Christsein in Prozenten

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Christsein in Prozenten, viermal steht es hier an der Wand, so ganz ohne Satzzeichen. Manche haben mich letzte Woche nach der Vorankündigung darauf angesprochen, was Christsein in Prozenten denn bedeute. Ganz unterschiedlich waren die Kommentare. Was willst du denn damit sagen: Christsein in Prozenten - sollte man vielleicht ein Fragezeichen dahinter machen: Christsein in Prozenten? So wäre es eine rhetorische Frage. Wenn ich frage: Christsein in Prozenten?, dann ist die Antwort nein. Christsein in Prozenten geht nicht. Entweder ganz oder gar nicht. Aber vielleicht, haben andere gesagt, könnte das Satzzeichen ja auch ein Ausrufezeichen sein. Christsein in Prozenten! Jawohl! So geht's uns doch, wer ist schon 100% Christ? Irgendwelche Anteile in uns sind doch immer noch nicht so ganz bei Jesus, und deshalb kommen wir ja auch jede Woche in den Gottesdienst, damit wir wachsen im Glauben. Christsein in Prozenten, damit müssen wir uns abfinden. Und wieder jemand anderes sagte: Na ja, Christsein in Prozenten, ich finde, man müßte Punkte dahinter machen. Das stimmt zwar, wir sind Christen in Prozenten, aber es heißt noch lange nicht, daß wir so bleiben müssen. Christsein in Prozenten, das hat Fortsetzung, das geht weiter - heute vielleicht 35% und in fünf Jahren 36% oder 96%. Eigentlich kann man diese drei Aussagen nicht voneinander trennen. Christsein in Prozenten, das werden wir gleich hören, heißt ganz oder gar nicht. Und doch sind wir oft nur Christen in Prozenten, so ist es nun mal. Jesus sagt dazu: Das ist noch nicht alles, es geht weiter, finde dich nie ab mit dem Zustand, in dem du bist, und deshalb hat das ganze auf jeden Fall Fortsetzung. 
Wenn wir zusammenfassen, warum ist Jesus Mensch geworden, warum ist Jesus zu uns gekommen, dann gibt es eigentlich nur eine Aussage: Jesus ist gekommen, um Menschen zu retten. Um uns zu retten, zu retten aus Orientierungslosigkeit, aus einer unglaublichen Einsamkeit, aus Sinnleere. Jesus ist gekommen, um Menschen zu retten, um sie wieder in die Beziehung zu ihrem Ursprung zu bringen, zu ihrem Ursprung in Gott. Das ist die Aussage des Evangeliums, die Grundaussage unseres Glaubens: Jesus ist gekommen, um Menschen zu retten. Es ist sein innigstes Anliegen, daß Menschen den Weg zu Gott finden. Deshalb bietet er sich als Wegbegleiter an. Weil dieser Weg so schwierig ist und weil ein unglaublicher Abgrund zwischen uns und Gott ist, deshalb ist Jesus unser Wegbegleiter geworden. Deshalb bietet er sich an als Brücke zu Gott. Wenn jemand uns begleitet, der uns vorausgeht, der uns den Weg zeigt, dann ist es eigentlich gar nicht so schwierig ihm zu folgen. Daher kommt auch dieses Wort "Nachfolge", mit dem wir unser Christsein bezeichnen. Jesus will nicht unseren unterwürfigen Gehorsam, sondern er möchte, daß wir freiwillig sagen: Ja, zeige mir den Weg, und ich will dir folgen. Dieses Nachfolgen hat immer den Aspekt der Freiheit in sich. Wir werden nicht in Ketten hinter Jesus hergeschleppt. Wir werden nicht eingespannt, so daß es heißt: Lauf vorwärts! Sondern wir werden in Freiheit gefragt: Willst du mir folgen, willst du mitkommen, willst du gerettet werden? Und erst wenn wir ja sagen, dann wird er uns vorausgehen, und wir können folgen.
