Einander Hirte sein (1.Petrus 5,1-4)
Gottesdienst am 22.04.2012

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
David war auf der Flucht vor Saul. Er war noch jung und unerfahren. Doch manche Kämpfe mit seiner Söldnertruppe hatte er schon gewonnen. Er schien auf der Erfolgsspur zu sein. Doch eines Tages änderte sich die Lage. David kehrte mit seinen Männern ins Basislager zurück, nachdem ein Kampf erfolgreich bestritten worden war. Doch von dem Lager war nichts mehr übrig. Frauen und Kinder waren offensichtlich gekidnappt und die Zelte niedergebrannt worden. Davids Truppe war müde, ausgelaugt, wütend über den Verlust und verzweifelt, weil sie nicht wussten, was mit ihren Familien war. Wie David waren sie in ihren Grundfesten erschüttert, aber sie saßen nicht im gleichen Boot. Statt mit David zu weinen, sahen sie in ihm den Hauptschuldigen. Ihr ganzer Zorn richtete sich auf ihn. Schnell sammelten sie Material zusammen, um ihn zu steinigen. David war in einer schweren Führungskrise. Er musste schnell entscheiden: sich um seine Truppe kümmern, dem Feind nachjagen, diplomatische Beziehungen zum Feind aufbauen? Sollte er fliehen oder gegen seine eigenen Leute kämpfen?

David suchte Gott auf: „David aber stärkte sich in dem Herrn, seinem Gott“ (1.Samuel 30,6) Er holte sich Weisung von ihm, sammelte durch ihn Kraft, seine Leute zu motivieren und die Familien zurückzuholen.

Der heutige Sonntag ist überschrieben „Sonntag des Guten Hirten“. Jesus ist der Gute Hirte, er sorgt für seine Herde und lässt für die Schafe sein Leben. Jesus ermutigt uns, einander Hirten zu sein wie David es für seine Leute war. Wir haben Anleitung für diesen Dienst in den Fußstapfen Jesu nötig.

1.Petrus 5,1-4

Ich wende mich nun an die Ältesten unter euch. Ich bin selbst Ältester der Gemeinde, und ich habe teil an den Leiden von Christus wie an seiner Herrlichkeit, die bald offenbar werden wird. Deshalb ermahne ich euch: Leitet die Gemeinde, die Herde Gottes, die euch anvertraut ist, als rechte Hirten! Kümmert euch um sie, nicht weil es eure Pflicht ist, sondern aus innerem Antrieb, so wie es Gott gefällt. Tut es nicht, um euch zu bereichern, sondern aus Hingabe. In eurem Verantwortungsbereich führt euch nicht als Herren auf, sondern gebt euren Gemeinden ein Vorbild. Dann werdet ihr, wenn der oberste Hirt kommt, den Siegeskranz erhalten, der nie verwelkt. 

Petrus schreibt seinen Brief als Rundschreiben an Gemeinden im damaligen Kleinasien, heute Türkei. Die Gemeinden fühlten sich fremd in ihrer Umgebung. Sie wurden noch nicht offen verfolgt, aber gemieden, argwöhnisch beobachtet, ausgegrenzt und hatten Nachteile im öffentlichen Leben. Petrus will mit seinem Rundbrief den Gemeinden helfen, ihre Situation anzunehmen, sich einzuordnen ohne aufzufallen und darauf zu vertrauen, dass Gott für jeden und jede von ihnen sorgen würde, bis am Ende der Zeiten Jesus seiner Herde den Sieg zusprechen wird. Petrus erinnert in seinem Schreiben daran, wie wichtig es ist, dass Gemeinden lebendig sind, inneren Halt haben und Geborgenheit in fremder Umgebung bieten. Gemeinden sind gemäß dem 1.Petrusbrief Schutzburgen. 

Wir leben hier in einer anderen Situation. Gemeinde als Schutzburg ist unser Ziel, die Mauern brauchen wir nicht, denn niemand verwehrt uns, unseren Glauben fröhlich in die Gesellschaft einzubringen. Unser Bild heute ist vielleicht eher das einer Oase, die lebensnotwendiges Wasser schenkt, Schatten und Schutz in Wüstenzeiten gibt und jedem zugänglich ist. Wir brauchen keine Mauern um uns zu schützen, sondern offene Türen und eingerissene Mauern, damit Menschen das lebendige Wasser überhaupt finden können.

Petrus gibt den Hirten der Gemeinde, den damaligen Gemeindeleitern Anweisungen als einer, der selbst ein solcher Leiter ist. Ein Leiter qualifiziert sich demnach durch zweierlei: Er leidet wie Jesus, ist bedrängt und angefeindet, und er gehört schon jetzt zu Gottes neuer Welt mit Jesus. Petrus gibt keine abgehobenen Ratschläge weiter, sondern ist einer von ihnen, schreibt den Geschwistern als Bruder. Ist wie sie abhängig von Christus im Leiden und in der Hoffnung.

