Ist mein Glaube wie dein Glaube?
Gottesdienst am 23.03.2003

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
im ersten Vierteljahr dieses Jahres beschäftigen wir uns als Gemeinde mit Gaben des Geistes, die Gott uns geschenkt hat und mit denen wir unsere Gemeinde bauen können. Nach verschiedenen Tests und Seminarveranstaltungen stehen wir jetzt in der Phase der Auswertung. Wer am Gabenseminar teilgenommen hat, ist gebeten, seine gefundenen Gaben genauer anzuschauen und mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. Dabei sind einige in ihren Vermutungen über ihre Gaben bestätigt worden. Wer schon immer gern Musik machte, den überrascht es nicht, dass er die Gabe der Musik hat. Wer mit leichter Hand Gemeindefeste vorbereitete, die ahnte schon, dass sie die Gabe der Organisation hat. Und wer begeistert sonntags bei den Kirchenkindern ist und ihnen biblische Geschichten nahe bringt, der oder die vermutet bei sich durchaus die Gabe der Lehre.

Aber bei einer Gabe gab es dann doch Überraschungen und Erstaunen. Einige fanden bei sich die Gabe des Glaubens heraus. Sie waren erstaunt, dass ausgerechnet sie diese Gabe haben und sie konnten sich so richtig nichts darunter vorstellen. Glauben nicht alle Christen? Was ist dann die Gabe des Glaubens gegenüber diesem allgemeinen Glauben? Herausgefordert durch ihr Fragen habe ich mich auf den Weg gemacht, dieser Gabe nachzuspüren. Denn abgesehen davon, dass es für Christen persönlich wichtig ist, ihre Gaben zu kennen, so ist es doch besonders für uns als Gemeinde in Neuenhain wichtig, über die Gaben hier Bescheid zu wissen. Sie zeigen uns in einzigartiger Weise, was Gott mit dieser Gemeinde vorhat, wozu er uns hier zusammen ruft und welche Aufgaben wir von ihm her haben. Sollte da nicht die Gabe des Glaubens eine ganz besondere Rolle spielen, wenn sie mehrfach genannt wird?

Zuerst möchte ich dem biblischen Befund nachspüren, daraus die Schlüsse für die Gabe an sich ziehen und daraus Konsequenzen für den Weg unserer Gemeinde andeuten.

Matthäus 9,27-31

Als Jesus von dort weiterging, liefen zwei Blinde hinter ihm her und riefen: "Du Sohn Davids, hab Erbarmen mit uns!" Als er ins Haus ging, folgten sie ihm, und er fragte sie: "Traut ihr mir zu, dass ich euch helfen kann?" "Ja, Herr!" antworteten sie. Da berührte Jesus ihre Augen und sagte: "Was ihr in eurem Vertrauen von mir erwartet, soll geschehen." Da konnten sie sehen. Jesus befahl ihnen streng: "Seht zu, dass es niemand erfährt!" Sie aber gingen hinaus und erzählten von Jesus in der ganzen Gegend.

Jesus ist unterwegs. Im Vorbeigehen laufen Jesus zwei Blinde nach. Sie folgen Jesus und deuten damit zwei Ebenen an. Einmal wörtlich verfolgen sie den Retter, von dem sie gehört haben, dass er heilen kann. Sie warten nicht, bis er zu ihnen kommt, sondern ergreifen von sich aus Initiative.

Auf der tiefer gehenden Ebene geht es nicht nur um ein Hinterherlaufen, sondern um Nachfolge, um Glauben. Die beiden sind im wahrsten Sinne des Wortes blind, aber wir hören genau wie die Gemeinde des Matthäus damals die Obertöne dieser Geschichte mit. Sie sind auch im übertragenen Sinne blind. Sie kennen Jesus noch nicht, haben kein Ziel vor Augen, keine Richtung, laufen noch jedem Heilsbringer hinterher.

Doch trotz ihrer Blindheit nehmen sie wahr, dass Jesus sich von den anderen Heilsbringern und Wundertätern der damaligen Zeit unterscheidet. "Sohn Davids, hab Erbarmen mit uns", sie erkennen Jesu Mission, der den Menschen Gottes Liebe und Erbarmen bringen will. Der nicht unseren Erfolgen von der Tribüne aus applaudieren will, sondern dort ist, wo wir ihn wirklich brauchen, ganz unten, in der Dunkelheit unseres Lebens und Weges, in Krankheit und Not. 