Das Neue Testament ist voller Begegnungen, die Menschen mit Jesus gemacht haben. Immer wieder wird berichtet, Jesus kommt zu Leuten, und sie verhalten sich in irgendeiner Weise zu ihm. Später in den Briefen wird dann beschrieben, wie es immer noch geschieht, daß Jesus, vermittelt durch die Apostel, vermittelt durch andere Christen, zu den Menschen kommt und sie fragt: Willst du mir folgen? Und sie folgen in die Gemeinde, wo sie mit anderen Christen Jesus erleben. Unterschiedlich sind die Reaktionen auf diese Frage Jesu: Willst du mir folgen? Da gibt es diesen unwiderstehlichen Ruf Jesu, wie ihn Petrus hörte. Jesus beauftragt Petrus Menschenfischer zu sein. Für Petrus ist das scheinbar gar kein Problem, er folgt einfach Jesus. Es wird nicht berichtet, daß er sich noch einen halben Tag überlegt, ob er jetzt wirklich mitgeht oder nicht, oder noch eine Woche seine Angelegenheiten regelt und dann Jesus hinterher reist. Es wird nur gesagt, er läßt alles stehen und liegen und folgt. Unwiderstehlich ist der Ruf Jesu in die Situation des Petrus hinein, der erkennt, ja jetzt gibt es keine Alternative mehr für mich. Jesus begegnete auf seinem Weg nach Jerusalem drei Menschen, die genau in dieser Anfangssituation waren. Zwei kamen zu Jesus und sagten: Ich will dir folgen. Und einen sprach Jesus selber an: Willst du mir folgen? Wir sehen an diesen Begegnungen, was es bedeutet, sich ganz auf Jesus einzulassen.

Lesung Lukas 9,57-62
Unterwegs sagte jemand zu Jesus: "Ich bin bereit, dir zu folgen, ganz gleich, wohin du gehst!" Jesus antwortete ihm: "Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest; aber der Menschensohn hat keinen Platz, wo er sich hinlegen und ausruhen kann."
Zu einem anderen sagte Jesus: "Komm, folge mir!" Er aber antwortete: "Herr, erlaube mir, daß ich erst noch hingehe und meinen Vater begrabe."  Jesus sagte zu ihm: "Überlaß es den Toten, ihre Toten zu begraben! Du aber geh hin und verkünde, daß Gott jetzt seine Herrschaft aufrichten will!" 
Ein anderer sagte: "Herr, ich will ja gerne mit dir gehen, aber laß mich erst noch von meiner Familie Abschied nehmen!"  Jesus sagte zu ihm: "Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, den kann Gott nicht gebrauchen, wenn er jetzt seine Herrschaft aufrichten will."

Wenn jemand uns ein neues Medikament anpreisen will gegen Kopfschmerzen oder Grippe, dann sagt er zuerst, was dieses Medikament Tolles bewirkt. Keine Kopfschmerzen, nie wieder Grippe, keine Halsschmerzen, kein Schnupfen, kein Husten, alles über Nacht vorbei. Natürlich wissen wird, daß das nicht so ist, aber trotzdem hört es sich gut an. Das Medikament wird auch gekauft. Vielleicht nicht gerade von Ihnen, aber von vielen anderen. Denn wenn das nicht so wäre, würde kein Mensch mehr Medikamente anpreisen. Im Fernsehen oder Radio folgt noch ein kurzer Satz: Zu Risiken oder Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker. Ganz schnell wird das gesprochen, so daß wir das eigentlich gar nicht verstehen, es ist scheinbar völlig unwichtig. Jesus geht hier genau umgekehrt vor. Er sagt nicht: Halleluja, kommt zu mir, es ist super bei mir! Nie mehr Probleme, alles geht glatt, ihr werdet glücklich, ihr werdet im Himmel fünf Häuser haben. Nein, er nennt zuerst die Nebenwirkungen, er sagt nicht:: Lesen Sie die Packungsbeilage, lesen Sie ihre Bibel, da steht schon alles drin! Nein, er sagt das sehr, sehr kraß und sehr, sehr deutlich und unheimlich schroff: Sich auf Jesus einzulassen, das bedeutet, daß er bei uns eine 100%-Stelle will! Das ist kein 630-Mark-Job, den man noch in der Freizeit nebenbei erledigen könnte. Nein, die 100%-Stelle sagt, daß der Anspruch Jesu klar ist. Die Verwirklichung dieser Stelle, die liegt bei uns. Ob wir das schaffen, die 100%-Stelle einzuräumen, das ist die zweite Frage, und darum geht es bei den Risiken und Nebenwirkungen.
