Gemeinsam an der Baustelle (Nehemia 2,17-18)
Gottesdienst am 16.02.2014 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
auf meinem Schreibtisch liegt ein kleiner Kreisel. Beim Nachdenken setze ich ihn gerne in Gang. Er dreht sich wunderschön um die eigene Achse, bis er an Schwung verliert und umfällt. Manchmal fühle ich mich dem Kreisel sehr verwandt. Ich drehe mich um mich selbst bis zum Umfallen. Meine Bedürfnisse, meine Probleme, meine Sicht der Welt und meine Grenzen beschäftigen mich. Es ist wohl ein urmenschliches Phänomen, dass wir zuerst für uns selbst sorgen, ja, eine Art Überlebenstrieb. Gott hat den Menschen ursprünglich wohl anders gewollt. Er wollte für ihn da sein, damit der Mensch die Hände für andere und anderes frei hatte. Er wollte keine Kreisel-Menschen, sondern solche, die ihren Weg vertrauend gehen und die Augen offen haben für das, was Gott wichtig ist.

So ist die Bibel ein Zeugnis von Gottes Ringen mit seinem Volk. Seine Maßstäbe wollte er ihnen geben, damit sie frei für ihre Lebensaufgaben waren. Dem standen die Machtinteressen und Egoismen der Führenden gegenüber. Sie wollten ihre eigenen Schäfchen ins Trockene bringen.

Sind wir Christen vom Egoismus geheilt? Wohl eher nicht. Deshalb macht es Sinn, dass wir uns neu bewusst machen, worum es uns gehen sollte. 

Miteinander können wir eintauchen in eine Epoche des Volkes Israel um 450 vor Christus. Das Exil in Babylon war überstanden, viele der Exilierten waren wieder in die Heimat zurückgekehrt. Einer von ihnen, Nehemia, landete in Persien als Mundschenk des Königs Artaxerxes I. Nehemia bekam Besuch, Leute aus seiner Heimat kamen zu ihm. Er fragte sie interessiert: „Wie geht es meinen Leuten? Wie geht es in Jerusalem?“ Darauf bekam er erschütternde Antworten. Die Stadt lag nach wie vor in Ruinen. Jeder versuchte, sein eigenes Häuschen instandzusetzen, an das Gemeinwohl dachte niemand. Die Stadtmauer war eine einzige Trümmerhalde. 

Wenn wir uns in diese Leute damals in Jerusalem hineinversetzen, kommt uns das vielleicht gar nicht erstaunlich vor. Würden wir nicht genauso handeln? Erst mal unsere Angelegenheiten regeln, bevor wir uns um eine gemeinsame Stadtmauer kümmern können? Die eigenen Bedürfnisse stillen, bevor wir darüber nachdenken, was Gott von uns will? Für mich selbst eine Gemeindegruppe zum Auftanken suchen, bevor ich etwas für Andere tue?

Nehemia hat den Blick von außen. Er sieht, dass die Menschen in Jerusalem ihre geschenkte Freiheit verspielen. So redet er mit Gott darüber. Er bittet für Jerusalem, er tritt für die Leute dort ein und bittet Gott um Vergebung. Er stellt sich selbst Gott zur Verfügung und bittet Gott, ihm noch heute(!) zu helfen, die Situation zu ändern. Doch so schnell geht es nicht. Das „Heute“ dauert von Dezember bis April, solange reicht wohl seine Gebetszeit. Ganz überraschend ergreift der König von Persien die Initiative. Offensichtlich wird er von Gott angestoßen. Er bemerkt die Trauer in Nehemias Gesicht. Nehemia ergreift die Chance und erzählt dem König von seiner Not. Der schickt ihn nach Jerusalem, gibt ihm ein Begleitschreiben mit, um seine behördlichen Wege zu ebnen, stellt ihm eine Schutztruppe zur Seite und verfasst einen Erlaubnisschein, um Holz für die Stadtmauer schlagen zu dürfen. 

Ganz offensichtlich wirkt Gott an Nehemia und dem König. Aber wie sieht es mit den Leuten in Jerusalem aus? Wollen sie sich helfen lassen? Und wenn wir ehrlich sind, wollten wir uns helfen lassen, aus unserem Kreiseln um uns selbst herauszukommen? Haben wir uns nicht ganz gut in unseren 4 Wänden und unseren Lebensumständen eingerichtet? Will Gott, dass wir aus der Komfortzone heraustreten?

Nehemia nährt sich Jerusalem vorsichtig. Drei Nächte lang macht er Bestandaufnahme. Er braucht die Zeit, um von Gott her Klarheit zu bekommen, was zu tun ist. Diese drei Tage und Nächte fehlen uns häufig. Wir haben unsere Ideen im Kopf und meinen, dass die schon mit Gott im Einklang sind, er nur seinen Segen dazu geben muss. Aber fragen wir uns ernsthaft, was von Gott her dran ist? Gehen wir drei Nächte durch das Usinger Land, um Klarheit zu bekommen, für wen wir Gemeinde in Brombach sein sollen?

Nach drei Tagen hat Nehemia Klarheit. Er bringt sein Anliegen vor die Einflussreichen:

Nehemia 2,17-18

Nun aber sagte ich zu ihnen: »Ihr seht selbst die trostlose Lage, in der wir stecken. Jerusalem ist ein Trümmerhaufen und die Stadttore sind verbrannt. Kommt, lasst uns die Mauer wieder aufbauen, damit diese Schande aus der Welt geschafft wird!« Ich erzählte ihnen auch, wie die gütige Hand meines Gottes mir geholfen und was der König mir gewährt hatte. Da sagten sie: »Ja, ans Werk, bauen wir sie auf!« Und sie machten sich mit Eifer an die Vorbereitungen zu dem wichtigen Unternehmen.

