Der Blick zum Horizont (Lukas 21,25-28)
Gottesdienst am 8.12.2019 in Brombach

Liebe Gemeinde,
seit Juni dieses Jahres ist auf meinem Weg zur Kirche eine Ortsdurchfahrt gesperrt. Auf dem Schild steht: 3.06.2019 bis Dez. 2021. Es gibt zwar Wege um die Baustelle und den Ort herum, aber keiner kommt an die Ideallinie heran. Als ich das Schild zum ersten Mal sah, war ich echt perplex: zweieinhalb Jahre Baustelle für einen Kilometer, wer kann denn so lange denken! Spontan kam mir der Gedanke, ob ich Dezember 2021 wohl noch erlebe. Ich könnte bis dahin längst gestorben sein. Und ich erinnerte mich an Aussagen Jesu, dass er wiederkommen wird, wenn diese Welt an ihr Ende kommt – vielleicht schon vor Dezember 2021. Seitdem fahre ich mit diesen Gedanken sehr viel gelassener meine Umwege. Ich zähle nur selten die Monate, die schon rum sind, ich versuche es einfach hinzunehmen und das Beste daraus zu machen. Jesus kommt, ob noch vor Dezember 2021 oder danach, auf jeden Fall ist er unterwegs mir entgegen.

Diese Ohnmachtsgefühle, wenn Wege nicht mehr wie gewohnt weitergegangen werden können, wenn Hindernisse blockieren oder sich Sackgassen auftun, sind ja nicht nur auf den Verkehr beschränkt. Wir erleben so etwas ja auch im ganz normalen Alltag immer wieder. 

Um Hilfe zu bekommen, können wir uns von Jesus mitnehmen lassen. Er ist in Jerusalem angekommen, vor ihm steht der prachtvolle Tempel, einmalig in damaliger Zeit mit dicken, stabilen Mauern aus Stein. Jesus schaut auf den Tempel und sagt voraus, dass er einstürzen wird verbunden mit Krieg und Elend. Nur 40 Jahre nach seinen Worten ist das eingetroffen, doch zurzeit Jesu hatten ihn die politisch und religiös Führenden für einen Aufrührer gehalten, der die Leute mit Schreckensszenarien zum Aufstand bringen wollte. 

Die Jünger hören Jesu Worte auch. Auch sie wird die Vorstellung von Zerstörung und Krieg ängstigen. Deshalb fragen sie: „Wann wird das geschehen?“ Jesus holt aus und beschreibt die Zukunft weit über das Jahr 70 n. Chr. hinaus. Er hat die Weltzeit im Blick und lässt seine Jünger und uns in Gottes Karten schauen:

Lukas 21,25-28
Zeichen werden zu sehen sein an der Sonne, dem Mond und den Sternen. Auf der Erde werden die Heiden zittern und nicht mehr aus noch ein wissen vor dem tosenden Meer und seinen Wellen. Die Menschen vergehen vor Angst, während sie auf das warten, was über die ganze Welt hereinbrechen wird. Denn sogar die Ordnung des Himmels wird erschüttert werden. Dann werden alle es sehen: Der Menschensohn kommt auf den Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit. Aber ihr sollt euch aufrichten und euren Kopf heben, wenn das alles beginnt. Denn eure Rettung kommt bald!

Die Welt am Ende
Jesus zeigt auf die letzte Zeit. Die Natur ist aus dem Gleichgewicht, Himmel und Erde aus dem Rhythmus. Er beschreibt weniger die Naturgewalten, als vielmehr das Ergehen der Menschen. Alle Menschen werden Angst haben. Ihre Sicherheiten sind ins Schwanken geraten, was Gott in seinem Bund mit Noah versprochen hatte, dass Sommer und Winter nicht mehr aufhören werden, ist außer Kraft gesetzt. Die Sonne verbrennt, das Meer überschwemmt. 

Die Jünger kannten damals Missernten und soziales Elend durch Kriege und Vertreibung, aber sie kannten keinen Kosmos, der aus dem Ruder gelaufen ist. 