Wir kommen jetzt zu den drei Männern, denen Jesus begegnet.

Armut und ein offenes Haus

Der erste Mann ist ein enthusiastischer Zeitgenosse. Er hört Jesus und sagt: Jawohl das ist es, das möchte ich, das habe ich mir schon immer gewünscht. Er geht zu Jesus und sagt: Ich möchte dir folgen und zwar ganz und richtig und 100%. Und Jesus sagt: Wirklich? 100%? Vielleicht konnte er ja diesem Mann ins Herz sehen. Aber vielleicht hat er das auch für uns gesagt. Wir kennen doch das Problem: Am Anfang sagen wir, super, 100%, ganz dabei. Und bei der Verwirklichung bleiben wir auf der Strecke. Jesus sagt: Willst du wirklich? 100%? Bedenke, es gibt bei mir keine Rückzugsmöglichkeit in einem Bau oder einem gemütlichen Nest. Es gibt keine Geborgenheit vor der bösen Welt, wo du dich einigelst und sagst: Die da draußen sind ganz schlimm, aber ich bin hier drin ja im Sicheren. Du wirst von der Hand in den Mund leben müssen, denn wir beten im Vaterunser: Unser täglich Brot gibt uns heute. Das heißt eben nicht, beim Eismann schon für die nächsten vier Wochen einkaufen, sondern das heißt wirklich die Hand im Mund, heute. Was morgen ist, wissen wir noch nicht. Auch da müssen wir Jesus vertrauen. 
Jesus schockiert. Er erregt Anstoß. Niemand, der das damals hörte, wird gesagt haben: Das habe ich erwartet und das finde ich toll! Nein, er schmeichelt sich nicht ein, auch heute nicht. Er hätte sagen können: Wenn du mir folgst, dann bekommst du drei Häuser und es ist ganz egal, ob du dann drei oder zehn Häuser hast, Hauptsache du bindest dich nicht zu fest an sie, das ist das Entscheidende. Nein, er schmeichelt sich nicht ein. Er redet nicht von Wohlstand. Er redet davon, daß Jünger Jesu, Nachfolger und Nachfolgerinnen einmal sehr arm sein können, wenn sie sich auf Jesus einlassen. Jesus möchte mich nicht streicheln und sagen, ist schon alles okay, wie du das machst. Hier geht es darum, auch heute diesen Stachel zu spüren. Bei diesen anstößigen Sätzen kann ich nicht weghören, wenn ich hier in Neuenhain glücklich und zufrieden wohne. Jesus fordert seine 100%-Stelle. Ich höre es so: Setze deine Sicherheit nicht auf deine materiellen Besitztümer, folge mir nur. Segen und Erfahrungen mit Gott wirst du erst machen, wenn du losläßt, wenn du dich selbst losläßt, wenn du das losläßt, was dir alles so wichtig ist, dein Haus und dein Garten, und das Bankkonto und was da noch so alles ist. Erst im Vertrauen auf Jesus und nicht am sicheren Kamin zu Hause wirst du diese Freiheit, diese Geborgenheit in Jesus erfahren können. Sei wachsam, wo Aufbruch und Neues angesagt ist, und tue es dann auch. 
