Jesus beim Wort nehmen
Gottesdienst am 16.01.2011, am 23.01.2011 vom ERF gesendeter TV-Gottesdienst

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
hier im Ort läuft seit einigen Wochen eine große Aktion, um Stammzellenspender für ein an Leukämie erkranktes Kind zu finden. In den Geschäften liegen Handzettel aus, die zur Stammzellentypisierung aufrufen, in den Zeitungen wird die Geschichte des kleinen Jungen, der hier aufgewachsen ist, beschrieben, Geld wird gesammelt, um diese Reihen-Typisierung zu finanzieren, und das Rote Kreuz richtete kurz vor Weihnachten einen extra Standort zur Blutabnahme ein. Dort fanden sich gerade auch viele junge Erwachsene ein, die von dem Schicksal dieses Jungen berührt wurden. So gut kann ich nachvollziehen, wie die Eltern sich nach jedem Strohhalm zur Rettung ihres Kindes ausstrecken, wie sie alle Möglichkeiten abklappern, einen geeigneten Spender zu finden. Wie sie nun hoffen, dass einer oder eine von uns genau das richtige Knochenmark für ihren Sohn hat. Und wie sie jetzt schon überlegen, wen sie als nächstes ansprechen können. Ich bin mir sicher, auch ich würde mir die Hacken wund laufen, um das Leben eines unserer Kinder zu retten.

Von solch einer Situation berichtet uns die Bibel. Jesus steht am Anfang seiner Wirksamkeit. Er ist gerade im Süden des Landes unterwegs gewesen, um in Jerusalem das Passafest zu feiern. Dort sind Leute auf ihn aufmerksam geworden. Sie hörten seine Predigten, wie er ihnen bis ins Herz sah und sie genau da erwischte, wo ihre größte Sehnsucht an ihnen zehrte. Sie sahen Jesus Zeichen und Wunder tun, Gelähmte konnten wieder laufen, Blinde wurden sehend und Lahme gehend. In allem spürten die Leute in Jerusalem Jesu Vollmacht von Gott. So konnte einer nur wirken, wenn Gott ihm dazu die Kraft verlieh. Einen solchen begnadeten Prediger und Wundertäter wollten sie sicher gerne in Jerusalem festhalten, ihn verehren und von ihm profitieren. Doch Jesus durchschaute ihr Interesse. Er wollte nicht als Wundertäter verehrt werden,, sondern seinen Auftrag ausführen – Menschen auf Gott aufmerksam zu machen und sie zum himmlischen Vater zu führen. So wundert es nicht, dass er Jerusalem wieder schnell verließ und sich wieder auf den Weg zurück in die Heimat Galiläa aufmachte. Wie damals allseits bekannt, galt ja der Prophet nichts in seiner Heimat. So konnte Jesus davon ausgehen, in Galiäa, seiner Heimat, vor Wundersüchtigen in Sicherheit zu sein. Kurz berichtet uns das Johannesevangelium von Jesu Zwischenstopp in Samaria, wir hörten davon eben in der Lesung. An einem Brunnen begegnete ihm eine Frau, sie kam zum Glauben an ihn und wurde zum Samenkorn für den Glauben an Jesus in Samaria. Nach dieser Begegnung mit der Frau am Brunnen zog Jesus weiter nach Norden.

Nach zwei Tagen ging Jesus von dort weiter  nach Galiläa. Denn er selber, Jesus, bezeugte, dass ein Prophet daheim nichts gilt. Als er nun nach Galiläa kam, nahmen ihn die Galiläer auf, die alles gesehen hatten, was er in Jerusalem auf dem Fest getan hatte; denn sie waren auch zum Fest gekommen. Und Jesus kam abermals nach Kana in Galiläa,  wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Und es war ein Mann im Dienst des Königs; dessen Sohn lag krank in Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus aus Judäa nach Galiläa kam, und ging hin zu ihm und bat ihn, herabzukommen und seinem Sohn zu helfen; denn der war todkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der Mann sprach zu ihm: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt! Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und während er hinab ging, begegneten ihm seine Knechte und sagten: Dein Kind lebt. Da erforschte er von ihnen die Stunde, in der es besser mit ihm geworden war. Und sie antworteten ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es die Stunde war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause. – So Worte der Bibel aus Johannes 4,43-53

