Hochmut kommt vor dem Fall
Gottesdienst am 19.10.2008

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in der Vorbereitung auf ProChrist gehe ich nun viel bewusster durch den Ort und sehe den Menschen in die Augen, die mir begegnen. Es sind die Menschen, für die wir ProChrist veranstalten, die wir zu den Abenden im März 2009 einladen wollen, um ihnen die ausgestreckte Hand Jesu zu zeigen und sie mitzunehmen auf den Weg der Nachfolge. 

Dabei kommen mir auch Gespräche in den Sinn, die ich in den letzten Jahren immer wieder führte. Da sagte ein älterer Mann: Die Methodisten, die sind ja die besonders Frommen im Ort. Jemand anders meinte: Die Methodisten fühlen sich als was Besseres, nicht so wie wir normalen Christen. Und in einer anderen Begegnung meinte eine Frau: Die Methodisten erkennt mah daran, dass sie "jeden Sonndag in die Kersch gehe und ganz viel bede". Ich muss zugeben, über manche Äußerungen habe ich mich richtig gefreut. Ist doch gut, wenn andere sehen, dass es uns mit dem Christsein ernst ist, dass wir beten, dass wir Gemeinschaft pflegen und irgendwie konsequent unseren Glauben leben. Doch können diese Äußerungen ja auch anders interpretiert werden. Die Leute von der Kapelle (früher war die Kapelle der Versammlungsort) Kapellewollen mit den normalen Leuten nichts zu tun haben. Sie leben in einer anderen Welt. Wer zu ihnen gehören will, muss erst eine Aufnahmeprüfung absolvieren und ist dadurch anderen überlegen. Ein solches Urteil über diese Gemeinde wäre keine gute Voraussetzung für ProChrist und für das Einladen zu Jesus. Eine solche Haltung wäre das Gegenteil von dem, was Jesus mit seiner Gemeinde will. So möchte ich heute ein Gleichnis auslegen, das Jesus den Frommen seiner Zeit erzählte. Es ist ein anstößiges Gleichnis für fromme Leute, das uns daran erinnert, worauf es beim Christsein zuallererst ankommt.

Eingebettet ist das Gleichnis in zwei große Themen Jesu. Es steht unter der Überschrift Gebet. Wie sollen Menschen, die Jesus kennen, beten? Vor diesem Gleichnis erzählt Jesus von einer Witwe, die durch Beharrlichkeit ihr Recht bekommt. So, sagt Jesus, sollen wir beten. Beharrlich, ausdauernd und gewiss, dass der Vater im Himmel uns das geben wird, was für uns das Richtige ist. Aber es geht Jesus nicht nur um die Intensität des Betens, sondern auch um unsere innere Einstellung beim Reden mit Gott. Dazu erzählt er vom Pharisäer und vom Zöllner. Doch noch ein zweites Thema durchzieht das heute im Mittelpunkt stehende Gleichnis. Wer gehört zu Gott und wird in seinem Reich bei ihm sein? Sind es Menschen, die sich hochgedient haben, die einen Koffer voller Urkunden und Zeugnisse dabei haben? Oder sind es Menschen, die mit leeren Händen zu ihm kommen wie die Kinder, deren Mütter sie zu Jesus brachten, um sie segnen zu lassen (Lukas 18,15ff)?

Lukas 18,9-14

Jesus sagte aber zu einigen, die  sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Jesus erzählt das Gleichnis „einigen“, wir könnten auch sagen „gewissen Leuten“ und würden den Unterton Jesu damit besser treffen. Denn ganz klar sind die Adressaten nicht irgendwelche Leute auf der Straße oder gar die Jünger, sondern wohl Pharisäer, denen mit dem Gleichnis zur Selbsterkenntnis verholfen werden soll. Aber in diesen „Einigen“ sind nicht nur die Pharisäer der Zeit Jesu enthalten, sondern ist jede und jeder mitgemeint, der in den darauf folgenden 2000 Jahren und mehr von einem Pharisäer und einem Zöllner in der Bibel liest. Und jedes Mal wieder richtet sich die Frage an den Leser und die Leserin: Kommst du in diesem Gleichnis vor, und lernst du daraus?