Wie geschieht dieser Aufbruch in Neuenhain und im Main-Taunus-Kreis? Wenn wir morgen alle unsere Wohnungen in die Zeitung setzen und fortan mit einem Zelt umherziehen, klingt das ziemlich utopisch. Ich weiß auch nicht, ob wir damit im Moment den Wille Gottes erfüllen. Aber ich möchte dieses Bild von dem Fuchs, der seinen Bau hat, doch noch ein bißchen ausspinnen. Wir haben eine Kinderkassette "Die Drei vom Ast". Es geht in einer Geschichte um einen Fuchs, der seinen Bau hat. Ein Dachs bittet ihn: Ich möchte diesen Bau mit dir teilen. Der Fuchs sagt: "Na ja gut". Sie kommen bald in große Schwierigkeiten. Der Dachs beschwert sich, daß der Fuchs nicht so reinlich ist und stinkt. Der Fuchs regt sich auf, daß der Dachs ganz anders lebt wie er und einen anderen Tagesrhythmus hat. Am Ende ziehen sie eine Wand in den Fuchsbau ein. Beide sind nun keineswegs glücklicher, denn sie sind einsam - eingeschlossen in ihrem Bau - sie kommen nicht mehr zueinander, und das ist das Ende der Geschichte. Der Fuchs hat seinen Bau. Aber ist dieser Bau nicht vielleicht auch ein Gefängnis? Ist unser Haus vielleicht auch oft so ein Gefängnis? Es ist so sicher in diesem Haus, niemand kommt mehr herein. Wir müssen nichts teilen, alles gehört uns. Aber wir erleben auch nicht die Freude des Schenkens und des Mitteilens. Das Haus bindet so viel unserer Kraft. Schon allein das Saubermachen - jede Woche wieder - oder die Schuldentilgung oder die Miete. All das bindet uns mehr, als wir wahrscheinlich wahrhaben wollen. Vielleicht verwechseln wir auch die Geborgenheit im Materiellen mit der Geborgenheit in Gott. Als ob das Haus schon der Schutz ist, den Gott uns geben möchte. Jesus will bei uns eine 100% Stelle. Was heißt das nun? Für mich heißt das ganz persönlich, und ich sage das zuallererst mir: Raus aus meinem Gefängnis - eine offene Tür und einen großen Tisch der Begegnung, das wünsche ich mir! Denn ich kann jetzt nicht raus aus meinem Haus und auf dem Feld wohnen, das wäre wahrscheinlich auch nicht das, was jetzt von mir erwartet wird. Aber was ich Jesus geben kann, ist mein Haus als ein Ort der Begegnung, wo Menschen sich treffen, wo sein Wort zur Entfaltung kommt, wo er mit anderen zusammen in Kontakt kommen kann. Und das zweite, dieses Haus ist ein Ort des Teilens und Abgebens. Ich denke daran, wie oft Jesus in Häusern eingekehrt ist. Es wird uns berichtet, wie er bei Maria und Martha war, bei Zachäus, bei dem Zöllner Levi und wie sie da Freundschaft erlebten und Gemeinschaft am Tisch. Was für eine Chance für uns, die wir Häuser haben. Teilen und Abgeben von dem, was wir haben, Gemeinschaft haben, feiern, das ist etwas Fröhliches, zutiefst Fröhliches. Zudem spüre ich den Stachel in mir, den Stachel des Aufbruchs. Wann ist es Zeit aufzubrechen, wann sagt Jesus mir: Jetzt ist deine Zeit hier um, jetzt gehe an einen anderen Ort, jetzt ist es dran. Viele Leute in unserem Umfeld erleben das tagtäglich. Da sagt der Arbeitgeber, heute Frankfurt, morgen München. Und dann müssen sie umziehen. Dann können sie auf nichts Rücksicht nehmen. Nicht auf ihre Kinder in der Schule, nicht auf ihre Ehefrau; dann müssen sie nach München. Eine Tragödie für manche Familien. Aber ist Jesus nicht auch so ein Auftraggeber, der sehr wohl sagen kann: Jetzt ist es dran, dich zu verändern, jetzt brich auf, denn in diesem Gefängnis, da kommst du um! Du merkst es noch nicht einmal, aber du erstickst! Raus zu einem neuen Aufgabenfeld. Wie gut, wenn wir das hören, wie gut, wenn wir darauf vorbereitet sind, was kommen kann: ein Aufbruch nach vorn.
