Ich sage dir: Steh auf
Gottesdienst am 21.11.2004

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
heute ist ein ernster Sonntag. Wir denken an Menschen, die von uns gegangen sind, besuchen ihre Gräber und teilen Erinnerungen an sie. Ganz persönlich kommt dem einen oder der anderen auch die Frage in den Sinn: FriedhofWann bin ich dran? Wird mein Name beim nächsten Totensonntag verlesen? Mache ich das Richtige mit der Zeit, die mir noch bleibt?

Manche sind betroffen von Vorboten des Todes. Sie leiden an einer chronischen, unheilbaren Krankheit. Sie sind verletzt durch den Abbruch einer Beziehung oder sie müssen Abschied nehmen von einer Lebensphase, die ihnen viel bedeutet hat. Auch sie werden konfrontiert mit der Aufforderung, etwas aus der ihnen verbliebenen Zeit zu machen und nicht einfach in den Tag zu leben. Sie werden dringlich daran erinnert, dass der Tod nicht irgendwo in weiter Ferne auf sie wartet, sondern sich schon längst in ihr Leben geschlichen hat.

Menschen, die an Jesus Christus glauben, sprechen heute nicht vom Totensonntag, sondern vom Ewigkeitssonntag. Sie wissen um die tiefe Bedeutung des Todes, der nicht Ende meint, sondern Neuanfang in Ewigkeit. Sie wollen nicht länger auf die Gräber nach unten starren, sondern ihren Blick heben und heben lassen zu Jesus Christus, der in die Zukunft weist. 

Eine Geschichte der Bibel geht darauf in besonderer Weise ein. Sie erzählt von einem todkranken Mädchen, das schließlich stirbt - bis hierher eine Allerweltserfahrung. Doch sie erzählt auch von Jesus, das macht diese Geschichte besonders und für uns bedeutungsvoll an diesem Ewigkeitssonntag 2004.

Markus 5,21-24.35-43

Als Jesus wieder herübergefahren war im Boot, versammelte sich eine große Menge bei ihm, und er war am See. Da kam einer von den Vorstehern der Synagoge, mit Namen Jaïrus. Und als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und bat ihn sehr und sprach: Meine Tochter liegt in den letzten Zügen; komm doch und lege deine Hände auf sie, damit sie gesund werde und lebe.
Und er ging hin mit ihm. Und es folgte ihm eine große Menge, und sie umdrängten ihn. Als er noch so redete, kamen einige aus dem Hause des Vorstehers der Synagoge und sprachen: Deine Tochter ist gestorben; was bemühst du weiter den Meister? Jesus aber hörte mit an, was gesagt wurde, und sprach zu dem Vorsteher: Fürchte dich nicht, glaube nur!
Und er ließ niemanden mit sich gehen als Petrus und Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus. Und sie kamen in das Haus des Vorstehers, und er sah das Getümmel, und wie sehr sie weinten und heulten. Und er ging hinein und sprach zu ihnen: Was lärmt und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. Er aber trieb sie alle hinaus und nahm mit sich den Vater des Kindes und die Mutter und die bei ihm waren, und ging hinein, wo das Kind lag, und ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihm: Talita kum! - das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher; es war aber zwölf Jahre alt. Und sie entsetzten sich sogleich über die Maßen. Und er gebot ihnen streng, dass es niemand wissen sollte, und sagte, sie sollten ihr zu essen geben.

Ein verzweifelter Vater bei Jesus

Wir erfahren, dass Jairus Synagogenvorsteher in Kapernaum war. Ein Mann, der der religiösen Schule und Versammlungsstätte vorstand, kannte sich in den heiligen Schriften aus. Als er von Jesus hörte, von seinen Predigten, seinen Heilungen und seinen Hinweisen auf Gottes Reich und Herrschaft, wird er erinnert worden sein an die Worte des Propheten Jesaja, der die Zukunft des Messias in Bildern ankündigte: Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, und Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen (Jesaja 65,20). So griff dieser Synagogenvorsteher nach dem letzten Strohhalm und warf sich vor dem Zimmermann Jesus aus Nazareth nieder. Vielleicht trieb ihn die Hoffnung, dass die angekündigte Zeit nun anbrach und seine Tochter von Jesus geheilt werden konnte. Dieser Mann setzte mit seinem öffentlichen Kniefall alles auf eine Karte. War Jesus nur ein Scharlatan, hatte er in seiner Umgebung mit Schwierigkeiten zu rechnen.

