Konfrontationen
Gottesdienst am 11.09.2005

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
als ich vor einigen Wochen durch Rom lief, fiel mir ein merkwürdiger Baustil auf. Imposante Kirchen, die in Deutschland einen ganzen Ort dominiert hätten, sind dort eingebaut in ganz normale Wohnhäuser, die nach und nach der Kirche angefügt wurden. Manchmal ist eine Kirche sogar von einem Wohnhaus überbaut worden. eingebaute Kirche in RomAuch Schaukästen oder Hinweisschilder auf Gottesdienstzeiten suchten wir vergeblich. Umso erstaunter waren wir, als wir eines Abends aus einer Kirche eine kräftige predigende Stimme vernahmen und ein paar Meter weiter zu anderer Tageszeit ein paar Ordensschwestern und -brüder eine Kirche aufschlossen und hineingingen, die bis dahin völlig leblos gewirkt hatte. Sicher wissen die Römer, warum das so ist. Vielleicht gibt es sogar einen zentralen Gottesdienstplan auf italienisch oder ein anderes System, das wir nur als Touristen nicht verstehen. Aber das Bild ist treffend. Ein Ort der Gottesbegegnung ist eingebaut in den Lebensalltag. Und so wichtig der Bezug Gottes zu unserem Leben ist, so sollte doch eigentlich der Alltag nicht unseren Glauben unterjochen und bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln, sondern im Gegenteil, der Glaube sollte unseren Alltag durchwärmen und verändern, so dass jede Fensterscheibe unseres Lebens auf Gott hinweist.

Als ich die Bilder von New Orleans verfolgte, ging es mir ganz ähnlich. Wie verhält sich christlicher Glaube zu diesem unglaublichen Rettungsdesaster? Wo bleibt die Überzeugung, dass Gott jeden Menschen liebt, wenn nur die gerettet werden können, die motorisiert sind, genug Freunde außerhalb der Stadt haben und Geld, um im Hotel zu wohnen? Ist da der Glaube nicht völlig eingebaut in eine Politik, die er nicht mehr in Frage stellt, geschweige denn verinnerlicht und verändert?

Aber warum soll ich mir die Bauweise Roms und die Bilder des Tages anschauen, wenn die gleiche Haltung doch auch mein Leben bedroht. Ich erkenne mich durchaus in den Architekten Roms wieder und auch ich weiß nicht, ob ich den fünften Platz in unserem Auto mit einem Bettler am Straßenrand besetzt hätte oder nicht doch lieber noch eine Kiste Erinnerungsdias eingepackt hätte, die ich auf keinen Fall verlieren möchte. Ja, mir wird bewusst, dass mir hier eine rote Ampel auf den Weg gestellt wird, die mich zwingt anzuhalten und mir mein Leben genau anzuschauen. Will ich anhalten? Will ich mit Gottes Wahrheit über mich selbst konfrontiert werden? Oder fahre ich durch bei rot, egal ob ein Strafzettel und eine Führerscheinsperre drohen oder nicht?

Eine Begegnung eines Mannes mit Jesus setzt mich auf die Spur, was Jesus über mein Leben denkt und wie er mir helfen will.

Lukas 8,26-39

Sie fuhren weiter und erreichten das Gebiet von Gerasa, das Galiläa gegenüber am anderen Seeufer liegt. Als Jesus aus dem Boot stieg, lief ihm ein Mann aus jener Stadt entgegen. Er war von bösen Geistern besessen. Kleider trug er schon lange nicht mehr; er war auch nicht im Haus festzuhalten, sondern lebte in den Grabhöhlen. Als er Jesus sah, schrie er auf, warf sich vor ihm zu Boden und rief: "Was hast du bei mir zu suchen, Jesus, du Sohn des höchsten Gottes? Bitte, quäle mich nicht!"  Jesus hatte nämlich dem bösen Geist befohlen, aus dem Besessenen auszufahren. Dieser Geist hatte den Mann schon lange in seiner Gewalt. Man hatte den Besessenen zwar immer wieder wie einen Gefangenen an Händen und Füßen gefesselt, aber jedesmal hatte er die Ketten zerrissen und war von dem bösen Geist in die Wildnis getrieben worden. Jesus fragte ihn: "Wie heißt du?" Er antwortete: "Legion." Es waren nämlich viele böse Geister in den Mann gefahren. Die baten Jesus, er solle sie nicht in den Abgrund verbannen. In der Nähe weidete eine große Schweineherde auf dem Berg, und die bösen Geister baten ihn, in die Schweine fahren zu dürfen. Jesus erlaubte es ihnen. Da kamen sie heraus aus dem Mann und fuhren in die Schweine, und die Herde raste das steile Ufer hinab in den See und ertrank. Als die Schweinehirten das sahen, liefen sie davon und erzählten in der Stadt und in den Dörfern, was geschehen war. Die Leute wollten es selbst sehen. Sie kamen zu Jesus und fanden den Mann, aus dem die bösen Geister ausgefahren waren, zu seinen Füßen sitzen. Er war ordentlich angezogen und bei klarem Verstand. Da befiel sie große Furcht. Die Augenzeugen erzählten ihnen, wie der Besessene geheilt worden war. Darauf bat die gesamte Bevölkerung von Gerasa und Umgebung, Jesus möge ihr Gebiet verlassen; so sehr fürchteten sie sich. Da stieg er ins Boot, um zurückzufahren. Der Mann, aus dem die bösen Geister ausgefahren waren, bat Jesus, mit ihm gehen zu dürfen. Aber Jesus schickte ihn weg und sagte: "Geh nach Hause und erzähl, was Gott für dich getan hat!" Der Mann zog durch die ganze Stadt und machte überall bekannt, was Jesus für ihn getan hatte.

