Bin ich dabei?
Gottesdienst am 16.10.2005

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
es gab Situationen in meiner Schulzeit, an die ich mich nicht gerne erinnere. Ein immer wiederkehrendes Ritual fand in den Turnstunden statt. Lehrer forderten zwei Schüler oder Schülerinnen auf, Mannschaften für ein Ballspiel zu wählen. Ballspiele lagen mir überhaupt nicht. Der Ball gehorchte mir einfach nicht und kam nie sehr weit. Leider wussten das meine Mitschüler und wählten mich immer erst ziemlich zum Schluss. Es war eine entwürdigende Situation, wie im Schaufenster ausgestellt zu sein und keiner wollte mich. Wie atmete ich jedes Mal auf, wenn eine Freundin wählen durfte. Aus Freundschaft befreite sie mich eher aus dem Wartestand und andere mussten dafür länger leiden. Mit den Jahren wurden diese Turnstunden seltener. Doch immer wieder tauchten die gleichen Ängste auf. Man stand zur Wahl und blieb übrig, andere wurden als besser oder beliebter eingestuft. Und oft war es auch gar keine Wahl, die einen allein übrig ließ, sondern man war einfach zu spät zu einem verabredeten Treffpunkt gekommen, die Gruppe war längst ohne einen abgezogen. Heute träume ich davon, zu spät zum Gottesdienst zu kommen, den falschen Schlüssel für die Kirche dabei zu haben und nicht hinein zu können oder einen falschen Termin im Kopf zu haben, der mich zu spät kommen lässt. Die Turnstunden von damals hinterlassen Spuren. Es sind Urfragen, die damals und heute zum Ausdruck kommen: Bin ich dabei?

Mit dieser ehrlichen Frage kam ein Mann zu Jesus: "Bin ich dabei, wenn Sie Ihr neues Reich aufrichten?" Es war keine distanziert statistische Frage nach dem Prozentsatz derer, die dabei sind oder ausgeschlossen werden, sondern eine sehr persönliche. Es ging dem Mann um sich selbst. Er wollte in Erfahrung bringen, ob er einmal in diesem neuen Reich, von dem Jesus erzählte, einen Platz haben würde. Er sprach damit aus, was wir als diffuse Ängste mit uns herum tragen. In Stress- und Krisenzeiten formen sich diese Ängste zu dem Hilfeschrei: Gibt es Erlösung? Werde ich diese Krise lebend bewältigen? Gibt es eine Zukunft für mich, die ins Leben führt?

Der Mann erwartete auf seine Frage die Antwort: Natürlich bist du dabei. Die Zusage hätte ihn sicher beruhigt, alles würde gut werden. Doch Jesus antwortete anders. Er bestärkte diesen Mann nicht in seiner Erwartungshaltung, sondern forderte ihn auf, sein Leben neu zu bedenken. 

Lukas 13,22-30

Jesus zog weiter auf dem Weg nach Jerusalem. Unterwegs sprach er in Städten und Dörfern. Einmal fragte ihn jemand: "Herr, werden nur wenige gerettet?" Jesus antwortete: "Die Tür zu Gottes neuer Welt ist eng; kämpft darum, dass ihr Einlass findet! Denn viele, sage ich euch, werden sich am Ende darum bemühen, aber es nicht mehr schaffen. Wenn der Hausherr aufsteht und die Tür abschließt, werdet ihr draußen stehen und klopfen und rufen: 'Herr, mach uns auf!' Doch er wird euch antworten: 'Ich weiß nicht, wo ihr herkommt!' Dann werdet ihr sagen: 'Wir haben doch mit dir zusammen gegessen und getrunken, und du hast auf den Straßen unserer Stadt gelehrt.' Aber er wird euch antworten: 'Ich weiß nicht, wo ihr herkommt. Ihr habt es allesamt versäumt, das Rechte zu tun, geht mir aus den Augen!' Da werdet ihr dann jammern und mit den Zähnen knirschen, wenn ihr Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten in Gottes neuer Welt seht, doch ihr selbst seid ausgeschlossen. Aus Ost und West, aus Nord und Süd werden die Menschen kommen und in Gottes neuer Welt zu Tisch sitzen. Seid darauf gefasst: Es gibt solche, die jetzt noch zu den Letzten zählen; die werden dann die Ersten sein. Und andere zählen jetzt zu den Ersten, die werden dann die Letzten sein." 

