Finsternis und Licht (Matthäus 27,45-54)
Gottesdienst am 18.04.2014 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
bei einem Kurs für Bergsteiger lernten wir das richtige Verhalten im hochalpinen Eis. Eines Morgens brachen wir auf, um das Bergen aus Gletscherspalten zu üben. Die erste Lektion war, sich in angemessener Weise der Spalte zu nähern. Wir durften auf keinen Fall schnell hinrennen und neugierig über die Kante in den Abgrund schauen. Viel zu groß war die Gefahr zu stolpern oder abzurutschen. Das Loch hatte Sogwirkung, man konnte leicht schwindelig werden und das Gleichgewicht verlieren. Vorsichtiges Nähern, angeseilt sein und hin robben wurde geübt.

Karfreitag erinnert mich an jenen Tag im Gletschereis. Ich kann mich nur vorsichtig dem Abgrund des Karfreitags annähern. Ich sollte angeseilt sein, in der Gemeinschaft der Glaubenden diesen Tag begehen, die mich festhalten. Doch ich muss schon bis zum Rand kommen, um die Bedeutung und Tiefe des Karfreitags zu erkennen. In der Zuschauerposition vom sicheren Schneefeld aus sehe ich nichts.

Nähern wir uns also behutsam:

Jesus ist auf dem Weg nach Golgatha. Simon von Kyrene kreuzt seinen Weg. Er ist zufällig vorbeigekommen, einer aus den afrikanischen Provinzen, der seinen Acker bestellt hatte und auf dem Weg nach Hause war. Einer, der gezwungen wurde, den Weg mit Jesus zu gehen. Einer der das Kreuz Jesu getragen hat. Einer wie du und ich: Auch wir begegneten Jesus an irgendeiner „zufälligen“ Stelle in unserem Leben. Auch wir wurden nicht freiwillig und begeistert zu Kreuzträgern. Das Hosianna haben wir gerne gesungen. Aber die Lasten Jesu wurden uns meistens auferlegt, ohne dass wir darum gebeten hätten. Auch wir wurden zu Tragenden, die in Jesu Auftrag unterwegs waren und sind geadelt an seiner Mission teilzunehmen.
Simon von Kyrene ist kein Unbekannter, können wir doch mühelos in seine Kleider schlüpfen.

Auf dem Hügel auf Golgatha angekommen, wird Jesus gedemütigt und bloßgestellt. In seinen Demütigungen sind alle Erniedrigungen dieser Welt enthalten. Denken wir bloß an die Erinnerungsfotos von US-Soldaten, wie sie irakische Kriegsgefangene in entwürdigenden Posen fotografierten. Jesus wurde seiner Würde entblößt. Wir erkennen uns und unsere Welt als Täter, als Opfer. Unsere Geschichten sind in seiner aufgehoben. Er hat all das für uns durchlitten.

Wir nähern uns den Spottenden. Drei Gruppen scharen sich idealtypisch um Jesus. 

Die Vorübergehenden lassen sich nicht auf Jesus ein. Sie sehen die Kirche von außen. Jesus hat keine Bedeutung für sie. Er soll wem auch immer helfen, aber nicht ihnen.

Die geistliche Elite will einen Beweis, um an Jesus zu glauben. Sie hält an ihrem Fahrplan fest. Sie wartet auf den Heilsbringer gemäß ihren Regeln und verpasst ihn. Verpassen wir ihn auch vor lauter Festhalten an unseren eigenen Vorstellungen?

Die Räuber sind zwar mit Jesus in einem Boot, aber fühlen sich ihm überlegen. Sie lenken sich von ihrer eigenen Todesnot ab, verdrängen sie. Sie fühlen sich stark und sind doch so schwach. 

Wohin würde ich mich stellen? Zu den Uninteressierten? Zu den Festhaltern? Zu den Verdrängenden?

Nun sind wir ganz nahe am Abgrund und blicken in die Tiefe.

Matthäus 27,45-50 Die Finsternis

Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.

