Ideal und Wirklichkeit
Gottesdienst am 25.10.2009

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
zu unserem heutigen Sonntag ist uns ein herausforderndes Wort Jesu gegeben, das den Wochenspruch aus Micha 6 auslegt: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Diese Ansage gilt es ins Leben zu übersetzen. Am Beispiel der kleinsten Einheit freiwilligen menschlichen Zusammenseins macht Jesus deutlich, wie Gottes Wort zu halten ist, wie diese Einheit nur durch Liebe leben kann und Gott als übergeordnete Autorität braucht. Auch wenn nicht alle hier in einer Ehe leben oder sie anstreben, beinhaltet dieses Thema doch Wahrheiten, die für alle menschlichen Gemeinschaften gelten. Exemplarisch wird an der Ehe Gottes Wille für unser menschliches Zusammensein aufgezeigt und Orientierung gegeben.

Markus 10,2-9

Da kamen einige Pharisäer und versuchten, ihm eine Falle zu stellen. Sie fragten ihn: »Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau wegzuschicken?« Jesus antwortete mit der Gegenfrage: »Was hat Mose euch denn für eine Vorschrift gegeben?« Sie erwiderten: »Mose hat erlaubt, dass ein Mann seiner Frau eine Scheidungsurkunde ausstellen und sie dann wegschicken kann.« Da sagte Jesus: »Mose hat euch diese Vorschrift nur gegeben, weil ihr euer Herz gegen Gott verhärtet habt - und damit eure Hartherzigkeit ans Licht kommt. Gott hat am Anfang den Menschen als Mann und Frau geschaffen. Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Und was Gott zusammengefügt hat, das sollen Menschen nicht scheiden.«

Aus der Menschenmenge treten Leute auf Jesus zu, es sind Pharisäer. Das Markusevangelium berichtet schon ganz am Anfang der Wirksamkeit Jesu von den Pharisäern, wie sie zusammen mit den politischen Machthabern beschließen, Jesus zu töten. (Markus 3,6) So wundert es nicht, dass sie Jesus eine Falle stellen. Sie wollen Jesus überführen, wie er Gottes Gebot, das in den Büchern des Mose niedergeschrieben ist, missachtet. Sie wollen Jesus ins Unrecht setzen und bestätigt sehen, dass Jesus verschwinden muss. So stellen sie Jesus die Frage: „Darf sich ein Mann von seiner Frau scheiden lassen?“ Zurzeit Jesu war das völlig normal. Nach 5.Mose 24 durfte ein Mann seine Frau mit einer Scheidungsurkunde wegschicken, wenn sie etwas „Schändliches“ tat. Was als schändlich galt, darüber gab es viele verschiedene Meinungen. Manche sahen schon beim Anbrennen eines Essens Grund für eine Scheidung. Dass hier nur der Mann die Initiative ergriffen hat, liegt an der Rechtsvorstellung der damaligen Zeit, die Frau gehörte dem Mann. Erst im griechischen Kulturkreis bekam die Frau die gleichen Rechte zur Scheidung. Der Sinn der Scheidungsurkunde war, die Frau aus dem Gefängnis einer lieblosen Ehe zu befreien und ihr die Möglichkeit zu geben, sich wieder zu verheiraten. So wurde die Frau durch eine Scheidung vor Misshandlung und Gewalt in einer unauflöslichen Ehe geschützt. 

Die Pharisäer kamen auf Jesus zu und befragten ihn zu einem Rechtsverhalt, der längst gegeben war. Warum? Wahrscheinlich deshalb, weil sie von seiner Einstellung wussten. Sie konnten sich sicher sein, dass Jesus genauso antworten würde, wie es in ihre Pläne passte. 

