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Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Wir Menschen haben Jesus gekreuzigt. Es war die Todesart des römischen Reiches, die auf politischen Aufruhr stand. Es war nicht die Todesart, die Gott sich ausgedacht hatte. Und doch hat Gott auf wunderbare Weise unsere menschliche Grausamkeit und unsere menschliche Schuld eingebunden in sein Heil für uns. Das Kreuz ist am Ostermorgen zum Siegeszeichen geworden. Jesus ist mit uns durch den Tod zum Leben gegangen, um uns ein Leben mit ihm in Ewigkeit zu ermöglichen. Dem Sterben Jesu nachzugehen heißt, uns auf dies Geschehen auf Golgatha einzulassen. Die vier Evangelien berichten übereinstimmend darüber und bringen doch die verschiedenen Facetten dieser Stunden zum Ausdruck. Sie überliefern uns sieben Sätze, die Jesus am Kreuz gesagt hat. Es sind sieben Sätze, die das ganze Heilsgeschehen interpretieren. Ich möchte das heute nur an dem sehr kurzen Satz entfalten: "Mich dürstet". Der Vollständigkeit halber hier aber alle sieben Worte Jesu am Kreuz, die die kirchliche Tradition in diese festgefügte Reihenfolge gestellt hat. Die sieben Worte Jesu am Kreuz
"Mich dürstet!" holt uns bei unserer Lebenssituation ab. Jesus hat dieses Wort am Kreuz gesprochen. Es wirkt ja eher wie eine fast überflüssige Randnotiz. Und doch weisen diese beiden kurzen Wörter darauf hin, dass Jesus am Kreuz ganz nahe bei uns war, ganz Mensch war. Er kannte auch unseren Durst, wollte uns mit diesem Satz auf unserem Lebensweg begleiten, der von immer wiederkehrendem Durst gekennzeichnet ist. Voraus gehen drei Worte Jesu, mit denen er unsere Welt ansprach. Zuerst thematisierte er die Feinde, die nicht wissen, was sie tun. Auch das eine Alltagserfahrung von uns Menschen und von Christen in besonderer Weise. Wer Jesus nachfolgt, kann bedrängt und verfolgt werden wie Jesus selbst. Und da leitet uns Jesus an, es ihm bis in die Todesstunde nachzutun, den Vater im Himmel darum zu bitten, dass er seinen Feinden vergibt. Jesus richtete auch ein Wort an die Gemeinde. Er wies den Lieblingsjünger seiner Mutter Maria als neuen Sohn zu. Er weist uns hier als neue Familie ein, wo einer für die andere zu sorgen hat, wo wir aufeinander Acht geben sollen und uns mit Liebe beschenken können, die wir in unseren Herkunftsfamilien vielleicht nie erlebt haben. Jesus weist uns auch an, wie wir mit Schuld und Sünde umzugehen haben. Er vergab dem Verbrecher neben ihm am Kreuz. Er sagte ihm zu, dass Umkehr zu Gott auch in der Todesstunde noch möglich ist. Alles hängt daran, Jesus zu vertrauen und seine Liebe anzunehmen. So können auch wir Jesu Angebot des neuen Lebens weitergeben. Wer schuldig geworden ist, braucht das nicht bis in Ewigkeit mit sich zu tragen, er kann es abgeben und frei werden. Und nun zeigte Jesus mit seinem Durst auf sich
selbst. Noch mehr spitzt sich seine Abhängigkeit im nächsten Wort zu. Er rief nach dem Vater im Himmel, von dem er sich in der Tiefe der Todesstunde verlassen fühlte. Nicht nur die körperliche, auch die seelische Abhängigkeit wurde ihm zur Qual. Doch wir schauen schon durch das Leiden hindurch auf den Sieg. "Es ist vollbracht", Mensch und Gott sind durch Jesus versöhnt, ein neuer Anfang der Menschheitsgeschichte ist gemacht. Im letzten Ausruf warf sich Jesus in des Vaters Arme, er und der Vater sind wieder eins, Gott hat uns Menschen mit sich selbst versöhnt. Jesus quält Durst, er ist körperlich am Ende. Seine letzten Stunden und Tage wirken nach, Kampf in dem Garten Gethsemane, Gefangennahme, eine schlaflose Nacht, Verhöre am laufenden Band, Geißelung und Kreuzweg, Kreuzigung und Sonnenglut. Hinter diesen letzten 24 Stunden leuchtet sein Lebensweg auf. Immer wieder wies er darauf hin, dass Gott den Durst nach Leben stillen kann. "Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit" (Matthäus 5). Der Frau am Brunnen bot er Wasser an, das nie mehr durstig machte (Johannes 4). Zum Volk sagte er "wen dürstet, der komme zu mir und trinke". In einem Gleichnis erzählte Jesus von einem Reichen, der in der Hölle unendlichen Durst litt und den armen Lazarus, der bei Gott war, bat, ihm Wasser zu geben. Jesus verkündete, dass Gott mit seiner Liebe und der Bereitschaft, mit uns einen neuen Anfang zu machen, diesen Durst nach Leben stillen will. Und hier am Kreuz wurde Jesu Verkündigung durch-kreuzt. Er selbst litt Durst. Der Liederdichter Paul Gerhardt beschrieb es
