Adventsmenschen (Römer 13,8-14)
Gottesdienst am 29.11.2015 in Rod am Berg

Liebe Gemeinde,
ein altes Bauernhaus im Schweizer Adelboden ist frisch renoviert und gestrichen. Auf seiner Fassade ist auch der alte Denkspruch frisch aufgearbeitet: „Die Zeit vergeht, das End ist nah, bald kommt der Herr, Halleluja“. Man kann sich fragen, ob die Hausbesitzer diesen Denkspruch aus Überzeugung oder aus Pietätsgründen stehen gelassen haben. Wenn der Herr bald kommt, kann man sich das Renovieren doch eigentlich sparen. Dann ist sowieso alles Irdische zu Ende. Vielleicht sind die Hausbesitzer auch Adventsmenschen. Sie sind fest überzeugt, dass Jesus wiederkommt, wie er es versprochen hat. In der Wartezeit legen sie die Hände nicht in den Schoß, sondern gestalten sie so, wie Jesus es ihnen vorgelebt hat. Wenn er wiederkommt, findet er sie nicht in Abbruchhäusern, sondern überrascht sie, wie sie die Welt gestalten nach seinem Willen und mit seiner Kraft. Er sieht sie in Vorbereitungen auf den Himmel.

Im Römerbrief, Kapitel 13, beschreibt der Apostel Paulus dieses Dazwischen, ganz in der Welt und doch immer im Bereitschaftsdienst, falls Jesus kommt.

Römer 13,8-14
Bleibt niemand etwas schuldig – außer der Schuld, die ihr niemals abtragen könnt: der Liebe, die ihr einander erweisen sollt. Wer den Mitmenschen liebt, hat alles getan, was das Gesetz fordert. Ihr kennt die Gebote: »Brich nicht die Ehe, morde nicht, beraube niemand, blicke nicht begehrlich auf das, was anderen gehört.« Diese Gebote und alle anderen sind in dem einen Satz zusammengefasst: »Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.« Wer liebt, fügt seinem Mitmenschen nichts Böses zu. Also wird durch die Liebe das ganze Gesetz erfüllt.  Macht Ernst damit – und das erst recht, weil ihr wisst, was die Stunde geschlagen hat! Es ist Zeit für euch, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn unsere endgültige Rettung ist nahe; sie ist uns jetzt näher als damals, als wir zum Glauben kamen. Die Nacht geht zu Ende, bald ist es Tag. Deshalb wollen wir alles ablegen, was zur Finsternis gehört, und wollen uns mit den Waffen des Lichtes rüsten. Wir wollen so leben, wie es zum hellen Tag passt. Keine Sauf- und Fressgelage, keine sexuellen Ausschweifungen, keine Streitigkeiten und Rivalitäten! Lasst Jesus Christus, den Herrn, euer ganzes Leben bestimmen, und hätschelt nicht eure alte selbstsüchtige Natur, damit die Begierden keine Macht über euch gewinnen.

Die Stunde hat geschlagen! Wir werden im Advent 2015 wie von einem Wecker geweckt. Bis jetzt haben wir vielleicht geschlafen, uns unruhig hin und her gewälzt, werden von Alpträumen gequält. Jetzt aber klingelt der Wecker und reißt uns heraus. Die Rettung ist nahe, wir müssen uns nicht länger durch die Nacht quälen. Der Tag bricht an. Dieser anbrechende Tag ist ein Bild für die Ewigkeit, es wird hell sein, wir werden nicht mehr allein, sondern in der Gemeinschaft mit Gott leben, wir werden Heilung erfahren und Heimat finden. 

Alpträume der Nacht haben wir heute in mancher Hinsicht. Einzelne durchleben sie persönlich. Beziehungskonflikte, Geldsorgen, Kindersorgen und Sorgen um die älter werdenden Eltern, Arbeitsthemen, gesundheitliche Einschnitte und das eigene Alter sorgen für reichlich Stoff. Dazu kommen Krieg und Terror, Flüchtlingselend und Ohnmacht, diese verwirrende Weltlage zu befrieden.

Der Wecker des Morgens signalisiert: Einer hält dich fest. Deine Sorgen sind nicht einfach weggewischt, denn Gottes neue Welt bricht erst an. Aber sie sind jetzt schon in Gottes Händen. Jesus ist an deiner Seite, um sie mit dir zu bewältigen. Er trägt sie längst ans Kreuz. Dieser Jesus, der jetzt schon bei dir ist, wird wiederkommen und dich daraus erlösen, endgültig. Deshalb steh jetzt auf und lebe so, wie Jesus es von dir erwartet: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.

Das Bild, das Paulus vor unsere Augen malt, wirkt etwas schwarz-weiß. Die Nacht steht für Sorgen, aber auch für ein egoistisches, selbstzerstörerisches Leben auf Kosten anderer. Diese krasse Bildsprache beschreibt einen Abend in der damaligen Taverne. Zügelloses Saufen, Menschen, die die Kontrolle verloren haben und sich in Raufereien verstricken. In den Comics von Lucky Luke sind solche Nächte im Saloon oft sehr anschaulich beschrieben. Aus solchen Alpträumen können wir uns offenbar nicht selbst befreien, sondern werden immer wieder von ihnen eingeholt. Wir brauchen jemand, der uns wachrüttelt, den Wecker laut stellt. Der uns mit dem Licht des Tages lockt und uns aus der Finsternis der Taverne führt. Paulus spricht von „Waffen des Lichts“, mit denen wir für den neuen Tag ausgerüstet werden. Waffen des Lichts stehen bei ihm für Glaube, Hoffnung und Liebe, nicht für Kriegsgerät, das Alpträume fortsetzt.

