Bruch und Aufbruch
Gottesdienst am 24.10.2004

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
die Werbekataloge von Center Parcs, großen Feriensiedlungen mit Erlebnisbad, zeigen erstaunlich wenig von den Parks selbst. Auf fast allen Fotos sind stattdessen Menschen abgebildet, die glücklich lächeln, miteinander Hand in Hand laufen, sich kuscheln, mit Kindern spielen oder die Landschaft genießen. Die Strategie der Werbefachleute scheint aufzugehen. Immer mehr Center Parcs entstehen in Europa, die Sehnsucht nach Freude und Harmonie steckt in den zukünftigen Kunden, die genau diese Idylle für ihren Urlaub suchen. Was weder im Groß- noch im Kleingedruckten steht: Harmonie ist nicht käuflich. Auch in Center Parcs wird gestritten, fliegen die Tassen, verletzen sich Menschen. Center Parcs sind keine Paradiese auf Erden.

Wir könnten als Gemeinden Jesu Christi auch solche Werbebroschüren herausbringen. Statt Kirchengebäuden, Bekenntnistexten, Veranstaltungskalendern wären in diesen Prospekten glückliche Christen abgebildet, Glücklich im Sandkastendie einander in den Armen liegen, einander segnen und Gutes tun, Verletzte am Straßenrand liebevoll versorgen und Kindern bei den Hausaufgaben helfen.

Warum sind wir eigentlich noch nicht auf die Idee gekommen? Ich vermute, dass wir uns unehrlich vorkämen. Sicher, Jesus verheißt seiner Gemeinde, dass sie das vorgezogene Paradies auf Erden ist. Sie lebt mit dem Geist Jesu, bekommt von ihm die Kraft zur Liebe und zur Versöhnung und ist darum bemüht, in der Umgebung diese Liebe wirken zu lassen wie ein Licht in der Dunkelheit. Doch mit Worten des Apostel Paulus müssen wir auch bekennen, dass wir das Gute, das wir tun wollen, nicht tun, sondern das tun, was wir eigentlich gar nicht wollen (Römer 7). Der Geist Gottes wirkt in uns und kämpft oft genug gegen unser Ich, das nicht lieben, sondern Recht behalten will, das nicht den gemeinsamen Weg in der Mitte sucht, sondern den eigenen Weg gehen will.

Mich treibt diese Erfahrung um, auch gerade im Blick darauf, dass wir nächste Woche das Fest der Gliederaufnahme feiern und Männer und Frauen sich neu einbringen wollen in diese Gemeinde. Sind wir ein zusammengewürfelter Haufen, der dem Werbekatalog folgt und ewiges Glück erhofft wie Center-Parcs-Besucher? Oder lassen wir uns ein auf die Realität und sehen doch in allem Gottes Wirken und Gegenwart? Ich bin dabei auf einen Abschnitt aus der Apostelgeschichte gestoßen. Lukas schrieb die Apostelgeschichte als Dokumentation der ersten Gemeinden. Er gab die Geschehnisse wieder, die ihm in Quellen vorlagen. Bedeutsam für uns heute ist, dass er dabei nicht beschönigte. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, die Konflikte, Verfehlungen und Spaltungen wegzulassen, nur die Erfolgsstory darzustellen. Aber er lässt uns auch Anteil nehmen an den Brüchen, um uns gleichzeitig deutlich zu machen, dass es Gottes Wege sind, die nicht wie eine Autobahn schnurgerade zum Ziel führen, sondern sich über Abfahrten, Weggabelungen, Sackgassen und Einbahnstraßen winden, um dennoch das Ziel Gottes zu erreichen. Diese Brüche machen mir Mut, auch auf den schwierigen Wegabschnitten durchzuhalten und aufmerksam zu werden auf Gottes Wirken in ihnen.

Paulus und Barnabas

Die Apostelgeschichte berichtet von zwei Missionaren, die zu engen Freunden wurden. Paulus war ein ehemaliger Christenverfolger, der die Steinigung des Stefanus miterlebte und ihr zustimmte. Vor Damaskus begegnete er Jesus, der ihn in seine Nachfolge und seinen Dienst berief. Sein Leben wurde vollständig umgekrempelt.