Leicht entsteht für uns der Eindruck, dass mit diesem Briefabschnitt nur Pastoren, Bezirkskonferenz-Mitglieder und andere Gemeindefunktionäre gemeint sein können. Doch gemeint sind die, die in irgendeiner Weise Verantwortung für andere übernehmen, sei es eben in speziellen Ämtern, als Freundin für die Freundin, als Vater für die Kinder, als Arbeitskollege für den Kollegen, oder für die Nachbarin, die alt ist und Hilfe braucht. In der Gemeinde und über die Gemeinde hinaus nehmen Christen Verantwortung für andere wahr, sind Salz und Licht und werden anderen zu Hirten. 

Die Weisung des Petrus ist Lebensthema, wie auch David und seine Söldnertruppe zeigen. Wie verhalte ich mich, wenn ich Verantwortung für andere übernehme? Wie reagiere ich, wenn es eng wird wie bei David?
Der 1.Petrusbrief gibt darauf Antwort:

Als rechte Hirten die Anvertrauten leiten

Vorbild für den Hirtendienst ist Jesus, der gute Hirte. Die Sehnsucht, von ihm geliebt und geleitet zu werden, zeigt, wie wir uns selbst verhalten sollten.

Ernähren: Jesus möchte mich mit seinen Zeichen der Gegenwart nähren. Was gebe ich an „Nahrung“ weiter? Nur das, was übrig bleibt oder Ausgewähltes? Eine Mitarbeiterin in einer unserer Kindergruppen kommt zu jeder Gruppenstunde mit mindestens zwei prall gefüllten Taschen mit Material. Sie hat in Nachtsitzungen diese Stunden mit den Kindern liebevoll vorbereitet, und die Kinder kommen liebend gerne. Sie spüren, dass ihnen nicht ein bisschen übrige Zeit geschenkt wird, sondern dass da jemand auf sie wartet, die Woche über an sie gedacht hat und ihnen Gutes tun will. Diese Mitarbeiterin nährt die Kinder und gibt ihnen kein Fast Food aus der Tiefkühltruhe.

Fürsorgen: Jesus beschützt in Auseinandersetzungen, er gibt Worte, die ich in Gesprächen brauche, er führt mich durch Situationen hindurch, die ich nicht allein bestehen könnte. Wie sieht meine Fürsorge für die mir Anvertrauten aus? Wenn sie sich mit Problemen herumschlagen, mache ich die Augen zu, um nicht damit belastet zu werden, oder klemme ich mich dahinter?

Orientieren: Jesus leitet mich auf neue Weidegebiete. Ich brauche seine Orientierung, um nicht im Klein-klein des Alltags unterzugehen. Wohin führe ich die mir Anvertrauten? Mache ich sie von mir abhängig, damit ich geliebt werde, oder führe ich sie in Gottes Weite, zu neuen Wegen und Weidegründen? Kann ich damit umgehen, dass jemand sich einen neuen Hauskreis sucht und nicht mehr in unseren kommt, weil er Neues lernen will, neue Kontakte braucht, flügge in unserem Hauskreis geworden ist?

Nachgehen: Jesus sucht mich, wenn ich verloren gegangen bin. Sicher, so ganz gehe ich nicht verloren, denn ich gehöre ja zu Jesus. Aber so ein bisschen kann ich schon den Anschluss verlieren, mich in meine Lieblingsthemen verstricken, mich von diesem und jedem ablenken lassen. Gehe ich denen nach, die unterwegs verloren gegangen sind? Bete ich für sie, versuche ich immer wieder, Kontakt zu bekommen? 

Hirten haben ein großes Aufgabenfeld. Sie sind für die ihnen Anvertrauten da, sie erobern mit ihnen neue Weiden, sie bringen die Einzelnen zu einer Gemeinschaft zusammen. Wie leicht fühlen sie sich überfordert, wenn Probleme auftauchen, wie es David an jenem Tag vor dem niedergebrannten Lager ging. 

Hirte aus Hingabe

Petrus nennt drei Charakteristika für eine Leitung, die im Auftrag Jesu geschieht. Sie soll freiwillig aus innerem Antrieb geschehen und nicht gezwungenermaßen. Sie soll aus Herzensgrund geschehen und nicht aus Habgier oder um Erfolg zu haben. Sie soll vorbildlich für die Anvertrauten sein, sodass sie merken, dass die Leiter nicht über sie herrschen wollen.