Adventsmenschen sind geweckte Menschen. Sie sind bereit, ihr Lebenshaus zu renovieren und es Jesus entsprechend zu streichen. Die Farben sind die Farben von Glaube, Hoffnung und Liebe.

Glaube ist nötig, um an Jesus dranzubleiben und nicht wieder einzuschlafen. In einem Gespräch erzählte eine Frau, wie sie sich zurücksehnt nach der Zeit, als Jesus ganz neu in ihr Leben gekommen ist und sie mit seiner Hilfe so viel neu gestalten konnte. Sie berichtete davon, wie ihre Liebe zur Gewohnheit geworden ist, wie eigentlich nichts Neues mehr in ihrem Glaubensleben passiert. Wir kamen dann darauf, wie wichtig immer wieder besondere Inseln im Alltag sind, wo wir intensiver die Gemeinschaft mit Jesus leben können. Für sie war es ein besonderes Andachts-Buch, dass sie lesen wollte – eine Oase, wo sie ganz allein mit Jesus war. Für mich ist es das intensive Nachdenken über biblische Aussagen, ich zeichne Strichmännchen dazu, frage mich, was sie in meinem Leben bewirken, wo ich sie erlebe und anwenden kann. Für andere sind es Gottesbegegnungen in der Natur, im Garten. Und sicher gibt es auch einige, die ihre Liebe zu Jesus in der Gemeinschaft mit anderen Christen auffrischen können, im gemeinsamen Gebet und im einander Segnen. Der Advent bietet dafür eine gute Gelegenheit. Nehmen wir uns 24 leere Zettel als Gedankenstütze, jeden Tag eine Erfahrung festzuhalten, wo wir Jesus erlebt haben.

Hoffnung ist das Gegenteil von Resignation, die seufzt: „Ich kann ja doch nichts ändern!“ Das stimmt ja oft, ich kann es nicht, aber Gott kann. Hoffnungsvoll öffne ich meine Hände und mein Herz und erwarte Gottes Gegenwart, seine Handschrift, sein Zeichen, sein Eingreifen. Ich gehe in den neuen Tag nicht verkrampft und gebückt, sondern aufrecht und erwartungsvoll.

Die Liebe definiert Paulus klar als Nächstenliebe, die aus der Liebe zu Gott und der Annahme meines Ichs resultiert. Es ist eine Entscheidung gegen Tavernennächte, die aus einem gestörten Verhältnis zu Gott und sich selbst entspringen. Wo wir im Reinen mit Gott und uns selbst sind, müssen wir einander nicht verletzen. Wir müssen uns nach durchzechter Nacht nicht schämen und verstecken. Wir müssen nicht nach mehr gieren, als uns guttut und zusteht. Wir müssen uns nicht in Streit einmischen und aus Gefühlen der Ohnmacht gewalttätig werden. Stattdessen entscheiden wir uns für das Du. Das können wir offensichtlich nicht leicht aus uns selbst, sonst wäre das Thema nicht so betont. Die nächsten Wochen sind geprägt von dem Thema Nächstenliebe. Wir wollen anderen etwas Liebes tun, packen Geschenke, packen Plätzchen für die Tafel. Wie wäre es, wenn wir nicht nur unsere Listen „Wie du mir – so ich dir“ abarbeiten, sondern uns jemand zeigen lassen, dem wir unerwartet eine Freude machen können. Oder dem wir unser Ohr schenken. Auch wenn wir seine Probleme nicht lösen können, ihn nicht aus dem tosenden Meer seiner Themen retten können, einen Rettungsring Jesu können wir ihm zuwerfen und darauf vertrauen, dass Jesus ihn herausziehen wird. Wir können einem Menschen, der uns etwas angetan hat, vergeben, so, wie wenn wir das schmutzige Geschirr spülen und es für ein neues Gericht verwenden.

Das Adventshaus können wir streichen, weil Jesus und obwohl Jesus wiederkommt. Advent ist keine Flucht in eine andere Welt, sondern eine Lebenshilfe in dieser Welt mit all ihren Ecken und Kanten. Lassen wir uns wecken aus Angst, Resignation und Lieblosigkeit. Das Licht Jesu, sein Heiliger Geist, gibt uns Kraft, um dem Tavernenleben abzusagen. Jesus ist schon jetzt mit uns unterwegs, korrigiert uns, wenn die Nacht uns überwältigt, ermutigt uns zu neuen Schritten auf den Nächsten zu, tröstet uns in Enttäuschungen und Versagen und gibt uns den Pinsel in die Hand, wenn wir nicht mehr renovieren wollen und aufgeben.
Wir wollen so leben, wie es zum hellen Tag passt.“ (Römer 13,13)

Cornelia Trick


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