Von Barnabas erfahren wir, dass er zu ersten der Jerusalemer Gemeinde gehörte. Er hatte offensichtlich die Gabe des Gebens, verkaufte seinen Acker und gab das Geld den Bedürftigen in der Gemeinde. Zusammen mit Paulus, den er zu der neugegründeten Gemeinde Antiochien hinzu rief, organisierte er eine Kollektensammlung für die Armen der Jerusalemer Urgemeinde.

Dann erfahren wir, dass das Leitungsteam der Gemeinde in Antiochien in einer Art Klausurtagung Barnabas und Paulus als von Gott beauftragt erkannte, neue Gemeinden in Kleinasien zu gründen. Sie wurden miteinander ausgesandt. Die Erfahrungen dieser Missionsreise brachten die beiden immer stärker zusammen. Sie erlebten Wunder, Bekehrungen, Bedrohungen, Gefängnisaufenthalte und in allem Gottes Beistand und seine Fürsorge für sie. Als Helfer hatten sie Johannes Markus dabei, den Barnabas aus Jerusalem mitgebracht hatte. Ganz neu war für sie die Erfahrung, in einer Gemeinde jüdische und von Hause aus griechische Christen zusammen zu führen. Dabei gab es Herausforderungen. Die griechischen Christen hatten andere kulturelle und religiöse Vorkenntnisse. Sie nahmen Jesus Christus als ihren Retter an, ohne vorher jüdisch zu werden. Die jüdischen Christen sahen darin Gottes Willen und forderten sie nicht auf, nach jüdischen Ritualgeboten zu leben. Offensichtlich war dieses Miteinander für Johannes Markus, den jüdischen Christen aus Jerusalem, eine Bedrohung seines Verständnisses von Jesus Christus. So stellt die Apostelgeschichte fest, dass er das Missionsteam unterwegs verlassen hatte. Paulus und Barnabas sind wohl unterschiedlich damit umgegangen. Für Paulus widersprach das Verhalten klar dem Auftrag Jesu Christi, der alle Menschen retten wollte ohne Rücksicht auf ihre Herkunft. Er hielt Johannes Markus für einen Verräter des Evangeliums. Barnabas, den die gemeinsame Herkunft aus der Jerusalemer Gemeinde mit Johannes Markus verband, mochte seinen Rückzug aus der Missionsarbeit anders interpretiert haben. Für ihn war Johannes Markus noch nicht so weit für die Heidenmission. Er wollte Johannes Markus auf jeden Fall nicht verlieren für die Missionsarbeit, sondern ihn in Liebe gewinnen. Dafür war er bereit, Kompromisse einzugehen.

Das Thema wurde nach dieser Missionsreise auf höchster Ebene in Jerusalem verhandelt mit dem Ergebnis, dass voraussetzungslose Heidenmission möglich wurde und nur wenige Minimalforderungen erhoben wurden, an die sich die Heidenchristen mit Rücksicht auf ihre jüdischen Brüder und Schwestern in der Gemeinde halten sollten. Scheinbar war damit auch die Differenz zwischen Paulus und Barnabas beigelegt, sie konnten sich wieder dem Tagesgeschäft zuwenden:

Apostelgeschichte 15,36-41

Nach einiger Zeit sagte Paulus zu Barnabas: "Lass uns noch einmal alle die Orte besuchen, in denen wir die Botschaft Gottes verkündet haben! Wir wollen sehen, wie es den Brüdern und Schwestern geht!" Barnabas wollte Johannes Markus mitnehmen, aber Paulus lehnte es ab, noch einmal mit ihm zusammenzuarbeiten; denn er hatte sie auf der vorhergehenden Reise in Pamphylien im Stich gelassen und die Zusammenarbeit abgebrochen. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, und Paulus und Barnabas trennten sich. Barnabas fuhr mit Markus nach Zypern, Paulus aber wählte sich Silas als Begleiter. Die Brüder und Schwestern beteten für Paulus, dass Gottes Gnade ihn begleite, und er machte sich auf den Weg. Er zog durch Syrien und Zilizien und stärkte die Gemeinden im Glauben.

