Gott greift ein
Gottesdienst am 10.05.2009

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
ein Bekannter erzählte die mehr als 100-jährige Geschichte einer Lokomotive. Sie steht heute in Namibia mitten in einer Sandwüste nahe der Stadt Swakopmund. Zu jener Zeit hatte ein Oberstleutnant den Traum, eine Eisenbahnlinie durch das damalige Südwestafrika zu verlegen, um unabhängig von Ochsenkarren zu werden und die Transportleistungen zu verbessern. Lokomotive Martin LutherSo plante er eine Eisenbahnstrecke quer durch die Wüste. Bei einem Heimaturlaub in Deutschland kaufte er die Dampflok und ließ sogar den Lokomotivführer mitreisen. Doch erwies sich das Projekt als undurchführbar. Um die Lok zu betreiben, brauchte man viel zu viel Wasser, das erst mühsam in die Wüste gebracht werden musste. So blieb die Lokomotive gerade mal 30 km vom Hafen entfernt für immer stehen, ohne Gleise und ohne Bahnhof. Als sie langsam im Sand versank, sagten gläubige Südwestler mit den Worten Martin Luthers über sie: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!". Doch im Unterschied zu Martin Luther, der vor dem Reichstag zu Worms 1521 sein damals neues Verständnis der Rechtfertigung durch Gott vertrat und damit eine völlig neue Epoche des Glaubens einleitete, blieb die Bahn ohne Zukunft. Sie versandete und ist heute ein Denkmal für längst vergangene Tage. Wie steht es mit uns? Sind wir wie diese Lokomotive versandende Christen? Denkmale aus alten Zeiten ohne Gleise zu Gott und den Mitmenschen? Exotisch anzuschauen, aber ohne Leben und Bestimmung?

In der täglichen ökumenischen Bibellese haben wir in der zurückliegenden Woche das kurze Prophetenbuch Joel gelesen. Das hat mich gereizt, es mir genauer anzuschauen auch im Blick darauf, dass ich mit Ihnen gemeinsam darüber nachdenken möchte, was es uns zu sagen hat. Dabei ist mir immer wieder das Bild meines Bekannten in den Sinn gekommen. Fragt der Prophet aus alter Zeit uns heute an, ob wir versandende Christen sind wie die Lok "Martin Luther", die den vollmächtigen Namen des Christus tragen, aber genauso museumsreif im Niemandsland vor uns hin rosten wie die "Martin Luther" in Namibia?

Doch zunächst zur Situation des Propheten Joel. Politisch hatten gerade die Babylonier die Herrschaft über den Vorderen Orient übernommen. Eine erste Vertreibungswelle ist über Juda und Jerusalem hinweggefegt. Die oberen Zehntausend, wahrscheinlich eher weniger, wurden von ihnen nach Babylon ins Exil geführt. Zurück blieb eine verängstigte Bevölkerung, die versuchte, sich irgendwie vor der herannahenden Katastrophe wegzuducken. Zur politischen Bedrohung kam eine gewaltige Heuschreckenplage, von der der Prophet berichtete. Dürre, Hunger und tiefste Verzweiflung machten sich im Volk breit. Alles war abgefressen, das Saatgut vernichtet, das Vieh verhungert oder verdurstet. Die Nachbarvölker sahen den Zustand Judas, und sie lachten sich ins Fäustchen. Wo war der sagenhafte Gott Israels? Konnte er sein erwähltes Volk nicht beschützen?

In dieser Not trat der Prophet Joel auf. Er deutete auf das Geschehen und erklärte es aus Gottes Perspektive. Die Heuschreckenplage, so sagte er, war von Gott. Sie sollte vor Gottes Gericht warnen und deutlich machen, dass Gott es ernst meinte und von den Israeliten eine Entscheidung für oder gegen ihn forderte. Andererseits drückte der Prophet aus, dass Gott selbst von der Plage getroffen wurde. Er fühlte sich mit den Israeliten auch im Leid verbunden. Die Heuschrecken, die er zugelassen hatte, richteten sich gegen ihn selbst. Und Joel zog daraus den Schluss, dass Gott durch die Plage sein Volk zurückgewinnen wollte. Sie sollten endlich aufwachen und ihn wieder wahrnehmen, der nichts anderes wollte, als ihr Vertrauen und ihren Gehorsam ihm gegenüber.
Gott forderte nicht die Buße für einzelne Sünden, die jeder irgendwie begangen hatte, sondern er wollte die Umkehr des ganzen Menschen. So heißt es in

Joel 2,12-14

Doch auch jetzt noch, spricht der HERR, bekehret euch zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen! Zerreißet eure Herzen und nicht eure Kleider und bekehret euch zu dem HERRN, eurem Gott! Denn  er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und es gereut ihn bald die Strafe. Wer weiß, ob es ihn nicht wieder gereut und er einen Segen zurücklässt, so dass ihr opfern könnt Speisopfer und Trankopfer dem HERRN, eurem Gott.