Wir können uns die Bedrohungen sicher realistischer vorstellen als sie. Klimawandel in allen Spielarten beschert Überschwemmungen, sterbende Wälder bei uns und Verteilungskämpfe und Flüchtlingsströme aus unbewohnbaren Gebieten. Auch die Angst, von der Jesus spricht, ist in unseren Tagen sehr fassbar und sogar als neues Krankheitsbild aufgenommen: „Klima-Depression“, weil man keine persönliche Hoffnung mehr hat und keinen eigenen Ansatzpunkt zur Änderung mehr sieht angesichts des Zustands dieser Welt. 

Jesus zeigt sich hier wieder neu als Seelsorger. Er nimmt seine Jünger an die Hand und hilft ihnen, eine neue Blickrichtung einzunehmen. Er richtet ihren Blick weg von den Problemen zu ihren Füßen nach oben. Von dort wird er kommen und retten, auch wenn menschlich alles verloren erscheint.

Jesus werden alle Menschen sehen, anders als in der Weihnachtsgeschichte, wo ihn nur einige Hirten und Weise zu sehen bekamen. Jesus wird mit Macht und Herrlichkeit kommen, das Zeug haben, die Verhältnisse zu ändern, anders als das Kind in der Krippe, das uns signalisierte: „Gott meint es gut mit dir, du kannst ihm vertrauen, er zwingt dich nicht, sondern wirbt um deine Liebe wie ein Baby, das dich anlächelt.“

Jesus kommt wieder
Im Advent warten wir auf den wiederkommenden Herrn. Er kommt, um uns zu heilen, diese Welt zu retten, unseren Bruch mit Gott wieder zu versöhnen. Er kommt nicht nur zu den Christen, sondern zu allen Menschen. Auf wundersame Weise werden sie erkennen, dass Jesus auch ihr Heiland ist.

Ich frage mich, was ich von Jesus erwarte, wenn er wiederkommt.
Ich erwarte persönliche Befreiung. Wenn Jesus von „Rettung“ spricht, meint er nicht einen Ertrinkenden im Mittelmeer, dem er einen Rettungsring zuwirft und ihn aus dem Wasser fischt, sondern viel weitgehender die Befreiung eines Sklaven oder Kriegsgefangenen, für den er Lösegeld zahlt. Seine Rettung bedeutet völlig neue Lebensumstände. Ein Sklave, eine Gefangene ist wieder frei, kann ihr Leben eigenverantwortlich führen und eigene Entscheidungen treffen. 

Mancher ist von Schuld gefangen. Letzte Woche kamen mehrere Meldungen vom Frankfurter Stadtverkehr, dass Lastwagenfahrer Radfahrer teils mit tödlichem Ausgang umgefahren hatten. Von den Fahrern hieß es meistens, dass sie noch nicht zum Unfallverlauf vernommen werden konnten, weil sie unter Schock standen. Wer kann sich nicht in ihre Situation versetzen. Sie wollten rechts um die Ecke, haben einen winzigen Moment nicht richtig in den Spiegel geschaut und ein Menschenleben beendet. Wie können sie mit dieser Schuld weiterleben? Ich stelle es mir sehr, sehr hart vor. Jesus kommt wieder, auch um diesen LKW-Fahrern zuzusagen: „Dir ist deine Schuld vergeben, du kannst wieder aufrecht laufen, darfst wieder lachen und fröhlich sein.“

Manche wird von ihren Zwängen gefangen gehalten. Sie weiß, sie könnte ihr Leben genießen, aber sie fühlt sich wie eingeklemmt zwischen ihren inneren Ausrufezeichen: Du musst! Du sollst! Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Und die Arbeit ist nie fertig, weshalb es auch niemals Vergnügen in ihrem Leben gibt. Jesus sagt: „Deine zwingenden Ketten reiße ich entzwei. Du kannst aufatmen, du darfst leben und dich freuen am Leben.“

Mancher hat auf seiner Stirn einen Stempel, den ihm jemand in seiner Kindheit aufgedrückt hat. Der Stempel und die Stempelfarbe sind so intensiv, dass sie ihn auf Schritt und Tritt an die Worte seiner Kindheit erinnern: „Du bist nicht genug. Ich liebe dich erst, wenn du Bedingungen erfüllst. Du musst dich mehr anstrengen, um was vom Kuchen zu bekommen.“ Nicht alle Stempel oder Prägungen führen zu innerer Not, aber oft sind sie die Ursache für manche Wegführung, die in die Gefangenschaft führt.

