Wochen nach der Trennung saß er weinend hinten im Gottesdienst, doch keiner ging ihm nach. Er hat enttäuscht der Gemeinde den Rücken gekehrt und hätte beinahe auch die Verbindung zu Gott verloren, wenn er nicht in einer anderen Gemeinde offene Arme erlebt hätte. Der Mann wusste, warum die Gemeinde ihn nicht unterstützen konnte, er fand viele logische Gründe dafür, doch das half ihm nicht in seiner Einsamkeit.

Wir haben heute die Chance, von Troas zu lernen. Wir haben als Gemeinde ein Versprechen abgelegt, das neue Glied in die Gemeinschaft aufzunehmen und ihm Heimat zu geben. Es ist nicht in unser Belieben gestellt, ob wir den Aufprall zufällig hören oder nicht, strategisch günstig sitzen oder weit weg sind vom Geschehen. Es ist unser Auftrag, dem Herausgefallenen nachzugehen und den Stammplatz in der Gemeinde zu verlassen. Wir werden durch jeden, der heraus fällt, auf die Probe gestellt, ob die gute Botschaft von Jesus Christus in uns eingedrungen ist und uns mit Jesu Liebe zu den Verlorenen erfüllt hat.

Paulus merkte nun wohl auch, dass die Gemeinde nicht mehr andächtig an seinen Lippen hing. Er ging den nach unten Stürmenden nach. Er legte sich auf Eutychus, wie die Propheten Elia und Elisa es schon 800 Jahre vorher getan hatten, und wurde Zeuge, dass der Auferstandene vor aller Augen ein Osterwunder geschehen ließ. Der tote Eutychus kam zu sich und war lebendig. Paulus zeigt uns mit seiner Handlung, was die Gabe der Seelsorge bedeutet. Er ließ sich ganz auf Eutychus ein, er verband sein Leben mit dem des Eutychus und er wartete darauf, dass Jesus das Wunder der Heilung geschehen ließ. Paulus zerrte den Toten nicht in den Gottesdienstraum, sondern blieb bei ihm an Ort und Stelle. Wer die Gabe der Seelsorge hat, wird ganz ähnlich handeln wie Eutychus. Eine Frau, die diese Gabe hat, nutzt zum Beispiel bewusst Autofahrten für seelsorgliche Gespräche. Sie wartet nicht, bis ihre Mitfahrer in die Kirche kommen, um sie dort auf ihr Leben und Jesus Christus anzusprechen. Sie hört einfach zu und die Leute erzählen ihr von sich aus ihre Lebensgeschichte. Sie wartet auf den Zeitpunkt, wann sie Gottes Hilfe ins Gespräch einbringen kann und wird, so sagt sie, immer wieder Zeugin von Osterwundern, dass Einzelne aus dem Auto steigen und neuen Lebensmut bekommen haben, wieder einen neuen Anfang machen oder überhaupt auf den Glauben als Rettungsanker aufmerksam werden. Die Gabe der Seelsorge, wie Paulus sie uns in Troas vorführt, ist wie ein Starterkabel, das die Verbindung zwischen einer vollen und einer leeren Autobatterie herstellt. Gott nutzt die Gabe der Seelsorge wie ein Starterkabel, um leeren Menschen seinen Lebensgeist zu schenken.

Als die Umstehenden merken, dass sich vor ihren Augen Gottes Größe gezeigt hat und ein Mensch zum Leben geführt wurde, gehen sie wieder hinauf in ihren Versammlungsraum und feiern ein rauschendes Fest mit Abendmahl. Es wirkt für uns wie ein vorweggenommenes Mahl im Reich Gottes, das Jesus uns angekündigt hat. So wird es am Ende der Zeiten im Himmel sein, wenn Jesus die Erlösten um sich sammelt. Solch ein Fest sollten auch wir feiern, wenn ein Herausgefallener wieder lebendig wird, seine Beziehung zu Gott und seiner Gemeinde wieder aufnimmt und von Gott neue Energie bekommt. Dieses Fest, bei dem Jesus im Mittelpunkt steht als der gute Hirte, der dem Verlorenen nachgeht, um ihn zu retten, tröstet. Da werden alle in ihrem Glauben gestärkt und mit neuer Hoffnung erfüllt.

Die Gemeindegeschichte in Troas gibt ein paar Hausaufgaben. 

  • An welcher Stelle spiele ich mit?
  • Bin ich eine, die schon auf der Fensterbank sitzt?
  • Habe ich jemand im Blick, der gerade dort eingeschlafen ist?
  • Bin ich aufgefordert, dem Herausgefallenen nachzulaufen?
  • Habe ich die Gabe der Seelsorge?
  • Bin ich zuständig für das Feste Organisieren und Feiern?
  • Habe ich den Trost einer solchen Ostererfahrung nötig?
Lassen wir uns auf diese Hausaufgaben ein, wird sich Gottes Wort mit unserem Leben verbinden und uns verändern. 

Als Herausgefallene ruft er uns zurück ins Leben,
als Lehrende gibt er uns den Blick und die Liebe für die, die innerlich abgehängt haben,
als Gemeinde macht er uns aufmerksam auf unsere Selbstverpflichtung, den Menschen am Rande nachzugehen und sie zurück zu holen in die Gemeinschaft mit Gott.

Cornelia Trick


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