Orientierung nach oben
Gottesdienst am 14.08.2011

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
als am vergangenen Donnerstag, dem 11.8.11, um 15.00 Uhr bekannt wurde, dass sich Frau Merkel und Herr Sarkozy am nächsten Dienstag zu einem Krisengespräch treffen wollen, sorgte allein diese Aussage dafür, dass sich die Aktien innerhalb von Minuten sprunghaft nach oben bewegten. Die Kommentatorin sagte, die Anleger klammerten sich an jeden Strohhalm der Hoffnung, Lösungen der Krise sind nicht in Sicht. 

Die Großwetterlage spiegelt sich oft auch im persönlichen Leben. Man hangelt sich von Strohhalm zu Strohhalm, man versucht, eine Richtung für das Leben zu finden, aus Tiefpunkten wieder nach oben zu kommen, aber verliert die Orientierung. Man weiß nicht mehr zwischen gut und böse zu unterscheiden, Hauptsache es hilft beim Weiterkommen.

In eine solche Situation spricht der Kolosserbrief. Er richtet sich an Christen, die eigentlich wissen sollten, wer ihnen Orientierung gibt. Aber die Gemeinde ist tief verunsichert. Stimmt es wirklich, dass Jesus sie mit Gott in Verbindung gebracht hat, dass sie jetzt zu Gott gehören wie Kinder zum Vater? Oder müssen sie nicht doch noch um diese Liebe kämpfen, indem sie Engel und Mächte gnädig stimmen? Ihre Unsicherheit wirkt sich aus. Sie schauen nicht nach oben, zu Jesus, der ihnen Orientierung geben will. Sie schauen auf den Weg vor ihnen, sehen nur das, was vor ihren Füßen liegt, kommen ins Schlingern und Straucheln wie die Aktienkurse, verlieren die Hoffnung, werden einander zu Feinden und versuchen nur noch zu überleben.

Das, so sagt der Apostel, ist nicht die Bestimmung für Christen. Als sie zu Jesus Ja sagten, als sie ihr Leben mit Jesus begonnen hatten, ist die Entscheidung gefallen. Sie gehören seitdem zu Gott, nach oben. Sie leben zwar auf dieser Erde, mitten in undurchdringlichen Wäldern, auf hoher See oder in öden Wüsten, aber nun mit einer klaren Orientierung. Ihr Navigationssystem ist auf Gott eingestellt.

Kolosser 3,1-11

„Wenn ihr nun mit Christus auferweckt seid, dann orientiert euch nach oben, wo Christus ist! Gott hat ihm den Ehrenplatz an seiner rechten Seite gegeben. Richtet also eure Gedanken nach oben und nicht auf die irdischen Dinge! Ihr seid ja schon gestorben, und euer Leben ist mit Christus bei Gott verborgen. Wenn einmal Christus, euer Leben, allen sichtbar wird, dann werdet ihr mit ihm zusammen in der ganzen Herrlichkeit sichtbar werden, die euch jetzt schon geschenkt ist. Darum tötet alles, was an euch noch irdisch ist: Unzucht, Ausschweifung, Leidenschaft, böse Lust und die Habsucht. Habsucht ist soviel wie Götzendienst. Wegen dieser Dinge kommt das Gericht Gottes. Auch ihr habt früher entsprechend gelebt, als ihr noch ganz dem Irdischen verhaftet wart. Aber jetzt müsst ihr das alles ablegen, auch Zorn und Aufbrausen, Boshaftigkeit, Beleidigung und Verleumdung. Belügt einander nicht mehr! Ihr habt doch den alten Menschen mit seinen Gewohnheiten ausgezogen und habt den neuen Menschen angezogen: den Menschen, der in der Weise erneuert ist, dass er nun Gott erkennt und weiß, was Gott will - der erneuert ist nach dem Bild dessen, der ihn am Anfang nach seinem Bild geschaffen hat! Wo diese Erneuerung geschehen ist, da zählt es nicht mehr, ob jemand zu den Griechen gehört oder zu den Juden, ob jemand beschnitten ist oder unbeschnitten, ob jemand zu einem unzivilisierten Volk gehört oder gar zu einem Stamm von Wilden, ob jemand im Sklavenstand ist oder frei. Was einzig noch zählt, ist Christus, der in allen lebt und der alles wirkt.“ (Gute Nachricht-Bibel)

Der Apostel stellt radikal fest, es gibt ein Oben und ein Unten. Christen müssen nicht ständig versuchen, in den Himmel zu kommen. Sie gehören schon längst dorthin. Noch ist ihre Zugehörigkeit verborgen, doch am Ende der Zeiten, wenn Christus wiederkommt, wird es allen offenbar werden.