Paulus gegen Barnabas

Paulus und Barnabas planten ihre nächste Reise. Sie wollten die gegründeten Gemeinden aufsuchen und nach dem Rechten sehen. An Johannes Markus flammte der alte Konflikt wieder auf. Barnabas wollte ihm eine zweite Chance geben, Paulus war das Anliegen zu wichtig, um es durch einen unzuverlässigen Quertreiber aufs Spiel zu setzen. Sie gerieten aneinander, ohne eine Klärung herbei zu führen.

Unsere Erwartung an sie ist eine andere. In einer Gemeinde müssen die Führungsleute, die doch schon so viel mit Jesus Christus erlebt haben, vorbildhaft Einheit leben. Schon gar angesichts des weiten Missionsfeldes muss es zur Versöhnung kommen. Und wenn das nicht möglich ist, erwarten wir doch wenigstens vom Führungsteam der Gemeinde, dass sie für die Kontrahenten beten, bis ein Friedensschluss möglich wird. Davon allerdings erfahren wir nichts - und ich möchte unterstellen, dass Lukas mit der größten Freude von einer Versöhnung geschrieben hätte, wäre sie denn passiert. Auch erfahren wir nichts von Gottes direktem Eingreifen. Damals als Hananias und Saphira Geld veruntreuten, fielen sie tot zu Boden (Apostelgeschichte 5,1-11, Predigt zu Matthäus 6,13), hier bleiben die Kontrahenten am Leben. Die einzige Konsequenz ist, dass sie von nun an unterschiedliche Wege gehen.

Diese Geschichte findet sich eindeutig nicht im Werbekatalog für christliche Gemeinden. Statt Hand in Hand werden geballte Fäuste spürbar. Um des Evangeliums willen kommen die beiden sich so nahe, dass sie einander nur noch verletzen können und ihre gemeinsame Segensgeschichte zu einer Episode der Vergangenheit wird. 

Ich erkenne mich selbst in ihnen wieder. Barnabas liegt mir da typmäßig näher. Ich kann seine Argumente verstehen. Da ist jemand neu in die Mitarbeit eingestiegen. Er kennt die Gemeinde noch nicht besonders gut, auch nicht unsere Eigenarten und unseren Stil des Zusammenlebens. Und dann versagt er, wirft das Handtuch und verschwindet für Wochen in der Versenkung. Ja, ich würde ihm nachsteigen, mit ihm das Gespräch suchen und ihm die Chance einräumen, es an diesem Platz noch einmal zu probieren. Es käme mich hart an, ihm diese zweite Chance zu verwehren. Aber ein anderer sagt vielleicht zu Recht: Dieser Dienst ist zu heikel. Da setzen wir unsere ganze Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Da darf es keinen Fehler geben, das muss 100% laufen. Lassen wir ihn nur nie wieder an diese Aufgabe.

Ich merke, wie es mir in den wirklich wichtigen Fragen hilft, das Leute wie Paulus eine klare Position beziehen. Wo es um Jesus selbst geht und sein Evangelium, das ohne Voraussetzungen jedem Menschen gilt, kann es keine Kompromisse mehr geben. Wäre ich an Barnabas Stelle gewesen, hätte ich das einsehen und Paulus darum bitten sollen, für Johannes Markus ein anderes Arbeitsfeld seinen Gaben entsprechend zu finden. Sicher wäre das möglich gewesen. Doch beide Kontrahenten beharrten auf ihrem Standpunkt, sie bewegten sich nicht auf ein gemeinsames Ziel zu, die Sache Jesu wurde durch ihren Streit verraten.

