Du kennst mich ja!
Gottesdienst am 19.10.2003

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Martin kommt abends von einem langen Bewerbungsgespräch zurück. Er ist ausgepumpt und müde. Du kennst mich ja!Seine Frau Anne erwartet ihn gespannt: "Wie ist es gelaufen? Erzähle! Werden Sie dich nehmen? Passt die Arbeitsstelle für dich?" Martin setzt sich auf den nächsten Stuhl, lässt seine Aktentasche fallen und atmet hörbar aus. Erst nach einer Pause sagt er nur einen kurzen Satz: "Ach, Schatz, du kennst mich ja!"

Jetzt ist unsere Phantasie gefragt. Die beiden kennen sich, Anne wird genau wissen, was sich hinter diesem Satz verbirgt. Wir können nur spekulieren, von uns auf Martin schließen. War das eine resignierte Äußerung dazu, dass es sicher wieder nicht geklappt hat? War es ein Votum, auf sein Gefühl nicht allzu viel zu geben, weil er schon oft daneben lag mit seinen Einschätzungen von Bewerbungsgesprächen? War es einfach ein Stopp-Schild, um Anne erst mal zu bitten, ihn einen Moment zur Ruhe kommen zu lassen? - Anne hat mit Martins Äußerung kein Problem. Anne versteht ihren Mann, obwohl er nichts zum Bewerbungsgespräch gesagt hat. Sie liebt ihn, also darf sie ihn auch kennen, in seiner Schwachheit, Verletzlichkeit, Müdigkeit. Er braucht ihr nichts vorzuspielen.

Wie viele Leute sind es eigentlich, die uns wirklich kennen? Wen lassen wir so tief in uns hinein blicken, dass er oder sie uns kennt? Wenn wir diese Menschen vor Augen haben, werden wir feststellen, dass es die sind, die uns lieb haben. Unsere Eltern, Geschwister und Kinder, unsere Ehepartner und Ehepartnerinnen, unsere besten Freunde. Denen geben wir die Chance, uns wirklich zu kennen, mit unseren Stärken, aber eben auch mit unseren Schwächen. Sie werden nicht neidisch auf unsere Stärken oder fühlen sich von ihnen bedroht. Sie reiten nicht herum auf unseren Schwächen und drehen uns noch einen Strick daraus. Sie leiden mit uns, wenn wir das Auto in den Graben gefahren haben, und kennen keine Schadenfreude. 

König David, eine der eindrücklichsten Gestalten der biblischen Überlieferung, wird uns sehr ausführlich in vielen Geschichten der Bibel geschildert (Straßenbau ins neue Jahr, 1.Samuel 16,1-13; David und Goliat, 1.Samuel 17; In aller Freundschaft: David und Jonatan, 1.Samuel 19-2.Samuel 9 in Auszügen; Da kann ich nicht Nein sagen, 1.Samuel 24,1-8a; Wie ein roter Faden, 2.Samuel 7,11b-18; Sex, Macht und Mord, 2.Samuel 11+12; Mitten ins Herz - David und Absalom, 2.Samuel 13-19; Wer eicht Ihr Leben, 2.Samuel 24,1-4). Als werdender und regierender König zeigte er seine Licht- und Schattenseiten deutlich. Er war ein großartiger mutiger Politiker mit eigener Eingreiftruppe, ein begnadeter Manager und guter Leiter. Große politische Leistungen gingen auf sein Konto wie die Befriedung der ganzen Region um Israel. Aber neben diesen herausragenden Fähigkeiten hören wir davon, dass er verfolgt, angegriffen wurde, mehrmals auf der Flucht war bis ins hohe Alter, mit seiner Kindererziehung letztlich gescheitert ist, weil er nicht nein sagen konnte und in Frauengeschichten verwickelt war. In einer solchen Situation, in der Schatten auf das Leben von David fiel, kann ich mir vorstellen, dass David ein ruhiges Plätzchen aufsuchte und Gott aus tiefstem Herzen anrief. Ein solcher Psalm von David ist uns überliefert:

Psalm 139,1-24

Ein Psalm Davids, vorzusingen. 
HERR, du erforschest mich und kennest mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. 
Nähme ich Flügel der Morgenröte und  bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.

Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.
Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.
Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und  alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.
Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß!
Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.

Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten! Dass doch die Blutgierigen von mir wichen!
Denn sie reden von dir lästerlich, und deine Feinde erheben sich mit frechem Mut.
Sollte ich nicht hassen, HERR, die dich hassen, und verabscheuen, die sich gegen dich erheben?
Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.

"Du kennst mich ja", mit diesem Stoßseufzer begann David sein langes Gebet. Offenbar hatte David eine tiefe Liebesbeziehung zu Gott, denn er traute ihm zu, ihn zu kennen. Gott ließ er an sich heran, um ihm sein Herz auszuschütten. Drei Seiten dieses Kennens thematisierte er:

  • Positiv: Gott begleitet das ganze Leben.
  • Negativ: vor einem solchen Kennen kann man sich nirgends verstecken.
  • Danke! Wer mich so kennt, der hat mich geschaffen, ich bin kein Kind des Zufalls, sondern gewollt und deshalb geliebt.
Gott begleitet mein ganzes Leben
Diese Sätze allein bleiben doch sehr theoretisch. Wenn ich sie mir auch auf einen Zettel schreiben und ins Portemonnaie stecken würde, könnten sie in meinem Alltag doch nur wenig ausrichten. Gott begleitet mein ganzes Leben, gut und schön, eine Lehrmeinung, aber konkret hier und jetzt?

Ich schaue auf die hinter mir liegende Woche. Verschiedene Szenen treten mir vor Augen. Ein Anruf meines alten Vaters, dass meine Mutter gestürzt ist. Mein Kind, dass in einer schwierigen Frage von mir Hilfestellung erwartete, berufliche Termine, die sich nicht verschieben ließen, obwohl ich eigentlich bei meinen Eltern sein wollte, ein Gespräch, das ungeplant meine ganze Zeiteinteilung über den Haufen geworfen hat. Ja, es war eine hektische und anstrengende Woche, eine Woche, in der ich eigentlich gar nicht viel darüber nachdenken konnte, wie die nächsten Schritte zu gehen sind, ich hatte keine Alternative. Ich musste funktionieren.

Und dann hole ich doch den Lehrsatz "Gott begleitet mein ganzes Leben" aus dem Portemonnaie und die Woche bekommt eine ganz andere Farbe. Da haben sich liebe Menschen um meine Eltern gekümmert, meine Hilfe war gar nicht sofort nötig. Das Anliegen meines Kindes wurde zu einer Chance, einen neuen Weg zu beschreiten, das Gespräch war so wichtig, dass es mir Kraft gab, einige Sachen viel schneller als erwartet zu erledigen oder sie einfach ausfallen zu lassen.

Ich kann erkennen, dass der Herr mich wirklich kennt und weiß, was ich heute und hier brauche. Er war mir die ganze Zeit zur Seite und diese Geborgenheit habe ich erlebt und will sie in meinem Gedächtnis behalten.

Ich kann mich vor Gott nicht verbergen

David hatte das in vielen Situationen gelernt. Immer wenn er aus Gottes Schule gelaufen ist und seine eigenen Dinger drehen wollte, kam Gott ihm ganz schnell auf die Schliche. Anders als Bundestagsabgeordnete genoss er bei Gott durch seinen Titel keine Immunität, die ihn vor Strafverfolgung schützte. Wir lesen allerdings auch, dass David Gottes Einspruch akzeptierte und nicht davor zurück schreckte. David wusste ja, Gott liebte ihn, und kannte ihn wirklich. Wer, wenn nicht der Herr, konnte alles wieder in Ordnung bringen.

