Ein Lied auf die Freiheit (Apostelgeschichte 16,25-34)
Gottesdienst am 24.4.2016 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
mit der Jungschar haben wir ein Lied eingeübt: „Sei mutig und stark und fürchte dich nicht, denn der Herr, dein Gott, ist bei dir.“ Dieses Lied hat eine einfache Melodie und lässt sich sehr gut mit Bewegungen unterlegen, auch richtig mit Aktion „wenn der Donner kracht!“ Wir bringen den Kindern nicht nur deshalb dieses Lied bei, sondern wollen es ihnen auch als Notfallmedizin für schwere Tage mitgeben. Eine junge Frau, die längst aus der Jungschar herausgewachsen ist, erzählte, wie sie dieses Lied immer vor Prüfungen singt. In dreifacher Hinsicht gibt ein solches Lied Mut. 

  1. Es erinnert daran, dass Gott stark ist und mein Leben will.
  2. Weil er stark ist und mir zugesagt hat, bei mir zu sein, bin ich auch stark.
  3. Wenn ich davon singe, muss mein Verstand es noch nicht begreifen. Ich singe die Wahrheit Gottes in mein Herz. Singen ist wie eine Gartenschaufel, die den Samen der Liebe Gottes in mein Herz sät. Das Lied nimmt die Hilfe vorweg und verändert meine Perspektive weg von mir hin zu Gottes Möglichkeiten.
Der Sonntag Kantate („Singt!“) ermutigt uns im Kirchenjahr zu singen. Wir sollen uns dadurch eine neue Perspektive ins Herz säen lassen. Wir sollen die Hilfe erahnen, auch wenn noch alles dunkel ist. Die Osterbotschaft, dass Jesus auferstanden ist, verändert die Gegenwart, Hoffnung wächst.

Auch in der Bibel wird gesungen, sogar um Mitternacht,  wenn tiefe Dunkelheit auch im übertragenen Sinne herrscht.

Paulus ist von Gott nach Europa gerufen worden, ein neuer Abschnitt seiner Missionstätigkeit begann. Sein erster Anlaufpunkt war die Stadt Philippi in Griechenland. Als dort eine Frau zum Glauben kam, regte sich starker Widerstand gegen Paulus. Da die Frau als Wahrsagerin gearbeitet hatte und das verdiente Geld in die Taschen ihrer Arbeitgeber floss, waren sie empört, als auf einmal diese Einnahmequelle versiegte. Kein Wunder landete Paulus zusammen mit seinem Begleiter im Gefängnis. Da saßen die beiden Missionare nun. Sie waren aufgebrochen, um Jesus in Europa bekannt zu machen, und schon an der ersten Station waren sie gescheitert. Warum hatte Gott sie nach Europa mit Endstation Gefängnis gerufen?

Für uns scheint diese Situation weit weg zu sein. Wir sind keine Missionare, wir hören selten so einen klaren Ruf, etwas Bestimmtes zu tun, wir sind nicht im Gefängnis. Doch Gefängnis-Situationen können ganz unterschiedlich sein. 

Da ist der Käfig des Berufslebens. Scheinbar war es die richtige Stelle, erst nach und nach fühlt man sich wie gefesselt. 

Da ist der Käfig der Beziehung. Man hatte so gehofft, endlich den Richtigen oder die Richtige gefunden zu haben. Wie eine Frau erzählte, die meinte, den Mann fürs Leben gefunden zu haben, aber nun wurde sie von ihrem Freund immer wieder eingesperrt, damit sie ihm nicht weglaufen konnte. Eingesperrt fühlen sich manche in ihren Partnerschaften, hier physisch, oft auch psychisch.

Da ist der Käfig des eigenen Ichs. Die Angst vor dem nächsten Schritt schnürt die Seele zu und lässt den Lebensradius immer kleiner werden. Mancher wagt sich nicht mehr, an unbekannte Orte zu verreisen, manche meidet fremde Menschen. 

Apostelgeschichte 16,25

Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und priesen Gott in Lobgesängen. Die anderen Gefangenen hörten zu.