Doch Jesus heilt hier nicht einfach zwei Hilfsbedürftige, die ihn auf seine Mission ansprechen. Er bietet nicht Heilung zu Schleuderpreisen oder per Mausklick im Internet. Jesus begegnet den beiden, wendet sich ihnen persönlich zu, so dass die beiden nicht Sehenden auf jeden Fall merken, sie sind gemeint, ganz persönlich. "Traut ihr mir das wirklich zu? Glaubt ihr? Oder versucht ihr es einfach mal auf gut Glück?"

Die Antwort der Beiden hat Modellcharakter bis heute: "Ja, Herr!", so einfach und schlicht ist die Reaktion auf Jesu persönliche Gegenwart. Jesus geht auf diese Antwort ein, er berührt ihre Augen, bestätigt damit ihren Glauben, sie können wieder sehen.

Vielleicht denken Sie jetzt, na, das kannte ich ja schon. Wieder so eine typische Heilungsgeschichte der Bibel, die sind ja alle so ähnlich. So ging es mir bis vor zwei Wochen auch, bis ich feststellte, dass von 14 Personen, mit denen wir Auswertungsgespräche zu den Gaben des Geistes führten, 7 die Gabe des Glaubens bei sich herausgefunden hatten. Dabei kam etwas Interessantes zum Vorschein. Sie hatten in ihrem Leben schon ganz Ähnliches erlebt, wie die zwei Blinden. Sie erfuhren Heilungen ihres Körpers und ihrer Seele, Heilungen sehr naher Familienangehöriger, außergewöhnliche Lebensführungen, die nicht wie Normalbiographien verliefen. Sie steckten in Situationen, in denen sie Glauben wirklich brauchten, um den Mut für den Alltag nicht zu verlieren. 

Offenbar ist in der Erzählung von den beiden Blinden eine tiefe Wahrheit zu erkennen, die sich beim Darüberlesen nicht gleich erschließt. Glaube und Wunder gehören zusammen. Der Glaube hat seine eigentliche Stunde, wenn es um Wunder und außergewöhnliche Bewährungen und Erfahrungen geht. Dabei sind Wunder kein Beweis Gottes, dass er Naturgesetze außer Kraft setzen kann. Als ob Gott sich gegenüber Naturgesetzen beweisen müsste als Herr der Welt. Wunder haben ihre Stoßkraft gegen die Sünde, die Trennung von Gott und mit ihr gegen Leid, Schuld, Not und Elend, das in den Tod führt. Wunder sind Gottes Zeichen in dieser von Gott entfremdeten Welt, dass das Leid nicht das letzte Wort hat, dass auch ein gewonnener Krieg niemals Sieg bedeuten kann. Wunder sind Zeichen Gottes, dass sein Wille für uns Leben ist, Heilung und Hoffnung.

Glaube, der an dieser Stoßrichtung Gottes festhält, ist Geschenk und Gabe, die wahrhaft Berge versetzen kann, sollten diese Berge der Hilfe Gottes im Weg stehen.

Die Gabe des Glaubens

Der Einwand ist ernst zu nehmen: Glauben nicht alle Christen? Wozu dann eine spezielle Gabe des Glaubens? In der Gabenliste des 1. Korintherbriefs (Kapitel 12,9) wird die Gabe des Glaubens ausdrücklich erwähnt. Sie geht über den Glauben als Antwort auf Jesu Ruf in die Nachfolge hinaus.

Glaube an Jesus bedeutet für alle Christen, ihm zu vertrauen, dass er unsere Schuld, mit der wir uns von Gott abgewandt haben, von uns genommen hat. Glaube an Jesus heißt, mit ihm zu leben, mit ihm zu sterben und mit ihm in eine neue Welt auferweckt zu werden.