Hier ist wohl ein für uns entscheidender Punkt. Gott als positives Lebensprinzip, das wie ein Schutzengel fungiert, damit sind viele Menschen gerade noch einverstanden. So höre ich es in Bemerkungen über Gott ("da hat Gott uns beschützt") oder lese ich es in manchen Romanen ("da soll sich der alte Herr mal drum kümmern..."). Aber Gott, der wirklich alle Wege mitgeht, auch die verborgenen in der Grau- und Dunkelzone? Die wir uns eigentlich noch nicht mal selbst eingestehen wollen? Da hat er doch eigentlich nichts zu suchen. Das ist nicht die von uns gewünschte Aufgabe Gottes, dass er uns ins Gewissen redet und zur Umkehr bewegt. Da wollen wir vielmehr Trost, weil es auf den grauen Wegen so glitschig ist und uns die Vergangenheit immer wieder verfolgt.

Ich glaube, dass alles daran hängt, ob wir Gott als einen uns Liebenden kennen gelernt haben und Jesus Christus uns diese Liebe geschenkt hat. Jesus ist mit uns unterwegs als der menschgewordene Gott, der jeden Weg schon längst gegangen ist, der alles auf sich genommen hat, um uns zurück zu gewinnen, der uns anbietet, mit ihm Gott zu vertrauen und ihn so nah an uns heran zu lassen, dass sich wirklich etwas ändern kann.

"Du kennst mich ja", das können wir nur sagen, wenn wir wissen, Gott dreht uns keinen Strick daraus, er will uns nicht in den Abgrund stürzen, aber er will uns auch nicht auf glitschigen Pfaden bestärken und die Schlagsahne unseres selbstgewählten Kuchens sein. Er will uns auf seiner Seite haben, er will uns zum Leben führen. Dafür müssen wir eben auch mal umkehren und neu beginnen. 

Danke!

David ist in seinem Nachdenken zu dem Schluss gekommen, dass er Gott danken muss, weil er ihn so mit seiner Liebe umgibt, dass er bei ihm zu allen Zeiten sicher ist. Und weil er sich mit Gott verbunden weiß, steht er auf Gottes Seite und nicht auf der Seite der Feinde. David meint, mit Gott zu sprechen, wenn er den Feinden den Untergang wünscht. Aus der Perspektive Jesu Christi liest sich dieser Abschnitt anders. Jesus betete am Kreuz für seine Feinde, dass sie umkehren mögen von ihren bösen Wegen und dass Gott sich über sie erbarme. Wir wollen an dieser Stelle Jesu Gebet einsetzen und die Feinde nicht bekämpfen, sondern sie der Liebe und Barmherzigkeit Gottes anbefehlen, der sie nicht vernichten, sondern retten will. 

Betrachten wir noch die letzten beiden Verse:

Psalm 139,23-24
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Die Liebe Gottes, die umgibt, zur Umkehr führt und uns niemals loslässt, führt zu der Bitte Davids, etwas in seinem Leben zu bewirken. Für mich ist das eine ganz wichtige Bitte. Von Gott kann und soll ich etwas erwarten. Er ist nicht nur das Prinzip Geborgenheit, die Kuschelecke, in die ich mich bei Bedarf zurückziehen kann. Er fordert mich heraus zu wachsen, mich zu verändern, so zu werden, wie es ihm Freude macht. Deutlich wird hier, was sich verändern muss, das Herz und das Leben.

Das Herz

Dazu eine kleine Geschichte, die sich wohl schon vor einiger Zeit ereignete. Ein Mann kam mit 2 Zeigern zum Uhrmacher. Er beschwerte sich, dass die Uhr einfach nicht genau gehen würde, der Uhrmacher doch bitte die Zeiger reparieren solle. Der Uhrmacher bat den Mann, ihm doch auch die Uhr zu geben, da er mit den Zeigern allein nichts anfangen könne. Der Mann meinte, die habe er zu Hause gelassen. Die würde ja gehen, nur die Zeiger wären ungenau. Der Uhrmacher versuchte dem Mann zu erklären, dass die Zeiger nur das machten, was das Uhrwerk vorgab, aber der Mann wollte ihm nicht glauben. Schimpfend verließ er den Laden und rief laut empört aus: "Dem Uhrmacher geht es ja nur ums Geld, jetzt will er auch noch das Uhrwerk reparieren, das doch gar nicht kaputt ist! Er will nur eine große Rechnung schreiben!"