Singen
… ist Freiheit
Die beiden Gefangenen singen und nehmen damit die Freiheit schon vorweg. Die Melodie schließt Herz und Verstand auf für die Wahrheit: Gott ist da und hilft. Trotz der Ketten erheben sich die Gefangenen über Mauern und dringen durch Gitterstäbe, sie sind frei, obwohl sie sich keinen Meter weg bewegen können. Gott reißt sie heraus aus dem Offensichtlichen und schenkt ihnen den Blick von oben auf ihre Situation. Da sind die Gefängnismauern nur noch ein Strich auf dem Boden.

… ist Gemeinschaft
Paulus und Silas werden zu einem Chor. Gegenseitig stärken sie sich und füreinander singen sie gegen die Wirklichkeit an. Auch der Zweifler oder die Zweiflerin kann sich im Chor mitziehen lassen, wie auch eine unsichere Stimme von den sicheren Stimmen drum herum gefestigt wird. Jemand, der schon lange im Chor singt, erzählte mir mal, wie er bestimmte Sänger neben sich brauchte. An die würde er sich anlehnen, allein hätte er keine Chance, die Stimme zu halten. So auch im übertragenen Sinne. Wir brauchen in dunklen Lebensabschnitten Begleitende, an die wir uns anlehnen können und deren Stimmen auch unser dünnes, zweifelndes Stimmchen tragen können.

…ist Werbung für Gott
Die anderen Mitinsassen hörten diesen kleinen Chor. Die Melodie öffnete auch ihre Herzen und berührte sie. Unser Kirchengründer John Wesley, voller Zweifel, ob Gott mit ihm einverstanden war und ihn so liebte, wie er war, befand sich 1735 auf der Überfahrt von England nach Amerika und kam in einen schweren Seesturm. Er hatte große Angst zu sterben, denn er fürchtete sich vor Gottes Gericht. Auf dem Schiff waren auch einige Christen, die zur Herrnhuter Brüdergemeinde gehörten. John Wesley beobachtete, wie sie mit großer Freude angesichts des drohenden Untergangs sangen. Offenbar quälte sie keine Todesangst. Das Erlebte ließ ihn nicht los, bis er drei Jahre später selbst zu diesem Glauben fand, der auch in größter Not noch singen kann. Wir können von damals lernen, wie sehr das Singen für den Glauben an Gott und Jesus Christus werben kann. Es berührt ganz andere Schichten der Seele als ein trockener Vortrag über die Vorzüge des christlichen Glaubens. Singen ist eben wie eine Gartenschaufel, die den Boden für Gottes Gegenwart lockert. Wichtig scheint, dass das Singen verstehbar für die Hörenden ist. John Wesley verstand, was die Herrnhuter sangen. Wir sollten das singen, was unsere Mitmenschen verstehen und so singen, dass es auch ihre Seele auflockert und öffnet.

So können wir in dieser Szene im Gefängnis drei Dimensionen des Singens um Mitternacht entdecken. Es verbindet mit Jesus Christus, der uns in die Freiheit zieht. Es verbindet uns als Christen. Es verbindet uns mit unseren Mitmenschen und reißt sie mit.

Apostelgeschichte 16,26-34

Da gab es plötzlich ein gewaltiges Erdbeben. Die Mauern des Gefängnisses schwankten, alle Türen sprangen auf und die Ketten fielen von den Gefangenen ab. Der Gefängniswärter fuhr aus dem Schlaf. Als er die Türen offen stehen sah, zog er sein Schwert und wollte sich töten; denn er dachte, die Gefangenen seien geflohen. Aber Paulus rief, so laut er konnte: »Tu dir nichts an! Wir sind alle noch hier.« Der Wärter rief nach Licht, stürzte in die Zelle und warf sich zitternd vor Paulus und Silas nieder. Dann führte er sie hinaus und fragte: »Ihr Herren, Götter oder Boten der Götter! Was muss ich tun, um gerettet zu werden?« Sie antworteten: »Jesus ist der Herr! Erkenne ihn als Herrn an und setze dein Vertrauen auf ihn, dann wirst du gerettet und die Deinen mit dir!« Und sie verkündeten ihm und allen in seinem Haus die Botschaft Gottes. Der Gefängniswärter nahm Paulus und Silas noch in derselben Nachtstunde mit sich und wusch ihre Wunden. Dann ließ er sich mit seiner ganzen Hausgemeinschaft, seiner Familie und seinen Dienstleuten, taufen. Anschließend führte er die beiden hinauf ins Haus und lud sie zu Tisch. Er und alle die Seinen waren überglücklich, dass sie zum Glauben an Gott gefunden hatten.