Gott rang um die Herzen der Israeliten, ihm ging es nicht um äußerliche Bußrituale wie das Zerreißen von Kleidern. Das ganze Herz sollte ihm gehören. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie ein Zerreißen des Herzens aussehen könnte. Vielleicht lässt sich das so verstehen, dass man sein Herz von allem abreißt, das Gottes Stelle einnimmt, Gedanken bindet, auf Abwege führt, in Lüge und der Gier nach mehr mündet. Das Herz von den falschen Göttern abzureißen, forderte Gott, um ihn wieder neu ins Herz einziehen zu lassen. Erst am Tiefpunkt der Not, im absoluten Keller war das möglich. Da war der einzige Haltegriff die Erinnerung an Gottes Gnade, Barmherzigkeit, Geduld und Güte. Doch der Prophet leitet daraus keinen Rechtsanspruch ab. Gott musste nicht gnädig und barmherzig sein. Die Israeliten konnten Gottes Vergebung nicht einklagen. So ist es nur zu gut verständlich, dass Joel ein „wer weiß?“ einfügte, statt vollmundig gleich davon zu sprechen, dass Gott schon vergeben würde. Doch er ermutigte seine Landsleute, mit der Umkehr ernst zu machen und in Gottes Arme zu rennen. Dort sollten sie ihren Herrn daran erinnern, was er versprochen hatte.

Joel heute

Wie aus längst vergangenen Zeiten scheinen die Worte des Propheten auf den ersten Blick zu sein. Doch in den politischen Nachrichten taucht der Begriff der Heuschrecken seit 2005 häufiger auf. Gemeint sind nicht die langbeinigen springlebendigen und sehr gefräßigen Kreaturen, sondern Formen der Kapitalbeteiligung, die kurzfristigen Gewinn versprechen und die Unternehmen sterben lassen. In der aktuellen Wirtschaftskrise spielen Heuschrecken eine Rolle. Zwar handelt es sich nicht um eine Naturkatastrophe, sondern um selbst gemachte Plagen, aber zurück bleibt hier wie dort Not, Verteilungskampf und große Unsicherheit. Die alten Sicherheiten sind dahin, worauf und auf wen ist noch Verlass? Die spannende Frage ist, wie wir Christen uns in dieser Situation verhalten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wir ducken uns weg, solange es uns nicht trifft. Wir warten auf bessere Zeiten. Wir ignorieren die Probleme solange, bis auch wir vom Strudel der Krise mitgerissen werden. Wir jammern und klagen auf der Straße und in der Kneipe, ohne etwas verändern zu wollen. Wir bringen die eigenen Schäfchen ins Trockene, solange es noch geht.

Joel zeigt uns eine andere Verhaltensweise auf, die mich sehr nachdenklich macht. Er ruft zur Buße auf, zur neuen und ganzen Hinkehr zu Gott mit vollem Herzen. Er ruft alle zusammen, um eine gemeinsame Fastenzeit anzusetzen, auch Kinder, Alte, Brautleute sollen daran teilnehmen. Jede und jeder kann bei sich mit dieser Umkehr anfangen. Diese Hinkehr zu Gott geschieht bei uns durch ein neues Ja zu Jesus Christus. Die Verbindung zu ihm soll wieder an die erste Stelle rücken. Dass diese Verbindung lebt, merken wir daran, dass unsere Lokomotive nicht Ausstellungsstück mitten in der Wüste ist, sondern auf Gleisen steht, die Austausch gewähren. Es genügt die einfache sehr persönliche Rückfrage: Was habe ich in der letzten Woche Neues von Gott gelernt? Konnte ich es umsetzen? Hat mich Gottes Erbarmen dazu befähigt, Schienen zu denen zu bauen, die meine Hilfe brauchten? Und wenn nein, warum nicht? Weil es von Gott her nicht dran war, oder weil ich zu faul, zu beschäftigt, zu abgelenkt war?

Gottes Zusage wird durch Jesus Christus wiederholt und bestärkt. Er selbst steht dafür ein. Gott ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte. Er hat seinen Sohn geschickt, um uns aus dem Elend der Heuschrecken dieser Welt herauszuholen. Aber Jesus sagt deutlich, dass dieses Erbarmen keine warme Wolldecke ist. Mir fallen in letzter Zeit oft die Wolldecken auf, die auf den Terrassenplätzen von Cafés liegen. Es wäre so schön, wenn wir in kälteren Zeiten einfach da sitzen bleiben könnten, wo wir uns gemütlich eingerichtet haben mit allen wichtigen Themen, die uns ständig beschäftigen, und Gott legt einfach seine warme Erbarmendecke um uns. Wir müssen nichts an unserer Lebensweise ändern, Gott lässt es warm um uns sein, alles könnte weitergehen wie bisher. Aber so funktioniert es nicht. Gott hat ein warmes Haus, in dem ist ganz viel Platz für uns. In diesem Haus allerdings wohnt nur er, kein Mammon, keine Sucht und sei sie noch so heimlich, kein innerer Sklaventreiber, kein Gefühl, etwas zu verpassen. In diesem Haus wohnt Gott und begegnet uns in seinem Sohn. Er will uns in diesem warmen Haus willkommen heißen. Was uns belastet, können wir an der Schwelle ablegen. Es wird entsorgt. Doch um in dieses Haus zu kommen, müssen wir aufstehen von den Outdoor-Plätzen auf der Terrasse. Wir müssen loslassen und bereit werden, uns von Gott in seine Richtung führen zu lassen. Die Israeliten konnten das offenbar nicht. Denn wenige Jahre später kam es noch schlimmer. Nicht Heuschrecken, sondern Babylonier fegten gnadenlos über das Land und rissen alles nieder, wie es Joel vorhergesagt hatte. Jesus ist gekommen, um uns aus dieser tödlichen Bedrohung zu retten. Es wäre fatal, wenn wir sitzen bleiben würden, als sei nichts geschehen. Nein, es ist Zeit zur Buße und Reue, dass nicht Gott im Mittelpunkt unseres Lebens steht, sondern immer wieder wir selbst.