Eine große Finsternis bricht herein. Auch wir sehen in diesen drei Stunden nicht klar und können uns nur tastend und vorsichtig dem Tod Jesu nähern. Die Finsternis erinnert an das Gebet Psalm 23 „und ob ich schon wanderte im finstern Tal“. Dieses tiefe Tal durchschreitet Jesus, und da ist kein Licht, das Orientierung gibt. Jesu Schrei wird zweimal überliefert. Jesus ist Mensch an unserer Statt. Er ist nicht ein Gott mit menschlicher Verkleidung, der stoisch das Leid erträgt, aber im Inneren unberührt bleibt. Jesus erleidet die tiefsten Tiefen. Er wurde von Menschen verlassen und von Gott, der keine Gemeinschaft mit der Sünde haben kann. In diesen drei Stunden trägt Jesus die Sünden der Welt, die ihn vom Vater trennen. Er ist ganz allein, das ist die Hölle.

Jesus betet in dieser Verlassenheit mit den Psalmen Israels. Auch in der tiefsten Tiefe kennt er die Adresse seiner Not. Er hält an seinem himmlischen Vater fest, die Verbindung nach oben bleibt bestehen auch in der Gletscherspalte des Todes. 

Die Menge versteht das nicht. Elia erwarteten sie, so eine Art Rot-Kreuz-Helfer Gottes. Sie erkennen nicht, dass Jesus für sie durch diese Tiefe geht gemäß den Worten des Propheten Jesaja: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Sünde. Wir aber hielten ihn für den, der geschlagen und von Gott gemartert wäre.“ (Jesaja 53)

Jesus stirbt – ohne Gotteserscheinung in letzter Minute, nur dokumentiert mit einem kurzen Satz.

Matthäus 27,51-54 Gottes Antwort

Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Gott antwortet machtvoll auf die Finsternis. Alles gerät in Bewegung. Der Vorhang im Tempel zerreißt mittendurch. Der Weg zum Allerheiligsten ist für alle frei. Nicht länger muss man auf die Entsühnung einmal im Jahr durch den Hohepriester warten.

Ein Erdbeben erschüttert die Gräber. Tote stehen auf, Felsen bersten. Die alte Ordnung wird zerstört, und Neues bricht auf. Die Toten laufen umher, der Sieg über den Tod deutet sich schon an. 

Der Hauptmann und seine Leute waren eigentlich unbeteiligt. Für sie war dieser Freitag ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag. Doch die Zeichen überraschten den Mann. Er nahm die Hinweise Gottes wahr und brachte sie zusammen mit dem ironisch gemeinten Schild auf Jesu Kreuz „König der Juden“.  Einer, der nicht dazugehörte, wurde zum Bekenner unter dem Kreuz. Das sollte so weitergehen mit dem Hauptmann Cornelius, von dem die Apostelgeschichte später berichtet, mit vielen Heiden, die bis heute zum Glauben an Jesus finden. Noch formuliert der Hauptmann in der Vergangenheitsform: Jesus ist Gottes Sohn gewesen. Das Osterfest steht noch aus. Der tote Gottessohn wird zum lebendigen Herrn.

Was bedeutet Karfreitag für uns? Wir haben an der Kante des Abgrunds gestanden und in die Tiefe hinabgeblickt. Wir haben die Finsternis wahrgenommen, Jesu Verlassenheit. Der Starke war ganz unten. Aber wenn wir fallen, ist er immer schon unter uns und fängt uns mit seinen ausgebreiteten Armen am Kreuz auf. 

Diese Gottverlassenheit, die Jesus durchlebt hat, gibt es nicht mehr.

Jesus geht in die tiefsten Tiefen voraus und voran. Er bringt mich in die Verbindung zu Gott, der Vorhang, der mich von Gott trennte, ist zerrissen. Er gibt Anleitung, wie ich mit Gott in Kontakt kommen und bleiben kann. Wie er kann ich mit dem Vater im Himmel reden, zu ihm schreien. Ich muss dabei nicht immer eigene Worte finden. Die Bibel, Gesangbuch und die Fürbitte der anderen helfen mir, die Verbindung zu Gott zu erfahren.

Jesus schenkt einen Neuanfang. Das Erdbeben setzt mein Lebenskonto auf Null. Die Schulden sind getilgt, die alten Kontoauszüge vernichtet. Jesu Tod hat Zukunft eröffnet, das gilt es zu feiern.

Cornelia Trick


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