Licht und Dunkel
Gottesdienst am 22.08.2010

Liebe Gemeinde,
täglich werden wir mit Bildern vom überschwemmten Pakistan konfrontiert, dazu Waldbrände in Europa und Überschwemmungen an der polnischen GrenzeHochwasser, der Katalog an Schrecklichkeiten scheint nicht abzureißen. Wo man hinhört, wird über diese Katastrophen berichtet, diskutiert, werden Mutmaßungen angestellt, wer die schlimme Lage verursacht hat, und Schuldzuweisungen ausgesprochen. Das Leid rührt uns, aber gleichzeitig versuchen wir doch, es auf Distanz zu halten. Uns kann das alles ja nicht passieren, wir bleiben, wie wir sind. 

Eine ganz ähnliche Situation gab es in Jerusalem. 

Doch zuerst die Vorgeschichte: Jesus war im Tempel, er erzählte den Menschen von Gottes Liebe und seiner Sehnsucht nach ihnen. Er zeigte auf sich und sagte: Ich bin der, der euch Gott zeigt, in der Verbindung zu mir seid ihr ganz nahe bei Gott. Die religiösen Verantwortlichen konnten das nicht akzeptieren. Für sie war Jesus ein ganz normaler Mensch. Was sollte er ihnen Neues von Gott sagen? Sie hoben Steine auf, um Jesus zu töten, so sehr waren sie davon überzeugt, in Jesus einen schlimmen Gotteslästerer vor sich zu haben. Jesus entzog sich ihnen und verließ den Tempel.

Johannes 9,1-4

Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir  müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

Der Mann vor dem Tempel

Der Mann vor dem Tempel war 3-fach arm dran. Er war Bettler, blind und blind geboren, das heißt man ging davon aus, dass eine schwere Sünde die Blindheit verursacht hatte und schloss ihn aus der Tempelgemeinde aus. Der Bettler war für die Gesellschaft ein hoffnungsloser Fall, er war nichts mehr wert. So wundert es nicht, dass die Jünger mit Jesus über den Bettler reden wollten wie wir oft über die Katastrophen dieser Tage. Warum ist er blind? Wer hat gesündigt? Er, seine Eltern? Sie wollten ein distanziertes Gespräch über diesen Mann auf dem Boden führen, doch das ließ Jesus nicht zu. Er ging einfach nicht auf ihre Fragen ein. Er zeigte ihnen damit, dass er an Vergangenheitsbespiegelung kein Interesse hatte. Ihm ging es um die Zukunft des Mannes, ihm geht es bis heute um unsere Zukunft, nicht unsere Vergangenheit. Und so gab er Antwort auf eine nicht gestellte Frage. Niemand hatte Jesus gefragt, wozu die Krankheit des Mannes gut sein sollte. Doch genau das beantwortete Jesus, „damit die Werke Gottes offenbar werden an ihm“. Ein Mann, der 3-fach gehandikapt war, wurde von Gott so wert erachtet, dass Gott sich seiner annahm. Einer, dem die anderen höchstens ein paar Cent in seinen Becher warfen, wurde von Jesus ausersehen, Gottes Herrlichkeit anschaulich werden zu lassen. Die frommen Pharisäer im Tempel mit ihrem gesetzeskonformen Lebenswandel, ihrer tadellosen weißen Weste, sie blieben außen vor. Gott zeigte sich nicht bei ihnen im Tempel, er offenbarte sich vor dem Tempel am schmutzigsten Platz, wo nur die saßen, die keinen Wert mehr hatten.

Ist das nicht eine Hoffnungsgeschichte für die, die sich wie dieser Bettler ausgemustert, am Rande, wertlos und vor lauter Problemen und Sorgen blind fühlen? Jesus geht auch heute noch auf uns zu, die wir wie dieser Mann außen vor sind und berührt uns, damit an uns Gottes Größe und Herrlichkeit sichtbar wird. 

Merkwürdigerweise bezog Jesus die Jünger ein in dieses Heilungsgeschehen, er sagte: „wir müssen die Werke Gottes wirken“. So hat diese Hoffnungsgeschichte auch denen etwas zu sagen, die entweder Gottes Erbarmen in ihrem Leben schon erfahren haben und längst aufgestanden sind oder zu den Stabilen gehören, die nichts umwirft. Die Werke Gottes zu wirken, bedeutet, Liebe, Erbarmen und Licht ins Leben von Menschen zu bringen, die dieses Licht ganz nötig brauchen. Denn noch ist Entscheidungszeit. Es ist noch Tag, die Welt ist noch nicht ans Ende gekommen, Gott wirbt um jede und jeden, sich ihm anzuvertrauen.

