Geistliches Wachstum: Christ werden - Christ bleiben
Gottesdienst am 24.04.2005

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
nach längerer Zeit traf ich einen Bekannten wieder. Er war früher begeistert in der Gemeinde dabei, hatte mit Jesus Christus etwas erlebt, brachte sich mit seinen Gaben ein. Besonders für Jugendliche war er Vorbild, sie machten bei jeder Aktion mit, die er anstieß. Wir hatten uns dann aus den Augen verloren, mit unserem Wiedersehen kamen natürlich auch wieder die vergangenen Erlebnisse in Erinnerung. Doch seinen Erzählungen nach hatte sich inzwischen alles geändert. Die Gemeinde besuchte er praktisch gar nicht mehr. Die Freundschaften von früher sind im Sande verlaufen. Seine Mitarbeit in der Gemeinde ist für ihn zunehmend bedeutungslos geworden, von anderen ist er enttäuscht worden und jetzt krähte auch kein Hahn mehr nach ihm. Gefragt, was denn seine Beziehung zu Jesus Christus mache, antwortete er ausweichend, dass die wohl eher eine Episode aus seinen jungen Jahren war, damals für ihn wichtig war, aber ihre Bedeutung verloren hätte.

Mich hat dieses Gespräch erschüttert. Gibt es denn das, dass jemand so engagiert dabei war und auf einmal sich alles in Wohlgefallen aufgelöst hat? Ist Jesus ihm nicht nachgegangen, um ihn wieder zurück in seinen Einflussbereich zu holen? Was ist da schief gegangen?

Ich schaue in die Bibel und suche nach ähnlichen Geschichten, wo Menschen schleichend die Beziehung zu Gott und zu seiner Gemeinde verloren haben. In Israel war es ein bekanntes Phänomen, die Leute wandten sich vom lebendigen Gott ab und pflegten ihre eigenen Interessen, politische Bündnisse, Machtvorteile. Sie liefen offenen Auges in die Katastrophe, schmähten die Propheten, die ihnen ihr Unheil vorhersagten, und wurden erst im Fall aufmerksam auf den Gott Israels, der ihnen eine neue Zukunft nach dem Zerbruch gewährte. Im Neuen Testament sind diese Geschichten nur angedeutet. Manche Briefe geben Zeugnis von einer Müdigkeit des Glaubens, Leute werden schuldig aneinander, weil sie Liebe verweigern (1. Johannes 3,10), sie bleiben den Gottesdiensten fern (Hebräer 10,24+25), sie verlieren ihre gemeinsame Mitte Jesus Christus und bilden Lobbys (1. Korinther1,10-13). Sogar so kurz nach Jesu Auferstehung und der Ausgießung des Heiligen Geistes sind Christen nicht davor gefeit gewesen, sich von Jesus Christus wieder wegtreiben zu lassen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns heute dem dritten "G" in unserer Reihe widmen, dem Thema "Geistliches Wachstum". Es ist offenbar nötig, dass unser Glaube immer fester verankert wird, wir auch in den Herausforderungen wachsen und unser Leben sich wirklich verändern kann. 

Paulus lässt uns mit seinen Briefen Anteil an seinem geistlichen Leben nehmen. Er steht für eine Person, die trotz großer Anfragen, persönlicher Kränkungen und körperlicher Bedrohung in seinem Glauben gewachsen ist. Wir können heute manches auf unser eigenes Glaubensleben anwenden und von ihm lernen.

Philipper 1,3-11

In allen meinen Gebeten denke ich an euch alle und danke dabei meinem Gott. Jedes Gebet für euch wird mir zum Dank, und ich bin voll Freude darüber, dass ihr euch so eifrig für die Gute Nachricht einsetzt, seit dem Tag, an dem ihr sie angenommen habt, und bis heute. Ich bin ganz sicher: Gott wird das gute Werk, das er bei euch angefangen hat, auch vollenden bis zu dem Tag, an dem Jesus Christus kommt. Ich kann gar nicht anders, als so über euch denken; denn ich trage euch alle in meinem Herzen, gerade jetzt, da ich für die Gute Nachricht im Gefängnis bin und sie vor Gericht verteidige und ihre Wahrheit bezeuge. Ihr alle habt ja teil an der Gnade, die Gott mir damit erweist. Er weiß auch, wie sehr ich mich nach euch allen sehne mit der herzlichen Liebe, die Jesus Christus in mir geweckt hat. Ich bete zu Gott, dass eure Liebe immer reicher wird an Einsicht und Verständnis. Dann könnt ihr in jeder Lage entscheiden, was das Rechte ist, und werdet an dem Tag, an dem Christus Gericht hält, rein und ohne Fehler dastehen, reich an guten Taten, die Jesus Christus zum Ruhm und zur Ehre Gottes durch euch gewirkt hat. 

