Hört und seht (Matthäus 11,2-6)
Gottesdienst am 1.12.2019 in Rod am Berg

Liebe Gemeinde,
wenn ich im Sommer an Advent denke, kommen mir Bilder meiner Kindheit in den Sinn. Eine geschmückte Wohnung, Kerzen, die gemütliches Licht verbreiten, Sterne-Basteln, Karten schreiben, mit den Flöten Weihnachtslieder spielen, Plätzchen backen und essen und über allem ein tiefer Friede, Zeit füreinander und immer wieder Menschen am Tisch, die zu Besuch sind.

Letzte Woche las ich eine Pressemitteilung, da hieß es, dass Frauen normalerweise in der Adventszeit total im Stress sind. Sie haben ihren ganz normalen Alltag zu bewältigen, viele Erwartungen an das perfekte Fest ruhen auf ihren Schultern, und sie sind mit all den Vorbereitungen und Einkaufslisten einfach überfordert. 

Nicht nur die ganz normale vorweihnachtliche Liste muss abgearbeitet werden, da sind ja oft auch ganz persönliche Themen, die noch dazu kommen, und die Großwetterlage unserer Welt, die uns Sorgen bereitet. 

Bei allem Sehnen nach gemütlichen Adventsnachmittagen bliebt doch eine innere Unruhe. Kann Jesus etwas an unserer Situation, an unserer Weltlage ändern? Warum greift er nicht viel sichtbarer ein? Er will doch Frieden. 

Johannes der Täufer war der Vorläufer von Jesus, wenige Wochen vor Jesus wurde er geboren, sein Auftrag von Gott her war, die Menschen wachzurütteln, sie aus ihrem Alltagstrott zu reißen und ihnen zu zeigen, dass Gott einen anderen Lebenswandel von ihnen wollte. Er sagte ihnen: „Stoppt euer Jagen und Hasten! Kehrt um und verändert euch! Denkt weniger an euch und euren Vorteil, mehr daran, was Gott will und die Nächsten brauchen!“ Scharenweise kamen die Leute zu Johannes und ließen sich taufen. Sie nahmen Johannes Mahnungen ernst und wollten ihr Leben neu auf Gott und seinen Willen ausrichten, den Blick wieder für den Nächsten haben. Doch Johannes eckte auch an. Seine Verkündigung war radikal, nicht diplomatisch. Er übte Kritik an dem machthabenden König Herodes, der steckte den Oppositionellen ins Gefängnis. 

Nun saß Johannes in seiner Zelle und grübelte wohl über sein Lebenswerk nach. War Jesus wirklich der, auf den er hinweisen sollte? Konnte er denn der erwartete Messias sein, wo er doch offensichtlich keine Anstalten machte, die Herrschenden vom Thron zu stoßen und politische Gerechtigkeit herzustellen? Hatte doch Johannes verkündet, der kommende Messias würde mit Feuer und Schwert durchgreifen und mit den Gegnern Gottes abrechnen. Stattdessen predigte Jesus Feindesliebe und zeigte sich als Heiland, nicht als Gotteskrieger. Zweifel werden in Johannes hochgekommen sein. 

Wenn wir uns jetzt zu Johannes in die Zelle setzen, werden wir uns vielleicht ein wenig in Johannes Zweifeln wiedererkennen. Man weiß sich auf Gottes Weg, fühlt sich zu einer Aufgabe berufen und wird jäh ausgebremst. Ein Bekannter von mir hatte nach einigem Suchen endlich eine Arbeitsstelle gefunden, die so richtig seinen Gaben entsprach. Es war nicht einfach für ihn, ins bestehende Team zu kommen, aber er wusste, dass Gott ihm diese Chance gegeben hatte. Wenige Monate nach unserem letzten Gespräch rief er mich an und erzählte von seiner Krankheit, die ihn völlig unvorbereitet nun monatelang aufs Abstellgleis stellen, wenn nicht gar den Tod bringen würde. Was sollte das? Wo war Jesus? Stand er denn nicht zu seinen Zusagen?

Und mit Johannes würde der Bekannte jederzeit rufen: „Bist du wirklich Jesus? Bist du der, der mir versprochen hat zu helfen? Dann zeig dich doch endlich!“

Matthäus 11,2-6
Johannes saß im Gefängnis. Dort hörte er von den Taten des Christus. Deshalb schickte er seine Jünger zu Jesus und ließ ihn fragen: »Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?«  Jesus antwortete ihnen: »Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen. Menschen mit Aussatz werden rein, Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt und Armen wird die Gute Nachricht verkündet. Glückselig ist, wer sich nicht von mir abbringen lässt.«

Johannes schickt seine Anhänger, die sich während seines Gefängnisaufenthaltes um ihn kümmern, zu Jesus. Er will wissen, ob er aufs falsche Pferd gesetzt hat. Er hofft, dass Jesus sich erklärt und ihm seine Pläne offenlegt, ihm versichert, dass Feuer und Schwert noch kommen werden. 

Doch Jesus antwortet den Johannes-Anhängern: „Hört und seht!“ Er zählt auf, was das Matthäus- Evangelium in den vorherigen Kapiteln berichtet und was der Prophet Jesaja schon für die neue Zeit vorausgesagt hatte. Die Anhänger des Johannes werden eingeladen, die Jesus-Geschichte mitzuerleben, sich einzulassen auf den Weg mit Jesus. Das Ziel des Weges ist, dass sie wie Petrus bekennen: „Du bist Christus, der versprochene Retter, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Matthäus 16,16).

So gibt Jesus auch uns Anleitung, wie wir die vor uns liegende Adventszeit gestalten können. Außer Schmücken, Backen, Singen, Geschenke-Kaufen und Kerzen in dunklen Stuben erleuchten, sollen wir uns einlassen auf die Geschichte Jesu mit seinen Menschen, wie wir sie zum Beispiel im Matthäus-Evangelium lesen. 

