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Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
In der täglichen ökumenischen Bibellese haben wir in der zurückliegenden Woche das kurze Prophetenbuch Joel gelesen. Das hat mich gereizt, es mir genauer anzuschauen auch im Blick darauf, dass ich mit Ihnen gemeinsam darüber nachdenken möchte, was es uns zu sagen hat. Dabei ist mir immer wieder das Bild meines Bekannten in den Sinn gekommen. Fragt der Prophet aus alter Zeit uns heute an, ob wir versandende Christen sind wie die Lok "Martin Luther", die den vollmächtigen Namen des Christus tragen, aber genauso museumsreif im Niemandsland vor uns hin rosten wie die "Martin Luther" in Namibia? Doch zunächst zur Situation des Propheten Joel. Politisch hatten gerade die Babylonier die Herrschaft über den Vorderen Orient übernommen. Eine erste Vertreibungswelle ist über Juda und Jerusalem hinweggefegt. Die oberen Zehntausend, wahrscheinlich eher weniger, wurden von ihnen nach Babylon ins Exil geführt. Zurück blieb eine verängstigte Bevölkerung, die versuchte, sich irgendwie vor der herannahenden Katastrophe wegzuducken. Zur politischen Bedrohung kam eine gewaltige Heuschreckenplage, von der der Prophet berichtete. Dürre, Hunger und tiefste Verzweiflung machten sich im Volk breit. Alles war abgefressen, das Saatgut vernichtet, das Vieh verhungert oder verdurstet. Die Nachbarvölker sahen den Zustand Judas, und sie lachten sich ins Fäustchen. Wo war der sagenhafte Gott Israels? Konnte er sein erwähltes Volk nicht beschützen? In dieser Not trat der
Prophet Joel auf. Er deutete auf das Geschehen und erklärte es aus
Gottes Perspektive. Die Heuschreckenplage, so sagte er, war von Gott. Sie
sollte vor Gottes Gericht warnen und deutlich machen, dass Gott es ernst
meinte und von den Israeliten eine Entscheidung für oder gegen ihn
forderte. Andererseits drückte der Prophet aus, dass Gott selbst von
der Plage getroffen wurde. Er fühlte sich mit den Israeliten auch
im Leid verbunden. Die Heuschrecken, die er zugelassen hatte, richteten
sich gegen ihn selbst. Und Joel zog daraus den Schluss, dass Gott durch
die Plage sein Volk zurückgewinnen wollte. Sie sollten endlich aufwachen
und ihn wieder wahrnehmen, der nichts anderes wollte, als ihr Vertrauen
und ihren Gehorsam ihm gegenüber.
Joel 2,12-14 Gott rang um die Herzen der Israeliten, ihm ging es nicht um äußerliche Bußrituale wie das Zerreißen von Kleidern. Das ganze Herz sollte ihm gehören. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie ein Zerreißen des Herzens aussehen könnte. Vielleicht lässt sich das so verstehen, dass man sein Herz von allem abreißt, das Gottes Stelle einnimmt, Gedanken bindet, auf Abwege führt, in Lüge und der Gier nach mehr mündet. Das Herz von den falschen Göttern abzureißen, forderte Gott, um ihn wieder neu ins Herz einziehen zu lassen. Erst am Tiefpunkt der Not, im absoluten Keller war das möglich. Da war der einzige Haltegriff die Erinnerung an Gottes Gnade, Barmherzigkeit, Geduld und Güte. Doch der Prophet leitet daraus keinen Rechtsanspruch ab. Gott musste nicht gnädig und barmherzig sein. Die Israeliten konnten Gottes Vergebung nicht einklagen. So ist es nur zu gut verständlich, dass Joel ein „wer weiß?“ einfügte, statt vollmundig gleich davon zu sprechen, dass Gott schon vergeben würde. Doch er ermutigte seine Landsleute, mit der Umkehr ernst zu machen und in Gottes Arme zu rennen. Dort sollten sie ihren Herrn daran erinnern, was er versprochen hatte. Joel heute Joel zeigt uns eine andere Verhaltensweise auf, die mich sehr nachdenklich macht. Er ruft zur Buße auf, zur neuen und ganzen Hinkehr zu Gott mit vollem Herzen. Er ruft alle zusammen, um eine gemeinsame Fastenzeit anzusetzen, auch Kinder, Alte, Brautleute sollen daran teilnehmen. Jede und jeder kann bei sich mit dieser Umkehr anfangen. Diese Hinkehr zu Gott geschieht bei uns durch ein neues Ja zu Jesus Christus. Die Verbindung zu ihm soll wieder an die erste Stelle rücken. Dass diese Verbindung lebt, merken wir daran, dass