Um diese innere Einstellung zu gewinnen, muss ich mich selbst dem Hirten Jesus anvertrauen und zu ihm gehen wie David es in jener brenzligen Situation tat. In der Gegenwart des Herrn kann ich mir ein paar Fragen stellen lassen, die mir helfen, von Jesus her klar zu bekommen, was meine Aufgabe ist. Wo er mich als Hirte oder Hirtin haben will, wen er mir in ganz besonderer Weise anvertraut.

Wie steht es um deine Berufung? Da wird klar, jemand wird für eine bestimmte Aufgabe gesucht. Ich erkläre mich dazu bereit. Aber ist es meine Berufung? Will Jesus mich an dieser Aufgabe wirklich sehen? Oder übernehme ich die Aufgabe, weil andere es sagen, weil es mir Anerkennung bringt, weil es meine inneren Lücken füllt? 

Habe ich einen Blick, wo das Ziel für die mir Anvertrauten ist? Der Hirte kann den verlorenen Schafen jeden Tag das Futter nachtragen, oder er kann sie zurückholen in die Gemeinschaft der Herde. Was ist mein Blick? Sehe ich, wohin diese Gruppe unterwegs ist, welches Ziel sie hat? Kann ich für die eine Person formulieren, wohin ich mit ihr aufbrechen will? Oder bleibe ich auf längst abgegrasten Weiden zurück ohne Bewegung?

Habe ich eine tiefe Liebe für die mir Anvertrauten? Niemand anders kann diese Liebe in mir entfachen als Jesus selbst. Und ich muss mich zu seiner Quelle begeben, um diese Liebe zu schöpfen. Welche Quellen sprudeln für mich? Sind es Freizeiten, Bücher, Kongresse, Freundschaften, Auszeiten? Bin ich bereit, mich zu diesen Quellen zu begeben, Zeit für sie zu investieren, um ein besserer Hirte zu werden?

Wie steht es um meine Verbindlichkeit? Eine Arbeitsgruppe verlor zunehmend an Lust, ihre Aufgaben miteinander zu erledigen. Als die Mitarbeiter einzeln gefragt wurden, warum sie nicht mehr motiviert waren, erzählten sie, dass der Leiter regelmäßig zu spät kam, unvorbereitet in die Teambesprechungen ging, zugesagte Termine kurzfristig absagte. Sie meinten, sie hätten kein Interesse mehr an diesem Arbeitsbereich und würden sich etwas anderes suchen. Wie schade, denn der Leiter war durchaus motiviert, er merkte nicht, wie er durch seine scheinbar kleinen Schwächen den ganzen Arbeitsbereich ruinierte.

Bin ich ein stolzer Hirte, eine stolze Hirtin? Will ich selbst gewinnen, benutze ich die mir Anvertrauten als Trittleiter zum Ruhm? Agiere ich wie ein Showmaster, dessen Kandidaten nur als seine Dekoration dienen? Oder lasse ich Jesus den Ruhm, wenn mein Leiten und mein Fürsorgen die Anvertrauten nach vorne gebracht haben?

Ist meine innerste Ratgeberin Angst? Habe ich Angst vor den Anvertrauten, Angst, sie zu verlieren, Angst, dass sie mich nicht mehr lieben, Angst vor dem Risiko, neue Weiden zu erobern? Regiert mich Angst statt Jesus, werde ich niemand anleiten können, sondern den Schwierigkeiten ausweichen, Konsequenzen scheuen und mit meiner Herde stagnieren.

David war in bedrängter Situation. Die ihm Anvertrauten waren drauf und dran, ihn zu steinigen. So stellen wir uns Hirtendienst eher nicht vor. Haben wir doch idyllische Wiesen und weiße Schafe, dazu einen kernigen Schäfer mit langem Stock vor Augen. Doch David zeigt uns, selbst in bedrängter Situation gibt es nur einen Weg, die innere Kraft zum Hirte-Sein zu bekommen, den Guten Hirten aufzusuchen.

Heute spricht uns der Gute Hirte an als die, die einander Hirten sind. Die einander nähren, füreinander sorgen, einander Orientierung geben und einander nachgehen.

Wir können das nur in enger Anbindung an Jesus Christus. Er will mit uns im Gespräch sein über unsere Hingabe aus Herzensgrund, freiwillig und mit ihm als Vorbild.

Unser Dienst aneinander läuft nicht ins Leere. Jesus stellt uns eine Krone in Aussicht, mit der wir in seiner Herrlichkeit gekrönt werden. Zu ihm gehören wir in den Niederungen des Alltags auf rauen Weiden und in der Herrlichkeit des erhöhten Christus.

Cornelia Trick


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