Jesus kehrt nach Galiäa zurück und erwartet, dass ihn hier niemand als Wunderheld verehren wird, ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterland. Doch ein paar Galiäer hatten ihn offensichtlich in Jerusalem gesehen, sie wurden Zeugen seiner Predigten und seiner Zeichen und Wunder. Jesus beeindruckte sie so, dass sie zuhause von ihm erzählten. So ist Jesus sein Ruf in die Heimat vorausgeeilt. Es erstaunt nicht, dass Jesus daraufhin ein herzlicher Empfang in Kana bereitet wird, nur zu gerne nimmt man diesen Jesus auf. Merkwürdig, was Jesus selbst über diese gastfreundlichen Galiläer sagt: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“ Die herzliche Aufnahme seiner Landsleute enttarnt er sofort als Sensationslust – sie wollen nicht wirklich ihn, sondern seine Wunder. Doch ist das tragfähiger Glaube? Was, wenn die Wunder ausbleiben oder Wünsche nicht erfüllt werden? Was, wenn der Wunderheiler am Kreuz hängen wird?

Einer aus Galiläa ist anders. Er wird uns vorgestellt als Beamter des regierenden Herodes Antipas, der im Grenzort Kapernaum stationiert ist. Der Beamte tritt uns aber nicht zuallererst als Vertreter der Regierung entgegen, sondern als Vater, der um das Leben seines Sohnes bangt. Sein Sohn ist schwer erkrankt, hat hohes Fieber und ist ein fast hoffnungsloser Fall. Doch der Vater hört von Jesu Aufenthalt in Kana, einem Ort im Gebirge, ca. 25 km vom Seeort Kapernaum entfernt. Er kennt Jesus wohl nur vom Hörensagen, aber wie einen letzten rettenden Strohhalm ergreift er die Chance und macht sich auf den langen Weg ins Gebirge, um Jesus zu treffen. Stellen wir uns vor, den sterbenden Sohn lässt er zurück, mindestens acht Stunden Fußmarsch liegen vor ihm und das alles nur aufgrund einer wagen Hoffnung auf ein Wunder Jesu. Er muss schon sehr verzweifelt sein, dieser Vater. Und endlich verschwitzt, hungrig und durstig am Ziel seiner Hoffnung angekommen, weist Jesus ihn zusammen mit all den gastfreundlichen Galiläern zurück. Doch dieser Mann ist anders als die anderen. Dieser Mann lässt sich von Jesus nicht abweisen, er schreckt nicht zurück, als Jesus ihm entgegen schleudert, dass die Galiläer offenbar Wunder brauchen, um an ihn zu glauben. Er hält fest an Jesus. Wir merken das nur durch ein kleines Wörtchen, das hier den ganz großen Unterschied macht. Der Beamte redet Jesus mit „Herr“, „Kyrios“ an. Er sieht in Jesus mehr als den Wunderheiler. Er erkennt in Jesus den, der Leben und Tod in seiner Hand hat und darüber regiert. Er begegnet in Jesus Gott selbst.

Diesen Herrn bittet der Vater des kranken Jungen, mit ihm nach Hause zu kommen, um den Sohn zu heilen. Doch Jesus geht nicht mit. Er sagt nur einen Satz: „Geh hin, dein Sohn lebt!“. Ich würde an dieser Stelle erwarten, dass der Mann sich Jesus zu Füßen wirft, bittet und bettelt, dass Jesus doch mitkommen möge. Doch überraschender Weise gibt sich der Vater zufrieden, „der Mensch glaubte dem Wort“. 

