Jesus und die Macht (Matthäus 20,20-28)
Gottesdienst am 31.3.2019 in Brombach

Liebe Gemeinde,
im Kirchlichen Unterricht hatten wir uns mit dem Thema Gemeinde beschäftigt. Wir überlegten: „Was ist eine Gemeinde?“ Ein Klub Gleichgesinnter? Eine Bande, die eng zusammenhält? Ein Verein? Da widersprachen die Jugendlichen sofort. Nein, das nicht. Sie dachten bei Verein sofort an Konkurrenz und das Streben nach Siegen, besten Athleten, Turnieren. Gemeinde, so stellten es die Jugendlichen fest, hat nichts mit Konkurrenz, Wettkampf und Feiern der Besten zu tun. Stattdessen fielen ihnen Begriffe wie Team, Gemeinschaft und Hand-in-Hand ein.

Vielleicht erleben das die Jugendlichen in ihrer Gemeinde so vorbildlich. Dann wäre die Gemeinde eher eine Ausnahme. Denn schon als Jesus mit seinen Jüngern drei Jahre von Ort zu Ort zog, war Konkurrenz immer wieder Thema. Die Evangelisten haben diese Gespräche im Jüngerkreis in ihren Evangelien festgehalten, wohl deshalb, weil sie auch für die jungen, gerade gegründeten Gemeinden des 1.Jahrhunderts Bedeutung hatten.

Einmal war Jesus mit seinen Nachfolgern unterwegs zum Passafest nach Jerusalem. Es sollte seine letzte Reise werden, dort erwartete ihn das Kreuz. Er bereitete seine Jünger auf den Abschied vor, doch sie konnten das noch nicht ganz begreifen. Sie merkten nur, dass etwas Entscheidendes bevorstand. Das würde für sie Konsequenzen haben, ihr bisheriges Leben aus den Angeln heben. Man kann verstehen, dass sie sich überlegten, wie sie möglichst viel für sich aus dieser Situation herausholen konnten.

Vor 2 Wochen kam die Nachricht, dass die Reifenfirma Goodyear in Hanau 1100 Stellen abbauen will. Wie mag es bei den Beschäftigten dort zugehen? Werden sie nicht auch dafür sorgen, dass sie im Unternehmen überleben können, ihre Sozialpunkte sammeln und hoffen, dass sie so unabkömmlich sind, dass ihre Stelle erhalten bleibt? So jedenfalls kann ich mir vorstellen, dass es im Jüngerkreis rumorte.

Matthäus 20,20-28
Da kam die Mutter der beiden Söhne von Zebedäus zusammen mit ihren Söhnen zu Jesus. Sie warf sich vor ihm nieder und wollte ihn um etwas bitten. Jesus fragte sie: »Was willst du?« Sie sagte zu ihm: »Lass doch meine beiden Söhne rechts und links neben dir sitzen, wenn du regieren wirst in deinem Reich.« Jesus antwortete: »Ihr wisst nicht, um was ihr da bittet! Könnt ihr den Becher austrinken, den ich austrinken werde?« Sie erwiderten: »Das können wir!« Da sagte Jesus zu ihnen: »Ihr werdet tatsächlich meinen Becher austrinken. Aber ich habe nicht zu entscheiden, wer rechts und links von mir sitzt. Dort werden die sitzen, die mein Vater dafür bestimmt hat.« Die anderen zehn hörten das Gespräch mit an und ärgerten sich über die beiden Brüder. Da rief Jesus auch sie näher herbei und sagte zu ihnen: »Ihr wisst: Die Herrscher der Völker unterdrücken die Menschen, über die sie herrschen. Und die Machthaber missbrauchen ihre Macht. Aber bei euch darf das nicht so sein: Sondern wer von euch groß sein will, soll den anderen dienen. Und wer von euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Genauso ist auch der Menschensohn nicht gekommen, um sich dienen zu lassen. Im Gegenteil: Er ist gekommen, um anderen zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen Menschen.«