So kommen wir zurück zu den Tagesnachrichten: „Wir“ sind gefragt, wenn es um Spenden und Hilfe für Opfer der Katastrophen geht. Distanzierte Diskussionen führen zu nichts. Auch an den Menschen in Pakistan, die uns fremd sind, deren Land wir nicht bereisen und die mehrheitlich nicht Christen sind, will Gott seine Werke tun und warum nicht durch unsere Spenden. Der barmherzige Samariter ist das beste Beispiel dafür.

Heilung mit Fortsetzung

Jesus heilt den Blinden. Er rührt einen Brei aus Erde und Speichel, was uns an die Schöpfungsgeschichte erinnert. Wie eine neue Schöpfung geschieht die Heilung. Aus Erde und Atem schuf Gott den Menschen, mit Erde und Speichel wird der Blinde wieder sehend. Er wird zum Teich Siloah geschickt und wäscht sich an der Quelle den Brei ab. Auch das hat symbolische Bedeutung, an der Quelle findet er Heilung, am Teich, der den Namen von Jesu Auftrag trägt: Gesandter. 
Hier könnte die Geschichte enden. Ein Blinder wird sehend, weil er Jesus begegnet ist. Doch das Wozu zieht Kreise. Die Werke Gottes werden auch im Folgenden sichtbar. Verschiedene Menschen reagieren nämlich sehr unterschiedlich auf diese Heilung. Sie laden uns ein, uns zu hinterfragen. Zu welchen würden wir denn gehören? 

Da sind zum einen die Nachbarn. Die glauben ihren Augen nicht zu trauen und halten den Geheilten für einen Doppelgänger. Doch der Geheilte sagt ihnen klipp und klar: „Ich bin´s. Der Mann, der Jesus heißt, machte mich sehend.“ Die Nachbarn fanden das wohl unheimlich. Sie kannten den Blinden und hatten so etwas noch nie erlebt. Was außerhalb ihrer Erfahrung lag, konnte eigentlich nicht stimmen. Also schleppten sie ihn zur zuständigen Autorität in Grenzfragen, den Pharisäern. Wer würde sich nicht auch wenigstens ein bisschen in den Nachbarn wieder erkennen. Man glaubt nur, was man versteht. Wenn allerdings eine Autorität es für wahr erklärt, nimmt man das hin. Wenn im Wissensteil der Zeitung steht, dass Brei Augenlicht schenkt, dann wird es wohl stimmen. Aber wenn jemand von sich sagt, Jesus hat mir geholfen, dann ist das eher auf Einbildung zurückzuführen, wie sollte denn der Glaube sonst helfen?

Die Pharisäer scheinen allerdings an der Heilung gar nicht interessiert zu sein. Sie bewegt vielmehr der Tatbestand, dass die Heilung an einem Sabbat vollzogen wurde, Breianrühren vom Gesetz her an Sabbaten verboten ist. Sie stehen vor einem Problem. Dieser Mensch, der von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein, heilt an einem Sabbat – das widerspricht Gottes Wort in der Bibel, also kann er nicht Gottes Sohn sein. Auf der anderen Seite ist diese Heilung ein klares göttliches Zeichen, dann wäre er ja doch Gottes Sohn. Also wie nun? Sie drängen den Geheilten immer mehr, gegen Jesus auszusagen, doch der bekennt sich immer deutlicher zu Jesus: „Er ist ein Prophet.“, und später: „Er ist von Gott.“ Die Pharisäer waren so nah dran. Sie standen an der Weggabelung. Sie hatten erkannt, dass solch ein Wunder nur von Gott initiiert sein konnte, aber sie entschieden sich doch gegen Jesus. Sie konnten nicht akzeptieren, dass Gott anders war, als sie ihn sich vorstellten. Dass er gegen sein eigenes Gesetz handeln konnte, um Menschen zu retten, und zwar noch solche, die offenbar so von Schuld gezeichnet waren wie dieser Blindgeborene. Die Pharisäer verschlossen sich. Sie warfen den Geheilten aus dem Tempel und der Gemeinde. Sie entschieden sich innerhalb weniger Minuten falsch und blieben blind für Gott. Erkennen wir uns in diesen Leuten wieder? Ich meine schon, dass ein Fitzelchen dieser Pharisäer auch in unseren Herzen zuhause sein könnte. Wie sind wir schnell dabei, Gott vorzuschreiben, wie er zu wirken habe und an wem. Wie sind wir fassungslos, wenn es anders weitergeht, wenn Gott sich über die anderen erbarmt, nicht über uns. Oder wie sind wir überfordert, wenn Gott uns auffordert, aus unseren Bahnen auszubrechen, Widerstand zu leisten, uns unter Druck zu ihm zu bekennen. Wie leicht ziehen wir uns aus der Affäre und sagen, „das kann Gott nicht von mir wollen.“ 