Wir wissen nicht, was dieser Zeitgenosse Jesus geantwortet hat. Ob er gesagt hat: Nein Jesus, das ist mir zu hart! Das möchte ich nicht. Ich möchte mein Haus behalten, meine Sicherheit, meine Geborgenheit, meine Klarheit, wo es lang geht. Es könnte aber auch sein, daß er gesagt hat. Gut Jesus, du sagst mir ganz klar, wie das bei dir ist. Ich will trotzdem mitkommen. Das könnte sein. Vielleicht ist er sogar am Ort geblieben wie Zachäus. Aber er hat sein Haus geöffnet. Es war nicht mehr ein Gefängnis, sondern ein Ort, wo Jesus sein konnte und andere Menschen ihn erfahren haben.

Evangelisation geht vor

Den zweiten Mann spricht Jesus direkt an. Du, folge mir nach. Heute können wir uns das gar nicht mehr vorstellen. Ich denke zwar, wenn Jesus mich ansprechen würde, könnte ich sicher gar nicht widerstehen. Aber dieser Mann hat einen Einwand. Er möchte erst noch seinen Vater begraben. Als wir vor ein paar Wochen diese Begegnung im Kirchlichen Unterricht behandelt haben, war es für uns schon eine Frage, ob man denn seinen Vater nicht mal begraben darf. Das ist doch ein ganz wichtiges Anliegen. Und wer von uns würde denn schon sagen, du darfst jetzt deinen Vater nicht begraben, du mußt jetzt mit Jesus leben. Aber Jesus will hier schockieren. Er will hier wirklich harte Aussagen machen, damit die Zuhörer und Zuhörerinnen wach werden. Es geht doch gar nicht um die Beerdigung unseres Vaters oder unserer Mutter oder um sonst einen lieben Menschen, sondern um viel kleinere Dinge, die wir erst noch erledigt haben wollen. Um unsere Tradition, um unsere Gewohnheit, um unsere Riten und Rituale, die erst noch kommen müssen, bevor Jesus dann etwas tun kann. Wir wollen Jesus oft in unsere Strukturen einbauen und lassen ihm dann die übrigen Prozente - zwischen unseren Zwängen, zwischen unseren Verpflichtungen und zwischen unseren Vergnügen. Wir haben vor zwei Monaten unsere Gottesdienstzeit von 9.30 auf 10 Uhr verlegt, um den Gottesdienst für Außenstehende zu öffnen, die am Sonntag ausschlafen wollen. Wir haben das gemacht gegen die Tradition, denn hier war immer Gottesdienst um 9.30 Uhr. Wenn etwas immer war, dann hat das ein ganz starkes Gewicht. Ich muß sagen, ich bin heute noch bewegt davon, wie die, die gerne um 9.30 Uhr Gottesdienst gehabt hätten, gesagt haben, ja es ist in Ordnung, wir machen in Zukunft um 10 Uhr Gottesdienst. Das hat mir gezeigt, daß wir wirklich zuallererst auf Menschen zugehen wollen, um sie Jesus näher zu bringen. Klar, man kann seine Meinung haben. Jemand sagte: Ich möchte am liebsten um 11 Uhr Gottesdienst, und jemand anderes am liebsten um 8 Uhr. Diese Bandbreite von Wünschen gibt es natürlich. Aber das Besondere ist, daß wir Raum geben für Jesu Wirken und selbst zurückstehen.
Es ist nicht genug, sagt Jesus zu diesem zweiten Zeitgenossen, wenn du mir nur die übrigen Prozentpunkte deines festgefügten Lebens zur Verfügung stellst. Denn es gibt eine große Aufgabe, und für die lohnt es sich, alles über Bord zu werfen. Das sagt er in dieser zweiten Aussagen: Geh hin und verkündige anderen das Reich Gottes, lade sie ein zu Jesus, lade sie ein, mir auf dem Weg zu folgen. Die wörtliche Übersetzung des Begriffs "verkündigen" heißt hier "in alle Himmelsrichtungen verstreuen". Das ist doch ein schönes Bild. Es geht nicht um das Eingleisige, immer noch vorne, immer das Evangelium in eine Richtung, sondern es geht darum, es echt zu verstreuen, in alle Himmelsrichtungen, beim Bäcker, beim Metzger, in der U-Bahn, in der S-Bahn, im Geschäft, beim Nachbarn und wo immer wir uns aufhalten. 
