Eine Fahrt im Personenzug
Gottesdienst am 30.01.2005

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
ein junger Mann besucht seine zukünftigen, sehr reichen Schwiegereltern und möchte um die Hand der Tochter anhalten. Als er sein Anliegen vorbringt, sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus: "Ich spüre einen Zug zu Ihrer Tochter, der ist so stark, dass ich mich nicht entziehen kann ..." Der zukünftige Schwiegervater legt dem jungen Mann beruhigend die Hand auf die Schulter und fragt ihn: "Meinen Sie mit diesem Zug, der Sie zu meiner Tochter zieht, einen Güterzug oder eher einen Personenzug?"

Wenn wir über unsere Beziehung zu Jesus Christus ins Schwärmen kommen oder Zeugnis von dieser Beziehung geben, ist Jesus dann für uns ein Güterzug, der uns mit allem beliefert oder beliefern soll, was wir zum Leben brauchen? Oder ist diese Beziehung einem Personenzug vergleichbar, der uns einlädt, uns zu Jesus und seiner Gemeinde zu setzen und in der Gemeinschaft dem großen Ziel entgegen zu reisen?

Der 1.Johannesbrief bringt seinen Empfängern den Glauben an Jesus Christus als Personenzug nahe. Die Gemeinschaft mit Jesus und seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern ist das Entscheidende, nicht das, was die einzelnen aus der Beziehung für einen persönlichen Nutzen ziehen, welche "Güter" sie abgreifen können. Für den Schreiber des 1.Johannesbriefes geht es um die Echtheit des Glaubens, die sich in den Auswirkungen zeigt - ob wir wirklich im Personenzug mit Jesus und seiner Gemeinde sitzen.

Inzwischen haben wir die Gemeinde kennen gelernt, an die Johannes schrieb. Nach neusten Forschungen (K. Berger u.a.) waren es Christen der ersten Generation. Sie hatten eine deutliche, einschneidende Lebenswende erlebt, waren als Erwachsene getauft und hatten die Vergebung ihrer Sünden als bewusste Abkehr von ihrem alten Leben erlebt. Johannes grenzte sich in diesem Brief von einer Gruppe innerhalb der Gemeinde ab, die meinte, dass sie mit Taufe und Sündenvergebung nun schon das neue Leben lebten und die Beziehung zu Jesus darin bestand, sich seine Güterzüge zu ordern. Jesus selbst war nun für sie nicht mehr wichtig. Der Apostel wandte sich mit seiner ganzen Liebe denen zu, die er als "Kinder" bezeichnete und die mit ihm daran festhielten, dass Jesus eine bleibende Bedeutung für Nachfolger Jesu behielt. 

Unser Abschnitt heute ist an diesen Kern der Gemeinde gerichtet. Der Schreiber des Briefes bestärkt sie, dass sie ganz nahe bei Jesus sind. Aber er ermahnt sie auch, ein Leben zu führen, dass dieser Gemeinschaft mit Jesus entspricht. Wir werden für uns prüfen müssen, inwieweit seine Aussagen auch in unserer Zeit und Situation greifen.

1.Johannes 2,12-17

Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen.
Ich schreibe euch Vätern; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden.
Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr kennt den Vater. Ich habe euch Vätern geschrieben; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn  ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.
Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist.  Wenn jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.

Aus seiner väterlichen Beziehung zur Gemeinde heraus redet Johannes zu seinen "Kindern". Er greift sein Thema des vorangestellten Briefabschnittes auf, die Sündenvergebung in dem Namen Jesu Christi. Es geht ihm, wie wir aus den Worten davor entnehmen, nicht um allgemeine Sünden, sondern um die Sünde an der Gemeinschaft. Wer die Gemeinschaft zerstört, zerstört den Leib Christi und damit Christus selbst. Wer im Personenzug mit Jesus sitzt, aber ganze Abteile für sich allein reserviert, während andere zusammengepfercht vor der Abteiltür stehen bleiben müssen, hat mit Jesus Christus keine Gemeinschaft. Er hat den Personenzug mit einem Güterzug verwechselt.

Betrifft uns das heute? Die Mentalität, für sich selbst Platz einzufordern ohne Rücksicht auf andere wird auch vor unseren Türen nicht Halt machen. Ob es die offene Ablehnung ist oder versteckte Vorbehalte, die wir gegeneinander pflegen, ob es "frühere Geschichten" sind, die wir genüsslich gegeneinander pflegen, oder ob wir uns mit Gleichgültigkeit begegnen. Ich meine, ausnehmen können wir uns von einem solchen Verhalten nicht. Wir werden an diesen Punkten immer wieder schuldig und brauchen Jesu Vergebung.