Wir müssen uns den Himmel nicht mit Leitern, Verdiensten, Punkten und guter Führung erarbeiten. Unsere Energie können wir dafür einsetzen, unser Leben mit der Kraft von oben zu gestalten. Dafür hat Gott uns neu mit den Kleidern Jesu eingekleidet. Unser Problem ist nur, dass wir die neuen Kleider zwar entgegen genommen, aber die alten nicht ausgezogen haben. Wir leben weiter von den eigenen Kraftreserven, versuchen, die verschlissenen alten Kleider immer wieder zu flicken, doch sie werden niemals so wie die Kleider, die Jesus, uns geschenkt hat. 

Ganz konkret zählt der Apostel auf, was die alten Kleider bewirken. Besonders die Habgier fällt ins Auge. Sie wird mit Götzendienst gleichgesetzt. Offensichtlich ist bei der Gier nach immer mehr der Nerv des Gottesverhältnisses getroffen. Auch die anderen Verhaltensweisen zerstören Gemeinschaft. Der andere, die andere wird verletzt, Grenzen werden überschritten, Macht wird missbraucht. Wo nur einer die Gemeinschaft mit seinem Verhalten so stört, wirkt sich das wie ein Virus aus, die ganze Gemeinschaft wird davon angesteckt und in Mitleidenschaft gezogen.

In der Gemeinde in Kolossä wollte wohl niemand mutwillig böse sein, bewusst beleidigen und anderen durch seine Gier schaden. Aber sie haben offensichtlich ihre alten Kleider gehütet und waren nicht bereit, sie allmählich abzulegen. So konnten sie die neuen nicht anlegen.

Der Gemeindebrief könnte auch uns geschrieben sein. Wir haben uns entschieden, zu Gott zu gehören. Da sollten wir nach und nach die alten Kleider ablegen, um für die neuen Kleider bereit zu sein. Wir lesen im Kolosserbrief, was die neuen Kleider bewirken: Gemeinschaft mit Jesus Christus, Hören auf ihn, uns prägen lassen von ihm, Gott kennen und wissen, was er will.
Das neue Verhalten in der Gemeinschaft lässt sich in drei Aussagen bündeln.

Die Schwester und den Bruder wahrnehmen

Es hört sich wie eine Kleinigkeit an. Natürlich nehmen wir einander wahr. Und wenn wir nach dem Gottesdienst gefragt werden, wer alles da war, werden wir viele Namen aufzählen können. Aber haben wir einander wirklich wahrgenommen? Haben wir einer Schwester oder einem Bruder in der Gemeinde zugehört, uns für seinen Alltag interessiert, ihn mit den Augen Jesu gesehen und erspürt, was er heute von uns brauchte? Kam uns der Gedanke in den Sinn, dass wir etwas für unser Gegenüber sein könnten, irgendetwas für ihn tun könnten? Oder war es ganz anders, dass wir umhergegangen sind, um anderen von uns zu erzählen, sie für unsere Zwecke einzuspannen, sie danach abzuklopfen, was sie für uns sein könnten? Wahrnehmen heißt, selbst ganz still zu werden, zu hören, zu sehen, uns „von oben“ zeigen zu lassen, wo Jesus uns hinstellen möchte und was er von uns erwartet. Ich bin überzeugt, dass unsere Begegnungen reicher werden, wenn wir diese Perspektive von oben haben, nicht uns selbst mitteilen, sondern darauf achten, wo der andere steht.

Auf die Schwester und den Bruder achten

Die Kolosser haben es erlebt. Sie hatten sich für Jesus entschieden, aber ihre Verbindlichkeit ließ nach. Sie verloren die Orientierung, die alten Kleider waren so bequem, sie kamen ins Schlingern, die Gemeinschaft drohte zu zerbrechen.