Jairus bat Jesus darum, mit ihm zu kommen, seine Hand auf die Tochter zu legen und sie heil zu machen. Er bat Jesus mitzukommen auf dem Weg zurück in die Krankenstube. Ihm war Begleitung wichtig, den Gang nicht allein tun zu müssen. Die Handauflegung Jesu hatte für Jairus symbolische Bedeutung. Mit der Hand übertrug Jesus Kraft und Gottes Gegenwart. Seine Hand segnete das Kind und stellte es unter das Wirken Gottes. Die Bitte um Heilung war das eigentliche Ziel von Jesu Hausbesuch. Das Mädchen sollte zurück ins Leben finden und die Hoffnungen der Eltern erfüllen. 

Jairus zeigte hier ein enormes Vertrauen zu Jesus, von dem er Gottes Eingreifen erwartete. Zwar kann man anführen, dass Jairus in seiner Verzweiflung und Ohnmacht nichts anderes mehr übrig blieb, als Jesus zu bitten, doch wie sieht es bei uns aus? Es sind genug Menschen in ausweglosen Situationen, doch kommen sie zu Jesus? Da werden viele wundersame Therapien ausprobiert, man versucht es mit Blüten und Steinen, bei diesem Arzt und jenem Psychologen. Man liest die Ratgeberliteratur rauf und runter und durchforstet das Internet. Man hat die beste Freundin zum Weinen und Klagen und eine Gesprächstherapie, um mit dem Unabänderlichen fertig zu werden. Aber zu Jesus rennen und ihm vor die Füße zu fallen, ist nicht die übliche Reaktion in Sackgassen des Lebens. 

Für mich ist diese Erkenntnis eine ernste Anfrage an mich selbst. Erzähle ich einem Bekannten, der an einer unheilbaren Krankheit leidet, so von Jesus, dass er seine Vorbehalte aufgibt und von ihm Rettung erhofft? Oder behandele ich meinen Glauben eher wie mein bestgehütetes Geheimnis, nur für Eingeweihte zu haben? Dann allerdings muss ich mich nicht wundern, wenn meinem Bekannten das Internet näher liegt als Jesus Christus, ja, er gar nicht auf den Gedanken kommt, die Bibel in die Hand zu nehmen.

Jesus kommt mit – zu spät

Ohne eine Rückfrage oder einen Einwand geht Jesus wortlos mit Jairus mit. Seine spontane Bereitschaft zeigt, dass es für ihn das Selbstverständliche ist, in das Haus zu gehen, wo seine Hilfe gebraucht und gewünscht wird. Das gilt bis heute. Ich möchte sein Handeln in Erinnerung behalten, wenn ich um sein Mitkommen bitte. Er braucht nicht erst überredet zu werden. Er kommt. 

Doch in Kapernaum kommt er zu spät. Boten überbringen die schlechte Nachricht, dass die Tochter gestorben ist. Nun, so sagen sie, braucht Jesus nicht mehr mitzukommen. Nun ist alle Hoffnung mitgestorben. Jesus konnte daran auch nichts mehr ändern. Ich sehe vor meinem inneren Auge Szenen, wo ich es ähnlich erlebt habe. Da wurde für eine Arbeitsstelle gebetet. Wir taten uns zusammen und hofften, dass Jesus da ein Wunder tun würde, aus 100 Bewerbungen auf die eine zu zeigen. Doch das Wunder blieb aus, die Absage kam. Und wir gingen als Betende traurig und enttäuscht auseinander. Nun - da hatte Jesus wohl doch nicht geholfen oder ist zu spät gekommen. Manche und mancher kommt durch so eine Erfahrung in eine echte Gebetskrise. Beten hat ja wohl doch keinen Sinn. 

Genau in dieser Enttäuschung ergreift Jesus jetzt zum ersten Mal das Wort: "Fürchte dich nicht! Glaube nur!" Jesus nimmt Jairus an der Hand, er lässt ihn nicht mit gesenktem Haupt stehen, sondern reißt ihn mit sich und richtet seinen Blick auf Gott. Glaube nur, das bedeutet doch, vertraue dich Jesus an, der wird dir in dieser Lage hindurch helfen. Mit Jesus gibt es einen Ausweg, eine Rettung. Lass seine Hand jetzt nur ja nicht los, denn es wird etwas ganz Wichtiges geschehen.