Dabei schärft uns der Apostel ein, dass wir diese Vergebung nicht bekommen, weil wir irgendwann einmal getauft wurden und Ja gesagt haben, zum inneren Kreis gehören oder besondere Pöstchen bekleiden, sondern allein, weil Jesus bei uns im Zug sitzt und dieses Wort der Vergebung uns zuspricht. Wir sollten dieses Angebot der Beichte nutzen. Es hilft uns, die reservierten Abteile aufzugeben, uns wieder neu der Gemeinschaft zu stellen und die Kraft, die Jesus in der Gemeinde erfahrbar werden lässt, auch bis ins eigene Leben hinein zu spüren.

Der Apostel spricht zwei Personengruppen der Gemeinde besonders an, wobei er offensichtlich mit ihnen die ganze Gemeinde meint. Aber manchmal hilft es, den Scheinwerfer nur auf zwei zu richten, um in der Verallgemeinerung das Konkrete zu entdecken.

Da sind die "Väter". Mit ihnen verbindet Johannes, dass sie Jesus erkannt haben. Ihr Leben wurde mit Jesus verwoben. Für die Gemeinde sind sie Vorbild, weil ihr Leben von Jesus geprägt ist, von seiner Vergebung und seiner Liebe. Wahrnehmbar ist eine solche Prägung durch den Lebenswandel. Können sie vergeben und Meinungen über andere revidieren? Leben sie in ihren engsten Beziehungen im Frieden, authentisch und wahrhaftig? Können sie Auskunft über ihren Glauben geben und bezeugen, dass sie auch in jüngster Vergangenheit Jesu Nähe erfahren haben? Diese "Väter" braucht die Gemeinde, weil sie sich an ihnen orientieren kann und soll. Sie sind ein wichtiges Bindeglied zu Jesus, der durch sie zu Wort kommt und mit ihnen zeigt, in welche Richtung der Personenzug unterwegs ist - hin zu der Versöhnung mit Gott in Ewigkeit.

Den jungen Leuten spricht der Apostel zu, dass Gottes Wort, das heißt Jesus selbst, bei ihnen bleibt. Es geht nicht um ihre Treue, ihr Dranbleiben, ihr Bibelstudium, sondern um Jesus, der bleibt: mitten in den Herausforderungen der besonderen Lebensphase, in der so viele Dinge wichtig sind und Jesus dabei auch beiseite geschoben werden könnte. Aus dieser Treue Jesu zu den jungen Leuten erwächst Stärke. Sie sind nicht stark, weil sie noch unverbraucht sind, sondern weil Jesus für sie gegen das Böse kämpft. Jesus besiegt ihren Egoismus, die Versuchung, um sich selbst und die eigenen Probleme zu kreisen und schenkt ihnen die Stärke, auf die Gemeinschaft und deren Bedürfnisse zu schauen. Und tatsächlich brauchen wir diese starken jungen Leute in der Gemeinde ganz dringend. Wir brauchen sie als Evangelisten, die ihre Freunde mit Jesus bekannt machen. Wir brauchen sie als Mitarbeitende in unseren Gruppen. Wir bauen auf sie, wenn es besondere Einsätze gibt oder Aktionen vorbereitet werden müssen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie trotz ihrer vielen Themen und Herausforderungen wissen, dass Jesus die erste Priorität hat und sich voller Eifer für ihn einsetzen.

Vielleicht sind Sie jetzt enttäuscht, weil Sie nicht namentlich von Johannes angesprochen werden. Doch sind Sie auch gemeint, wenn Johannes seinen Scheinwerfer über die Reihen des Personenzuges schweifen lässt. Jede und jeder ist hier, um zum Gemeindeleben beizutragen und auf Jesus hinzuweisen. Wir sind eingeladen, den besonderen Zuspruch zu hören, der uns persönlich gilt. Vielleicht ja so: "Du mittelalte alleinstehende Schwester, du bist gesegnet, weil Jesus durch dich Barmherzigkeit in die Gemeinde bringt. Deine Liebe kann niemand ersetzen, sie hat ihre Quelle in Jesu Barmherzigkeit."

Der nächste Abschnitt thematisiert den Anspruch Jesu an seine Fahrgäste. Sie sollen die "Welt" nicht lieb haben. Dieser Satz hat über Jahrhunderte viel Leid angerichtet. Wenn Johannes alle Auslegungsversuche seiner paar Worte mitbekommen hätte, wäre er vielleicht zu dem Schluss gekommen, seinen Brief präziser zu formulieren. Manche sahen in der Abkehr von der Welt als einzig mögliche Folge das Kloster, manche hielten sich von Sexualität fern und ließen ihre Ehen erkalten. Andere schlossen sich in ihren Gemeinschaften ein aus Angst, die Welt könnte in sie eindringen.

