Heil an Leib und Seele
Gottesdienst am 15.08.1999

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Gartenschlauchich habe Ihnen heute einen Gartenschlauch mitgebracht. Es ist ein neueres Exemplar, doch bald kann er so porös sein, dass sich winzige Risse bilden, die das Wasser heraustropfen lassen. Zwar ist der Wasserhahn voll aufgedreht, aber zum Gießen kommt kaum noch Wasser aus dem Schlauch, das meiste versickert unterwegs. Manchen Menschen geht es wie einem solchen Gartenschlauch. Sie spüren, dass ständig Lebenskraft entweicht und sie nicht mit voller Kraft voraus in den Alltag stürzen können. Auch einer Frau, der Jesus begegnet, geht es so. Sie ist für mich Anstoß, mit Ihnen darüber nachzudenken, dass Menschen in Not leben, dass sie nach Heilung suchen und vor allem dass sie sie finden können.
Jesus ist unterwegs in Galiläa. Eine große Menschenmenge umringt ihn. Der Chef der Synagoge kommt zu Jesus. Seine 12-jährige Tochter ist schwer krank. Er bittet Jesus "komm doch und lege deine Hände auf sie, damit sie gesund wird und lebt." Jesus geht mit. In diese Schilderung der Ereignisse verwoben ist die Begegnung Jesu mit einer seit 12 Jahren blutenden Frau. 

Markus 5,25-34

Und da war eine Frau, die hatte den Blutfluß seit zwölf Jahren und hatte viel erlitten von vielen Ärzten und all ihr Gut dafür aufgewandt; und es hatte ihr nichts geholfen, sondern es war noch schlimmer mit ihr geworden Als die von Jesus hörte, kam sie in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich nur seine Kleider berühren könnte, so würde ich gesund. Und sogleich versiegte die Quelle ihres Blutes, und sie spürte es am Leibe, daß sie von ihrer Plage geheilt war. Und Jesus spürte sogleich an sich selbst, daß  eine Kraft von ihm ausgegangen war, und wandte sich um in der Menge und sprach: Wer hat meine Kleider berührt? Und seine Jünger sprachen zu ihm: Du siehst, daß dich die Menge umdrängt, und fragst: Wer hat mich berührt? Und er sah sich um nach der, die das getan hatte. Die Frau aber fürchtete sich und zitterte, denn sie wußte, was an ihr geschehen war; sie kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sprach zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht; geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage!

Die Frau

Der Name der Frau ist vergessen, allein ihr Krankheitsbild interessiert und ist bewahrt worden. Ihre Lebensgeschichte wird recht ausführlich dargestellt. Sie litt an dauernden Blutungen und damals war keine Operation möglich. Der bekannte Arzt Soranus aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. verordnete folgende Therapie: spazieren gehen, fleißig salben, baden, trinken eines leichten Weins, gemischte Kost, oberflächlich erwärmen, sonnen. Es waren teure Kuren, die auch die Frau schon mitgemacht haben wird und die hohen Arztkosten haben ihr ganzes Vermögen aufgefressen. Die Krankheit hat ständig Lebenskraft von ihr genommen. Im biblischen Verständnis ist Blut Lebenssaft, im Blut ist das Leben selbst. So wundert es nicht, dass die ewigen Blutungen auch im übertragenen Sinne bedeuteten, dass sie Kraft und Saft zum Leben verlor.
Hier wird ihre Lebensgeschichte durchsichtig für ganz andere Lebensläufe und Schicksale. Die chronisch Kranke, die damit leben muss, dass es nicht besser wird. Woher soll sie da noch Lebensmut bekommen? Der Arbeitslose, der sich bewirbt und die Absagen kassiert. Mit jedem Gang zum Briefkasten und jeder neuen Absage verschenkt er einen Milliliter Lebenssaft. Mit jeder Absage verliert er Lebenskraft. Woher soll er Hoffnung schöpfen - und ist nicht sich Abfinden angesagt, wie seine Freunde ihm raten? Die Frau, die an der Seite ihres alkoholkranken Mannes lebt. Ihr Herz blutet fortwährend, wenn sie ihn sieht. Hin und her gerissen ist sie zwischen Gefühl und Vernunft. Hoffnung ist für sie ein Strohhalm, der bei Berührung abbricht und immer kürzer wird.
Die blutende Frau steht für die, die an Leib und Seele bluten, die Lebenskraft verlieren ohne Hoffnung auf neue Kraft und Veränderung zur Heilung.
Diese blutende Frau hörte von Jesus. Schon allein das Hören gab ihr die Kraft, es noch einmal zu versuchen. Sie kämpfte sich in der Menge voran und Jesu Gewand zu berühren.