Paulus sitzt im Gefängnis. Er ist als Missionar losgezogen, doch statt Gemeinde um Gemeinde zu gründen, sitzt er jetzt fest. Seine Berufung und seine Pläne scheinen ihm aus der Hand genommen worden zu sein. Übertragen wir das auf uns, dann merken wir, wie nah uns die Gefängnissituation damals kommen kann. Wir geraten in Zustände, in denen wir keine Kraft mehr haben, uns allein gelassen fühlen, eingesperrt, entmutigt. Wir hatten so in einen Traum investiert, von dem wir dachten, dass Gott es so will. Doch der Traum ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Traurig und fassungslos bleiben wir zurück. Was wollte uns Jesus damit sagen? Wollte er überhaupt etwas sagen? Wir sind bitter enttäuscht von einem Freund, für den wir viel Zeit und Kraft investierten. Er kehrte sich plötzlich ab, wollte von nichts mehr etwas wissen, redete schlecht über uns und machte sich auch über unseren Glauben lustig. Statt ihn für Jesus zu gewinnen, stürzen wir in ein tiefes Loch der Selbst- und Glaubenszweifel. Und dann sind da noch die Vorfälle, die uns ganz und gar entmutigen. Der Arbeitsplatzverlust, der Partnerverlust, die Gewalt, die wir erlitten haben in einer konkreten Situation, die Schuld, die wir begangen haben und an der wir zerbrechen. So sieht unsere Lebenswelt aus, nicht der Platz an der Sonne, sondern Enttäuschungen, Einbahnstraßen und Sackgassen, Schläge und Dunkelheiten. Kein Wunder, dass die Gefängnisse des Alltags uns den Glauben an Jesus Christus rauben können.

Doch interessant ist, Paulus im Gefängnis zu Wort kommen zu lassen. Er entfaltet in seinem Vorwort des Briefes an die Philipper geistliches Wachstum in zwei wesentlichen Punkten. Er übernimmt Verantwortung für sich selbst und er trägt Verantwortung für die Menschen, die ihm anvertraut sind.

Verantwortung für sich selbst

Paulus betet im Gefängnis. Er nutzt diese Zeit der Zwangspause für eine intensive Zwiesprache mit Jesus Christus. Geistliches Wachstum kann nur geschehen in dieser intensiven Verbindung zu Jesus Christus. Sie ist der Kern des geistlichen Lebens und Wachstums. Bibellesen, Hauskreis und Gemeindearbeit sind dem nachgeordnet. Ohne den Kontakt zu Jesus Christus lesen wir die Bibel wie die Zeitung, die auch nur selten unseren Alltag unmittelbar beeinflusst und verändert. Nehmen wir am Hauskreis teil ohne Basis der persönlichen Zeit mit Jesus Christus, könnten wir uns auch einfach so mit Freunden treffen, ohne zu erwarten, dass Jesus in unserer Runde dabei ist. Machen wir Gemeindearbeit ohne die Grundlage des Gebets, kann das für die Gemeinde ein Segen sein, aber für uns ist es anstrengend, weil wir abgeschnitten sind von unserer Ladestation und der Akku schnell leer ist. Paulus suchte die Gemeinschaft mit Jesus. Er warf nach der Enttäuschung nicht gleich alles hin, er blieb dran. Und im weiteren Verlauf des Briefes finden wir ganz erstaunliche Aussagen: Seine Gefangenschaft war kein Stoppschild, sondern eine grüne Ampel. Blühender BaumDas Gefängnispersonal wurde auf Jesus Christus aufmerksam, Brüder und Schwestern der Ortsgemeinde wurden mutiger, weil sie beschlossen, jetzt erst recht ihren Glauben zu bezeugen, sogar die, die auf Paulus neidisch waren, trugen zur Ausbreitung des Evangeliums bei, da sie Paulus ja nicht nachstehen wollten. Und Paulus kommt zu dem Schluss, dass die Gefangenschaft zu seiner persönlichen Rettung führen wird, egal ob in diesem oder im zukünftigen Leben.

Paulus konnte in dieser persönlichen Notlage wachsen, weil er in enger Verbindung zu Jesus Christus stand. Statt sich von Jesus abzuwenden, der ihn scheinbar im Stich gelassen hatte, erkannte er Sinn in dieser Zwangspause und erfuhr Hoffnung, dass alles sich zum Besten fügen würde. Sinn und Hoffnung sind typische Merkmale des Glaubens, Paulus demonstriert sie auf überraschende Weise.

Es ist unsere Entscheidung, wie wir uns in Gefängnis-ähnlichen Situationen verhalten. Es ist Jesu Angebot an uns, die Kommunikation mit ihm nicht aus Wut, Enttäuschung oder Kraftlosigkeit abzubrechen, sondern die Verbindung zu halten. Er sagt uns zu, dass er uns durchtragen wird, bis wir wieder neue Perspektiven erkennen können. Auch wenn sie sich sehr von unseren ursprünglichen Vorstellungen unterscheiden.

Eine einfache Übung, die Verbindung zu halten, ist, einen festen Raum für das Zusammensein mit Jesus einzurichten. Eine Viertelstunde am Tag an einem Ort, der ruhig und ungestört ist, ein Freund, der zuhört und mitbetet, ein Blatt Papier, um aufzuschreiben, was in dieser Viertelstunde am Tag passiert, ist ein Anfang, um die Verantwortung für uns selbst und unser geistliches Wachstum neu wahrzunehmen.