Jesus unterscheidet zwischen dem Willen Gottes und dem Gebot des Mose, wie es im 5. Buch Mose niedergeschrieben ist. Gottes Willen ist niedergelegt in den 10 Geboten: Du sollst nicht ehebrechen. Danach lehnte sich das Volk gegen Gott auf, goss ein Stierbild aus Gold und tanzte um diesen Ersatzgott. Es brach den Bund mit Gott, indem es ihm untreu wurde. Gott erkannte die Schwäche seiner Menschen, die nicht durchhalten konnten, nicht einmal ein paar Tage auf Mose warten konnten, ohne gleich anderen nachzulaufen. Er änderte die Gesetzeslage. Er nahm Rücksicht auf die Schwäche und bezog sie in die Gesetzgebung mit ein. Die Vorschriften dämmten nun die Sünde ein. Eine Scheidungsurkunde auszustellen, war nur deshalb erlaubt, weil Menschen nicht fähig sind zur Treue, die das Verbot des Ehebruchs voraussetzt. Menschen sind Gesetzesbrecher, weil sie von sich aus nicht an Gott festhalten können, der ihnen die Fähigkeit schenken möchte, nach seinem Willen zu leben.

Diese ganze Problematik deckt Jesus mit wenigen Worten auf, und er erinnert die Pharisäer und die Menschen, die drum herum standen, daran, was wirklich Gottes ursprünglicher Wille ist: „Was Gott zusammengefügt hat, das sollen Menschen nicht scheiden.“ Jesus erklärt Gottes Willen mit der Schöpfung. Menschen sind von Gott zu seinem Ebenbild als Mann und Frau geschaffen. Gerade in ihrer Gemeinschaft, in ihrer Fähigkeit zum Austausch, zur Kommunikation, zur gegenseitigen Liebe und Hingabe spiegeln sie Gott. Gott ist nicht für sich, isoliert irgendwo im Himmel. Er teilt sich mit, ist in Gemeinschaft mit dem Sohn und dem Heiligen Geist. Er sucht die Gemeinschaft mit den Menschen, redet mit ihnen, kümmert sich um sie, liebt sie. Er gibt sich hin für sie – und das wissen wir seit Karfreitag und Ostern – in seinem Sohn Jesus. Er wird sich von seinen Menschen nicht trennen. Und sooft sie ihn auch enttäuschten und immer wieder enttäuschen, wird er nicht aufgeben, sie zurückzuholen. Dass in der alten, sehr anschaulich erzählten Schöpfungsgeschichte die Frau als Ergänzung, Hilfe, Partnerin und Freude für den Menschen geschaffen wurde, zeigt, wie diese Gemeinschaft exklusiv ist. Sie ist so eng und ausschließlich, dass sogar die Beziehung zum Elternhaus gelockert wird. Der Mann wird die nährende Herkunftsfamilie verlassen, weil er nun ganz zur Frau gehört, die ebenfalls ihre Bindungen verlassen hat, um mit ihm etwas Neues aufzubauen. 

Diese gegenseitige Anziehung und Bezogenheit bekommt ihre Ausrichtung durch Gott, der zusammengeführt und -gefügt hat. Nicht nur die Anziehung der beiden ist von Bedeutung, sondern dass Gott diese beiden Menschen in eine Partnerschaft eingebunden hat. EheringeUnd hier ist die Wortwahl Jesu sehr aufschlussreich. Er benutzt das Wort Gott hat Mann und Frau „in ein Joch eingespannt“. Damit ist gesagt: Gott hat seine Hand auf dem Paar und einen Auftrag für sie. Irgendein Acker ist zu bearbeiten. Die beiden Eingespannten haben ein klares Ziel vor Augen, einen gemeinsamen Auftrag von Gott. Sie müssen in ihrem Zusammenleben vorwärts gehen, das heißt, sich verändern, bei jeder Bewegung auf den Partner, die Partnerin Rücksicht nehmen und Bewegungen kommunizieren, dass der andere mitkommt, das Ziel immer wieder neu ins Auge fassen und von Gott zeigen lassen und Gott die Führung überlassen, der das Joch in der Hand hält. Der Erfolg des gemeinsamen Weges hängt davon ab, ob beide mitmachen, beide der Führung Gottes vertrauen und beide das Ziel erreichen wollen. Im 1.Petrusbrief wird das Miteinander mit zwei Worten beschrieben: „Dient einander!“ (1.Petrus 4,10). Ehe ist ein Vertrag zum gegenseitigen Dienst an Seele, Geist und Leib, um Gottes Auftrag miteinander zu erfüllen. Hier geht das Eheverständnis weit über jeden Hollywood-Film hinaus. Die Eheleute sind nicht nur füreinander da, sondern miteinander wirken sie mit an der Gestaltung dieser Welt nach Gottes Willen. Es ist Gottes Liebe zu uns Menschen, dass er uns nicht allein losschickt, um die Äcker der Welt zu bearbeiten. Er will, dass wir es miteinander tun in verlässlicher, lebenslanger und vertrauter Gemeinschaft.