Wir brauchen Schwestern und Brüder, die uns helfen, an Jesus festzuhalten. Sonst nehmen wir uns vielleicht vor, regelmäßig zu beten, die Bibel zu lesen, uns mit Christen auszutauschen, aber der Stress zuhause ist zu groß, gerade kein guter Zeitpunkt, alle christlichen Freunde sind zu beschäftigt. Zurück bleibt ein schlechtes Gewissen. Und aus lauter Scham verstecken wir uns wie Adam und Eva nach dem Sündenfall oder schauspielern eine innige Beziehung zu Jesus Christus, und innen sind wir leer.

John Wesley, unser methodistischer Kirchengründer, setzte im 18. Jahrhundert in den neu entstandenen Gemeinden so genannte Klassen ein, Seelsorgegemeinschaften, die sich verbindlich dazu anhielten, mit Jesus in Kontakt zu bleiben und ihr Leben nach seinen Maßstäben zu führen. Wenn ein neuer Christ in eine Klasse aufgenommen werden wollte, wurde er zuerst gefragt, ob er bereit wäre, in gegenseitiger Verbindlichkeit zu leben. Ihm wurden verschiedene Fragen gestellt:

  • Hat eine Sünde Macht über dich?
  • Willst du, dass wir dir ehrlich und deutlich deine Fehler sagen?
  • Willst du, dass wir dir sagen, was wir über dich denken und welche Befürchtungen wir haben?
  • Willst du, dass wir dir so nahe kommen, dass wir dich auf ganz persönliche Themen ansprechen können?
  • Bist du bereit, völlig offen zu sein, ohne etwas zu verschleiern oder zurückzuhalten?
Tausende Methodisten haben diese Fragen positiv beantwortet und danach gelebt. Wir sehen im Rückblick, wie fruchtbar die Bewegung wurde, und Kirchengeschichtler sind sich einig, dass den Klassen dabei eine hohe Bedeutung zukam.

Nun können wir die Zeit nicht zurückdrehen, und mir ist von keinem Hauskreis bekannt, dass er nach diesen Regeln zusammenkommt. Aber die Fragen sind wichtige Anstöße für unser Miteinander. Wir brauchen einander, um die Perspektive und die Richtung zu halten. Damals war das Zusammenkommen in Klassen ideal, man lebte Gemeinschaft in großer Offenheit und Vertrauen. Heute sind unsere Hauskreise unverbindlicher, aber eine oder zwei Schwestern oder Brüder sollten wir so weit an uns heran lassen, dass sie uns helfen, die Richtung nach oben zu bewahren. Und das geht nur, wenn wir bereit sind, ihre Hinweise, die aus ihrer Verbindung zu Jesus erwachsen, anzunehmen und uns zu verändern.

Die Schwester und den Bruder annehmen

Der Kolosserbrief hält fest: Egal zu welcher Volksgruppe du gehörst, ob du aus der Stadt oder vom Land kommst, ob du der Oberschicht angehörst oder Schwierigkeiten hast, dein tägliches Brot zu bekommen, du gehörst zu Christus. Und Christus, der das neue Kleid sein will, das du nun trägst, überstrahlt alle Unterschiedlichkeit. Der Glaube an Christus ist wie eine Robe, die alle Christen tragen und die die Unterschiede und Trennungen aufhebt.

So ist die Gemeinschaft der Christen daran zu erkennen, dass sie niemand ausschließt, auch nicht die Kleingläubigen und die Zweifler, die auch Jesus nicht ausgeschlossen hat. Zudem werden wir aufgerufen, die Unterschiede nicht einfach bestehen zu lassen – so wie wenn wir zwar gleiche Roben anhätten, aber die Unterschiede sich in den Schuhen zeigen würden. Wir leben als Gemeinschaft, um Brücken zu bauen, für Verständigung zu sorgen und Ausgleich zu schaffen.

Wie wir das leben können? Durch Wahrnehmen und aufeinander Achten, durch Zuhören und gemeinsames Fragen nach Gottes Willen, durch gemeinsames Gebet und einen gemeinsamen Auftrag, bei dem wir merken, wie angewiesen wir aufeinander sind.

Vielleicht wird Jesus uns am Ende der Zeiten gar nicht fragen, in welcher Rekordzeit und mit welchem Erfolg wir unsere Lebensaufgaben bewältigt haben, sondern wen wir ermutigt haben, den Weg mit Jesus mitzugehen.

Denn: „Was einzig noch zählt, ist Christus, der in allen lebt und der alles wirkt.“

Cornelia Trick


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