Verantwortung für andere

Paulus bleibt nicht beim Kreisen um sich selbst und seine Lebenssituation stehen. Er versteht offensichtlich geistliches Leben nicht als puren Selbstzweck, um das eigene Leben besser meistern zu können, sondern als Grundlage, um andere zum Wachsen anzuregen. Das ist eine faszinierende Haltung. Paulus, dem es selbst schlecht geht, wendet seinen Blick weg von sich auf die Menschen, für die er sich verantwortlich fühlt. Und mit diesem Blick auf die anderen wächst er selbst, sein Glaube wird gestärkt. Ich meine, dass hier der entscheidende Schlüssel für unser geistliches Leben liegt. Wir werden nicht dazu angehalten, selbst sämtliche Fitnessprogramme zu durchlaufen, um gut durchs Leben zu kommen. Wir werden aufgefordert, Verantwortung für andere und anderes zu übernehmen und werden darin wachsen. Unser Leben verknüpft sich mit anderen und gewinnt einen neuen Sinn, wir sind wichtig, weil andere uns brauchen, weil Jesus durch uns in ihrem Leben wirken will.

Paulus zeigt uns, wie das aussehen kann:

  • Er begleitet die Philipper in der Fürbitte. Sie lassen ihn dankbar werden und ihre Freude im Glauben, macht ihn froh.
  • Er ermutigt die Philipper. Er hat eine Vision für sie. Gott hat mit ihnen angefangen, er wird sie auf dem Weg begleiten und sie ans Ziel bringen. Eine größere Ermutigung kann niemand aussprechen.
  • Er wendet sich den Philippern persönlich zu. Mit dem ganzen Herzen ist er bei ihnen trotz der räumlichen Entfernung. Er trägt sie im Herzen mit sich.
  • Er hilft ihnen, geistlich zu wachsen. Er macht sie aufmerksam auf die Liebe Gottes, die sie brauchen, um ihren Weg zu gehen. Er bietet ihnen seine Fürbitte an, um ihr Wachstum zu unterstützen. Es ist ihm daran gelegen, dass die Philipper den eingeschlagenen Weg mit Gottes Hilfe weitergehen.
Wir können diese Schritte übertragen. Wer selbst im Glauben wachsen will, investiert in andere. 

Zum Beispiel Frau A: "Ich sehe mich hier im Gottesdienst um und sehe einzelne, für die mein Herz in besonderer Weise schlägt. Manche kenne ich schon lang, mit manchen bin ich freundschaftlich verbunden, manche haben Schweres durchgemacht und ich habe das miterlebt, manche brauchen gerade jetzt besondere Zuwendung. Und ich entscheide mich dafür, im Sinne des Paulus besondere Verantwortung für zwei oder drei Personen hier zu übernehmen. Ich werde für sie beten, ich werde wie Paulus feststellen, dass ich viel zu danken habe für diese Personen und ihre Geschichte. Ich werde die Personen ermutigen, an Jesus festzuhalten, denn ich sehe, dass Gott auch ihnen treu bleibt und ihr Leben vollenden wird. Ich werde sie anregen, in ihr geistliches Leben zu investieren; sich selbst für ein Projekt zu entscheiden, in das sie investieren. Ich werde mich mit ihnen freuen über die Erfahrungen, die sie machen."

Es müssen nicht immer Personen sein, die uns am Herzen liegen und in die wir investieren, es kann auch eine Aufgabe sein, die wir in der Fürbitte begleiten, für die wir eine Vision entwickeln, die wir fördern und voranbringen. Doch wichtig ist, dass wir nicht bei uns selbst und unserem Seelenheil stehen bleiben, sondern wachsen, indem wir uns für das Wachstum anderer einsetzen. Natürlich schützt uns das nicht vor Enttäuschungen. Im Gegenteil, sie werden ja da am größten sein, wo wir mit unserem Herzen dabei sind. Und nicht immer führt eine Investition zu reiner Freude. Doch in den Zeiten der Enttäuschung trägt uns Jesu Fürbitte, seine Ermutigung und seine Sorge um unser Wachstum. Zu ihm können wir kommen und von ihm erfahren, was es heißt, ihm am Herzen zu liegen. Er steht hinter uns und lässt selbst die Frusterlebnisse zum Wachsen beitragen. 

Unser Wachstum im Glauben hat ein Ziel. Jesus lässt uns wachsen, um ihm ähnlicher zu werden und Gott die Ehre zu geben. Auf dem Weg zu diesem Ziel sind wir verantwortlich für uns selbst und füreinander. Wachstum geschieht im Miteinander von Tragen und Getragen-Werden, von Ermutigung und Beistand, von Liebe und Dankbarkeit. Jesus ist das Zentrum, er möchte Zeit mit uns verbringen und schickt uns aus der Stille hinaus in diese Welt, an der wir wachsen sollen.

Cornelia Trick


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