unsere Lokomotive nicht Ausstellungsstück mitten in der Wüste ist, sondern auf Gleisen steht, die Austausch gewähren. Es genügt die einfache sehr persönliche Rückfrage: Was habe ich in der letzten Woche Neues von Gott gelernt? Konnte ich es umsetzen? Hat mich Gottes Erbarmen dazu befähigt, Schienen zu denen zu bauen, die meine Hilfe brauchten? Und wenn nein, warum nicht? Weil es von Gott her nicht dran war, oder weil ich zu faul, zu beschäftigt, zu abgelenkt war? Gottes Zusage wird durch Jesus Christus wiederholt und bestärkt. Er selbst steht dafür ein. Gott ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte. Er hat seinen Sohn geschickt, um uns aus dem Elend der Heuschrecken dieser Welt herauszuholen. Aber Jesus sagt deutlich, dass dieses Erbarmen keine warme Wolldecke ist. Mir fallen in letzter Zeit oft die Wolldecken auf, die auf den Terrassenplätzen von Cafés liegen. Es wäre so schön, wenn wir in kälteren Zeiten einfach da sitzen bleiben könnten, wo wir uns gemütlich eingerichtet haben mit allen wichtigen Themen, die uns ständig beschäftigen, und Gott legt einfach seine warme Erbarmendecke um uns. Wir müssen nichts an unserer Lebensweise ändern, Gott lässt es warm um uns sein, alles könnte weitergehen wie bisher. Aber so funktioniert es nicht. Gott hat ein warmes Haus, in dem ist ganz viel Platz für uns. In diesem Haus allerdings wohnt nur er, kein Mammon, keine Sucht und sei sie noch so heimlich, kein innerer Sklaventreiber, kein Gefühl, etwas zu verpassen. In diesem Haus wohnt Gott und begegnet uns in seinem Sohn. Er will uns in diesem warmen Haus willkommen heißen. Was uns belastet, können wir an der Schwelle ablegen. Es wird entsorgt. Doch um in dieses Haus zu kommen, müssen wir aufstehen von den Outdoor-Plätzen auf der Terrasse. Wir müssen loslassen und bereit werden, uns von Gott in seine Richtung führen zu lassen. Die Israeliten konnten das offenbar nicht. Denn wenige Jahre später kam es noch schlimmer. Nicht Heuschrecken, sondern Babylonier fegten gnadenlos über das Land und rissen alles nieder, wie es Joel vorhergesagt hatte. Jesus ist gekommen, um uns aus dieser tödlichen Bedrohung zu retten. Es wäre fatal, wenn wir sitzen bleiben würden, als sei nichts geschehen. Nein, es ist Zeit zur Buße und Reue, dass nicht Gott im Mittelpunkt unseres Lebens steht, sondern immer wieder wir selbst. Jesus sagte in der Bergpredigt: „Trachtet zuerst nach Gottes Reich, so wird euch alles andere zufallen“ (Matthäus 6,33). Vorher warnte er vor Schätzen, die von Gott abbringen konnten, und der Sorge, die Gottes Möglichkeiten außen vor ließ. Er nahm die Vögel als Beispiel, die nicht säten und nicht ernteten und doch von Gott ernährt wurden. So, sagte Jesus, würde es auch denen gehen, die nach Gott sich ausrichteten und ihn in den Mittelpunkt stellten. Doch was heißt eigentlich, dass ihnen dann alles zufallen wird? Im ersten Moment sehe ich alle meine Wunschträume erfüllt. Alles – das heißt ein glückliches Leben, eine gelingende Partnerschaft, wunderbare Kinder, einen spannenden und gut bezahlten Job, der um 17 Uhr beendet ist, genug Geld für Urlaube, keine Krankheiten – na ja, die ganze Palette von „Ich wünsche mir…“ eben. Doch das sagt Jesus nicht. Alles bezieht sich auf die Vögel. Die haben ein windiges Nest, müssen ihre Würmer oft recht mühevoll suchen, sind bedroht von Feinden und Krankheiten. Aber Gott sorgt dafür, dass sie das Lebensnotwendige haben und ihrer Bestimmung in der Schöpfung gemäß leben. Gott verspricht, dass er alles schenken wird, was wir zum Leben mit ihm brauchen. Aber das kann ganz schön wenig sein und sieht sicher bei jedem etwas anders aus. Aber es hilft, uns von den Wunschkatalogen zu verabschieden, die uns vorgaukeln, wahres Leben muss in allem perfekt sein. Wahres Leben, das sagt Jesus, ist nur möglich mit Gleisen, die zu Gott führen und von ihm die Richtung zum Weiterfahren erhalten. Weiterfahren, weiter die Gleise auslegen, bedeutet für mich mindestens dreierlei.
Cornelia
Trick
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