Die Berührung

Ganz knapp wird berichtet: Sie berührte sein Gewand. Dieses Berühren finden wir oft in den Heilungsgeschichten. Die Berührung ist wie ein Funke, der den Körper durchfährt. Wer berührt und berührt wird, verändert sich. Eine Frau wird aufgerichtet, andere werden gesund, einem Blinden werden die Augen geöffnet, ein Kind steht auf aus Krankheit und Tod. In der Urform bedeutet berühren Anzünden. Ein Licht wird buchstäblich angezündet. Jesus berührt und zündet damit ein Licht des Glaubens, der Hoffnung und Kraft im Menschen an. Und die Lebenskraft kehrt zurück.
Es ist ein Anlass mich persönlich zu fragen: Wann habe ich Jesus berührt? Wann hat er Lebenskraft in mir entzündet? Vielleicht in einem verzweifelten Gebet um Hilfe mit der Erfahrung, dass Hilfe gekommen ist. Vielleicht in einem Gespräch mit dem Seelsorger oder der Seelsorgerin, die ermutigt zu neuem Gottvertrauen. Vielleicht in einer beglückenden Situation, wo wir oben auf dem Gipfel stehen nach einer beschwerlichen Tour und aus den guten Erfahrungen Mut für den Abstieg in die Niederungen bekommen.
Jesus ist heute nicht mehr leibhaftig in seinem Gewand unter uns. Doch wir weisen hin auf ihn, dass es sich lohnt, von ihm alles zu erwarten, wie diese Frau es tat.
In einer Gesprächsrunde, in der wir diese Jesusbegegnung zu uns sprechen ließen, erzählte uns eine Frau, wie sie selbst Jesu Berührung erlebt hatte. Sie hatte eine chronische Krankheit, die sie immer mehr vereinsamen ließ. Kein Arzt konnte ihr helfen. Sie erzählte uns, dass sie sich nicht getraut hatte, Jesus um Heilung zu bitten. Doch ihre Geschwister in der Gemeinde beteten für sie. Nach einem Umzug suchte sie den neuen Arzt auf. Er verschrieb ihr ein anderes Medikament und sie war gesund. Überwältigt war sie von dieser so unerwarteten Heilung und unendlich dankbar für dieses sichtbare Eingreifen Jesu. Von nun an, so sagte sie, verstand sie sich als Botschafterin des heilenden Jesus, der auch heute noch Wunder tut.
Ich habe darüber nachgedacht, welche Hilfen wir eigentlich haben, um uns gegenseitig zu ermutigen, Jesus zu berühren und von ihm berührt zu werden. Da bin ich zuerst auf Jakobus 5,14-15 ("Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, daß sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.") gestoßen. Und ich möchte dieses Gebet über einem Kranken auch in unserer Gemeinde praktizieren als Hilfe zur Hoffnung und Lebensermöglichung von Gott her. Einander zu begleiten und nachzufragen ist sicher auch ein ganz wichtiger Auftrag. In der täglichen Fürbitte wird es konkret, auch in der Fürbitte der Gemeinde, die in der Bitte um Hilfe eins wird. Und wenn wir - wieder einmal - erfahren haben, dass der Herr wirklich hilft, sollten wir ein großes Fest feiern - als Dank, aber auch als Ermutigung für die Mitfeiernden.

Tochter im Reich Gottes

Die Kraft Jesu erreichte die Frau, die suchende Hand der Frau erreichte Jesus. Jesus schüttete hier nicht anonym Segen und Heilung über die Menschenmenge, sondern die persönlichen Verbindung war entscheidend. Die Heilung wurde zum Start für eine intensive Beziehung - die Frau war nicht länger Kranke in Israel, sondern Tochter im Reich Gottes. Sie gehörte zu Gott, weil sie ihm vertraut hat ohne Hintertürchen. Sie erzählte Jesus die ganze Wahrheit: über ihr Leben, ihre Not, ihre Verzweiflung, ihre neue Hoffnung und ihr neues Leben. Jesus spricht ihr zu: Dein Glaube hat dich gerettet! Und das ist im griechischen Urtext noch viel umfassender ausgedrückt als in der deutschen Übersetzung. Dein Glaube hat nicht nur gesund gemacht, nein, er hat gerettet bis in Ewigkeit. Du bist Tochter und gehörst dazu mit Rechten und Pflichten, denn du trägst nun Verantwortung für dein neues Leben. Gehe hin in Frieden. Zwischen dir und Gott ist kein Graben mehr. Du kannst ihn Vater nennen, er liebt dich und schützt dich.
Darauf zielt für mich diese Begegnung. Ein Mensch in Not setzt sein letztes Vertrauen in Jesus und erfährt, dass Jesus auf seiner Seite steht. Die Heilung lässt hier eine umfassende Heilung von Leib und Seele beginnen. Verletzungen heilen, weil Gott seine Hand gibt und aus Schmerzen, Leid, Ausgrenzung und Schuld rettet.
Ich denke an meinen Schwiegervater, der seit 2 1/2 Jahren an einer bösartigen Krankheit leidet. Wir beten um Heilung, wir erfahren Enttäuschungen. Aber wir sehen staunend, wie er wie diese Frau immer wieder neu mit Jesus in Berührung kommt. Ihm wächst neue Kraft zu, er bekommt den Blick für das Wesentliche und ist erfüllt von einer tiefen Dankbarkeit, gerettet zu sein. Wir geben die Hoffnung auf leibliche Heilung nicht auf. Warum auch, die Bibel ist voll von Wundern und wir selbst haben sie ja auch schon erlebt. Aber was sich da eigentlich abspielt, ist ja viel mehr als gesund werden und zurück in den Alltag gehen. Hier geht es um Rettung aus Todesgefahr, Rettung aus der Ferne von Gott. Heil werden dürfen wir, um ins Leben mit Gott zurückzukehren, angeschlossen zu sein an seine Liebe, seiner Führung zu vertrauen und Kraft für das Leben mit Höhen und Tiefen zu gewinnen. 
Was sich für uns abspielt, wenn wir uns in der Frau wiedererkennen: Wir dürfen Jesus berühren. Er gibt den Mut zum Neuanfang, die Geduld in der Dürre, die Hoffnung an jedem Tag.

Zeugin für die Welt

Die Frau wurde mit ihrer Lebensgeschichte Zeugin für Jesus. Ihr Glaubensbekenntnis ist verwoben mit ihrer Lebensgeschichte und gewinnt von daher Glaubwürdigkeit. So setzt es sich mit unseren Lebensgeschichten fort. Sie sind Glaubenszeugnis und Hinweis auf Rettung. Andere hören und bekommen Mut, sich zu Jesus vorzukämpfen.
Cornelia Trick


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