Die zweite Überraschung folgt. Erwarten würde ich weiter, dass sich der Mann direkt auf den Weg nach Hause macht, um nachzusehen, ob sein Sohn nun wirklich auf dem Weg der Besserung ist. Aber laut biblischem Bericht lässt sich der Vater Zeit. Für die 25 km braucht er einen ganzen Tag und eine Nacht. Von Eile kann keine Rede sein. Merkwürdig gelassen wirkt er, als ihm am nächsten Nachmittag Dienstboten entgegen laufen und von der Genesung des Sohnes berichten. Und auch da wirkt er nicht sonderlich euphorisch. Statt Freudentänze zu veranstalten, prüft er nach, ob Jesu Wort die Ursache der Heilung ist. Nein, liebe Gemeinde, so stelle ich mir einen Vater nicht vor, dessen Kind mit dem Tode gerungen hat und nun wieder leben darf. Was könnte der Grund für dieses seltsame Verhalten sein, das der Evangelist Johannes ja nicht ohne Grund so überliefert?

Der Sohn ist auf der Prioritätenliste des Vaters in die zweite Reihe gerutscht. Ein Wunder ist geschehen, dass der Junge gesund wurde. Das größere Wunder ist geschehen, dass der Vater Jesus gefunden hat. „Dein Sohn lebt!“, diese Aussage Jesu hat der Vater für sich ganz persönlich genommen. Seitdem er Jesus begegnet ist, lebt er. Jesus, die Auferstehung und das Leben, hat er kennen gelernt. Selbst der durchaus mögliche Tod des Sohnes kann ihn nicht mehr schrecken. Denn Jesus bietet Leben an, das den Tod überdauert und bis in Ewigkeit währt.

So ist der Höhepunkt dieser Jesus-Begegnung nicht die Heilung des Sohnes – würden wir dies als Höhepunkt ansehen, würden wir gut zu den Galiäern passen. Nein, der Höhepunkt ist die Aussage: „Der Mann glaubte mit seinem ganzen Hause.“ Nicht nur er hat Jesus gefunden, sondern seine ganze Familie und seine Angestellten. Ausgezogen ist er, um für seinen Sohn zu bitten, heimgekehrt ist er mit dem Vertrauen, dass Jesus Leben schenkt ohne Begrenzung, weil Jesus als Gottes Sohn in die Verbindung mit Gott bringt. 
Um an diesen Jesus zu glauben, genügte ein Wort Jesu: „Geh hin!“ Darin ist uns der Vater Vorbild. Glauben geschieht auf Jesu Wort hin, auf Vorschuss, im Vertrauen. Und dieses Vertrauen reißt andere mit, im Falle der Beamtenfamilie aus Kapernaum das ganze Haus.
 

Die Jesus-Begegnung von damals ist auch wichtig für uns. Was damals galt, gilt noch viel mehr heute, nachdem wir um Jesu Tod und Auferstehung wissen, um seine Hingabe für uns Menschen. Jesus gibt sein Leben hin, um an unserer Stelle den Tod zu durchleiden. Er schenkt Leben, um uns aus der Todverfallenheit zu retten. Er kommt auch heute als der Auferstandene mitten hinein in unsere Alltagsgeschichten, in Krankheit, Ausweglosigkeit, Sterben.

Jesu Frage an uns ist heute sehr aktuell: „Glauben wir galiläisch?“

Wir halten Jesus unsere Not hin und beten: „Wenn du, Jesus, dich dieser Not annimmst, will ich dir für den Rest des Lebens vertrauen.“ Jesus hat zwei Möglichkeiten, dieses Gebet zu beantworten:

Er erhört die Bitte. Doch die nächste Not kommt bestimmt, die nächste Krankheit, der nächste Beziehungsstress, die nächste ausweglose Situation im Geschäft. Weil es das erste Mal geklappt hat, werden wir wieder einen Handel anbieten: wenn du das tust, dann mache ich jenes. Unter der Hand wird unser Glaube zur Belohnung für Jesu Hilfe. Als ob Jesus belohnt werden will für seine Hilfe und unsere Gegenleistung bräuchte.

