|
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern
und Brüder,
Manche von ihnen erzählen heute von einer Leerstelle in ihrem Leben. Sie trauern dem verlorenen Glauben hinterher. Sie können sich nicht ganz abfinden damit, dass ihr Leben keinen letzten Grund haben soll. Auch schon zur Zeit Jesu gab es Menschen, die enttäuscht von ihm waren. Sie verstanden ihn und seinen Auftrag nicht. Wollte er nicht eine neue Zeit herbeiführen? Warum tat er dann nichts Durchgreifendes? Warum stieß er nicht die Mächtigen vom Thron, sondern hielt sich mit einigen kranken und aus der Bahn geratenen Menschen auf? Einer dieser Enttäuschten steht heute im Mittelpunkt. Bei unserer 7-Wochen-die-Bibel-entdecken-Aktion war von ihm gestern in der Bibel zu lesen. Judas stammte wahrscheinlich
aus Karioth, deshalb sein Beiname „Judas Iskariot“ – „Judas, der Mann aus
Karioth“. Wir wissen durch die biblischen Evangelien, dass er zum innersten
Kreis der 12 Jünger gehörte. Er war von Jesus selbst berufen
worden, hatte sich nicht selbst auf die Liste der Jünger gesetzt.
Das Matthäusevangelium beschreibt ihn als einen, der dem Geld nicht
abgeneigt war. Aber das hat man vielleicht auch erst nachträglich
so formuliert, um sein Verhalten zu erklären.
Sicher wurde die Saat für seine Abkehr von Jesus durch Enttäuschungen beeinflusst. Jesus hatte die Römer nicht vertrieben. Er war nicht der neue König, der nun Gottes Herrschaft allen zeigte. Er war nicht politisch ambitioniert. Er redete davon, anstelle der Menschen leiden zu müssen statt sich durchzusetzen. Judas hatte sich vielleicht einen anderen Jesus erhofft, einen, der machtvoll Gottes Welt herbeiführte, der Unrecht ahndete und auf den Thron stieg. Seine Enttäuschung, die wahrscheinlich mit jedem Tag Predigt und Krankenheilung zunahm, ließ seine Bindung an Jesus schwächer werden. Das lockerer werdende Band war Einfallstor für die Versuchung des Satan: Lukas 22,1-6 Jesus war auf dem Weg nach Golgatha. Das Passafest kam näher, und Jesus wusste, dass es der Zeitpunkt sein würde, an dem er sich als Lamm Gottes hingeben würde, um Leben zu retten. Die Situation spitzte sich in Jerusalem zu. Die religiösen Führer hatten die Absicht, Jesus zu töten, aber sie wollten keinen Aufruhr unter den Festpilgern provozieren, die Jesus verehrten. Deshalb suchten sie sich einen Mittelsmann, der ihnen Jesus auf dem Silbertablett servieren sollte. Das Lukasevangelium beschreibt, wie nun Satan in Judas hineinfährt und ihn für seine Zwecke in Dienst nimmt. Wer ist Satan? Diese satanische Macht kennen wir vielleicht aus eigenem Erleben. Eine Gemeinde will Gott die Ehre geben und sich nach seinem Willen richten, doch Streit flammt auf, Misstrauen wuchert und Spaltungen geschehen. Menschen verlieren ihre geistliche Heimat und andere fallen vom Glauben ab. Gefragt, wie diese Situation zustande kam, erzählen Beteiligte, dass sie sich wie in einem falschen Film fühlten, als ob jemand anders sie steuern würde und alle guten Ansätze ins Gegenteil verkehrte. In der Familie wünschen sich alle Mitglieder Frieden, gelassenes Miteinander, warme Atmosphäre. Doch statt einander zuzuhören und Anteil zu nehmen an den Erlebnissen der anderen, krachen Türen und fließen Tränen der Wut. Wie ist es dazu gekommen? Keine Ahnung, vielleicht haben wir die Haustüre offen gelassen und irgendein Virus ist hineingeflogen. Ein böser Verkehrsunfall wurde in den Nachrichten gemeldet. Die Eltern und 2 Kinder sind ums Leben gekommen, ein Kind und der Unfallverursacher haben überlebt. Kann man so eine Tragödie für alle Beteiligten Gott zuschreiben? Wohl nicht, wenn wir an ihm als dem