Die Gegenwart

Jesus antwortet dem Mann mit einem Gleichnis, das in zwei Zeiten spielt, in der Zukunft und in der Gegenwart. Die Gegenwart ist das Entscheidende, obwohl das Gleichnis hauptsächlich die Zukunft beschreibt. 

Die Gegenwart wird in einem Satz beschrieben, der sehr zentral in der Mitte steht: Wir haben doch mit dir zusammen gegessen und getrunken, und du hast auf den Straßen unserer Stadt gelehrt.

Das ist der Moment, in dem der Mann mit Jesus spricht. Vielleicht saßen sie gerade bei Tisch, Jesus lehrte vom Reich Gottes, ein paar packten ihre Einkäufe aus und teilten sie mit den anderen. Das Brot machte die Runde, Früchte wurden herumgereicht, ein Weinkrug wurde geleert. Von solchen Mählern mit Jesus ist oft berichtet. Meistens wird dabei auch erwähnt, dass es zwei Gruppen gab. Die einen, die sich über Jesu Anwesenheit zutiefst freuten, ihr Leben mit Jesus verbringen wollten, alles aufgeben wollten, um mit Jesus zusammen zu sein, die anderen, die am Tisch oder draußen vor der Tür argwöhnisch zuschauten, sich entsetzten über Jesu Anspruch auf ihr Leben und keine persönlichen Konsequenzen aus der Begegnung mit Jesus zogen.

Jesus antwortet diesem Mann vor diesem Hintergrund klar und deutlich. Hier und heute geht es darum, eine Beziehung zu Jesus aufzunehmen. Aus der Tischgemeinschaft soll mehr werden als eine flüchtige Bekanntschaft. Sie ist der Einstieg zu einer dauerhaften Lebensgemeinschaft, einer Beziehung, die bis ins Reich Gottes reicht. Doch es gibt welche, die das Essen mit Jesus wie einen Restaurantbesuch unter vielen erleben. Sie knüpfen keine Beziehung, sie schauen Jesus unbeteiligt zu. Sie gehen keine Verpflichtungen ein, die weiter reichen könnten als dieses eine Zusammentreffen, und sie beziehen keine Position oder sind sogar ablehnend. Sie verpassen ihre Chancen jetzt, in der Gegenwart.

Die Zukunft

Das Bild der Zukunft zeigt einen Gutshof mit einem großen Eingangstor, das gegen Abend geschlossen wird. GutshofNeben dem Eingangstor befindet sich noch eine kleine Tür, durch die werden späte Ankömmlinge eingelassen. Späte Besucher waren eher selten. Man weiß ja, wann die Nacht hereinbrechen wird. Da es keine Straßenbeleuchtung gibt, ist jede und jeder froh, rechtzeitig das Haus zu erreichen und im sicheren Hof zu sein. Doch an diesem Abend gibt es einen großen Andrang vor der kleinen Eingangstür. Die Nacht kam wohl überraschender als sonst. Man klopft und der Gutsbesitzer öffnet. Er schaut sich die Klopfenden genau an. Aus Sicherheitsgründen lässt er so spät nur noch die ein, die er kennt. Doch offensichtlich sind ihm diese späten Leute von der Straße unbekannt. Sie versuchen, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Sie erinnern ihn an gemeinsam verbrachte Mahlzeiten, bei denen sie dem Gutsbesitzer genau gegenüber saßen. Doch der Gutsherr kann sich nicht an sie erinnern. Vielleicht hat er ein ähnlich schlechtes Gedächtnis wie ich. Ich kann mir die Gesichter von Menschen auch nur schlecht merken, erinnere mich aber sehr gut an Lebensgeschichten.

Diese Leute hatten offensichtlich keine Beziehung während der gemeinsamen Mahlzeit geknüpft. Sie haben nichts von sich preisgegeben, sind nicht mit dem Tischherrn in Verbindung geblieben, haben das Mahl als eine Episode am Rande längst abgehakt. Doch jetzt wird ihnen das zum Verhängnis. Sie bekommen keinen Eintritt, müssen in der gefährlichen Nacht draußen bleiben. Sie haben lediglich einen kleinen Einblick durch ein erleuchtetes Fenster ins Innere des Gutshofs. Da steigt die Party. Alle sind dabei, die ganze Riege der Erzväter Israels bis zu vielen Menschen aus aller Welt, die offenbar Jesus viel später getroffen haben als die draußen Gebliebenen. 