Es geht bei der Frage, was Gott aus unserem Leben machen will, zuerst ums Herz. Die Zeiger können nur machen, was das Uhrwerk vorgibt. Ist das Uhrwerk tot, werden sie sich keinen Schritt bewegen. Ist unsere Beziehung zu Gott tot, werden wir vergeblich an unseren guten Werken herum basteln, sie werden uns Gott nicht näher bringen.

Und wie kann das geschehen, uns ins Herz schauen zu lassen? Sicher so einfach und elementar, wie David es uns zeigt, mit Gott zu reden, Jesus zu bitten, dass er Gottes Liebe ins Herz bringt. Dafür hilft es, die Bibel aufzuschlagen und sie zu lesen, andere Christen aufzusuchen und sie um Hilfe zu bitten. Eigentlich genügt schon der erste Satz dieses Abschnitts: "Du kennst mich ja! Hilf mir, mein Leben nach deinem Sinne zu leben." Und er wird helfen.

Das Leben

Hat der Uhrmacher das Laufwerk der Uhr repariert, werden die Zeiger schon nötig. Sie sind die Ausführungsorgane, an ihnen ist zu sehen, wie es um das Uhrwerk steht. Anders als bei einer Uhr führen unsere Zeiger oft ein Eigenleben. Es geht nicht automatisch, dass Christen im Sinne Gottes handeln. Sie brauchen dazu Gehorsam, das Einverständnis, Gottes Willen zu kennen und dann auch zu tun.

Eine sehr ernste Frage ergibt sich daraus. Was muss sich in meinem persönlichen Leben nach Gottes Willen ändern? Welche Wege sind losgelöst von Gott und gehen auf meine Rechnung und welche Wege möchte ich vom Herrn bestimmen lassen? Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich auswähle. Diesen Weg bestimme ich und diesen Weg lasse ich Gott bestimmen. Ich merke, dass das so nicht geht, entweder ganz oder gar nicht. Gottes Wege sind keine Option neben anderen, Jesus ist der Weg, entweder ganz oder gar nicht.

Oder ich will intensiv wissen, was Gott mit mir an einem bestimmten Punkt vorhat. Ich frage nach seinem Willen, ich bete um Antwort. Nichts bewegt sich. Und dann treffe ich beim Bibelstudium auf eine Aussage, die genau in meine Frage hinein trifft und ich merke, dass ich die Antwort hätte schon längst wissen müssen. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass Gott sie mir schon gezeigt hatte. Ich erwartete außergewöhnliche Erleuchtung, einen ganz neuen, nie da gewesenen Weg, auf dem noch mit großen Buchstaben mein Name stand. Und in der Bibel hieß es dann ganz einfach "gleichwie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch!" Und ich merkte, es ist nicht der außergewöhnliche Weg, sondern der Weg des Gehorsams, jeden Tag neu anderen das Evangelium weiter zu geben und darin Jesus zu folgen. 

Ich lerne daraus, die Aussagen der Bibel ernster zu nehmen, wirklich nach ihnen zu leben und nicht nach dem Außergewöhnlichen, Designermäßigen zu schielen, das nur für mich passt. Meine Zeiger sollen nicht meine Individualität zum Ausdruck bringen, sondern unserem Herrn die Ehre geben, der das Herz zum Schlagen bringt und den Rhythmus vorgibt.

Ich wünsche Ihnen und mir, dass uns das immer besser gelingt und wir mit David voller Überzeugung danke sagen können, dass unser Herr uns umgibt - von allen Seiten und allezeit.

Cornelia Trick


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