Gottesdienst am 13.06.2004
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
im Tau-Klettern war ich nie gut. Am Anfang schaffte
ich ja noch ein paar Klimmzüge nach oben. Aber spätestens auf
der Hälfte verließen mich die Kräfte in den Armen und meine
Beine konnten an dem glatten Seil auch keinen Halt mehr finden. Doch einige
findige Mitschüler, die das gleiche Problem wie ich hatten, machten
der Lehrerin den Vorschlag, doch Knoten in das Seil zu binden. Sie war
einverstanden. Vielleicht
wollte sie den Notendurchschnitt unserer unsportlichen Klasse ein wenig
senken ... Das war eine ganz neue Erfahrung, an einem geknoteten Seil der
Hallendecke entgegen zu klettern. Da kam es nicht allein auf die Arme an,
sondern man konnte bequem die Beinkraft einsetzen und sich mit Hilfe der
Knoten hochstemmen. Wir schafften es auf einmal viel weiter nach oben.
Mit einem solchen Knoten in unserem Lebensseil
werden wir uns heute beschäftigen. Denn auch für unser Leben
gilt, dass es ganz schön schwierig zu bewältigen ist ohne Knoten,
die uns im Zweifelsfall vor dem Abrutschen bewahren, die uns erinnern,
wo wir Besonderes erlebt haben und wo wir selbst die Hilfe brauchten, um
weiterzukommen und die nächste Wegstrecke zu schaffen. Ein solcher
Knoten ist zum Beispiel Gottes Zusage über unserem Leben, den Heiligen
Geist neu in uns wirken zu lassen. So bekommen wir Mut und Kraft für
die nächste Zeit. Ein Knoten kann sein, dass wir es wieder neu fest
machen, dass wir auf Gott vertrauen wollen, egal was kommt. An dieses Ja
uns in den dunklen Stunden zu erinnern, bewahrt vor Verzweiflung und Abrutschen
in die Beliebigkeit. Zu einem Ja werden wir heute eingeladen von einem
Mann aus der Bibel namens Nikodemus.
Johannes 3,1-8
Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit
Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht
und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen;
denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es
sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich
Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren
werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen
und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir:
Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er
nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist
Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.
Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr
müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und
du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt
und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren
ist.
Nikodemus führt zu
Jesus
Mit einer konkreten Situation beginnt die Jesus-Begegnung.
Ein angesehener Mann aus dem jüdischen Hohen Rat besuchte Jesus bei
Nacht. Warum wird die nächtliche Stunde hier ausdrücklich erwähnt?
Sicher steht dahinter, dass ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft sich
nicht traute, öffentlich mit dem Wanderprediger Jesus in Kontakt zu
treten. Bei Nacht war er von der Dunkelheit getarnt. Doch dieser Nikodemus
lässt mit seinem späten Besuch auch andere Deutungen offen. Ich
denke an die Nachtstunden, in denen ich zu Jesus komme. Natürlich
kann ich genauso gut tags mit Jesus reden, zumal ich das sogar von Berufs
wegen jederzeit tun kann. Doch nachts liegen meine ganz persönlichen
Fragen und Anliegen an. Da tritt der Alltag und die Geschäftigkeit
zurück und ich sehe auf einmal Berge vor mir, die unbezwingbar scheinen.
Es sind die Themen, die wirklich mich angehen und die ich nicht im Griff
habe. Nachts fliehe ich zu Jesus und bitte ihn um Hilfe und Antwort. An
anderen Tagen bin ich so voller Arbeitsaufträge, da schiebe ich die
Zeit mit Jesus einfach vor mir her. Erst spät am Abend, wenn alles
abgearbeitet ist, gönne ich mir die Zeit mit Jesus. Oft fällt
sie dann sehr kurz aus. Aber mitten im Getriebe kann ich gar nicht auf
ihn hören, da brauche ich Stille um mich herum und die Gewissheit,
dass nicht gleich wieder ein Klingeln dem Gespräch mit Jesus ein Ende
setzt.