Jesus war mit seinen Jüngern unterwegs. Er hatte von Galliläa aus zur Dekapolis über den See Genezareth hinweg übergesetzt. Unterwegs waren sie in einen heftigen Sturm geraten. Doch Jesus erwies seine Souveränität gegenüber den Naturgewalten. Er wies die Jünger zurecht und fragte sie nach ihrem Glauben. Trauten sie Jesus nicht zu, dass er sie bewahren konnte in den Stürmen der Zeit?

Stellen wir uns einfach vor, wir wären dabei gewesen. Vielleicht liegt der letzte Sturm noch gar nicht lang zurück. Vielleicht hatten wir letzte Woche einen Riesenkrach zu Hause oder heute Morgen eine heftige Auseinandersetzung am Frühstückstisch. Vielleicht ging es auf der Arbeit stürmisch zu oder in der ersten Schulwoche mit neuen Fächern, neuen Lehrern und Schülern, neuem Stundenplan. Vielleicht hatten wir auch den Sturm tief in uns, weil wir unzufrieden mit uns waren, gereizt, einfach nicht unseren Ansprüchen an uns selbst genügend. Und Jesus fragte uns: Wo bleibt dein Glaube? Traust du mir nicht zu, den Sturm in deinem Leben zu glätten?

Diese Anfrage geht nun mit uns, wenn wir mit Jesus aus dem Boot steigen und diesem kranken, herunter gekommenen Mann begegnen, der ziellos durch die Wüste streicht, nackt ist, einsam und unruhig, an den Grabhöhlen, mehr tot als lebendig. Und wenn wir mit Jesus nun vor diesem Mann stehen, dann geschieht etwas Merkwürdiges. Wir bleiben nicht die unbeteiligten Zuschauer, sondern wir wechseln die Seite. Eben noch aus dem Sturm gerettet wird dieser Mann Sinnbild unseres eigenen Lebens. Denn Jesu Frage dort auf dem See "Wo bleibt denn dein Glaube?" führt zu der Konfrontation mit meinem wahren Ich, das sich hinter vielen Schichten Verkleidung verbirgt. Und unter der Verkleidung bin ich nicht anders als dieser kranke Mann, der nackt, einsam, unruhig und bewohnt von vielen Dämonen um Hilfe schreit. Dass es mit meinem Glauben nicht weit her ist, weil er völlig zugebaut ist vom Alltag, keine Kraft hat, den Alltag zu durchdringen und ich deshalb dringend anhalten sollte, um Jesus zu mir reden zu lassen.

Wie der Mann auf Grund seiner Krankheit nackt ist, so erkenne ich in der Konfrontation mit Jesus meine eigene Angst, vor ihm und meinen Mitmenschen nackt dazustehen. So versuche ich, mich mit Vorweisbarem zu bedecken. Meine Aktivitäten dienen oft dem Ziel, nicht angreifbar zu sein, besser dazustehen, als mir zumute ist. Ich falle herein auf Versprechungen, die mir weismachen, dass ich unter bestimmten Bedingungen besser vor anderen aussehe. Unverhüllt und ungeschminkt stehe ich nun vor Jesus in meiner Schwäche und Ohnmacht.