Ein Erdbeben geschieht, und keiner flieht. Hatte das Singen um Mitternacht die Gefangenen so mitgerissen, dass sie sitzen blieben und wie Paulus und Silas auf Gottes weitere Zeichen warteten? Wir wissen es nicht. Im Mittelpunkt dieser Erzählung steht nicht die Rettung der Gefangenen, sondern die Rettung des Gefängnisaufsehers, der doch eigentlich ein freier Mann war. Als er merkt, dass die Tore offen sind, will er sich umbringen. Er kann sich sicher ausmalen, was seine Arbeitgeber, die Römer, mit ihm machen werden, wenn sie mitbekommen, dass seine Gefangenen alle geflohen sind. So grausam, wie man Paulus, Silas und den anderen zusetzte, würde man es auch mit ihm tun. Da war ein schneller Tod die bessere Alternative. Doch Paulus bricht den Käfig der Angst auf: „Wir sind alle hier“, ein Wunder. Dieses Wunder berührt den Mann, es ist wie ein Lied, das die Gefangenen für ihn singen. Es öffnet sein Herz und lässt die Liebe Gottes hinein. Der Mann sieht die offene Lücke, die Paulus ihm gezeigt hat, und er ergreift die Möglichkeit: „Was soll ich tun?“ Paulus hilft ihm: „Greif nach der rettenden Hand, die dich durch die Lücke reißt.“ Mit seiner ganzen Familie und seinen Hausangestellten lässt sich dieser Gefängniswärter taufen, und mit ihnen singt er nun selbst ein Lied auf die Freiheit – nicht die Freiheit von Ketten, aber die Freiheit von Schuld und Angst vor Menschen. Die, denen er vorher die Wunden beigebracht hat, versorgt er, und beim Essen erlebt diese merkwürdige Gesellschaft mitten in der Nacht Jesu Gegenwart wie einst die Emmausjünger nach Ostern. Der Aufseher wird zum Mitternachtssänger für andere.

Wer sind wir? 
Vielleicht der Gefängnisaufseher. Wir haben unser eigenes Terrain im Griff, sind Chef unseres Lebens, merken aber nicht, dass wir eigentlich im Käfig der Angst sitzen und selbst Gefangene sind.

Vielleicht ein Mitternachtssänger. Immer wieder singen wir das Lied gegen den Augenschein. Wir begleiten Menschen in schweren Situationen oder stecken selbst mitten in so einer Episode. Und trotzdem singen wir von Freiheit und davon, dass Jesus bei uns ist, uns den Blick in die Zukunft richtet und retten kann.

Vielleicht eine verstummte Mitternachtssängerin. Wir trauen der eigenen Stimme nicht. Ist es nicht doch Illusion, dass Gott hilft? Wo war er, als dies und das passierte? Da brauchen wir vielleicht eine zum Anlehnen, die für uns und mit uns singt. Eine, die uns beisteht und uns versichert, dass auch unsere schrägen Töne und der Kloß im Hals wie eine Gartenschaufel sind, die Gott ins Herz bringen.

Vielleicht leben wir im „Haus“ des Aufsehers. Wir sind mehr Zuschauer von Dramen, begeben uns gar nicht so weit hinein. Und doch werden wir mitgerissen. Wir lernen die Melodien derer, die in Gefängnissen Gott gefunden haben, wie eine Notfallmedizin für schwere Zeiten. Und manchmal kann es wie bei John Wesley drei Jahre dauern, bis die Notfallmedizin wirkt.

HERR, für immer will ich singen
von den Beweisen deiner Güte.
Mein Lied soll deine Treue verkünden
für alle kommenden Generationen.
»Deine Güte hört niemals auf«, sage ich,
»deine Treue steht fest wie der Himmel.«
Psalm 89,2-3

Cornelia Trick


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