Auch die Eltern werden hinzugezogen, um das Rätsel der Heilung zu lösen. Doch sie ducken sich weg. Sie wollen nicht Stellung beziehen, sollen die Leute doch den Sohn fragen, sie haben keine Ahnung. Eigentlich tragisch, dass die Eltern, die den Sohn ein Leben lang begleitet haben, sicher durch große Schwierigkeiten hindurch, sich jetzt für ihn schämen. Statt ein Freudenfest der Heilung zu feiern, verstecken sie sich buchstäblich aus Angst, aus der Gemeinde rausgeschmissen zu werden. Was war ihnen am wichtigsten? Offenbar ihre eigene Haut, nicht ihr Sohn. Ich hoffe nicht, dass wir so sind wie diese Eltern, aber vielleicht waren sie auch einfach entscheidungsschwach. Sie wollten nichts falsch machen, rannten mit der Mehrheit. Und da sind wir dann doch vielleicht wieder näher dabei. Mit der Mehrheit rennen, ist viel einfacher, als einen eigenen Weg gehen. Jesus ruft heraus zum eigenen Weg. Der kann manchmal richtig einsam sein, aber die drei in unserer Jesusbegegnung wären ja nicht allein gewesen, sondern 3 + 1, zu dritt und Jesus noch dabei, eine kleine Gemeinde. So wird Jesus uns auch immer Menschen zur Seite stellen, die mit uns einsame Wege gehen, er weiß, dass wir Ermutigung und Unterstützung brauchen, um bei ihm zu bleiben.

Vom Bettler zum Professor

Als der Geheilte aus der Tempelgemeinde geworfen wurde, kam Jesus noch einmal auf ihn zu. Er ließ ihn nicht hängen. „Glaubst du an mich?“ So fragte er den Ausgestoßenen. Und der Mann antwortete schlicht „Ja, ich glaube.“ Damit ist der Heilungsvorgang abgeschlossen. Ein Blinder wird sehend und sieht Jesus. Er schließt sich ihm an und beginnt ein neues Leben. Vom verachteten Bettler wird er zum Professor, zum öffentlichen Bekenner, der zu Jesus steht. 

Wir können nur Räume schaffen, um zu ermöglichen, dass Jesus Menschen begegnet, das Eigentliche tut Jesus. Aber diese Räume sind wichtig, wo Zeit und Möglichkeit ist, etwas von Jesus zu erfahren. Heute Nachmittag feiern wir einen Waldgottesdienst auf dem Glaskopf. Sicher, es ist schön für uns, miteinander im Grünen zu singen und Gott zu loben. Aber es ist auch ein öffentliches Bekenntnis. Als Professoren und Professorinnen für Jesus kommen wir zusammen. Und es ist eine Einladung an die Vorbeiwandernden innezuhalten, sich in den Raum der Gegenwart Jesu zu stellen und ihm zu begegnen. 

Noch ist Entscheidungszeit. Die, die meinen zu sehen, sind vielleicht die wirklich Blinden. Nachbarn, Eltern, Pharisäer, sie alle konnten doch sehen. Und doch waren sie blind, blind für Jesus, blind für seine Liebe und seine Werke der Liebe, blind für ihre eigene Blindheit. Ihnen hilft, mit Jesus in Berührung zu kommen und von ihm Klarheit für ihr eigenes Leben geschenkt zu bekommen. Auch der Pharisäer Nikodemus wurde zum Sehenden in Jesu Gegenwart. In der Entscheidungszeit ist noch alles möglich.

Johannes 8,12

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das  Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Cornelia Trick


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