Letzte Woche sprach ich mit einer Mitarbeiterin einer anderen Gemeinde. Sie ist überraschend für einige Zeit zuständig für den Kirchlichen Unterricht. Wir überlegten gemeinsam: Was wollen wir den Jugendlichen in der begrenzten Zeit bis zur Einsegnung mitgeben? Uns wurde schnell klar, dass am wichtigsten sein wird, den jungen Leuten die Jesus-Geschichten bekannt und vertraut zu machen. Sie werden mit Jesus zu den Menschen gehen, ihn sozusagen beobachten beim Reden, Zuhören, Helfen und Heilen. Im besten Fall werden sie sich in den Menschen wiedererkennen, denen Jesus begegnete, in den Bedürftigen, aber auch in den Besserwissern. Und nach der Einsegnung können sie ihren eigenen Weg mit Jesus weitergehen, eigene Erfahrungen dazustellen und Jesus so immer näherkommen.

Für heute habe ich eine Jesus-Erzählung herausgegriffen, die eigentlich zwei ineinander verwobene Geschichten enthält (Markus 6,30-42): 

Die Apostel kamen zu Jesus zurück. Sie berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Und er sagte zu ihnen: »Kommt mit an einen ruhigen Ort, nur ihr allein, und ruht euch ein wenig aus.« Denn ständig kamen und gingen die Leute und sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen. So fuhren sie mit dem Boot an eine abgelegene Stelle, um für sich allein zu sein. Die Leute sahen, wie sie abfuhren, und viele erkannten, wo sie hinwollten. So strömten sie auf dem Landweg aus allen umliegenden Orten herbei und kamen noch vor ihnen dorthin.  Als Jesus ausstieg, sah er die große Volksmenge und bekam Mitleid mit den Menschen. Sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er redete lange zu ihnen. So vergingen viele Stunden. Da kamen seine Jünger zu ihm und sagten: »Es ist eine einsame Gegend hier und es ist sehr spät. Lass doch die Leute gehen. Dann können sie zu den umliegenden Höfen und in die Dörfer ziehen, und sich etwas zu essen kaufen. Aber Jesus antwortete ihnen: »Gebt ihr ihnen etwas zu essen.« Da sagten sie zu ihm: »Sollen wir etwa losgehen und für zweihundert Silbermünzen Brot kaufen und es ihnen zu essen geben?« Jesus fragte sie: »Wie viele Brote habt ihr dabei? Geht und seht nach.« Als sie es herausgefunden hatten, sagten sie: »Fünf, und zwei Fische.« Und er ordnete an: »Alle sollen sich in Gruppen zum Essen im grünen Gras niederlassen.« So lagerten sich die Leute in Gruppen zu hundert oder zu fünfzig. Dann nahm Jesus die fünf Brote und die zwei Fische. Er blickte zum Himmel auf und sprach das Dankgebet. Dann brach er die Brote in Stücke und gab sie seinen Jüngern, die sie verteilen sollten. Auch die zwei Fische ließ er an alle austeilen. Alle aßen und wurden satt.

Jesus begegnet uns hier als Seelsorger. Er fängt uns auf nach einer hektischen Woche. Er nimmt uns mit an einen einsamen Ort. Er will, dass wir in seiner Gegenwart aufatmen, Brot essen, schlafen. Welcher Ort ist das? Ein Platz in der Wohnung, an dem wir Ruhe haben? Ein Platz, den wir uns erst schaffen müssen, freiräumen und abschirmen müssen, damit wir in Jesu Gegenwart ausruhen können? 

Doch aus der ruhigen Pause wird für die Jünger nichts. Viel zu schnell kommen die Leute auch an diesen einsamen Ort. Jesus weiß doch eigentlich, dass seine Jünger am Ende ihrer Kraft sind, und doch fordert er sie auf: „Gebt ihr ihnen etwas zu essen!“ Sie antworten, wie man es von überforderten Leuten erwartet: „Wie soll das gehen?“ Doch Jesus nimmt das Wenige, das da ist, und teilt es aus, es reicht für alle, alle werden satt. 

Jesus gibt uns in dieser Doppel-Geschichte Wesentliches mit. Wir können nur geben, wenn wir vorher von Jesus genommen haben. Er teilt das Wenige, und es reicht für mich und alle. Meine Hektik und Kurzatmigkeit wird nicht zum Erfolg führen, nur zum Burnout. Ich kann Jesus meine kleine Kraft hinhalten und er kann daraus viel machen.

Für diese Adventzeit bedeutet das konkret: „Setz dich hin, bevor du dich selbst in Aktivitäten stürzt. Nimm von Jesus das geteilte Brot, ein Wort aus der Bibel, ein gutes Buch, ein warmes Kaffeetrinken. Und dann, wenn du selbst satt bist, teile fröhlich und gib weiter, zünde anderen Kerzen an, die brennen und dort Licht in Dunkelheiten bringen werden. 

Wir wissen nicht, wie Johannes die Antwort seiner Anhänger aufgenommen hat. Vielleicht war er erstmal enttäuscht. Aber auch er wird sich in dem, was die Anhänger erzählten, wiedergefunden haben. Das hat ihm Stärkung und Kraft gegeben, Gewissheit und Frieden angesichts seines Leidensweges. 

„Hört und seht!“ ist die Advents-Überschrift. Wie schön, wenn wir uns in diesen Wochen verstärkt darüber austauschen, wie Licht, Wärme, Heil und Frieden mit Jesus in unser Leben gekommen ist, ohne dass wir es uns selbst mühsam erarbeiten mussten.

Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_hoert_und_seht.htm