Aber damit nicht genug. Ich spüre auch meine Einsamkeit. Ein Kind beschrieb diesen Zustand so: Ich fühle mich wie eine Maus in einem Zimmer, die Angst vor der Katze hat. In diesem Zimmer ist kein Mauseloch. Ich habe keinen Fluchtweg und kein Zuhause, in das ich mich verkriechen kann. Ich bin einsam und völlig alleingelassen. Solch ein Gefühl haben nicht nur Alleinstehende, sondern schon Kinder, die in Familien groß werden, Leute, die in einem pulsierenden Umfeld leben, vielleicht sogar mitten im Gewühl von Menschen ihren Alltag verbringen. Einsamkeit ist nicht abhängig von der Zahl der Menschen, die um einen herum sind, sondern von den Beziehungen, in die man eingebunden ist und die tragen. Und so schnell wächst aus der Einsamkeit der Stress, es allen Recht machen zu müssen, dass wenigstens ein paar an einen gebunden werden.

Und auch die Unruhe ist nachvollziehbar. Wer von uns kennt nicht dieses Gefühl, von innen her getrieben zu sein. Jesus stillte gestern noch den Sturm, aber statt die Stille danach zu genießen und Vertrauen wieder neu wachsen zu lassen, müllten wir uns mit den nächsten Aufgaben und Stürmen voll, hasteten zum nächsten Programmpunkt und vergaßen, was wir gerade Wunderbares erlebt hatten. Die Stillung des Sturmes ist zur Episode zusammengesunken, weggespült von den Tagesereignissen.

In dieser Lebenssituation trifft Jesus auf uns und wir fragen mit dem kranken Mann: Was willst du von mir? 

Jesus konfrontiert uns

Doch Jesus stellt die Gegenfrage: Wer bist du? Und wie heißen die Dinge, Probleme, Themen, Verletzungen, die Dämonen, die dich besetzt halten? Wie heißen die Mieter, die längst in dein Haus eingezogen sind und sich so breit machen, dass für Gott kein Platz mehr ist? Will ich wissen, was mit mir los ist? Nein, normalerweise nicht. Ich mag keine Frisörsalons mit Neonbeleuchtung, die mich aussehen lassen wie eine Unterwasserqualle, ich mag keine aktuellen Passfotos von mir, auf denen ich immer fünf Jahre älter aussehe, als ich mich fühle. Ich würde mich nie freiwillig auf einen "heißen Stuhl" in die Mitte von Kollegen setzen und mir von ihnen anhören, was sie wirklich von mir denken. Ich will es einfach nicht wissen. Zum Teil ist es Selbstschutz, zum Teil ist es aber auch Flucht vor der Wahrheit, der ich nicht ins Auge sehen will. Dabei wollen mir die Kollegen vielleicht wirklich helfen. Sie wollen mir die Chance geben, etwas Wesentliches in meinem Leben zu verändern. Sie wollen mich befreien von etlichen Hausbesetzern, die sich bei mir breit gemacht haben und Gott keine Chance lassen.

Jesus macht hier deutlich, dass es auch in meinem Leben keine Veränderung geben kann, solange die Hausbesetzer sich bei mir breit machen. Er möchte ihre Namen von mir wissen. Er möchte mir helfen und mich von ihnen befreien. Er hat mir in der Gemeinde Brüder und Schwestern zur Seite gestellt, die in seinem Namen mich auf diese Hausbesetzer ansprechen. Es ist ein Liebesdienst, wenn sie nicht die Augen vor mir zumachen, mir über den Rücken streicheln und zum zig-ten Mal versichern, dass ich ganz toll bin, sondern wenn sie mich ganz konkret fragen: Warum fühlst du dich nackt? Was macht dich einsam? Warum bist du so unruhig? Wer hält dein Lebenshaus besetzt? Nur so kann ich erkennen, was wirklich mit mir los ist. Es ist die Chance, gerettet zu werden.

Jesus rettet uns

Jesus rettete den besessenen Mann damals, indem er der Bitte der Dämonen nachkam und sie in die Schweineherde fahren ließ. Die Dämonen waren unrein, die Schweine nach jüdischem Verständnis ebenfalls. Die beiden passten gut zusammen. Doch die Dämonen hatten eine solche Stärke, dass sie die Schweine in den sicheren Tod trieben. Sie ließen ihre Medien ertrinken, sie selbst wurden - nach jüdischer Vorstellungswelt - in den Tiefen der Unterwelt bis zum Jüngsten Gericht festgehalten.

Zwei Schlüsse können wir heute daraus ziehen. Jesus befreit von den Hausbesetzern, bevor er selbst ins Haus einzieht. Er bildet keine Wohngemeinschaft mit unseren Sorgen, Problemen, unserem Selbstbetrug oder unseren Verletzungen, die wir hegen und pflegen. Er schmeißt sie raus, bevor er uns erfüllt.