Als ich über dieses sich Jesus Anvertrauen nachdachte, kam mir ein altes Kirchenlied in den Sinn, das wir schon oft auf dem Friedhof gesungen haben. "Jesus lebt, mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun deine Schrecken? Jesus lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken. Er verklärt mich in sein Licht; dies ist meine Zuversicht." Das Lied sangen wir in einer ähnlichen Situation, enttäuscht, dass der Tod einen lieben Menschen eingeholt hat, verletzt von dem Verlust, doch gehalten von Jesus, der trotz Schmerz und Leid den Blick nach vorn öffnet.

Jesus veranschaulicht Ostern

Als die Boten zusammen mit Jesus und seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern das Haus des Jairus erreicht hatten, handelte Jesus merkwürdig und nicht so, wie wir es in Trauerbegleitungsseminaren lernen. Statt dass er sich zu den Mittrauernden setzte und mit ihnen die Realität des Todes aushielt, schickte er die Besucher aus dem Haus und redete von Schlaf, statt von Tod. Ganz allein mit drei seiner Jünger und den Eltern ging er zu der Toten. Er sagte zu dem Mädchen: "Ich sage dir: Steh auf!"

Diese Worte erinnern an die Schöpfungsgeschichte. Gott sprach und schuf. Auf sein Wort hin entstand Leben. So gebrauchte Jesus hier die gleichen Worte. Er sprach und schuf bei dem Mädchen neues Leben. Er belebte nicht eine Scheintote, sondern rief komplett neues Leben ins Dasein. So ist zu verstehen, dass Jesus von Schlaf sprach. Für ihn war der Tod nicht die letzte endgültige Macht, sondern ein Übergangsstadium in neues Leben. Dass Jesus hier so handelte, legt die Schlussfolgerung nahe, dass es sich in Jairus Haus nicht um ein beliebig wiederholbares Geschehen handelte, sondern um ein einmaliges Hinweisen auf Jesu eigenen Tod und seine Auferstehung, die damals noch in der Zukunft lagen. Mit der Totenauferweckung nahm Jesus seine Auferstehung vorweg und setzte sie zum Zeichen für uns, dass dem Tod mit Jesus die Macht genommen ist. Die Tochter musste irgendwann wieder sterben. Wer mit Jesus lebt, der wird auferweckt in Ewigkeit und der darf in Jesu Nähe bleiben - für immer.

Das Geschehen in Kapernaum hat Auswirkungen auf unsere Krankenzimmer und Trauerstuben. Er spricht: "Ich sage dir: Steh auf!" auch in unsere Situationen hinein. Sein Leben steht uns offen in der neuen Welt, wo Gottes Hütte mitten unter den Menschen ist. Jesus bleibt nicht ohnmächtig vor unseren Gräbern stehen, weil er vielleicht zu spät gekommen ist zum Helfen, sondern er schafft neues Leben in Ewigkeit und weckt uns an seinem Tag aus dem Tod, der in seinen Augen wie Schlaf ist. Deshalb freuen wir uns auf das himmlische Mahl mit Jesus, wo wir essen werden wie Jairus Tochter es tat.

Allerdings möchte ich mir Jairus zum Vorbild nehmen und in meiner Umgebung dafür werben, sich Jesus anzuvertrauen. Denn es macht einen großen Unterschied, ob ich ihn kenne und weiß, wo meine letzte Heimat ist, oder ob ich mit meinem Tod die Obdachlosigkeit erwarte, ohne Heimat, ohne Vertraute, ganz verlassen. Für mich persönlich heißt es, mein Leben, solange es mir hier noch geschenkt ist, Jesus zu widmen und mich von ihm mitnehmen zu lassen in die Krankenstuben und Trauerhäuser, um seine Gegenwart zu bezeugen und zum Glauben an ihn einzuladen.

Weder Tod noch Leben trennen uns von Gottes Liebe, 
die in Jesus Christus ist.

Wenn ich gestorben bin und verloren,
wird man mich senken in deine Erde.
Wenn ich verloren bin und verlassen,
wirst du mich halten in deinen Armen.

Wenn ich verlassen bin und vergessen,
wirst du mich nennen bei meinem Namen.
Wenn ich vergessen bin und vergangen,
wirst du mich bergen in deiner Treue.

Weder Tod noch Leben trennen uns von Gottes Liebe, 
die in Jesus Christus ist.
Lothar Zenetti

Cornelia Trick


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