Glauben ist Leben
Gottesdienst am 29.02.2004

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Sie kennen sicher das Spiel: Einer hat die Augen verbunden, eine andere führt ihn. Er sieht nichts, kann sich nicht orientieren und ist vollständig auf ihre Führung angewiesen. Wenn er sich ängstlich das Tuch von den Augen reißt, muss er zuerst die führenden Hände loslassen, das Spiel hat er dann verloren.

Dieses Spiel ist ein Beispiel für den Glauben. Beim Glauben geht es zuallererst darum, sich Gottes Führung anzuvertrauen und sich auf seine führenden Hände zu verlassen. Wer aus Angst, die Orientierung zu verlieren, diese Hände frühzeitig loslässt, wer lieber selbst den Weg im Dunkeln finden will, hat verloren. Der Glaube ist kein Vertrauensverhältnis mehr, sondern ein Paket an Wissen, das keine persönlichen Konsequenzen hat.

Meine Luther-Bibel leitet ab Seite 13 zu diesem vertrauenden Glauben an. Sie illustriert ihn mit der Lebensgeschichte von Abraham und Sara und ihren Kindern. In den Seiten davor wird von den Anfängen dieser Welt erzählt, wie Gott diese Erde geschaffen und sie sehr gut gestaltet hat, wie die Menschen Gott nicht vertrauten und trotz Eingreifen Gottes der Blick auf ihn getrübt blieb.

Seite 13 oder das 12. Kapitel markiert einen Einschnitt. Gott beginnt eine neue Schöpfung. Wie am Anfang so ergreift er auch jetzt das Wort und spricht. Er reagiert nicht länger auf den Ungehorsam und das Desinteresse der Menschen, sondern ergreift von sich aus eine neue Initiative. Wie er bei der Schöpfung mit Adam und Eva begann, nach der großen Flut mit Noah und seiner Familie, so ruft er einen bis dahin unbedeutenden Mann, der ganz gut in einer zivilisierten Stadt lebt und dem es an nichts zu fehlen scheint außer an Nachkommen.

1.Mose 12,1-8

Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und  will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst  ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und  verfluchen, die dich verfluchen; und  in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog. So nahm Abram Sarai, seine Frau, und Lot, seines Bruders Sohn, mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten, und die Leute, die sie erworben hatten in Haran, und zogen aus, um ins Land Kanaan zu reisen. Und sie kamen in das Land, und Abram durchzog das Land bis an die Stätte bei  Sichem, bis zur Eiche More; es wohnten aber zu der Zeit die Kanaaniter im Lande. Da erschien der HERR dem Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dies Land geben. Und er baute dort einen Altar dem HERRN, der ihm erschienen war. Danach brach er von dort auf ins Gebirge östlich der Stadt Bethel und schlug sein Zelt auf, so dass er Bethel im Westen und Ai im Osten hatte, und baute dort dem HERRN einen Altar und  rief den Namen des HERRN an.

Wer ist Abraham?

Von Abraham wissen wir aus der Einleitung zu diesem Abschnitt, dass er aus einem alten Geschlecht stammte, das in der Stadt Ur beheimatet war, bevor Abrahams Vater mit der Familie nach Haran übersiedelte. Die Stadt Ur hatte, wie Ausgrabungen zeigen, eine hohe Kultur. Man verehrte Fruchtbarkeitsgötter, wohnte in festen Häusern, trieb Handel und betrieb Handwerk. Abraham, der in den Anfangsgeschichten der Bibel noch Abram hieß, war mit Sara verheiratet, die keine Kinder bekommen konnte. Beide waren schon im Rentenalter, in einer Lebensphase, die für Kontinuität und Ernte der Lebensfrüchte steht.

Diesen Abraham sprach Gott an und forderte ihn zu Unglaublichem heraus. Er legte ihm buchstäblich eine Augenbinde an und erwartete von Abraham, dass er ihm folgte und sich ganz auf seine Führung verließ. Gott ließ ihn über das Ziel nicht im Ungewissen. RichtungsweiserEin neues Land erwartete ihn, viele Nachkommen sollten ihm geschenkt werden. Gott wollte Abrahams Namen groß machen und ihn zu einem Segenskanal werden lassen für alle Geschlechter der Erde.