Nikodemus kommt in der Nacht zu mir und stellt
sich neben mich. Er nimmt mich an der Hand und führt mich mit sich
zu Jesus - ob ich Lebensprobleme wälze oder jetzt erst zur Ruhe gekommen
bin, um mit Jesus Zeit zu verbringen.
Nikodemus führt am Anfang das Wort im Gespräch:
"Meister, wir wissen..." Damit stellt er sich mit Jesus auf Augenhöhe.
Er bedeutet ihm, dass ein gebildeter Mann der Gesellschaft durchaus erkennt,
dass Jesus mit Gott zu tun hat und das schätzt. Die Zeichen und Wunder
Jesu haben ihn überzeugt. Ein Mann, der so voller Vollmacht handelt,
ist in Gottes Auftrag unterwegs. Ich höre diesem Gespräch zu
und erkenne mich wieder.
Wie oft beginne ich das Zusammensein mit Jesus
mit den Worten "Ich weiß...". Ich weiß, dass du mir helfen
kannst, also hilf sofort und nimm dich meiner Wünsche an! Ich weiß,
wie Glaube an dich funktioniert. Ich mache meine Pläne und du gibst
dein o.k. und deinen Segen dazu. Ich weiß, was Nachfolge bedeutet.
Ich bleibe in meinen bürgerlichen Bahnen des 21. Jahrhunderts, möglichst
in Festanstellung mit Rama-Familien-Idylle und leiste meine religiösen
Pflichten pünktlich ab. Ich weiß, wie Gemeindeleben funktioniert.
Eine ist für den anderen da, vor allem, wenn ich es brauche.
Wenn ich Nikodemus hier meine Argumente vorbringen
höre, muss ich erkennen, dass Jesus seine Entgegnung auch mir gegenüber
so formulieren würde. Auch zu mir könnte er sagen: "Wahrlich,
Wahrlich - du liegst ganz falsch!" Denn nichts anderes drückt doch
dieses Wahrlich aus, eine doppelt ausgesprochene Verneinung meines vorgebrachten
Wissens. Er sagt Nein zu meinem scheinbaren Wissen, dass nur aus meinen
Wünschen und meiner Bequemlichkeit abgeleitet ist. Er sagt Nein zu
einem äußerlichen und oberflächlichen, geistlosen Christsein,
dass sich am Wissen orientiert statt am Heiligen Geist. Doch Jesus putzt
mich nicht einfach herunter. Er gibt die Chance, ihn neu kennen zu lernen,
einen neuen Knoten ins Seil zu knüpfen, der vor Absturz bewahrt.
Jesus ruft zu sich
Die sehr persönliche Szene mit Nikodemus führt
zu einer Predigt Jesu, die an jede und jeden von uns gerichtet sein könnte.
Es geht um die ganz andere Fähigkeit, die wir Menschen bekommen, wenn
wir aus Wasser, Geist und Wind wiedergeboren werden. "Wissen" ist Zeichen
der natürlichen Geburt, "Sehen des Reiches Gottes" ist Zeichen der
zweiten Geburt.
Für diese neue Sichtweise durch den Heiligen
Geist ist für mich eine 3-D-Brille ein anschauliches Symbol. Setzt
man diese Brille auf, gewinnt man eine völlig neue Optik, das flache
Bild nimmt Formen an, Gebäude, Personen treten heraus und gewinnen
an Leben. Das Reich Gottes Sehen bedeutet, an einem Gottesdienst teilzunehmen
und die im Gottesdienst Aktiven nicht als Schauspieler wahrzunehmen, die
ihre Rolle mehr oder weniger gut spielen, die sich vielleicht im Vortrag
gefallen oder ihn zur Selbstdarstellung brauchen. Etwas ganz anderes wird
auf einmal gesehen, dass Gott diese Akteure mit seinem Geist begabt hat,
um seine Botschaft vielfältig zu den Menschen zu bringen, die Gemeinde
zu bauen, die Gaben zur Entfaltung zu bringen. Erst mit dieser neuen Sichtweise
unterscheidet sich Gottesdienst von einer Theatershow, er wird zu einer
Liebeserklärung Gottes an uns und einem Angebot, im Reich Gottes dabei
zu sein, selbst teil dieses dreidimensionalen Geschehens zu werden.