Oder die andere Möglichkeit - Jesus erhört diese Bitte nicht. Mein Kind wird nicht gesund, mein Arbeitsplatz geht endgültig verloren, meine Ehe zerbricht und, und, und. Weil Jesus nicht hilft, meine Erwartungshaltung bitter enttäuscht wird, bin ich mit ihm fertig. Ich suche nach anderen Wunderhelfern. Ich bin letztlich bereit, mit der Menge zu schreien: „Kreuzige ihn!“

In beiden Fällen bin ich Jesus nicht wirklich begegnet sondern in meiner eigenen Vorstellung von Jesus stecken geblieben. Doch Jesus will nicht mit mir handeln, er will sich nicht mit Wundern beweisen oder meinen Glauben erkaufen. Jesus will mich ganz, mein ganzes Vertrauen, dass er mein Leben zum Ziel führen kann. Er sagt mir zu: „Nichts kann dich trennen von Gottes Liebe. Dein Leben ist in Gottes Hand. Er macht es gut mit dir. Er schenkt dir Kraft zum Tragen, zur Veränderung, zum Aufbruch.“ 

Jesus zeigt mir und Ihnen, dass Gott Sie will und Sie gelassen und getrost selbst die Abgründe des Lebens durchschreiten können.

Glauben Sie wie der königliche Beamte und Vater?

Hören Sie Jesu Wort und vertrauen ihm auf Vorschuss? Machen Sie sich gelassen auf den Weg zurück in die Tiefe ihres Alltags – 24 Stunden für 25 Kilometer bergab? Auch, wenn Sie nicht im Voraus wissen, wie die Geschichte ausgehen wird?

Ich denke an die Frau aus meinem Bekanntenkreis, deren Ehemann ihr sagte: „Ich liebe dich nicht mehr.“ Sie hat sich auf Jesus verlassen und ihn beim Wort genommen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Sie ist durch eine lange, schwere Zeit gegangen. Immer wieder versuchte sie, mit ihrem Mann neu zu beginnen, ihm zu vergeben, sich selbst zu verändern. Ihr Mann kehrte nicht zurück, ein menschliches Happy End blieb aus. Doch sie erzählte mir, wie sie in jeder Phase Jesus erlebt hat, der sie einmal bei der Hand nahm, ein andermal ihre Tränen trocknete, der ihr Menschen an den Weg gestellt hat, die sie durch die tiefsten Täler begleiteten, und der ihr auch in Nächten, wo sie keiner trösten konnte, die Hand auflegte und sie in seine Liebe wie in einen Mantel einhüllte. Und heute sagt sie, dass immer noch nicht alles eitel Sonnenschein ist in ihrem Leben, sie immer noch Tage der Trauer durchlebt. Aber – so ist ihr Fazit – sie hat gelernt, dass Jesus wirklich zu ihr steht, egal, was ihr zustößt und wer sie in den Staub drückt. 

Dieses Angebot macht Jesus uns. Er will unsere Hand ergreifen. Er erwartet unser Vertrauen, dass er helfen und heilen kann. Oft anders, als erwartet, aber immer in seine Richtung. Heilungen an Leib und Seele, die wir hier erleben, sind ein kleiner Vorgeschmack auf den Himmel. Dort wird Leben in Fülle sein, ohne Tod, Leid und Trennung.

Die Jesus-Begegnung dort auf dem Berg in Kana will wachrütteln. Glauben Sie wie die Galiläer? „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht“. Oder glauben Sie wie der Vater aus Kapernaum?

Nehmen Sie Jesus beim Wort und vertrauen Sie ihm, dass er selbst das Wichtigste für Sie ist? Denn heilen und helfen kann vielleicht auch manch anderer, retten aus dem Tod und erlösen in Ewigkeit kann nur Jesus. Es ist ein großes Glück, in seiner Liebe geborgen zu leben, getragen zu werden in den unwegsamen Abschnitten des Lebens, sicher zu sein, dass sein Wort hält, was es verspricht.
Der Mann aus Kapernaum wurde zum Samenkorn des Glaubens in Galiläa. Jesus freut sich, wenn auch wir solche Samenkörner des Glaubens sein können, und einst über unserem Leben stehen wird:
„Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus ihm sagte, und ging hin.“ Amen.

Cornelia Trick


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