Jesus sagte in der Bergpredigt: „Trachtet zuerst nach Gottes Reich, so wird euch alles andere zufallen(Matthäus 6,33). Vorher warnte er vor Schätzen, die von Gott abbringen konnten, und der Sorge, die Gottes Möglichkeiten außen vor ließ. Er nahm die Vögel als Beispiel, die nicht säten und nicht ernteten und doch von Gott ernährt wurden. So, sagte Jesus, würde es auch denen gehen, die nach Gott sich ausrichteten und ihn in den Mittelpunkt stellten. Doch was heißt eigentlich, dass ihnen dann alles zufallen wird? Im ersten Moment sehe ich alle meine Wunschträume erfüllt. Alles – das heißt ein glückliches Leben, eine gelingende Partnerschaft, wunderbare Kinder, einen spannenden und gut bezahlten Job, der um 17 Uhr beendet ist, genug Geld für Urlaube, keine Krankheiten – na ja, die ganze Palette von „Ich wünsche mir…“ eben. Doch das sagt Jesus nicht. Alles bezieht sich auf die Vögel. Die haben ein windiges Nest, müssen ihre Würmer oft recht mühevoll suchen, sind bedroht von Feinden und Krankheiten. Aber Gott sorgt dafür, dass sie das Lebensnotwendige haben und ihrer Bestimmung in der Schöpfung gemäß leben. Gott verspricht, dass er alles schenken wird, was wir zum Leben mit ihm brauchen. Aber das kann ganz schön wenig sein und sieht sicher bei jedem etwas anders aus. Aber es hilft, uns von den Wunschkatalogen zu verabschieden, die uns vorgaukeln, wahres Leben muss in allem perfekt sein. Wahres Leben, das sagt Jesus, ist nur möglich mit Gleisen, die zu Gott führen und von ihm die Richtung zum Weiterfahren erhalten. 

Weiterfahren, weiter die Gleise auslegen, bedeutet für mich mindestens dreierlei. 

  1. Seiner Bestimmung gemäß zu leben. Den Tag zu beginnen mit dem Satz: Herr, was willst du heute von mir? Wo brauchst du mich? Wovor willst du mich bewahren?
  2. In der Gemeinde zu leben. So unglaublich es ist, Jesus zeigt sich in der Gemeinde, wird in ihr erfahren und will mit der Gemeinde Gottes Liebe in die Welt tragen. Das ist eine harte Lektion für uns, die wir viel lieber alles allein machen und einen Logenplatz bei Gott haben wollen. Aber wir sind unlösbar verbunden mit der Gemeinde Jesu. Hier spielt sich Nachfolge ab, hier entdecken wir, wo der eigene Weg zusammen mit den anderen hingeht.
  3. Leidenschaft entwickeln. In dem Wort steckt Leiden, Passion. Leidenschaft für Jesus bedeutet, dass wir auch durchhalten, wenn es schwer wird, die Umstände widrig werden, die Heuschrecken alles kahl fressen. Leidenschaft zeigt sich praktisch. Gibt es ein Gebiet, eine Tätigkeit, ein Thema, wo ich mit vollem Herzen dabei bin und ganz deutlich Jesu Ruf höre, der mich genau da haben will? Blocke ich ab, oder lasse ich es zu? Gebe ich mich hinein, auch wenn andere über mich lachen oder mich nicht verstehen können?
Joel schärft den Blick auf Gottes Ringen um uns. Not muss nicht ausgehalten, wegdiskutiert oder einfach nur bejammert werden. Not ist ein Alarmsignal. Gott möchte unseren Blick wieder auf sich gerichtet wissen. Und wir tun gut daran, in diesen Wochen und Monaten Zeugnis zu geben, dass Christen mit ihrem Glauben kein Museumsstück in Namibia sind, das langsam versandet, sondern dass wir Gospeltrains sind, Lokomotiven, die das Evangelium von Jesus Christus zu den Menschen bringen, die so nötig die Botschaft vom warmen Haus brauchen, wo der Vater auf sie wartet, um sie in seine Arme zu schließen.
Cornelia Trick


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