Natürlich hilft die neue Sichtweise nicht
nur, Gottesdienste zu verstehen. Sie ist auch Grund, warum ein Christ nicht
über seiner Langzeitarbeitslosigkeit verzweifelt und in allen Schwierigkeiten
noch sehen kann, wie sehr Gott ihn liebt. Dass eine vom Tod Gezeichnete
anderen, die weinend an ihrem Bett sitzen, die Hand gibt und sie segnet,
weil sie Gottes Hand in diesen Todesstunden so deutlich spürt. Dass
ein Jugendlicher es hinnimmt, in der Klasse zum Außenseiter zu werden,
weil er sich nicht mit Rauschgift voll dröhnt und Partys meidet, auf
denen Alkoholkonsum dazu gehört. Wenn er von seinem Jugendkreis erzählt,
versteht ihn keiner der Kumpels in der Klasse, aber er hat die heilende
Kraft Gottes in diesem Kreis erfahren und ist zutiefst dankbar dafür.
Durch Wasser, Geist und Wind soll die neue Geburt
geschehen.
Durch Wasser
Wasser ist lebendig und Zeichen der Reinigung, der
Durchsichtigkeit und der Vergebung. Aus Wasser geboren zu werden, heißt,
Vergebung zu erfahren, die Schuld abgewaschen zu bekommen und wieder frei
zu werden. Wie nötig brauchen wir dieses Wasser, das göttliche
Kraft besitzt. Wie nötig ist es aber auch, dieses Wasser wirklich
an uns heran zu lassen. Gibt es da nicht diese Situationen, in denen wir
Schuld auf uns geladen haben, Menschen verletzt haben und es uns selbst
nicht vergeben können? Wir vertrauen auf Gottes Vergebung und seine
Bereitschaft zum Neuanfang und doch sind wir wie gelähmt, diesen Neuanfang
auch wirklich zu wagen. Die Schuld blockiert uns, zum Verletzten zu gehen
und ihm die Hand zu reichen. Die Schuld blockiert uns, neue Kontakte zu
knüpfen und neue Verhaltensweisen einzuüben. Wenn wir jetzt Abendmahl
miteinander feiern, dann sagt Jesus uns: Nimm es ernst, dir sind deine
Sünden vergeben. Halte dein Herz unter das lebendige Wasser, lass
dich reinigen und finde zurück zu einer Klarheit dir selbst gegenüber,
dass nichts dir mehr anhängen muss. Nur so wirst du sehen lernen -
das neue Reich Gottes beginnt in deinem Alltag.
Durch Geist
Wenn die Schuld abgewaschen ist, bleibt kein Vakuum
im Herzen. Gottes Geist zieht ein. Er ist die Kraft, die von Gott kommt.
Im "Bibelkurs für Starter" haben wir vor kurzem die Richter Israels
genauer studiert. Uns ist dabei aufgefallen, wie sie Gottes Geist als eine
Kraft erfahren haben, die sie in Krisensituationen ergriffen hat und ihnen
trotz Aussichtslosigkeit den Blick auf den Sieg durch Gott geschenkt hat.
Durch diese Vision wussten sie, dass sie es auch mit deutlicher Unterlegenheit
wagen konnten, in den Krieg zu ziehen.
So militärisch sieht unser Leben nicht aus.
Aber andere Themen machen uns furchtsam. Für eine Stelle haben sich
500 Personen beworben, warum sollte das Unternehmen gerade Sie nehmen?
Jede 2,5-te Ehe wird geschieden, warum sollten Sie heiraten? Die Renten
sind bald nicht mehr gesichert, warum sollten Sie den 10-ten Teil Ihres
Vermögens Gott zur Verfügung stellen? Ist das nicht rechnerischer
Schwachsinn? Die Liste ließe sich fortsetzen. Der Geist Gottes setzt
einen völlig anderen Akzent. Er gibt die Kraft, über die Hindernisse
hinweg Gott zu erkennen und sich ihm anzuvertrauen. Sicher, die Angst vor
der Arbeitslosigkeit bleibt, aber es ist Gott, der das letzte Wort spricht,
wenn das Unternehmen entscheidet. Sicher, weiterhin sind Ehen bedroht,
aber Gott spricht Ihnen seinen Segen zu und schenkt seine Liebe, die ist
stärker als Statistik. Sicher, die Renten werden unsicher, aber es
ist Gott, der über Ihrem Alter das letzte Wort spricht und er wird
Sie nicht allein lassen.