Und wieder die Frage: Was hat dieses schroffe Jesuswort heute hier zu sagen? Ich bin wie der Mann berufen, das Evangelium in alle Himmelsrichtungen zu verkündigen. Und dabei muß manche Tradition auf der Strecke bleiben. Das ist keine eingleisige Sache. Das gilt nicht nur für die Predigerinnen und Prediger, das gilt nicht nur für die Sonntagsschullehrerinnen und Sonntagsschullehrer und Kinderstundenmitarbeiterinnen, sondern das gilt für jeden und jede von uns. Es geht darum, das Evangelium unseren Gaben gemäß in die Welt zu tragen. Das muß nicht nur durch Sprache sein, das wäre auch wieder einseitig. Das geschieht auch durch die Tat und besonders gut durch die Tat. Das geschieht durch unser Engagement für anderen Menschen, das geschieht durch unser Engagement für die Gemeinde, das andere Menschen sehen und sich wundern: Ja aus welcher Kraft macht X oder Y das eigentlich? Das Evangelium in die Welt zu streuen, ist die Aufgabe, für die es sich lohnt, die Tradition hinten anzustellen. Und diese Aufgabe braucht Platz und Freiheit von allen möglichen Bindungen, die uns festhalten wollen. Es beginnt jeden Tag mit der Frage: Wo werde ich hin gerufen, und was hält mich zurück? Und wenn ich ehrlich bin und mir diese Frage jeden Morgen stelle, bekomme ich auch Antwort darauf.
Was Jesus diesem zweiten Zeitgenossen auch sagt: Mit Jesus zu leben bringt Konflikte mit sich. Wir müssen nicht darauf warten. Aber wenn der Konflikt kommt, wenn wir in diesem Spannungsfeld stehen zwischen den Erwartungen, die andere an uns haben, und den Erwartungen, die Jesus an uns hat, dann müssen wir uns nicht wundern. Das Spannungsfeld gehört zu unserem Glauben. Jesus sagt: Mach dich frei davon. Du mußt nicht mehr; du kannst, du darfst. Wer weiß, vielleicht hat dieser Mann, nachdem er Jesus gesagt hat "ich folge dir" auch noch seinen Vater begraben. Doch es war nicht die Bedingung für die Nachfolge, sondern in der Nachfolge Jesu hat er eine neue Freiheit zur Liebe bekommen, und die konnte sich dann auch so äußern. Nicht mehr wir "müssen", wir müssen allem gehorchen und allen Ansprüchen genügen, auch unseren eigenen, sondern wir "dürfen", weil Jesus uns frei dazu macht.