Jesus Christus mit Paulus und Barnabas

Nach menschlichen Maßstäben war die Mission gegen die Wand gefahren. Das Dreamteam zerbrach, die Zukunft war mehr als fraglich. Nicht so aus Jesu Perspektive. Jesus stellte sich den beiden an die Seite und ging mit ihnen in eine neue Zukunft. Statt die Mission zu beenden, verdoppelte sie sich um 100%. Paulus gewann einen neuen Mitarbeiter, Silas, und Barnabas zog mit Johannes Markus los. Im Nachhinein erschien der Bruch wie ein Geburtshelfer einer neuen Epoche. Paulus war durch seine eindeutige Stellungnahme für die Heidenmission ohne Vorbedingungen bereit, die Gemeindegründungen bis nach Europa auszudehnen. Statt Visitationsreisen in bestehende Gemeinden zu absolvieren, gründete er neue Gemeinden. Barnabas wiederum übernahm offenbar die Betreuung in den schon gegründeten Gemeinden, angefangen in Zypern. Auch er zog sich nicht zurück aus dem Missionsgeschäft, sondern investierte neu und fand seinen Weg. Der Streit und die menschliche Sturheit, die einer Versöhnung im Weg stand, konnte Gottes Wirken nicht aufhalten. Sicher war Gott nicht auf einen Streit angewiesen, um sein Bodenpersonal zu vervielfachen. Aber es sind seine Wege, die aus unserer Schuld und unserem Versagen Neues wachsen lassen.

Hier bewahrheitet sich für mich der Segenswunsch, den Paulus der Gemeinde in Philippi mit auf den Weg gegeben hatte: "Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus." (Philipper 4,7) Wir sind nicht in der Lage, diesen Frieden, den Gott uns verheißt, selbst auf die Beine zu stellen. Wir mögen die besten Motive für unser Handeln haben, so wie sie ja auch Paulus und Barnabas hatten. Und doch fahren wir den Karren an die Wand, weil wir von unseren Positionen nicht herunter kommen. Das ist Schuld. Doch Gottes Sohn Jesus Christus ist für diese Schuld gestorben und auferstanden. Er kann sie tilgen. Daraus wächst ein neuer Anfang, ein neuer Weg, der Gottes Weg entspricht. Wir tun oft das Gegenteil von dem, was Gott von uns erwartet. Wir leben in der Gemeinde nicht miteinander wie im Paradies. Doch Gott liebt uns so sehr, dass er aus unseren menschlichen Brüchen neue Wege in die Zukunft führen lässt, um sein Ziel für diese Gemeinde zu verwirklichen.

Was ich von diesem Streit in Antiochien lernen kann:

  • Wahrheit (Paulus) und Liebe (Barnabas)  führen in Konflikte, die zu Brüchen führen können.
  • Ich kann den Frieden in der Gemeinde mit allen Fasern meines Herzens wollen und doch habe ich ihn nicht in der Hand, bewirke ich gegen meinen Willen das Gegenteil.
  • Ich möchte dem Auftrag Jesu treu bleiben, auch wenn ich in Folge dessen einen neuen Weg einschlagen muss.
  • Ich muss Jesu Vergebung in Anspruch nehmen, erst so werde ich fähig zu neuer Gemeinschaft (Paulus und Silas).
  • Auf dem neuen Weg in einer neuen Mitarbeiterschaft kann ich durch Gottes Gnade meinen Auftrag besser erfüllen (Paulus und Silas).
  • Als die, die den alten Weg weitergeht, lerne ich von meinem Kontrahenten, der auf dem neuen Weg ist (im Verlauf des Jahrhunderts erfahren wir von blühenden Gemeinden im kleinasiatischen Raum, die nicht rejudaisiert wurden).
  • Eine Teamarbeit in der Gemeinde ist ein großes Gottesgeschenk. Sie dient nicht in erster Linie dazu, dass ich mich wohl fühle, sondern dass ich die Sache Jesu voranbringe.
  • Am Tisch des Herrn, beim Abendmahl, dürfen wir die Vergebung Jesu annehmen und uns darauf freuen, dass er mit uns einen neuen Weg geht - auch durch Schmerz, Trennung und Schuld hindurch.
Ein Werbekatalog für die Gemeinde sollte unbedingt auch die Geschichte von Paulus und Barnabas aufnehmen. Hier sehen wir, wie Gottes Liebe sich von der Idylle einer Ferienhaussiedlung unterscheidet. Wir werden nicht nur gestreichelt und gekuschelt, sondern dürfen ihm vertrauen, dass er auch dann in die Zukunft führt, wenn es bei uns kracht und wir menschlich gesprochen am Ende sind. Sein Friede ist höher als unsere Vernunft und unser Vermögen. Amen.
Cornelia Trick


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