Für Abraham muss das alles völlig abwegig geklungen haben. Gott ließ ihn aus seiner Heimat, seiner Sippe, noch dazu ohne Kinder aufbrechen, nur um ihm das zu schenken, was er nach menschlichem Ermessen ganz und gar nicht als umherziehender, kinderlose Nomade erwarten konnte: Eine neue Heimat, Kinder, Berühmtheit, Einfluss auf alle Völker der Erde. So verrückt es für Abraham geklungen haben muss, er ließ sich die Augenbinde anlegen und ließ sich auf die Führung Gottes ein. In ganz schlichten Worten ist sein Glaubensschritt in unserem Abschnitt zusammen gefasst: "Da zog Abraham aus, wie der Herr ihm gesagt hat". Offensichtlich konnte er auch seine Frau, Familienangehörige und seinen Haushalt für Gottes Plan gewinnen.

Mich überwältigt dieser Glaube, der hier von Abraham so schlicht berichtet ist. Er bricht auf allein auf ein göttliches Wort hin. So ist Abraham bis heute ein Vorbild für Glauben. Glauben bedeutet offensichtlich, sein Vertrauen und seine ganze Hoffnung auf Gott zu setzen. Dieses Vertrauen ließ Abraham nicht passiv werden. Er setzte sich nicht auf die Erde und sagte: "Gut, Gott, wenn du mich führen willst, dann tu´s, es ist dein Job, ich habe damit wohl nichts zu tun!" Nein, er setzte sich selbst in Bewegung und ist losmarschiert.

Abraham ließ sich ein auf ein neues Kapitel, das Gott mit uns Menschen gestalten wollte. Sein Wunsch sollte endlich Wirklichkeit werden. Sein Segen sollte mit diesem schlichten Aufbruch in Haran zu einer großen Bewegung werden, die niemand unberührt ließ. Gottes Wille für die Menschheit, so können wir es an diesem Neubeginn ablesen, ist nicht Zerstörung, Zerstreuung und Auflehnung. Gottes Wille ist, dass wir leben, dass wir in Gemeinschaft mit ihm Heimat erfahren, in einer großen Familie geborgen sind und ihm das Sagen und die Leitung überlassen. Denn in diesem versprochenen Segen liegt Leben. Abraham sollte als Nomade Land und damit Zukunft erhalten. Er sollte mit Sara Kinder bekommen, er sollte andere Menschen anstecken mit dem Vertrauen auf Gott, der Leben will. 

So weist Abraham weit über sich selbst hinaus. Viele Generationen beriefen sich auf Abraham und hielten in schwierigen Zeiten daran fest, dass Gottes Wille für seine Menschen Heil ist, dass er ihr Leben will und mit Abraham die Heilsgeschichte unwiderruflich begonnen hat.

Doch ist dieses Heil niemals zum Nulltarif zu haben, als ob die Gießkanne voller Heil einfach über die Menschen gekippt würde. An Abrahams Geschichte ist abzulesen, dass Gott das Mitmachen erwartet, dass er auf unsere Bereitschaft wartet, ihm zu folgen. Die Generationen nach Abraham sind oft daran gescheitert, sie ließen sich die Augenbinde anlegen, aber schielten gewaltig daran vorbei. Sie hatten durchaus ihre eigenen Vorstellungen vom Weg. 

So ließ Gott seinen Sohn Jesus diesen Segen in unsere Welt bringen. Jesus lebte es nicht nur vor, Gottes Verheißung des Lebens bis in den Tod zu vertrauen, sondern als der Auferstandene steht er seit Ostern uns Menschen zur Seite und begleitet uns auf den Wegen des Vertrauens. Er ist dieses Leben, dass Gott schon dem Abraham versprochen hatte. Und Jesus steht dafür, dass das Leben auch heute über den Tod siegen wird.