Auch Ängste können versklaven. Sie sind wie Stacheldrahtzäune, die sich um unser Leben ziehen. Je mehr Angst, je enger werden die Zäune. Jesus bricht sie auf, beseitigt sie. Er kommt, um uns aus unseren Stacheldraht-Angst-Gefängnissen zu befreien.

Wir erwarten auch Erneuerung von Leib und Seele. Wer jetzt gerade Schmerzen hat, sehnt sich nach einem Zustand ohne Pein. Er sehnt sich danach, dass sein Körper und seine Seele sich wieder schwerelos anfühlen, er nicht mehr darüber nachdenken muss, ob er sich das antut, jetzt aufzustehen und das schmerzende Knie zu belasten. Er freut sich darauf, wieder voller Glück zu springen und zu tanzen.

Wir erwarten ein Ende von Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Wir malen uns aus, dass nicht mehr der Stärkste sich durchsetzt, sondern die mit den besten Argumenten. Dass auch jemand mit leiser Stimme gehört wird, wir Menschen in Achtung, Respekt, Frieden miteinander leben und als Überschrift über unserer Gemeinschaft steht: „Sie leben, wie Gott es will“.

Wir erwarten, dass es keine Reichen und keine Armen mehr gibt, sondern alle so viel haben, dass sie davon leben und fröhlich teilen können. Wir sehnen uns nach einer Situation, wie sie das Volk Israel in der Wüste erlebte: Manna, das jeden Tag vom Himmel fiel und alle satt machte (2.Mose 16).

Wir erwarten ein Ende von Hass, Hetze und Menschenverachtung, wie wir sie in unserer Gesellschaft leider gerade verstärkt erleben. 

Fassen wir diese Erwartungen zusammen, haben wir eine Beschreibung für das Reich Gottes vor Augen. Jesus holt uns ab in diese neue Welt – mit Macht und Herrlichkeit. Niemand wird ihn daran hindern können, denn er ist stärker als alle widergöttlichen Mächte. Es wird „Herrlichkeit“ sein, was so viel bedeutet, dass es überwältigend gut werden wird.

Diese Generation wird es erleben
Jesus wusste selbst nicht, wann der Zeitpunkt seiner Wiederkunft sein würde. Er ging aber davon aus, dass es bald geschehen würde, noch zu Lebzeiten seiner Jünger. Ich entdecke in seiner Aussage noch eine tiefere Dimension. Jede Generation kann Jesu Worte auf sich beziehen seit 2000 Jahren. Immer gab es notvolle Situationen, aus denen man sich dringend Befreiung wünschte, da die eigenen Handlungsmöglichkeiten am Ende waren. 

Deshalb brauchen wir nicht auf den Tag X zu warten, um den Kopf Jesus entgegen zu heben, sondern können es schon heute und hier tun. Die Erlösung kommt auf uns zu, Jesus sieht uns. Wir sind heute dem Heil einen Schritt näher gekommen als gestern. 

Der Blick nach oben verändert uns. Wir gewinnen Kraft und Zuversicht von Jesus, der uns damit beschenken will. Wir begeben uns automatisch in seine Richtung, denn dorthin, wo man hinschaut, bewegt man sich. Das bedeutet für diese Adventszeit, dass wir die Rettung schon jetzt beginnen lassen:

  • Die offenen Rechnung mit den Mitmenschen begleichen und versöhnt leben,
  • den Lebensstil Jesu Vorbild anpassen und engagiert für die Mitmenschen und die Welt und Umwelt eintreten,
  • das Unsere dazu beitragen, dass andere angstfreier leben können, ihnen mit Freundlichkeit statt Argwohn begegnen.
Erlösung und Rettung unseres Lebens und unserer Welt ist nur durch Hilfe von außen möglich, allein können wir uns nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Wie gut, dass wir in diesen Adventstagen nicht nur das Christkind in der Krippe erwarten, sondern den Heiland der Welt, der uns entgegen kommt und uns retten will.

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“ (Lukas 21,28 Luther-Übersetzung)

Cornelia Trick


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