„Lasst uns die Mauer wieder aufbauen!“ Bei Nehemias Werberede war sicher auch nicht unwichtig, dass das Vorhaben vom persischen König gesponsert wurde. Jedenfalls stimmten die Einflussreichen der Stadt zu.

Interessant ist nur die Fortsetzung. Lesen wir sie nach der Übersetzung Luthers von 1984 heißt es da: „Und sie nahmen das gute Werk in die Hand.“ Es ist eine gefällige Übersetzung des Urtextes und kommt unserem Vorgehen nahe. Haben wir den Eindruck, etwas müsse getan werden, nehmen wir die Aufgabe in die Hand. Doch in der alten Übersetzung von 1912 haben die Worte noch eine andere Färbung. Da heißt es: „Und ihre Hände wurden gestärkt zum Guten.“ Sie bekamen Kraft von oben, denn diese Aufgabe brauchte Gottes Beistand. Mit der eigenen Hand wären sie wohl nicht weit gekommen. Jedenfalls zeigt das die Geschichte des Mauerbaus, wie sie im Nehemia-Buch beschrieben wird.

Bevor wir diese Vorgänge auf unsere Lebenswelt übertragen, noch ein Blick auf die Fortsetzung im 3. Kapitel. Die Mauer wird wiederaufgebaut, und an jedem Abschnitt stehen bestimmte Bautrupps. Es sind Dorfgemeinschaften aus Orten nahe Jerusalems, es sind Familienverbände, Handwerkergilden und Berufsstände, die da nebeneinander arbeiten. In der langen Liste der Bauleute fallen drei Besonderheiten auf: Bei den Bauleuten aus Tekoa beteiligten sich die vornehmen Männer der Stadt nicht. Verwaltungsbeamte, Priester, Goldschmiede bauten mit, sie hatten wohl keine Ahnung vom Bauhandwerk und waren trotzdem dabei. Händler bearbeiteten ebenso einen Bauabschnitt. Ihnen entging an diesen Tagen das Geschäft.

Nehemia spricht zu uns als Gemeinde. Gemeinde ist kein Zusammenschluss von Einzelinteressen, also keine Siedlung von Einfamilienhäusern und Singlewohnungen. Zentraler Bezugspunkt sind nicht die Einzelinteressen, sondern das Fundament Jesus Christus. Er ruft und hält zusammen. Von Hunoldstal habt ihr mir erzählt, dass es dort bis Anfang der 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts kein fließendes Wasser in den Haushalten gab, sondern den zentralen Dorfbrunnen. Um Wasser zu haben, mussten die Dorfbewohner an den Brunnen und dort Wasser schöpfen. Der Brunnen war Treffpunkt und zentraler Umschlagplatz von Nachrichten. Jesus ist dieser lebendige Brunnen, der zusammenhält und Leben ermöglicht. Um ihn herum wächst die Siedlung – die Gemeinde. Und er schickt uns auch gemeinsam an die Arbeit, sodass es nicht nur um unser ganz persönliches Wohlergehen geht.

Vielleicht wendet nun jemand ein, dass wir aber keine Stadtmauer um die Gemeinde bauen, sie im Gegenteil ja offen für alle ist. Ja, eine Abgrenzung zur Welt brauchen wir sicher nicht. Der Heilige Geist ist stärker als alles Andere, er wirkt in die Welt und Gemeinde durch ihn. Doch auch wir bauen miteinander an einer Mauer, die nicht abschottet, sondern Geborgenheit schenkt und Gemeinde sichtbar sein lässt. Hätten wir keine Mauern, würde uns die Witterung ganz schön durchschütteln. Und wären wir nach außen nicht sichtbar, würde auch niemand zu uns finden.

Bauen der Gemeinde geschieht wie bei Nehemia zuerst im Gebet. Da stehen wir nebeneinander wie damals in Jerusalem: Die Lautbeter und die Leisebeterinnen, die Glaubensstarken und die Zweifler, die Kinder, die es von uns lernen, und die Betagten, die viel Zeit dafür aufbringen. Alle haben wir unsere Abschnitte von Gott her zugewiesen bekommen. Wer nicht mitbetet, fehlt. Ein Loch in der Mauer bleibt, durch das es zieht.

Wie können wir an der Sichtbarkeit der Gemeinde bauen? In Wilhelmsdorf steht am Ortseingang ein Schild „Ei gudde wie“, es heißt alle Ankommenden in Mundart herzlich willkommen. An anderen Ortseingängen stehen Industrieanlagen. Der Besucher weiß, hier gibt es Arbeit. In Ferienregionen heißen Blumenrabatten willkommen. Die Gäste sollen gleich wissen, hier dürfen sie sich erholen. Was steht auf unserem Willkommensschild? Ich darf kommen wie ich bin? Ich darf mir erst mal alles im Abstand anschauen?

Und wie sieht es mit dem zweiten Schritt aus? Bieten wir Menschen, die kommen, Gespräche und Gemeinschaft an? Haben wir noch etwas Zeit füreinander? Und passt unsere Willkommenskultur zu unserem gesamten Gemeindeleben?

Für Nehemia war das Gebet die Schaltstelle für sein Vorhaben. Wir stehen an unserem Platz am Gemeindebau auf der Baustelle. Es wäre gut, wir würden miteinander dafür beten, dass der Herr uns beides schenkt, Sicherheit und Geborgenheit in aller Anfechtung und unseren persönlichen Nöten, aber auch Sichtbarkeit, dass hier der lebendige Jesus Christus auf jeden und jede wartet.

Cornelia Trick


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