Die Pharisäer zur Zeit Jesu zeichneten sich durch strenge Gesetzeserfüllung aus. Sie hielten alle Gebote und legten sie strenger aus, um sie ja nicht zu übertreten. So beachteten sie nicht nur einen Fastentag der Woche, sondern fasteten gleich zweimal, um nicht in die Gefahr zu kommen, das Gebot zu missachten. Sie gaben von allem, was sie hatten, den 10. Teil Gott, auch von Getreide, das eigentlich von den Händlern schon verzehntet wurde. An sich war ihr Verhalten vorbildlich. Und auch der Pharisäer, den Jesus im Gleichnis beschreibt, führte ein konsequentes Leben. Daran gab es nichts auszusetzen. Doch zwei Wörter deuten an, dass gewisse dunkle Flecken auf der Weste des Pharisäers waren. Jesus spricht zu den Pharisäern, die als anmaßend und anderen gegenüber verachtend charakterisiert werden. Die Anmaßung und Verachtung waren die Kehrseite des vorbildlichen Verhaltens. Und es waren die Kennzeichen, die Menschen zuallererst an ihnen wahrgenommen haben. Sind Menschen, die mit Gott leben, anmaßend und verachtend?

Der Pharisäer im Gleichnis setzt sich selbst zum Maßstab, das meint dieses Wort „anmaßend“, er lässt nicht Gott Maß nehmen an seinem Leben, sondern setzt sich selbst den Maßstab an. Ihm sind seine eigenen Regeln wichtiger als das Hören auf Gott. Sein Gang zum Tempel ist vergleichbar mit der bösen Stiefmutter im Märchen von Schneewitchen. Sie setzte sich vor den Spiegel und fragte ihn: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Natürlich erwartete sie als Antwort: Du, Königin, bist die Schönste! Als die Antwort anders ausfiel, plante sie einen Mord. Der Pharisäer fragte: Gott, wer ist der Frömmste im ganzen Land? Er erwartete Gottes Zustimmung zu seinem tadellosen Leben und wollte mit diesem Lob Gottes wieder nach Hause gehen. Die Kehrseite seiner Anmaßung war seine verachtende Haltung gegenüber Menschen, die an seinen Frömmigkeitsstatus nicht heran kamen. Räuber, Betrüger, Ehebrecher und Zöllner, aber sicher nicht nur die offensichtlich in Sünde lebten, waren für ihn außerhalb von Gottes Wohlwollen. Er ließ nicht Gott über diese Menschen entscheiden, sondern fällte selbst das Urteil.

Der Zöllner ging wie der Pharisäer hinauf ins Gotteshaus, um zu beten. Er ließ sich von Gott messen und wusste, dass er weit unterhalb der von Gott gesetzten Linie blieb. Er hatte gesündigt, sich mit Betrug und Kollaboration mit dem Feind weit von Gottes Willen wegbewegt. Deshalb sprach er sein Schuldbekenntnis. Vielleicht verwendete er gar nicht seine eigenen Worte, sondern Worte aus Psalm 51. Er konnte sich am Tiefpunkt seines Lebens nicht mehr selbst retten, auch nicht mehr argumentieren oder die richtigen Worte finden. Er konnte nur noch das Seil ergreifen, das dieser alte Psalm, den er aus der Kindheit schon kannte, für ihn bedeutete. Er betete mit ihm fremden Worten, um den Einzigen zu erreichen, der ihm am Tiefpunkt seines Lebens helfen konnte. Dass mit ihm ein Pharisäer zur gleichen Zeit im Tempel war, nahm er offensichtlich nicht wahr. Er sah nur seinen Schuldenberg und hoffte, dass Gott sich erbarmen würde.

Jesus stellt diese beiden Typen vor und legt sich auf ein Urteil fest. Der Pharisäer bleibt mit sich selbst allein. Er spricht sich selbst gerecht. Gottes Gerechtigkeit braucht er nicht. Doch kann er sich selbst in den Himmel bringen? Der Zöllner erfährt Gottes ausgestreckte Hand. Gott zieht ihn heraus aus seinem Schlamassel. Er spricht ihm seine – Gottes – Gerechtigkeit zu und holt ihn in seinen Einflussbereich. Der Zöllner ist nun mit Gott verbunden. 

Der Evangelist Lukas hat diese Beispielerzählung für die christliche Gemeinde festgehalten. Als Gemeinde Jesu wissen wir es eigentlich besser als die Leute, denen Jesus die Geschichte erzählte. Jesus ist für uns gestorben. Nur er ist Maßstab unseres Lebens, und der Glaube an ihn macht uns richtig vor Gott. Aus uns selbst können wir nicht sein, wie Gott uns will. Die Sünde will nach uns greifen und flüstert uns ein, unabhängig von Gott zu werden. Dabei werden wir anmaßend und verachtend anderen gegenüber, statt sie mit Gottes Augen zu sehen.