Jesus zeichnet ein stimmiges Bild von Gegenwart und Zukunft. Und er wirbt um diesen Mann mit seiner Urangst, vor dem Gutshof übrig zu bleiben. Er verdeutlicht ihm, dass die Entscheidung der Zukunft hier und heute beginnt, mit dem Gastmahl, das gerade stattfindet, und der Chance, jetzt eine Verbindung zu Jesus Christus aufzubauen. Wenn der Mann es jetzt und hier versäumt, wird es ein Zu-Spät geben.

Die Gegenwart

Dieses Gleichnis will uns hier in der Gegenwart treffen. Es weckt uns aus dem Alptraum, übrig zu bleiben, weil wir den Ansprüchen nicht genügen oder zu spät gekommen sind. Selbst die ganz Fernen sind schon beim Feiern dabei, warum nicht auch Sie und ich? Jesus gibt uns wie dem Mann mit auf den Weg, für den Einlass in Gottes neue Welt zu kämpfen. Dieses Kämpfen ist kein Drängeln, wer in der Schlange zuerst kommt, sondern ist ein Kämpfen in dem Auf und Ab unseres Lebens. Offensichtlich genügt es nicht, einmal mit Jesus zusammen gewesen zu sein. Die Beziehung muss aufrecht gehalten werden, es muss mehr entstehen, als ein flüchtiges einander Treffen unterwegs.

Wie aber verbindet sich unser Weg mit Jesus? Wie lässt sich eine dauerhafte Beziehung zu Jesus in den ganz normalen Anforderungen des Alltags leben? Darauf gibt Jesus in dem Gleichnis keine Antwort. Wir müssen sie selbst finden. 
Ein Berührungspunkt mit Jesus ist sicher der Sonntag, an dem wir uns im Gottesdienst Gottes Anrede aussetzen, ihn zu Wort kommen lassen und unser Leben in seiner Gegenwart bedenken.

Doch zwischen zwei Sonntagen liegen sechs Werktage, die uns sehr schnell vergessen lassen, was der Sonntag uns an Impulsen gegeben hat. Ich behaupte, die wenigsten denken am Dienstag noch darüber nach, was Gott ihnen am Sonntag mit auf den Weg gegeben hat. Der Alltag spült die Schätze des Sonntags regelmäßig fort. Umso wichtiger ist es, unseren Alltag auf die Möglichkeiten hin zu beleuchten, die er bietet, um mit Jesus dauerhaft in Berührung zu bleiben.