Die Gabe des Glaubens ist eine besondere Ausprägung dieses Glaubens, die daran festhält, dass Jesus stärker ist als alles, was sich ihm in den Weg stellt. Wer diese Gabe hat, hält fest an Jesu Verheißungen angesichts schwerer Krankheit, Kündigung des Arbeitsplatzes, Ehe- und Familienproblemen. Er oder sie kann zuversichtlich und erwartungsvoll selbst in schier ausweglosen Situationen mit Jesu Eingreifen rechnen - und wird von der Umgebung nur allzu gern als Träumer, Utopist oder blauäugig belächelt.

Die beiden Blinden in der Jesusgeschichte haben geglaubt, bevor sie geheilt wurden, bevor sie auch in tieferem Sinne sehen konnten, wer Jesus eigentlich ist. Wie kann jemand eine Gabe haben, der oder die noch nicht Christ ist? Ich möchte es veranschaulichen an Hand der Gabe des Handwerks. Wer die Gabe des Handwerks hat, der bekommt die geschickten Finger meistens nicht erst in dem Moment, wenn er sich Jesus anvertraut. Der ist schon mit dieser Fähigkeit groß geworden, hat früh gelernt, die Schere, den Hammer, den Lötkolben und Pinsel zu benutzen. In dem Moment, wo er Christ wird, darf er diese natürliche Begabung Gott zur Ehre einsetzen. So ähnlich ist es auch mit der Gabe des Glaubens. Als Handwerkszeug gibt Gott diesen Menschen ein tiefes Urvertrauen mit. Sie taten sich schon immer leichter, sich in ausgestreckte Arme fallen zu lassen. Sie hörten oft den Satz "na, so ein Vertrauen hätte ich auch mal gerne". Und aus diesem Urvertrauen befahlen sie sich auch Gott an und ließen ihn an sich wirken. Dabei ist ihnen Jesus persönlich begegnet. Nun ist aus der Fähigkeit zu einem gewissen Urvertrauen eine ganz konkrete Geistesgabe geworden, die zielgerichtet zur Ehre Gottes eingesetzt werden kann. 

Die Gabe des Glaubens in der Gemeinde

Spannend ist nun die Fortsetzung, was diese Gabe für die Gemeinde bedeutet. In der Lesung hörten wir die Geschichte von den vier Freunden, die einen gelähmten Freund durch ein Dach vor Jesu Füßen herab ließen, um ihn von Jesus heilen zu lassen.
Markus 2,1-12
Einige Tage später kam Jesus nach Kafarnaum zurück, und bald wußte jeder, daß er wieder zu Hause war. Die Menschen strömten so zahlreich zusammen, daß kein Platz mehr blieb, nicht einmal draußen vor der Tür. Jesus verkündete ihnen die Botschaft Gottes. Da brachten vier Männer einen Gelähmten herbei, aber sie kamen wegen der Menschenmenge nicht bis zu Jesus durch. Darum stiegen sie auf das flache Dach, gruben die Lehmdecke auf und beseitigten das Holzgeflecht, genau über der Stelle, wo Jesus war. Dann ließen sie den Gelähmten auf seiner Matte durch das Loch hinunter. Als Jesus sah, wie groß ihr Vertrauen war, sagte er zu dem Gelähmten: "Mein Sohn, deine Schuld ist dir vergeben!" Da saßen aber einige Gesetzeslehrer, die dachten bei sich: "Was nimmt der sich heraus! Das ist eine Gotteslästerung! Nur Gott kann den Menschen ihre Schuld vergeben, sonst niemand!" Jesus erkannte sofort, daß sie das dachten, und fragte sie: "Was macht ihr euch da für Gedanken? Was ist leichter - diesem Gelähmten zu sagen: 'Deine Schuld ist dir vergeben', oder: 'Steh auf, nimm deine Matte und geh umher'? Aber ihr sollt sehen, daß der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Schuld zu vergeben!" Und er sagte zu dem Gelähmten: "Ich befehle dir: Steh auf, nimm deine Matte und geh nach Hause!" Der Mann stand auf, nahm seine Matte und ging vor aller Augen weg. Da waren sie alle außer sich; sie priesen Gott und sagten: "So etwas haben wir noch nie erlebt!"