Jesusgespräch
Ob Jakobus und Johannes ihre Mutter vorschickten? Ich kann die Mutter verstehen. Sie war stolz auf ihre Söhne, die zum inneren Kreis um Jesus gehörten. Sie wollte das Beste für die beiden und nutzte ihre gute Beziehung zu Jesus, um mal vorzufühlen. Doch Jesus durchschaute das Manöver sofort. Mit keinem Wort richtete er sich an die Mutter, sondern gleich an die beiden Jünger. Er stellte in Frage, dass sie wirklich in letzter Konsequenz seinen Spuren folgen konnten. Die Jünger – man sieht es richtig vor sich – gehen in die Verteidigungshaltung, blasen sich auf. Was denkt denn Jesus von ihnen? Natürlich gehen sie mit ihm durch dick und dünn, und wenn das heißt, mit ihm zu sterben, dann soll es so sein. Jesus sieht weiter. Er ahnt, dass ihre vollmundigen Beteuerungen der Realität nicht standhalten werden.

Und wer die Passionsgeschichte Jesu kennt, weiß auch, dass die beiden Brüder gleich zweimal elend scheitern werden. Sie werden im Garten Getsemane einschlafen, obwohl Jesus sie gebeten haben wird, für ihn zu beten, während er um Kraft für seinen Weg betet. Und sie werden vor den Römern fliehen, um nicht selbst verhaftet zu werden. Es muss sich für Jakobus und Johannes wie ein Nadelstich in den Luftballon ihrer Selbstüberschätzung angefühlt haben. Jesus sagt ihnen auf den Kopf zu: Ihr werdet versagen und doch werdet ihr eine meine Jünger bleiben. Es wird der Becher des Todes für euren Glauben auch an euch nicht vorübergehen, aber das liegt nicht an eurer Kraft und eurem Mut, sondern das werdet ihr ertragen, weil Gott euch die Kraft dazu gibt.

Nach diesem kurzen Blick in die Zukunft geht Jesus wieder auf die ursprüngliche Frage ein. Die Plätze im Himmel werden nicht nach Bonuspunkten verteilt. Gott hat andere Maßstäbe. Es kommt nicht darauf an, Plätze mit Handtüchern zu reservieren, sondern bei Jesus zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass er in den Himmel mitnimmt. Gott wird den Platz zuteilen, der passt, und es wird richtig sein.

Jüngergespräch
Natürlich haben die übrigen Jünger dieses Gespräch mitbekommen. Sie sind aufgebracht. Was fällt denen ein, heimliche Absprachen zu treffen? Und sollten sie sich auch langsam in Stellung bringen? Jesus nimmt ihnen den Wind aus den Segeln. Vor kurzem (Matthäus 18,1-4) hatte er ihnen noch ans Herz gelegt, dass sie so werden sollten wie Kinder, um in das Reich Gottes zu gelangen. Er wollte ihnen nahebringen, dass nur der in Gottes neuer Welt Platz hat, der empfängt, um seine Abhängigkeit von Gott weiß, sich ihm anvertraut und die eigenen Sicherheiten bereit ist loszulassen. Doch schon wieder bricht Konkurrenz auf: Wer hat das Sagen? Wer ist auf der Skala ganz oben? Wer bestimmt?

Jesus zeichnet nun ein Kontrastmodell zu dem, was im Alltag gelebt wird, er zeichnet mit zarten Strichen sein Bild von einer Gemeinschaft von Jesus-Nachfolgenden.

Sie dienen einander, waschen sich die Füße, statt an der Tafel die Bediensteten zu kommandieren. Sie fragen nach den Bedürfnissen des anderen, statt wie im Kindergarten zu rufen: „Ich bin der Bestimmer!“ Sie lassen sich nicht vom Ehrgeiz leiten, der oder die Beste zu sein, sondern binden den oder die Schwächste ein, richten sich nach den Bedürfnissen der anderen und versuchen, auch denen in Liebe zu begegnen, die es objektiv nicht verdient haben. 