Wer bin ich?

Sicher, ein Vergleich meines Lebens mit Abraham wäre vermessen. Wer kann heute behaupten, ein Kanal des Segens für die ganze Menschheit zu sein. Aber in meinem Glauben an Jesus Christus reihe ich mich ein in die Segensgeschichte Gottes mit uns Menschen. Jesus gibt mir diesen Segen weiter und lässt mich zu einer Segensträgerin für andere werden.

Abraham hörte auf das Rufen Gottes. Er war vielleicht gerade mitten in seiner Alltagsbeschäftigung, mistete bei dem Vieh aus, saß beim Essen, unterhielt sich mit Nachbarn. Gott sprach ihn an in seinem gewohnten Alltag. So sehr unterscheidet sich Abrahams Alltag vielleicht gar nicht von meinem. Er diente bis zu diesem Zeitpunkt den Göttern seiner Umgebung. Es muss jemand gar nicht ausdrücklich irgendeinem Gott dienen, die Prioritäten des Alltags lassen meistens klar erkennen, wo die verborgenen Götter sind. Einer läuft dem Geld und seiner Vermehrung hinterher. Vielleicht steht das Geld bei ihm auch besonders im Mittelpunkt, weil er chronisch pleite ist. Er würde sonst etwas darum geben, endlich mal aus dem Vollen zu schöpfen. Eine andere lebt für ihre Anerkennung. Sie tut alles, damit die Leute sie mögen. Dadurch gewinnen ihre Mitmenschen solche Macht über sie, dass sie zu vielen Opfern bereit wird, Opfer auf den Altären ihrer Mitmenschen, die sie loben. Ein Nachbar putzt sonntags, während wir zur Kirche gehen, hingebungsvoll sein Auto. Er würde sein Auto nie als Gott bezeichnen. Aber was er da tut, hat für mich den Anklang an einen Gottesdienst. Das Auto lässt ihn glücklich sein. Es gibt ihm das Gefühl, ein toller Kerl zu sein und mithalten zu können. Es entscheidet über sein Schicksal.

Auch die Unfruchtbarkeit Abrahams und Saras ist etwas Alltägliches im übertragenen Sinne. Da sitzt sie Tag für Tag in ihrem Büro und weiß genau, dass ihre Arbeit sie nicht weiterbringt. Sie produziert Papier, aber keine Frucht, die das Leben in sich trägt. Die Familie lebt im Streit miteinander. Kinder werden geboren, aber der Streit überlagert alles. "Da liegt kein Segen drauf", sagen die Beobachter und sie bringen zum Ausdruck, dass diese Familie völlig auf sich fixiert ist, sie kann niemandem Heimat, Hilfe und Geborgenheit schenken. Sie bringt keine Frucht.

Und ich erkenne mich auch in dem sesshaften Abraham wieder, der von sich aus nicht aufbricht, sondern der erst Gottes Ruf braucht. Wie sehr hänge ich auch an meinen Lieblingsideen, meinen vorgefertigten Plänen und meinen eingefahrenen Gleisen. Das gilt auch für das Glaubensleben. "Geistlich Speck ansetzen" ist die Gefahr, wenn ich mich nicht bewege und bewegen lasse.

Doch mitten in diesem Alltag ruft Gott. Und er ruft auch mich mit dieser Geschichte. Er macht mich aufmerksam auf die verschobenen Prioritäten, auf die Aktivitäten, die nur Luft, aber keine Frucht produzieren, auf den Speck, der mich am Aufbruch hindert. Die Stimme kommt für manche sehr unvermittelt und wie vom Himmel herab, für viele aber ist es eine lebenslange Schule, das Gehör für Gottes Stimme zu schulen. Diese Schule bietet viele Fächer:

  • Stille vor Gott suchen und aushalten, z.B. jeden Morgen ein paar Minuten darauf warten, dass Gott spricht
  • Seine Sprache studieren durch Bibellesen
  • In einer Kleingruppe die Erfahrungen mit Gott austauschen und sich Rat holen
Die Stimme Gottes zu hören, setzt noch nicht in Gang. Dazu braucht es noch die eigene Entscheidung und den Willen, nun auch wirklich loszugehen. Das sieht für jede und jeden sehr unterschiedlich aus. Bei wenigen ist es der Aufbruch in die Weltmission zu entlegenen Völkern, um ihnen von Jesus und dem Leben zu erzählen. Für uns hier sind es häufiger die unspektakulären Aufbrüche. Die Schülerin, die Gott durch Jesus Christus hört und ihm vertraut, findet sich auf einmal in einem ganz anderen Umfeld wieder. Ihre Freunde haben sich von ihr zurück gezogen, ihre Eltern begegnen ihr misstrauisch, aber in der Gemeinde gewinnt sie eine neue Familie. Der Mann, der die Kündigung bekommt, sieht sich auf der Straße, aber wie Abraham geführt dem Leben entgegen. Die Frau, die eine neue Stelle in einer anderen Stadt antritt, verlässt sich auf Gottes Leiten, wenn sie eine Gemeinde sucht und einen Platz braucht, um für Gottes Reich Frucht zu bringen.

Das ist immer wieder harte Arbeit, denn es bedeutet, nicht zurück zu schauen und der goldenen Stadt Ur hinterher zu weinen. Es bedeutet, Frieden mit der Vergangenheit zu schließen und die Energien auf die Zukunft zu lenken. Und es bedeutet, auch die Anfechtungen durchzustehen, nicht müde zu werden, am Ziel festzuhalten und vor allem an Gott festzuhalten. Viele Situationen folgten dem Aufbruch Abrahams, in denen er sich Gottes Verheißung wieder neu vergewissern musste. Aber Gott stand zu seinen Verheißungen, bekräftigte sie, ließ Abraham Zeichen des Zukünftigen erkennen und antwortete auf jede Anfrage.

Etwas anderes mag Abraham auch geholfen haben. Er baute an den Etappenzielen Altäre. Sie waren für ihn Ausdruck der Gotteserfahrung und -begegnung. Sie waren Orte, an denen er Gott dankte und ein Erinnerungszeichen, dass Gott seine Verheißungen einlöste.

Ich frage mich, ob uns solche Altäre auf unserem Glaubensweg nicht auch helfen würden. Vielleicht ein Gebetstagebuch oder ein Kalender, in dem wir markieren, wenn Gott zu uns gesprochen hat. Vielleicht ist auch dieser außergewöhnliche Tag, der 29.2., Anlass, ihn zu einem Erinnerungstag zu machen, an dem wir manche Dankesanlässe der letzten vier Jahre bündeln. Altäre waren immer sprechende Orte, die sichtbare Verkündigung waren. Wenn wir uns voller Dankbarkeit an Gottesbegegnungen erinnern, dann sind diese Erfahrungen auch dazu da, kommuniziert zu werden. So kann empfangener Segen weitergehen, so werden wir zu Segenskanälen, wie Jesus es gesagt hat: "Wer euch hört, der hört mich" (Lukas 10,16).

Das Spiel mit verbundenen Augen ist nur ein Spiel, höchstens noch eine Möglichkeit zur Selbsterfahrung. Gott spielt nicht mit uns und er will uns viel mehr bieten als Selbsterfahrung. Er möchte uns zum Leben führen. Aber er braucht dazu unser ganzes Vertrauen und unsere ganze Hingabe. Mit halber Kraft und widerstreitenden Wünschen können wir das Leben nicht finden. Gott lässt Jesus an unserer Seite gehen, der uns hilft, das Vertrauen durchzuhalten. Denn mit ihm haben wir den Einzigen zur Seite, der den Tod überwunden hat und für das Leben steht.

Der Herr spricht heute Morgen nicht zu Herrn oder Frau NoName, er spricht zu Ihnen, zu dir, zu mir - werde ich hören?

Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_glauben_ist_leben.htm