  • Merkzettel anlegen: Eine Freundin von mir wohnt in einem Haus mit Metall-Türrahmen. Der Türrahmen ihrer Küche ist voller Magnete, die viele kleine Zettel festhalten: Milch kaufen, Reifen wechseln, 12.30 Kinder von der Schule holen, Salat für Gemeindefest usw. Jedes Mal, wenn ich sie besuche, bleibe ich vor diesen Küchenzetteln stehen. Nicht, dass mich interessieren würde, was in ihrem Kühlschrank fehlt, aber sie fesseln einfach meinen Blick. Genauso geht es mir mit Orten in meiner Wohnung, an denen ich kurze Sprüche, Bibelverse, Einsichten, Fotos deponiert habe, die mich an Gottes Gegenwart erinnern. Ich bleibe vor ihnen stehen, vergewissere mich, dass Gott da ist, und mache mit meinem Alltag gestärkt weiter. Auch an meinem Schreibtisch liegen diese Erinnerungszeichen. Sie sind eine kleine Hilfe, die Verbindung zu Jesus zu halten mitten im Trubel der täglichen Herausforderungen.
  • Regelmäßige Gebete: Von einem jungen Mann lernte ich letzte Woche, dass er seine Fahrten zur Arbeit als Gebets- und Fürbittenzeit nutzt. Während des Weges zur S-Bahn dankt er Gott für den neuen Tag, seine Nähe und seine Zeichen, die er ihm während der Arbeit immer wieder geben wird. In der S-Bahn hat er sich immer drei Gebetsanliegen zwischen zwei Haltestellen vorgenommen. Auf dem Weg von der S-Bahn zur Arbeitsstelle betet er für seine Kollegen, seinen Chef, seine Firma. Er sagt, dass er, seit er diesen regelmäßigen Rhythmus für das Gebet gefunden hat, ganz anders in der Firma ankommt. Nun habe ich nicht diesen weiten Weg zu meinem Schreibtisch. Aber ich will mir diese Anregung zu Herzen nehmen, Stationen des Tages regelmäßig als kurze Erinnerungszeiten zu nutzen, um ins Gespräch mit Gott zu kommen.
  • Fitnesstraining in Sachen Liebe: Manche Sonntag-Abend-Depression rührt daher, dass man im Alltag und der Erwerbsarbeit über das Geldverdienen hinaus wenig Sinn sieht. Was trägt die Arbeit aus für das Reich Gottes? Und manch einer denkt: Ja, wenn ich Missionar im Urwald wäre, dann könnte ich mit Jesus in Kontakt bleiben, aber bei meiner Arbeit geht das einfach nicht. Dabei ist doch auch bei der Arbeit - egal ob zu Hause oder in einem Betrieb - meistens ein Mensch in unserer Nähe, mit dem wir nicht besonders gut auskommen. Dieser eine oder diese eine ist uns vielleicht von Gott gegeben, um mich darin einzuüben, Gottes Liebe zu leben. Diese Liebe entspringt nicht einem Gefühl, sich sympathisch zu sein und gleich auf der gemeinsamen Wellenlänge zu schwingen, sondern entspringt dem Entschluss, im anderen ein von Gott geliebtes Wesen zu entdecken. Aus diesem Gedanken entwickeln sich allmählich Handlungen, Taten, die Gottes Liebe entspringen und die zu Gefühlen führen, die den anderen oder die andere wirklich als liebenswert empfindet. Es ist ein weites Übungsfeld, das sich vor uns auftut von Montag bis Samstag. Wir haben die Möglichkeit, in diesen Prozessen Jesus hautnah zu erfahren und Sinn in ihnen wahrzunehmen, warum wir gerade an diesem Ort zu dieser Zeit in seinem Auftrag sind.
  • Charakterschule: Der Alltag fordert uns alle, egal wo wir stehen. Die Schüler in den Anforderungen der Schule, Freundschaften, Zukunftsorientierung, die Familienfrauen und -männer in den Herausforderungen, Termine, Probleme und Haushalt für unterschiedliche Menschen in verschiedenen Lebensphasen zu managen, die Berufstätigen an ihren unterschiedlichen Plätzen. Wir sind mit einer Vielzahl von Konflikten konfrontiert, werden oft genug in Frage gestellt und kritisiert, müssen uns verbiegen oder dürfen uns gerade nicht verbiegen. Mit diesen Situationen arbeitet Gott an uns. Er nutzt sie, um uns ein Profil zu geben. Gerade die Krisen sind Gelegenheiten für ihn, uns auf sich aufmerksam zu machen und in eine neue Richtung zu bewegen. Ohne diese Herausforderungen hätten wir wenig Impuls zur Weiterentwicklung, würden die Hand Gottes nicht brauchen, die uns aufrichtet und weiter führt.
  • Vor der Tür: Jeder Tag, so durchschnittlich, frustig, vergeblich er auch erst scheinen mag, kann zu einer wunderbaren Chance werden, die Beziehung zu Jesus zu festigen und von ihm Neues zu erfahren. Die Gegenwart beschenkt uns. Was Jesus dem Mann damals nämlich nicht sagte, aber zu anderer Zeit ausführte: Jesus wird, solange die Gegenwart noch anhält, aus der Tür des Gutshauses heraustreten und zu uns kommen. Er wartet nicht tatenlos im Inneren des Hauses, sondern tut in der Gegenwart alles, um uns mit sich vertraut zu machen, rechtzeitig, bevor es Nacht wird. Der Alptraum der Turnstunde muss sich nicht bis in alle Ewigkeit fortsetzen. Jesus kennt die Seinen und wählt sie in sein Team.
Cornelia Trick


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