Wir dagegen bieten Jesus oft genug eine Wohngemeinschaft an. Wir sagen: Jesus, schön dass du da bist. Wir freuen uns, wenn du für gute Laune im Laden sorgst, den Abwasch übernimmst, den Müll rausträgst und das Bad putzt. Aber fernsehen z.B. wollen wir lieber ohne dich. Telefonieren und am Telefon ablästern wollen wir auch ohne dich. Unsere Akten aus dem Geschäft wollen wir ohne dich bearbeiten bis spät in die Nacht. Weil du da bist, haben wir ja mehr Zeit dafür. Und unser Geld geben wir natürlich auch ohne dich aus.

Jesus will solche Verträge nicht. Er ist sich nicht zu schade, unseren Müll heraus zu tragen. Aber er möchte uns eben ganz begleiten und ganz beeinflussen. Er möchte der einzige in unserem Haus sein.

Das zweite, das bei der Heilung des Kranken augenfällig wird, ist, dass Rettung etwas kostet. Die ganze Schweineherde wurde für einen Mann geopfert. Übrigens wohl auch der Grund, warum die Leute in Gerasa Jesus baten, ihren Ort so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Am Ende würde Jesus ja so weiter machen und alle ihre Besitztümer würden dabei den Bach runtergehen.

Jesus setzt Menschen vor Schweine und Kapital. Diese Lektion ist wichtig. Wenn es darum geht, dass Jesus mich rettet, kann das etwas kosten - mich und andere. Aber sind wir dazu bereit, uns Rettung etwas kosten zu lassen? Sind wir bereit, für die Rettung unseres Freundes Geld zu investieren oder ihm z.B. eine Auszeit zu finanzieren? Sind wir bereit, unsere Zeit für eine Frau in der Gemeinde zu opfern, die uns braucht, auch wenn das bedeutet, dass wir etwas anderes absagen müssen? Oder delegieren wir das nicht allzu gern an die professionellen Helfer, die Ärzte, die Diakoniestation, die Psychologen? Ich meine, dass Jesus hier sehr deutlich mit uns spricht. Er hilft. Er rettet. Er befreit und zieht ein in unser Leben und das Leben unserer Nächsten - und das auch nach vielen Enttäuschungen immer wieder, aber nicht zum Nulltarif. Er braucht keine Bezahlung von uns, aber er prüft damit unsere Ernsthaftigkeit. Erst wenn wir dazu bereit sind, ein Stück unseres Lebens dafür dranzugeben, dass er uns rettet, ist es uns wirklich wichtig und lassen wir uns wirklich auf ihn ein.

Jesus verändert uns

Das Ergebnis der Begegnung kann sich sehen lassen. Als die Gerasener den Mann wiedersehen, ist er angezogen, macht einen verständigen Eindruck, ist gemeinschaftsfähig und ruhig. Jesus wohnt nun mit seinem Heiligen Geist in ihm. Die Dämonen, die an ihm zerrten, sind ausgezogen.

Es liegt an uns, Jesus an uns ganz nahe herankommen zu lassen und ihm zu antworten auf seine Frage: Wie heißen die Dämonen, die dich beherrschen? Es liegt an uns, einen Bruder oder eine Schwester unseres Vertrauens so nahe an uns heran kommen zu lassen, dass sie uns helfen können, der Wahrheit über uns ins Auge zu sehen: Wie steht es mit meinem Gebetsleben? Wie steht es mit meinem verbindlichen Bibellesen? Wie steht es mit meinem verbindlichen Zehnten? Wie steht es mit meinem Nächsten, mit dem ich in Frieden leben sollte? Wie steht es mit meiner Konsequenz für Jesus? Wir laden Schuld auf uns, wenn wir einander im Hochwasser unseres Selbstbetrugs zu Grunde gehen lassen. Wir werden aneinander schuldig, wenn wir uns nackt, einsam und unruhig durch die Wüsten und Grabhöhlen umherirren lassen. Jesus möchte uns retten und möchte uns gegenseitig auf den Weg schicken, in seinem Namen zu Rettenden zu werden. Denn auch aus dem Geheilten ist ein Retter geworden, den Jesus wieder zurück zu seiner Familie und in seine Heimat schickte, um dort zu erzählen, wie Jesus ihn gerettet hat.

Herr, ich komme zu dir und ich steh´ vor dir so, wie ich bin. Alles, was mich bewegt, lege ich vor dich hin. Herr, ich komme zu dir und ich ich schütte meine Herz bei dir aus! Was mich hindert, ganz bei dir zu sein, räume aus! Meine Sorgen sind dir nicht verborgen, du wirst sorgen für mich. Voll Vertrauen will ich auf dich schauen, Herr, ich baue auf dich! Gib mir ein neues ungeteiltes Herz. Lege ein neues Lied in meinen Mund. Fülle mich neu mit deinem Geist, denn du bewirkst dein Lob in mir.(Albert Frey)

Cornelia Trick


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