Gott der Liebe festhalten. Dann muss sich in unserer Welt noch eine andere Macht tummeln, die durcheinanderbringt und zerstört. Hier, an dieser Stelle des Lebens Jesu tritt Satan auf die große Bühne gegen Gott. Judas wird sein Werkzeug, ohne dass Judas es merkt. Satan nutzt Judas Enttäuschung und einen Moment Unachtsamkeit und pflanzt ihm den Gedanken in den Kopf: Was wäre, wenn… ? Hatte Judas eine Chance, sich gegen Satan zu wehren? Sind wir enttäuscht, voller Zweifel und nicht wirklich überzeugt, dass Gott da ist, können wir uns dennoch entscheiden, ob wir Jesus den Schlüssel zu unserem Herzen aus der Hand nehmen oder nicht. Es kann ja sein, dass trotz unserer Glaubensschwäche Jesus selbst bei uns vorbeikommt und sich sehr deutlich zeigt. In harten Glaubenszeiten können wir bestimmen, in welche Richtung wir schauen und von wo wir Hilfe erwarten. Als Glaubende sollten wir unsere Beziehung pflegen. Als ich vor einem Monat eine neue Toppflanze kaufte, fragte mich der Blumenhändler, ob ich Blattspray brauchte. Blattspray war so ziemlich das Letzte auf meiner Einkaufsliste. Er erklärte mir aber, dass die Pflanzen dadurch Widerstandskraft gegen Schädlinge bekommen würden. Nun, ich kaufte kein Blattspray, aber seitdem schaue ich die Blätter meiner Topfpflanzen sehr genau an und ärgere mich, dass ich dieses Wundermittel nicht gekauft hatte. Denn in geistlichen Dingen weiß ich schon, dass ich „Blattspray“ brauche, um das Böse fernzuhalten. Einen intensiven Draht zu Gott im Gebet, Menschen um mich herum, die meinem Glauben mit ihren Erfahrungen Nahrung geben, Ruhe, um Gottes Reden mit mir zu hören, Aufgaben, bei denen ich merke, dass Gott mich genau da haben will. Judas hatte Jesus vielleicht den Schlüssel zu seinem Herzen abgenommen und seinen Blick in die entgegengesetzte Richtung geworfen. Verrat und Auslieferung waren die Folge. Lukas beschreibt nicht die weitere Zukunft des Judas. Matthäus ist dagegen ausführlicher. Er schildert, wie Judas vom Todesurteil über Jesus hörte und seinen Verrat bitter bereute. Er sah für sich keine Hilfe mehr und stürzte sich in den Selbstmord. Zu früh gab Judas auf. Karfreitag starb Jesus am Kreuz, um zu vergeben. Judas hatte mit Jesus das Abendmahl gefeiert. Er nahm aus Jesu Hand Brot und Wein als Zeichen, dass Gott vergab. Aber er konnte nicht glauben, dass seine Tat auch unter diese Vergebung fiel. Ihm, so schien es ihm, konnte auch Gott nicht mehr helfen. Judas als historische Gestalt und sein Platz in der Passionsgeschichte sind einmalig, aber abgrundtiefe Verzweiflung, aus der niemand mehr retten kann, befällt auch andere. Sie sehen kein Licht in der Dunkelheit ihres Lebens und sind der festen Überzeugung, dass es für alle besser ist, wenn sie tot sind. Ist Judas nun verloren? Wir wissen es nicht. Wir können nur vertrauen, dass Gottes Liebe größer und stärker ist als alle Macht des Bösen. Wir können glauben, dass Gott Kraft hat, Judas aus den Fängen des Bösen zu erlösen und ihn zu sich zu rufen. Könnten wir Judas in seiner Verzweiflung ansprechen, würden wir zu ihm sagen: „Judas, warte noch und höre, was Jesus am Kreuz sagen wird, das gilt auch dir: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Was lernen wir von Judas? Wir haben die Chance, unsere Beziehung zu Jesus fest und stark zu leben, uns einander in Fürbitte zu unterstützen, wenn schwere Zeiten kommen, Menschen zu begleiten, die angefochten werden, und Vergebung Jesu anzunehmen, auch wenn die Schuldgefühle scheinbar unvergebbar sind. Von Helmut Thielicke, einem
bekannten evangelischen Theologen des letzten Jahrhunderts, las ich den
Satz:
Cornelia
Trick
|