Dieser Geist ist nicht in Flaschen zu kaufen
oder auf Vorrat zu speichern. Er ist Geschenk. Heute kann der Moment kommen,
in dem wir die Hände öffnen und sie diesem Geist entgegenstrecken:
Komm, Heiliger Geist, komm!
Durch Wind
Damit wird die Zielrichtung des Geistes beschrieben.
Die Kraft Gottes in uns drängt uns zur Bewegung. Je fester wir allerdings
mit beiden Beinen in unserem Alltag verhaftet sind, desto schwieriger wird
es, dem Wind nachzugeben und sich in Gottes Richtung bewegen zu lassen.
Die Besiedlung Amerikas durch Europäer wurde wesentlich durch Trecks
durchgeführt, die ihren Weg nach Westen kontinuierlich fortsetzten.
Die Familien reisten in Konvois, alles Lebenswichtige hatten sie auf ihren
Wagen. Die Methodistenprediger reisten mit ihnen. Abends am Lagerfeuer
las man miteinander die Bibel, betete und fand Stärkung für die
nächste Etappe. In dieser Zeit wuchsen dort die Gemeinden. Sie brachen
auf, waren flexibel, suchten neues Land. Als sich Städte bildeten,
die Kirchen gebaut wurden, alles in etablierte Bahnen kam, hatten die Menschen
bald keine Zeit mehr, sich abends zum Bibellesen zu treffen.
Dieses Bild der Siedler in Amerika ist für
mich Anleitung für ein Leben im Geist Gottes. Wir sollten bereit sein,
uns bewegen zu lassen und aufzubrechen, wenn der Geist Gottes es uns sagt.
Wir sind alle mit unseren Gaben gefordert, andere zu begleiten, um ihnen
unterwegs von Gott zu erzählen und sie neugierig zu machen auf die
neue Sichtweise des Glaubens. Wenn wir in unseren windgeschützten
Schneckenhäusern bleiben, werden wir nur scheinbar geschützt
leben. Die Erdbeben des Geschehens um uns werden uns genauso erschüttern,
aber der Wind entgeht uns, der von Gott kommt und uns in die Richtung treibt,
in die Gott uns haben will.
Ich hatte am Anfang vom Tauklettern erzählt
und den Knoten, die uns dabei helfen. Es ist ein Angebot, das wir heute
im Gottesdienst machen wollen, dass Sie selbst wieder einen neuen Knoten
ins Seil knüpfen und Gott ein neues Ja sagen:
-
Ja, ich will mich reinigen lassen und Vergebung
erfahren.
-
Ja, ich will mich begeistern lassen und eine kraftvolle
Sichtweise auf meinen Weg bekommen.
-
Ja, ich will mich in Bewegung setzen lassen zu denen,
die Gottes Geist brauchen.
Gebet
Ich gehöre nicht mehr mir, sondern dir. Stelle
mich, wohin du willst. Geselle mich, zu wem du willst. Lass mich wirken,
lass mich dulden. Brauche mich für dich oder stelle mich für
dich beiseite. Erhöhe mich für dich, erniedrige mich für
dich. Lass mich erfüllt sein, lass mich leer sein. Lass mich alles
haben, lass mich nichts haben. In freier Entscheidung und von ganzem Herzen
überlasse ich alles deinem Willen und Wohlgefallen.
Herrlicher und erhabener Gott, Vater, Sohn und
Heiliger Geist: Du bist mein und ich bin dein. So soll es sein. Bestätige
im Himmel den Bund, den ich jetzt erneuert habe. Amen.
(aus der Vorlage zum Bundeserneuerungsgottesdienst,
EmK-Gesangbuch S. 1367)
Cornelia
Trick
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