Eigentlich wissen wir es besser, doch schnell schleichen sich alte Verhaltensmuster wieder ein. Als ich nach einigen Jahren Klavierunterricht eine neue Lehrerin bekam, machte die mit mir Monate lang Fingerübungen. Meine Fingerhaltung war mit den Jahren so schlampig geworden, dass ich über das erreichte Niveau nicht hinauskam ohne Korrektur. Diese Fingerübungen gibt uns Jesu Gleichnis auf. Wir lernen wieder neu, wie wir beten und was wichtig ist, um zu Gott zu gehören.

Die Beispielerzählung lehrt uns:

  • Beten heißt „zum Tempel hinaufgehen“. Wenn wir beten, begeben wir uns bewusst in Gottes Gegenwart. Wir unterbrechen unseren Alltag, um zu erfahren, was Gott zu sagen hat. Deshalb ist die innere Gebetshaltung entscheidend. Nicht wir reden und zählen unsere Guttaten auf, sondern wir sind Empfangende, Kniende vor unserem Herrn, der uns etwas mitteilen möchte.
  • Dank ist ein wesentlicher Bestandteil des Betens. Es ist der Dank, von Gott gerettet zu sein und zu ihm gehören zu dürfen, nicht der Dank, der den Selbstruhm ummäntelt. Diese Form von Dank ist geheuchelt, denn sie dankt nicht dem Geber, sondern prahlt vor dem Geber. Zum Dank gehört die Beugung und Selbsterkenntnis. Zutiefst dankbar werde ich, wenn ich mir in meine tiefen Abgründe hineinblicken lasse und Gott an sie heran lasse.
  • Um Vergebung zu bitten ist Folge meiner Selbsterkenntnis, zu der mich Gott befähigt. Wenn die Vergebungsbitte zur Formel erstarrt, wird sie hohl. Vielleicht hilft es, einmal im Vaterunser-Beten an der Stelle „und vergib uns unsere Schuld ...“ innezuhalten und uns klar zu werden, für welche konkrete Schuld wir hier eigentlich heute und jetzt beten. Wir werden merken, wie schwer es manchmal fällt, sich selbst als schuldig geworden wahrzunehmen.
  • Aus diesem Herzensgebet folgt die Veränderung. Von dem Zöllner im Gleichnis erfahren wir sie nicht direkt, aber andere Zöllner-Geschichten bringen uns auf die Spur. Da sind Zöllner, die von Jesus gerufen wurden, Feste der Befreiung feierten und Geld zurück zahlten. Zöllner, die alles hinter sich ließen, um mit Jesus zu gehen, und solche, die in ihrer alten Umgebung als ehrliche Leute weiterlebten. Und auch der Pharisäer ist nicht auf ewig verstoßen. Gottes Geschichte mit dem Pharisäer Paulus lehrt uns, dass Jesus niemand aufgibt und die ungewöhnlichsten Wege findet, um aus der Selbstgerechtigkeit herauszurufen und die Augen für Gottes Maßstab zu öffnen.
  • Wie können wir beten? Wir können uns sowohl zum Pharisäer als auch zum Zöllner stellen und knien und für sie beten, wir können ihnen zeigen, was es heißt, Jesus zum Maßstab zu haben. Für den einen bitten wir, dass ihm klar wird, wo sein Platz bei Gott ist. Für den anderen bitten wir, dass Jesus die Schuld vergibt und den Neuanfang ebnet. Wir bleiben dran auch auf dem Weg vom Tempel zurück in den Alltag, denn das Gebet verändert.
Sind nun die Methodisten besser als andere? Nein, denn jeder und jede von uns ist bedürftig, Gottes Zuspruch und Entlastung zu erfahren. Wir haben keine Chance, den Weg in den Himmel selbst zu schaffen. Wir können und sollen uns bemühen, zu leben, wie es Gott gefällt. Aber schaffen können wir es nur durch Gottes Geist, der uns zeigt, wo wir auf dem Holzweg sind, selbstgerecht werden, über andere urteilen und selbst die gleichen Fehler machen. 

Aber wir sind sicher besser dran als manche anderen Menschen. ProChrist fordert uns heraus, uns schon im Vorfeld ganz eng an Jesus zu binden, selbst ehrlich zu werden vor Gott, den Spiegel des Gebets nicht zu missbrauchen, um uns selbst auf die Schulter zu klopfen. Wir können die Freude über Gottes geschenkte Zuwendung umwandeln in Liebe zu den Menschen, denen wir täglich begegnen.

So wird unser „Gehen zum Tempel“ einladend für alle, denen wir unterwegs begegnen, denn wir werden sie nicht anmaßend und verachtend betrachten, sondern mit der Liebe Gottes, die einlädt und verändert.

Cornelia Trick


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