Dienen statt Herrschen
So einfach hört sich die Verhaltensregel Jesu an. In der Gemeinschaft der Glaubenden wird nicht nach den Besten Ausschau gehalten, nicht um den ersten Platz gekämpft, sondern einer ist für die andere da, miteinander versuchen sie, ihren Weg zu gehen und Gottes Auftrag umzusetzen.

Zwei Beobachtungen kommen mir, wenn ich schaue, was Jesu Worte in unserem Gemeindealltag bewirken.

1 Herrschen oder Verantwortung übernehmen
Meistens ist unser Problem nicht, dass zu viele bei Leitungsaufgaben „Hier“ schreien. Und wer sagt: „Ja, ich übernehme den Leitungsposten“ steht schnell in dem Verdacht, er wolle bestimmen, brauche den Job oder wolle sich profilieren. So ducken sich alle weg, Jesus hatte es ja so gesagt. 

Aber nur kleine Gruppen können ohne Leitung und ohne jemand, der voran geht, harmonisch zusammenleben. In der Familie können wir es praktizieren, und selbst da gibt es für verschiedene Bereiche meistens jemand, der oder die den Ton angibt: Die Kinder bestimmen das Mittagessen, die Eltern bestimmen das Budget für den Urlaub, die Großeltern bestimmen, wie die großen Familienfeste aussehen sollen usw.

Jesus hat uns nicht gesagt, dass niemand Verantwortung übernehmen soll. Im Gegenteil, Dienen können wir auch, indem wir für einen bestimmten Bereich Verantwortung übernehmen. Aber eben nicht mit Blick auf unser eigenes Wohlgefühl, unseren eigenen Mehrwert und unseren Profit, sondern im Blick auf die Menschen, für die wir Verantwortung übernehmen. Wer zum Beispiel in der Gemeinde den Kirchenkaffee organisiert, soll es nicht tun, weil er selbst so gerne Kaffee trinkt und sich dann das Kochen zu Hause spart, sondern weil er sieht, dass Menschen nach dem Gottesdienst noch Gemeinschaft brauchen, sich austauschen über ihr Leben, das im Gottesdienst Erfahrene sacken lassen und mit dem Kaffee schmecken und sehen können, dass Gott es gut mit ihnen meint. 

So lässt sich jeder Dienst, ob er nun einen Namen trägt oder einfach verantwortlich übernommen wird, darauf abklopfen: Tue ich das nur für mich, weil ich es brauche, weil es meine engste Familie braucht? Oder diene ich, weil ich sehe, dass Jesus mir diese Aufgabe anvertraut und mir den Blick dafür schenkt, was er durch mich bewirken will.

Wahrscheinlich würden wir das alle unterschreiben. Natürlich – wir dienen alle Jesus, nicht uns selbst. Doch die Fallen stehen bereit, und nicht nur Jakobus und Johannes sind hineingetreten.

Was uns hilft, ist Seelenhygiene. Um mein Herz frei von Konkurrenz und „Ich zuerst“ zu bekommen, brauche ich Jesu Zuwendung, seine Nähe. Ich möchte ihn spüren, hören, erfahren in stillen Momenten, im Singen und im ganz normalen Alltag. Ich brauche seine Zusage, damit ich unabhängiger vom Applaus anderer werde. Ich werde mir bewusst, dass ich von Jesus absolut abhängig bin, das gibt mir Bodenhaftung – ich bin nicht besser als andere.

Neben der Seelenhygiene ist die Vernetzung untereinander wichtig. Als Solotänzer verlieren wir leicht das Gefühl, in einer vernetzten Gemeinschaft des Gebens und Nehmens zu leben. Wer den Eindruck hat, dass ohne ihn nichts läuft, kann leicht Allmachtsphantasien entwickeln, ohne dass er es bewusst will. Haben wir in unseren Aufgaben Austausch? Begleiten wir uns gegenseitig in der Fürbitte und in der Ermutigung? Erinnern wir uns an unser gemeinsames Ziel, einander in Liebe zu dienen, wie Jesus es uns vorgelebt hat?