Die Jünger fragten Jesus an anderer Stelle, was denn mit denen ist, die nicht verheiratet sind. Jesus öffnete ihren Blick. Auch ohne Ehepartner ist es möglich, Gottes Willen zu leben. Gerade in dem ganzen Einsatz für Gottes Sache kann eine Partnerschaft sogar hinderlich sein, Kräfte binden, die an anderer Stelle gebraucht werden. Jesus wird denen ganz besonders nahe sein, die sich ihm ganz zur Verfügung stellen. Und er wird ihnen Menschen an die Seite stellen, die sie unterstützen und ihnen helfen, Gottes Gemeinschaft auch in den ganz normalen zwischenmenschlichen Beziehungen zu erleben.

Miteinander unterwegs zu sein, um Gottes Auftrag zu erfüllen, setzt Dauer und Verlässlichkeit voraus. Deshalb, so sagt Jesus, widerspricht die Ehescheidung Gottes Willen. Doch dass es soweit kommen kann, ist leicht nachzuvollziehen. Das Joch zerbricht, die Beauftragung Gottes gerät aus dem Blick und damit auch das gemeinsame Ziel. Die beiden bemühen sich, die Spur zu halten, aber sie haben niemand mehr, der sie leitet und zusammenhält. Beide können sich nicht mehr auf das gemeinsame Ziel einigen, entweder einer sucht ein neues Ziel, oder eine verharrt auf ihrer Position und verweigert sich der Veränderung und dem gemeinsamen Wachsen. Beide sind so aufeinander fixiert, dass sie ständig über die eigenen Füße stolpern und nicht mehr vorwärts kommen. Irgendwann öden sie sich an und spüren, dass das Leben erstickt ist.

Jesus erklärt das Scheitern des gemeinsamen Weges mit einem harten Herzen. Ich vergleiche das Herz mit einem Block grüner Steckmasse für Blumen. Die Steckmasse ist an sich trocken und bröselig. Wenn man da eine Blume hineinsteckt, wird sie in kurzer Zeit verwelken. Doch weicht man den Block in Wasser ein, saugt er sich voll und wird den hineingesteckten Blumen genauso viel Wasser geben, wie sie brauchen. Ein hartes Herz ist ein Herz, dass Gottes Liebe nicht an sich heran lässt, das trocken und bröselig wird und niemand zum Blühen helfen kann. Weich wird das Herz, wenn Gottes Liebe es durchtränkt. So kann es von dieser Liebe abgeben und zum Blühen des anderen helfen. Wenn dieses Herz sich von Gottes Liebe abwendet, wird es langsam austrocknen. Bald hat es nichts mehr zum Weitergeben, die Blumen verdorren. Aus dem friedlichen Miteinander wird kämpferisches Gegeneinander. Aus Einverständnis wird Missverständnis. Aus Liebe wächst Streit. Und die beiden werden sich über kurz oder lang trennen, um Schlimmeres zu verhindern. Ehescheidung, das bringt Jesus zum Ausdruck, ist nicht Gottes Wille, sondern sein Zugeständnis an die Unfähigkeit des Menschen, in seiner Liebe zu leben.

So kommen wir zu unserer Zeit. Warum fast die Hälfte aller Ehen geschieden wird, liegt an den harten Herzen, die Gottes Liebe nicht aufnehmen, an der Unfähigkeit, in die gleiche Richtung zu gehen und an der Bagatellisierung: Wenn es doch alle so machen, muss es ok sein.