Ich möchte Sie heute auf eine andere Fährte locken, die mir hilft, den Aufruf zur Abkehr von der Welt zu verstehen. Der gemeinsame Nenner von "Fleisches Lust, Augen Lust und prahlerischem Lebenswandel" ist der materielle Sinn. Verglichen mit ähnlich lautenden Bibelstellen können wir die drei Begriffe ersetzen mit "Habgier, Geiz und Protz". Diese Eigenschaften bezeichnet der Apostel als Eigenschaften der "Welt", die der Gemeinschaft mit Jesus widersprechen. Wir werden das unterschreiben können. Wenn in einer Gemeinde Habgier herrscht, einer sich auf Kosten der anderen bereichern will, kann von Liebe und Achtung nicht mehr gesprochen werden. Wenn man geizig miteinander umgeht, an der Gemeinschaft mehr spart als am persönlichen Lebensstil, ist die Beziehung zu Jesus Christus in die Schieflage geraten. Wenn man schöne Kleider nur deshalb im Gottesdienst ausführt, damit andere sie und ihren Preis bewundern, ist man eindeutig auf der falschen Veranstaltung. Der Personenzug ist kein Big-Brother-Container, in dem man nach dem Auswahlprinzip miteinander umgeht, und der am längsten bleibt, der sich am besten gegen die anderen durchsetzt. Der Personenzug mit Jesus ist kein Güterzug, in dem Waren transportiert werden, die das Leben angenehm machen. Mit Jesus zu reisen, heißt, in Gemeinschaft zu reisen, sich mit dem Nachbarn, der Nachbarin zu befassen, sie als Bereicherung und Aufgabe wahrzunehmen und nicht als Mittel zum Zweck, selbst besser voran zu kommen.

Seit einigen Wochen beschäftigt uns konkret das Thema "behindertengerechter Aufgang zum Gottesdienstraum" in unserer Gemeinde. Es ist unser konkretes Übungsfeld für ein Leben als Gemeinde, das Jesus entspricht. Denn so einfach ist es nicht, verschiedene Menschen mit unterschiedlicher Prägung und verschiedenen Vorstellungen in einem Projekt zu vereinen. Wir tun uns damit nicht leicht. Niemand will die Rampe aus Habgier, niemand will einem Gehbehinderten den Zugang zum Gottesdienst aus Geiz verweigern. Niemand will mit einer supertollen Anlage vor anderen Gemeinden protzen. Trotzdem sind die Vorstellungen in aller Liebe zur Sache unterschiedlich. Wird ein Mehrheitsvotum streng durchgebracht, kann der Eindruck entstehen, bei Jesus geht es um Mehrheitsvoten, wo der doch gerade den Minderheiten Stimme verlieh. Diskutiert man das Thema endlos, um alle Meinungen zu einen, wird der Leib Christi über lange Zeit mit einem Thema beschäftigt, das doch nur am Rande dazu beiträgt, dass Licht in diese dunkle Welt kommt. Deshalb ist mir in der Beschäftigung mit dem 1 Johannesbrief der dritte Weg sehr wichtig geworden. Ich möchte das Thema vom Zentrum aus betrachten. Jesus sitzt hier mit uns in diesem Gottesdienst, um uns in besonders eindringlicher Weise und über Wochen hinweg aufzurufen, seine Vergebung anzunehmen und sie miteinander zu leben. Jesus ermutigt uns zur Gemeinschaft, die durch Frieden und offene Hände gekennzeichnet ist. Was das konkret in Bezug zur Rampe bedeutet: Dass wir uns über dieses Thema nicht entzweien, sondern es als Übungsfeld für unsere Gemeinschaft betrachten. Unterschiedliche Meinungen auszuhalten und uns nicht darüber zu entzweien, im Blick zu haben, was Jesus dient, einander zu helfen, den Tagesordnungspunkt hinter uns zu bringen, um frei zu werden für die nächsten Aufgaben, die Jesus uns gibt. Und - nicht zu vergessen, dass Rampen zu den endlichen Einrichtungen dieser Welt gehören, die wir nicht zu wichtig nehmen sollten.

Johannes macht in diesem Abschnitt keine direkten Aussagen, wie wir mit Menschen dieser Welt umgehen sollen. Doch indirekt wird deutlich, dass eine Gemeinde, die mit Jesus lebt, immer offene Türen haben wird und bei jedem Stopp die Möglichkeit nutzen wird, um auf die Bahngleise auszuschwärmen und die Leute von den Güterwagen wegzuholen, um sie in den Personenzug einzuladen. Dass dafür Rampen nötig sind, leuchtet ein. Entscheidend aber ist, was sie im Personenzug selbst erleben, dass Jesus Christus ihr Leben entscheidend verändert und sie mit ihrem Leben ein neues Ziel ansteuern können, die Gemeinschaft mit Gott in Ewigkeit.

Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.

Cornelia Trick


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