2 Dienen als Herrschen
Ein Mitarbeiter in einer Gemeinde meiner Jugendzeit war der festen Überzeugung, dass Gott ihn genau für diese Aufgabe berufen hatte. Er erzählte es jedem. Doch waren längst nicht alle davon überzeugt, dass Gott diesen Ruf wirklich ausgesprochen hatte. Die Gruppenstunden, die er hielt, waren sehr schlecht besucht, und wer hinging, tat das, um ihm einen Gefallen zu tun. Längst war klar, dass diese Gruppe dringend aufgelöst oder verändert werden musste. Doch wie sollte man das tun, wo er sich doch von Gott beauftragt fühlte? Das ist sicher ein krasses Beispiel dafür gewesen, wie Dienst zur Herrschaft werden kann. Der Mitarbeiter war um sein eigenes Ich bemüht. Schon von Weitem spürten ihm die Leute ab, dass er Bestätigung brauchte und die Gemeinde als Bühne nutzte.

In diesen Tagen erzählte mir ein Kassenverwalter einer anderen Gemeinde, wie Leute bei ihm die Beitragszahlung eingestellt hätten, solange nicht klar war, ob die Kirche bei der Generalkonferenz nach ihrer Vorstellung abstimmen würde. Sie waren sicher der Meinung, dem Herrn mit ihrem Beitrag dienen zu wollen, aber nutzten das Geld als Druckmittel für ihre Bedürfnisse. 

Wir haben in einer Gemeinde sicher verschiedene Ansichten und Ansätze, unterschiedliche Aufgaben auf dem Herzen und sehen Prioritäten anders. Doch wenn wir einander dienen wollen, müssen wir beieinander bleiben: im Gebet miteinander, in dem wir Hörende für den Willen Gottes werden, im Ringen miteinander, um uns besser zu verstehen und die Position des anderen nachzuvollziehen und im Mitmachen, auch wenn es nicht unseren Vorstellungen entspricht.

Bestes Beispiel dafür ist hier in Bormbach die Erweiterung des Gemeindezentrums in den 90-iger Jahren. Immer wieder höre ich, dass längst nicht jeder der Meinung war, dass eine Erweiterung notwendig war. Doch auch die Gegner ließen sich auf den Neubau ein, verbrachten die Samstage auf der Baustelle und wurden Teil einer großartigen Dienstgemeinschaft, die bis heute zu spüren ist. So hat sich Jesus wohl den Dienst der Gemeinde vorgestellt.

Jesu Modell von Gemeinde
Eine Gemeinde der Dienenden funktioniert nur mit Vertrauen. Wir gestehen einander zu, von Gott geliebt zu sein, von ihm in dieser Gemeinde gewollt zu sein und von ihm beauftragt zu sein. Das ist sozusagen das Vorwort der Gemeinde.
Im nächsten Schritt geht es dann um Reflektion: 

  • Sind wir auf Jesu Weg?
  • Lassen wir uns regelmäßig und konsequent ein auf Jesu Dienst an uns?
  • Lassen wir uns von ihm dienen und nehmen wir seinen Dienst an?
  • Wem dienen wir mit unseren Angeboten und Aktivitäten?
Die Passionszeit als eine Zeit der Einkehr und Besinnung lädt uns in besonderer Weise ein, ganz persönlich diesen Fragen nachzugehen, den eigenen Beitrag zum Gemeindeleben zu überdenken, die Motive zu klären und in Zwiesprache mit Jesus und Glaubensgeschwistern zu hören, was er von mir will.
So kann ich mit neuer Freude und den Augen Jesu sehen, wo ich seinen Dienst fortsetzen kann.
Cornelia Trick


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