in einem Lied so:
Hier geschieht der fröhliche Wechsel. Jesus hat Durst, er hat zutiefst Durst nach der Gemeinschaft mit uns Menschen. Bis in die Todesstunde gibt er nicht auf, nach uns Menschen zu suchen. Unsere Schuld will er uns vergeben, einen Neuanfang mit uns machen – und wir? Erkennen wir, dass Jesus stellvertretend für uns diesen Durst erträgt? Erkennen wir unsere Sehnsucht, unser Verlangen nach der Gemeinschaft mit ihm? Doch wie äußert sich Sehnsucht nach Gott? Oft ist sie sehr versteckt unter vielen Aktivitäten, die das Leben ausfüllen. Mit jeder Reise, mit jedem Event wird letztlich ein tiefer Sinn gesucht, eine Antwort auf die Frage nach Woher und Wohin. Die Sehnsucht nach Gott kann aber auch verborgen sein in der Liebesbeziehung, wo einer der anderen zum Ersatz-Gott wird, alle Bedürfnisse abdecken, für alles Verständnis haben und 100% Geborgenheit liefern muss. Sehnsucht nach Gott schlummert in manchem Minderwertigkeitsgefühl und in den Ohnmachtserfahrungen, die uns erinnern, wir haben uns nicht selbst im Griff, es muss etwas geben, dass uns bedingungslos annimmt und unsere Ohnmacht besiegen kann. Gut, wenn wir die Sehnsucht, den Durst nach Gott in unserem Leben konkreter benennen können. Und wenn wir unsere Bedürfigkeit erkannt haben, antworten wir Jesus und sagen wir Ja zu ihm? Die Leute unter dem Kreuz reagierten. Sie füllten einen Schwamm mit Essig und erfüllten damit ein altes Psalmwort, wo der Psalmbeter davon sprach, dass er Durst hatte und seine Feinde ihm Essig zu trinken gaben (Psalm 69,22). Auch der Ysop-Stab, mit dem man Jesus den Essigschwamm reichte, zeigte die Bedeutung von Jesus für uns. Ysop-Büschel waren höchstens 60 cm lang. Sie eigneten sich eigentlich nicht zum Anreichen eines Getränkes. Doch mit dem Ysop-Stab wurde an den Auszug aus Ägypten am Anfang der Geschichte des Volkes Israel erinnert. Mit dem Ysop-Büschel haben die Israeliten ihre Türpfosten mit dem Blut des Passalammes bestrichen – und das in der Erinnerung an damals an jedem Passafest aufs Neue. Sie zeigten damit, sie gehörten zu dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Der Ysop-Stab unter dem Kreuz weist hin, wer das wahre Opferlamm ist. Jesus ist Sohn Gottes, der die Sünde der Welt trägt und selbst unseren Durst nach der Gemeinschaft mit Gott erleidet. Wenn wir jetzt miteinander das Abendmahl feiern, dann gedenken wir des letzten Abendmahls Jesu im Kreis seiner Jünger. Neu werden wir beschenkt mit der Gegenwart Jesu in Brot und Wein. Er möchte mit diesem Abendmahl den Durst, den er an unserer Stelle erlitt, bei uns stillen. Er schenkt uns einen Neuanfang mit Gott, er erweist seine Liebe zu uns, obwohl wir ihrer oft nicht würdig sind. Er schenkt uns durch seine Gegenwart Kraft für ein Leben mit ihm. Dieses Abendmahl feiern wir immer wieder, denn unser Durst muss immer neu gestillt werden. Karfreitag lädt uns ein zum Danken. Wir können danken, dass Jesus uns immer wieder und eindringlich sucht. Wir können danken, dass er Durst hat nach der Gemeinschaft mit uns. Karfreitag sind die Rollen vertauscht worden, damit unser Durst nach der Gemeinschaft mit Gott gestillt werden kann. Karfreitag lädt uns ein zum Bekenntnis. Wir haben Jesus auch aus unserem Leben ausgesperrt. Für manche Bereiche haben wir ihn als nicht zuständig erklärt. Manches Eisen mag uns zu heiß gewesen sein, um es mit ihm zu besprechen und von ihm zurecht rücken zu lassen. Oft haben wir seine Gemeinschaft auch zu selbstverständlich genommen, haben ihn unter den Arm geklemmt und meinten, dass er mit unseren Plänen schon zufrieden sein würde. Unser Blick wird auch auf die Menschen gerichtet, nach denen Jesus weiterhin Sehnsucht hat. Und wir werden aufmerksam, wo unser Gebet für sie verstummt ist und unsere Sorge um sie eingeschlafen ist. Unser Bekennen reicht auch in Bereiche, wo Vergebung nötig wäre und wir uns ihr verschließen. Karfreitag gibt uns die Atempause, diese Bereiche unseres Lebens sehr sorgfältig zu prüfen und sie am Kreuz ins Reine zu bringen. Jesus hat Durst nach uns – auch heute. Jesus spricht:
Cornelia
Trick
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