Leben neu geschenkt (Apostelgeschichte 3,1-10)
Gottesdienst am 12.6.2016 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
auf dem Balkon einer Bekannten fingen vor ein paar Wochen Amseln an zu brüten. Um die Vogeleltern nicht zu stören, ging meine Bekannte nur noch mit Zehenspitzen auf den Balkon, ließ den Rollladen oben, um keinen Lärm zu verursachen, und saß abends mit gedämpftem Licht am Tisch. Als die Jungen geschlüpft waren, pirschte sie sich mit der Kamera heran, um diese winzigen Vögel zu fotografieren. Doch früher, als ihr lieb war, wurden die Jungen flügge und waren von einer Stunde auf die andere ausgeflogen. Nur noch ein zertrampelter Blumenkasten zeugte von den ersten Flugstunden der Vogelkinder. 

Die erste Gemeinde in Jerusalem war ein Nest, in dem die Menschen Gottes heiligen Geist sehr nah spüren konnten. Täglich kamen neue Leute zum Glauben und wurden im Nest intensiv versorgt, so berichtet es die Apostelgeschichte. Sie hörten auf Gott, um zu erfahren, was er mit ihnen vorhatte. Sie lebten verbindlich miteinander, waren eine neue Familie, die sich gegenseitig unterstützte. Sie feierten miteinander Abendmahl und teilten ihr Essen. Sie beteten und baten Jesus, sie festzuhalten und vor dem Bösen zu bewahren. 

Doch das warme Nest voller Heiligem Geist war kein Daueraufenthaltsort, sondern eher Abflugbasis in die Welt. Die Christen wurden flügge, und der Heilige Geist schubste sie aus dem Nest. 

Petrus und Johannes verließen die Gemeinde und machten sich nachmittags auf den Weg zum Tempel. Diesen Weg waren sie sicher schon oft gegangen, aber an diesem Tag öffnete der Heilige Geist ihnen die Augen für die Umgebung. Gerade kamen sie am „Schönen Tor“ an. Vielleicht war der Name Hinweis auf den Himmel, der sich im Tempel für die Besucher öffnete. Petrus und Johannes werden das „Schöne Tor“ gesehen haben, aber sie entdeckten auch den Bettler, der davor saß. Er störte das Bild, sollten doch nach Gottes Willen keine Bettler in Israel sein. Und doch waren sie Realität.

Apostelgeschichte 3,1-10
Ein Gelähmter wird geheilt

1 Einmal gingen Petrus und Johannes in den Tempel*. Es war drei Uhr, die Zeit für das Nachmittagsgebet.
2 Am Schönen Tor des Tempelvorhofs saß ein Mann, der von Geburt an gelähmt war. Jeden Tag ließ er sich dorthin tragen und bettelte die Leute an, die in den Tempel gingen.
3 Als er Petrus und Johannes sah, wie sie gerade durch das Tor gehen wollten, bat er sie um eine Gabe. 4 Die beiden blickten ihn fest an und Petrus sagte: »Sieh uns an!«
5 Der Gelähmte tat es und erwartete, dass sie ihm etwas geben würden. 6 Aber Petrus sagte: »Gold und Silber habe ich nicht; doch was ich habe, will ich dir geben. Im Namen von Jesus Christus aus Nazaret: Steh auf und geh umher!« 7 Und er fasste den Gelähmten bei der rechten Hand und half ihm auf.
Im gleichen Augenblick erstarkten seine Füße und Knöchel; 8 mit einem Sprung war er auf den Beinen und ging umher. Er folgte Petrus und Johannes in den Vorhof des Tempels, lief umher, sprang vor Freude und dankte Gott mit lauter Stimme.
9 Das ganze Volk dort sah, wie er umherging und Gott dankte. 10 Sie erkannten in ihm den Bettler, der sonst immer am Schönen Tor gesessen hatte. Und sie staunten und waren ganz außer sich über das, was mit ihm geschehen war.

Jeden Tag sitzt der Mann an dieser Stelle. Später erfahren wir, dass er über 40 Jahre alt und von Kindheit an gelähmt ist. Er hat offensichtlich viele Jahre auf seinem Platz zugebracht und viele Menschen an sich vorbei gehen sehen. Petrus und Johannes bekommen an diesem Tag die Sehhilfe des Heiligen Geistes. 

Bekommen wir vielleicht auch eine Sehhilfe, wenn wir diesen Gottesdienst heute verlassen, wenn wir morgen wieder unseren Alltag aufnehmen? Sitzt da jemand am Wege, den wir sehen sollen, weil Jesus uns darauf stößt?

Der Mann und die beiden Jünger begegnen sich. Der Bettler bittet um ein bisschen Geld, aber Petrus fordert seinen Blick: „Sieh uns an!“ Als sie sich in die Augen schauen, beginnt eine Beziehung zwischen ihnen. Es geht nicht um „etwas“ Geld, sondern um Begegnung und den Bettler selbst.

„Sieh mich an!“, das erlebe ich auch immer wieder. Ein Freund bittet mich, ihm bei einer Familienfeier zu helfen. Daran ist nichts Besonderes, man arbeitet dabei seine Listen ab. Aber dann sagt er etwas Ähnliches wie Petrus: „Was bewegt dich gerade? Was lese ich in deinen Augen? Wo drücken dich Sorgen?“ So kommen wir ins Gespräch, und ich kann mein Herz ausschütten, dass mir alles gerade zu viel ist, ich mir Sorgen um ein krankes Familienmitglied mache und so weiter. 