Wir als Gemeinde können sagen, was interessiert das uns. Wir sind hier, um ein weiches Herz zu bekommen und setzen voraus, dass jeder, der ein weiches Herz hat, mit seiner Ehe klarkommt. Aber so ist es nicht. Auch wir sind massiv von den gesellschaftlichen Veränderungen betroffen. Auch wir kämpfen um gemeinsames Spurhalten, um unser gemeinsames Ziel und für Gottes Einfluss auf unser Miteinander. Und wir kommen hier zusammen als schuldig Gewordene und Verletzte. Gemeinde ist noch nicht der Ort der Seligen, sondern der Ort, wo Gottes Einfluss zum Tragen kommt. Hier muss Raum sein, um Schuld zu erkennen, Schuld zu bereuen und Gott um einen Neuanfang zu bitten. Hier muss Platz sein für die, deren Lebensgrundlage zerbrochen ist und die ihr Urvertrauen verloren haben. Hier will Jesus zerbrochene Herzen heilen und Neuanfänge gestalten. Deshalb hat es mich erschüttert, in einer Studie zu lesen, dass Menschen mit gebrochenen Biografien oft die Gemeinden wechseln, weil sie in ihrer Heimatgemeinde kein Verständnis und keine Hilfe finden. Sind wir bereit, nicht nur Menschen von außen aufzunehmen, die mit ihren Päckchen der Vergangenheit hierher kommen, sondern auch zu akzeptieren, dass wir selbst solche Menschen sind? Dass wir trotz unseres Glaubens in harte Herzensangelegenheiten kommen können, scheitern und es nicht schaffen, die gemeinsame Spur wieder zu finden? Und was kann Gemeinde in einer solchen Situation sein und anbieten?

Fühle ich mich ein in eine Frau, die sich mitten in den Scherben ihrer Ehe wieder findet, würde ich mir eine Schwester im Glauben wünschen, die mir beisteht und für mich betet, mit der ich über meine Schuld, meine Schuldgefühle sprechen kann, die mich nicht beurteilt, sondern mein Herz vor Jesus bringt, um es von ihm heilen zu lassen. Ich wünsche mir eine Freundin, die mir die Beichte abnimmt und mir Gottes Vergebung zuspricht. Ich stelle mir den Pastor oder die Pastorin vor, die mich an die Hand nimmt, mir zuhört und meine Situation nicht bagatellisiert. Die offen mit mir über meine Schuld spricht und mir hilft umzukehren. Und dann wünsche ich mir eine Gemeinde, in der ich während dieser Zeit liebevoll begleitet werde, wo man nicht hinter dem Rücken über mich redet, sondern mit mir, und in der ich spüren kann, ich gehöre dazu, auch wenn ich gerade „ein schwieriger Fall“ bin. 

Eine Gemeinde, die weiß, was Gottes Wille ist, kann auch mit allen Graustufen des menschlichen Lebens umgehen, denn sie weiß von Jesus, wie er damit umgegangen ist. Sie wird werben für ein frohes, verbindliches und zielorientiertes Miteinander in der lebenslänglichen Gemeinschaft der Ehe, sie wird alles dafür tun, dass Paare verbindlich werden und es bleiben. Sie wird das Scheitern von Lebensentwürfen begreifen als Schuld, die umso abhängiger macht von Jesus, der allein vergeben kann. Und sie wird helfen, den Weg der Umkehr zu finden, zu gehen und wieder Wasser ans harte Herz zu lassen. Gemeinde besteht aus Menschen, die nicht aus sich heraus Gottes Willen leben können, wir alle sitzen in Jesu Boot, ohne das wir untergehen würden.

Das Thema mag speziell für Eheleute zugespitzt zu sein, aber es öffnet jedem von uns hier den Blick für den eigenen Beitrag, wie das Leben nach Gottes Willen gelingen kann. Werden wir einander Wegbegleiter und Wegbegleiterin, um die Äcker unseres Lebens nach Gottes Willen bearbeiten zu können, als Alleinstehende, als Ehepaare, als einmal Gestrandete, aber wieder ins Leben zurück Geholte. Gott segne uns dabei.

Cornelia Trick


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