Ihr stellvertretender Glaube ließ den Freund in Jesu Einflussbereich kommen und führte zu neuem Leben. Diese Begegnung zeigt deutlich, dass die Gabe des Glaubens nicht nur für das eigene Lebensschicksal bestimmend ist, sondern stellvertretend für andere ausgeübt werden kann. 

Wir hatten einen schweren Krankheitsfall in der Gemeinde. Viele bekundeten ihre Fürbitte, ihr "Dran-Denken", sie sprachen von der Bitte um Kraft zum Durchhalten, um baldige Erlösung vom Leid, von der Herrlichkeit, die auf den für sie schon Totgeweihten wartete. Ganz wenige sprachen von Heilung und ihrem Glauben daran. Warum? Waren die vielen die Realisten und die paar anderen die Träumer und Utopisten? Haben die vielen womöglich falsch geglaubt und die paar wenigen richtig? Waren die vielen nicht ernsthafte Christen, nur die paar wenigen? 

Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass alle, die ihre Fürbitte zugesagt hatten, ganz ernsthafte Christen waren. Aber die meisten hatten Gott ein Wunder dieses Ausmaßes, das die normalen körperlichen Abläufe durchbricht, nicht zugetraut. Ihre Erfahrung sprach dagegen. Sie fanden das Anliegen zu groß und unverschämt. Sie hatten nicht die Gabe des Glaubens. Die paar Leute allerdings, die an der Vision festhielten, dass der Mann aus der Gemeinde geheilt würde, sie glaubten, dass Jesus ganz konkret heilt. Sie hatten grundlegende Erfahrungen gemacht, dass Gott Mauern durchbricht Die Gabe des Glaubensund Berge versetzt, um sein Erbarmen immer wieder beispielhaft zu zeigen. Ihre Erfahrungen haben sie auf diesen Krankheitsfall übertragen und über längere Zeit hinweg daran festgehalten, dass Jesus heilen kann.

Sicher sind Sie nun gespannt, wie die Geschichte ausgegangen ist. Ja, der Mann wurde wirklich gesund. Aber ein anderer, der eine ähnliche Krankheit hatte, er wurde nicht gesund und ist für uns viel zu früh in die Ewigkeit abgerufen worden. Die Gabe des Glaubens ist nicht Garantie für wunderbare Heilungen und Rettung aus allen Nöten. Gott bleibt in seinen Entscheidungen souverän. Aber die Gabe des Glaubens ist ein wichtiges Hilfsmittel um dranzubleiben und nicht zu schnell aufzugeben.

Wenn wir als Gemeinde die Gabe des Glaubens so vielfältig wahrnehmen, dann hat das Bedeutung für unsere Gemeindearbeit. Offensichtlich stellt Jesus uns hier in Situationen, in denen wir diesen Berge versetzenden Glauben ganz besonders brauchen.

Ich denke an Ehepartner, die den Weg des Glaubens noch nicht mitgehen. Sollten die besonders zum Glauben Begabten sie nicht Jesus vor die Füße legen? Ich denke an unsere Kinder- und Jugendarbeit. Die Glaubenden können sich zusammen tun und Jesus immer wieder die Vision vor die Füße legen, dass diese Gemeinde genug Mitarbeitende hat, um Kindern und Jugendlichen geistliche Familie zu sein. Ich denke an die große Wohnung in unserem Gemeindezentrum, die wir ab Sommer vermieten können. Sollten die Glaubenden nicht daran festhalten, dass diese Wohnung ein besonderer Ort wird, der unter Gottes Segen steht?

Ich bitte Sie, erzählen Sie einander von Ihrer Gabe des Glaubens, tun sie sich wie die vier Freunde auf dem Dach zusammen und legen Sie die Anliegen auf die Trage, um sie vor Jesus zu bringen. Und alle anderen, die sich einen solchen Glauben wünschen, oft aber mehr Resignation und Kleinglauben bei sich entdecken, sie können sich anstecken lassen von den Erfahrungen des Glaubens, die Mut machen und heraus reißen aus den eingefahrenen Gleisen, in denen unser Leben nur allzu oft verläuft. Sie können ihre Lähmungen und Ängste mit auf die Trage legen lassen, damit sie vor Jesu Füße kommen und er sich ihrer annimmt.

Cornelia Trick


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