Offensichtlich ist dieser Satz „Sieh mich an!“ ganz wichtig, wenn wir aus dem Gemeindenest fliegen und den Menschen um uns herum begegnen. Wir schauen ihnen in die Augen, haben einen Blick auf ihre Seele und bahnen Jesus den Weg, dass er helfen kann.

Petrus stellt sich auf eine Stufe mit dem Bettler. Er hat weder Silber noch Gold. Er kann ihm nicht „etwas“ geben, sondern ihn nur in Verbindung zu Jesus bringen. Jesus kann ihm geben, wonach er sich wirklich sehnt, Gesundheit. Seine Heilung geschieht körperlich und seelisch. Weil er wieder gesund ist, gehört er zur Gemeinschaft. Er trägt nicht mehr den Makel des von Gott Verstoßenen an sich, sondern gehört wieder dazu, darf wieder in den Tempel hinein.

Der Heilige Geist, so beschreibt es die Bibel, war in der ersten Zeit der Gemeinde offensiv. Gottes Macht zeigte sich in Heilungen. Heute berichten uns Christen aus anderen Teilen der Welt, wie sie auch körperliche Heilungen erleben. Vielleicht können wir den Machterweis Gottes in unserer Lebenswelt nicht eindeutig verstehen. Bei Heilungen denken wir an medizinischen Fortschritt, Spontanheilungen und Zufall, aber Gott als Erklärung? So wirkt der Heilige Geist bei uns eher anders. Er ruft uns aus den Lähmungen unserer Seele.

Mancher fühlt sich mit seiner Arbeit wie in einem nie endenden Marathon. Der ist überfordert, rastlos und schlaflos. Manche fühlt sich beiseite geschoben, als ob sie es nicht ins Team der Nationalmannschaft geschafft hätte. Sie fragt sich, ob sie für irgendjemand überhaupt Bedeutung hat. Mancher vergleicht sich mit einem Hochspringer, der immer wieder die Latte reißt. Der innere Druck zwingt ihn, die Latte immer höher zu legen, aber er scheitert an seinen eigenen Vorgaben. Und eine hat Stress in ihrer Beziehung. Statt als Team in die gleiche Richtung zu rudern, drehen sie sich im Kreis und rudern sogar in entgegengesetzte Richtungen. Das Boot kommt nicht voran und droht zu kentern. Einer empfindet sich als ewiger Verlierer, der immer auf dem 4. Platz landet. Sieht denn niemand, was er draufhat?

Petrus sagt diesen fünf Typen zu: „Im Namen Jesu, nimm dein Leben in die Hand!“

Jesus bietet sich an, die To-do-Listen in die Hand zu nehmen und mit dir unterwegs zu sein. Er ist der Seelenschrittmacher, der wieder Ordnung ins Leben bringen kann.

Den Überforderten weist er auf seine Möglichkeiten hin. Wer die eigenen Erwartungen nicht erfüllen kann, dem hält er einen Spiegel vor. Niemand erwartet von ihm mehr, als er geben kann. Die Latte kann ruhig ein paar cm tiefer hängen. Stress in Beziehungen verschwindet nicht durch einen Blick, aber der Blick eröffnet die Möglichkeit, auch meine Fehler zu erkennen und an ihnen zu arbeiten. Auch mein Selbstbild will Jesus korrigieren. Vielleicht ist der 4. Platz genau richtig für mich. Warum sollte ich weiter vorne stehen? Diese Selbsterkenntnis heilt.

Der Bettler vor dem „Schönen Tor“ ist ein Lockvogel für alle, die ihn kennen und diese merkwürdige Begegnung beobachten. Er ist auch ein Lockvogel für uns in doppelter Perspektive:

  • Als Christen dürfen wir uns aus dem kuscheligen Gemeindenest herausbegeben. Da sitzen und stehen Leute am Weg, die einen Blick von uns brauchen und die vor allem Jesus brauchen. Wir können den Weg frei machen, dass er helfen kann.
  • Als Bettler vor dem „Schönen Tor“ dürfen wir gespannt sein, wen Gott uns schickt. Der Bettler war ja durchaus aktiv, er „bat“ um eine Gabe. Bitten wir auch, dass uns geholfen wird. Mutig war der Bettler, als er sich aufrichtete und das Gehen ausprobierte. Sind wir so mutig, das neue Leben mit Jesus auszuprobieren, die neue Freiheit zu leben? Die Lasten abzugeben?
Wir wissen nicht, wie es mit dem Mann weiterging. Wahrscheinlich ist er erst mal ins Gemeindenest gegangen und hat Jesus als Kraftquelle seines Lebens kennengelernt. Dann wird auch er flügge geworden sein, um andere mit Jesus in Kontakt zu bringen.

Das Leben neu geschenkt bekommen, das hatte Petrus nach seinem Verrat erlebt, ihm ist von Jesus vergeben worden. Das hat der Bettler erlebt, er wurde wieder Teil der Gemeinschaft und Teil einer neuen Familie. Das können wir erleben, Jesus sieht uns an und schenkt Heilung, Lebensenergie und Hoffnung, dass auch wir aufstehen können.

Cornelia Trick


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