Gemeinde hilft beim Aufbruch nach vorn

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Das sagt Jesus dem dritten Zeitgenossen, der ihn auch gefragt hat: Darf ich dir nachfolgen? Der wollte sich erst noch von seiner Familie verabschieden. Auch ein völlig legitimes Anliegen. Jesus sagt: Nein, geh nicht zurück in dein Vaterhaus, geh nach vorne und folge mir. Denn wenn du nicht nach vorne gehst, sondern zurückschaust, wirst du ewig da hinten bleiben. Es gibt dazu eine anschauliche Geschichte in der Bibel von Lot's Frau, die sich umgedreht hat, als Sodom und Gomorra in Brand geraten waren, und zur Salzsäule erstarrt ist. Dieses Zurückschauen ist ganz bildlich. Man erstarrt, wenn man in der Vergangenheit bleibt. Jesus sagt: Schaut nicht zurück, denn was euch da hinten fesselt, das ist doch eigentlich Gefängnis gewesen, es lohnt sich nicht, dahin zurückzugehen. Geht nach vorn! Und was das Wunderbare daran ist, wir müssen nicht alleine nach vorn gehen. Das Bild wirkt so einsam, ein Bauer legt seine Hand an den Pflug. Man denkt unwillkürlich an ein Bild von Van Gogh, auf dem ein Bauer allein im Feld steht und den Boden pflügt. Was für ein furchtbar einsames Bild. An keiner Stelle sagt Jesus, daß wir da alleine gehen müssen. Nein, gleich anschließend schickt er 72 Jünger aus, immer zwei und zwei, damit sie nicht alleine sind bei ihrer neuen Aufgabe, das Evangelium in die Welt zu streuen. Und auch wir werden nicht alleine an den Pflug gestellt, wir sind Gemeinde, wir sind hier zusammengerufen, nicht als Einzelne, sondern als Gemeinschaft, um uns zu unterstützen in dieser schwierigen Arbeit, die Furchen gerade zu ziehen. Jesus ist bei uns, er stärkt uns, er gibt uns auf dem Acker das Vesperbrot und den Stärkungstrank. Er läßt uns nicht allein. Und er sagt: Da vorne ist das Ziel, immer schon bin ich bei euch, auch jetzt schon, aber geht nach vorn, denn die Heimat ist bei Gott, nicht hinten, wo ihr herkommt.
Die 100%-Stelle Jesu in unserem Leben wird deutlich. Er ist uns 100% zur Seite, beim Pflügen, beim Ausstreuen, auch beim Loslassen. Er setzt sich 100% für uns ein. Und er wünscht sich, daß wir ihm 100% Platz machen, damit er 100% wirken kann.
Am Ende dieser drei Begegnungen müssen eigentlich die Leute, die ihm zuhörten, und auch wir heute, sagen: Das geht doch gar nicht! Diesem 100%igen Anspruch kann kein Mensch gerecht werden. Auch wenn wir unsere Häuser 24 Stunden öffnen, irgendwann müssen wir uns einmal zurückziehen und zu uns selbst kommen. Auch wenn wir alle Strukturen und Bindungen hinter uns lassen, in unserer eigenen Haut stecken wir immer noch. Auch wenn wir immer ermutigt werden, nach vorne zu schauen, irgendwann drehen wir uns um und schauen zurück. Jesus weiß das, weil er uns kennt. Aber er ermutigt uns, nicht damit zufrieden zu sein. Nachfolge ist Bewegung, nicht Stillstand. Seine 100% sind da, und unsere Prozente, die wir ihm zur Verfügung stellen, die nutzt er. Immer legt er darin den Keim für mehr - die Sehnsucht, noch mehr von ihm zu haben, ihn noch mehr in unserem Leben zu erfahren. Nicht die Risiken und Nebenwirkungen der Packungsbeilage sind das Entscheidende, sondern die Überschrift, das Medikament. Er ist gekommen, um uns zu retten. Das Medikament ist das Wichtige: Jesus wirkt und lebt mit uns und läßt uns in alle Himmelsrichtungen seine Liebe tragen. 
Nachdem die Jünger dann zwei und zwei losgezogen sind, um das Evangelium zu verkündigen - und vielleicht waren die drei Männer ja dabei - sind sie voller Glück wiedergekommen und haben gesagt: Es hat geklappt, die Leute sind zum Glauben gekommen, sie haben ihrem alten Leben abgesagt, sie wollten wirklich in Kontakt zu Gott kommen. Da antwortete Jesus: Wißt ihr, darüber braucht ihr euch gar nicht so sehr zu freuen, daß ihr jetzt Erfolg gehabt habt. Freut euch lieber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind, das ist das Entscheidende. 
Jesus ist 100% für uns da. Unsere Namen sind im Himmel geschrieben. Und die Prozentpunkte, die wir ihm zur Verfügung stellen können, die nützt er, um daraus etwas ganz Großes zu machen. Freut euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind!
Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_christsein_proz.htm